BVerfG, 02.06.1964 - 2 BvL 23/62

Daten
Fall: 
Verkehrsfinanzgesetz
Fundstellen: 
BVerfGE 18, 52; BayVBl 1964, 326; DÖV 1965, 132; DVBl 1964, 868; MDR 1964, 905
Gericht: 
Bundesverfassungsgericht
Datum: 
02.06.1964
Aktenzeichen: 
2 BvL 23/62
Entscheidungstyp: 
Beschluss
Instanzen: 
  • FG Rheinland-Pfalz, 13.11.1962 - RML Nr. III 53/59
Inhaltsverzeichnis 

Beschluß

des Zweiten Senats vom 2. Juni 1964
- 2 BvL 23/62 -
in dem Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des Abschnitts II Art. 3 Abs. 1 und Nr. 4 des Verkehrsfinanzgesetzes 1955 vom 6. April 1955 8BGBl. I S. 166) - Vorlagebeschluß des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz, III. Kammer, vom 13. November 1962 - RML Nr. III 53/59.
Entscheidungsformel:

Abschnitt II Artikel 3 Absatz 1 Nummer 1 des Verkehrsfinanzgesetzes 1955 vom 6. April 1955 (BGBl. I S. 166) und Abschnitt II Artikel 3 Absatz 1 Nummer 4 dieses Gesetzes, soweit diese Vorschrift die Bundesregierung zum Erlaß von Rechtsverordnungen über den Umfang der Besteuerungsgrundlage ermächtigt, sind mit Artikel 80 Absatz 1 Satz 2 des Grundgesetzes nicht vereinbar und deshalb nichtig.

Gründe

A.

I.

1. Der Baustoffgroßhändler L. S. in H. (Rheinland-Pfalz) bezog im Jahre 1956 mit zwei eigenen Lastzügen im Werkfernverkehr aus dem Bundesgebiet Baustoffe, die er teilweise nach Frankreich, teilweise in das Saarland und in das Saarrandgebiet lieferte. Mit Bescheid vom 16. Mai 1958 setzte das Finanzamt Trier die dafür zu entrichtende Beförderungsteuer fest. Es legte der Berechnung der Steuer gemäß § 11 Abs. 1 Nr. 2b des Beförderungsteuergesetzes i.d.F. vom 13. Juni 1955 (BGBl. I S. 366) - BefStG 1955 - die Zahl der von den Kraftfahrzeugen geleisteten Tonnenkilometer zugrunde, indem es gemäß § 27 Abs. 2 i.V.m. § 19 Abs. 2 der Beförderungsteuer-Durchführungsverordnung vom 8. Oktober 1955 (BGBl. I S. 659) - BefStDV 1955 - die Anzahl der Tonnen des Rohgewichts der beförderten Güter mit der Anzahl der Kilometer der inländischen Beförderungsstrecke vervielfältigte Die Länge der zurückgelegten Beförderungsstrecken bemaß es gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 2 BefStDV 1955 nach den Eisenbahntarifentfernungen. Die tatsächlich durchfahrenen Strecken waren zum Teil erheblich kürzer. Der Steuerpflichtige legte gegen den Steuerbescheid Einspruch ein, der am 19. Januar 1959 verworfen wurde. Gegen diese Entscheidung rief der Steuerpflichtige mit der Berufung das zuständige Finanzgericht an und beantragte u.a., die Tonnenkilometer nach den von seinen Kraftfahrzeugen tatsächlich durchfahrenen Strecken zu berechnen.

2. Das Finanzgericht Rheinland-Pfalz - III. Kammer - beschloß am 13. November 1962, das Berufungsverfahren gemäß Art. 100 Abs. 1 GG auszusetzen und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts darüber einzuholen, ob die durch Abschnitt II Artikel 3 Absatz 1 Nr. 1 und Nr. 4 des Verkehrsfinanzgesetzes 1955 vom 6. April 1955 (BGBl. I S. 166) - VerkFinG - erteilten Ermächtigungen mit den in Art. 80 und 97 GG verankerten Grundsätzen der Gewaltenteilung und der Unabhängigkeit der Richter vereinbar sind.
Diese Bestimmungen lauten wie folgt:

Artikel 3
(1) Die Bundesregierung wird ermächtigt, Rechtsverordnungen zu erlassen über
1. Die nähere Bestimmung der im Beförderungsteuergesetz verwendeten Begriffe,
2. ... 3. ...
4. die Zuständigkeit, den Umfang der Besteuerungsgrundlage sowie den Steuersatz bei Einrechnung der Steuer in den Beförderungspreis,
5. ...
(2) ... (3) ...

Das Finanzgericht ist der Auffassung, die Vorschriften des § 27 Abs. 2, des § 19 Abs. 2 und des § 20 Abs. 1 Nr. 2 BefStDV 1955, wonach sich die Zahl der geleisteten Tonnenkilometer durch Vervielfachung der Anzahl der Tonnen des Rohgewichts der beförderten Güter mit der Eisenbahntarifentfernung zwischen dem Absendungsort und Bestimmungsort ergibt, beruhten allein auf den genannten Ermächtigungen. Der Verordnunggeber habe durch sie den in § 11 Abs. 1 Nr. 2b BefStG 1955 verwendeten Begriff "Tonnenkilometer" näher bestimmt und damit den Umfang der Besteuerungsgrundlage festgelegt. Die Beförderungsteuer-Durchführungsverordnung 1955 berufe sich zwar auch auf die Bestimmung des § 4 des Gesetzes zur Wiedererhebung der Beförderungsteuer im Möbelfernverkehr und im Werkfernverkehr und zur Änderung von Beförderungsteuersätzen vom 2. März 1951 (BGBl. I S. 159) - Wiedererhebungsgesetz -, wonach die Bundesregierung u.a. zum Erlaß von Rechtsverordnungen ermächtigt ist, "die Berechnung der Steuer zu regeln". Diese Ermächtigung sei aber durch den Erlaß des Verkehrsfinanzgesetzes überholt und gegenstandslos geworden. Selbst wenn sie jedoch fortgelten sollte, ermächtige sie jedenfalls nicht zum Erlaß der in den §§ 27 Abs. 2, 19 Abs. 2 und 20 Abs. 1 Nr. 2 BefStDV 1955 getroffenen Regelung.

Das Finanzgericht hält die Verfassungsmäßigkeit der Ermächtigungen für entscheidungserheblich. Wenn sie geltendes Recht seien, müsse es die vom Steuerpflichtigen durch die Berufung angefochtene Steuerberechnung bestätigen. Wenn hingegen die Ermächtigungen wegen Verstoßes gegen das Grundgesetz nichtig seien, dann sei die Zahl der Tonnenkilometer nach den von den Kraftfahrzeugen tatsächlich durchfahrenen kürzeren Strecken zu berechnen und die Steuerfestsetzung zugunsten des Berufungsführers zu ändern. In diesem Falle habe das Gericht durch Auslegung selbst zu ermitteln, was das Gesetz unter dem Begriff "Tonnenkilometer" verstehe. Dabei komme es zu dem Ergebnis, daß damit die Beförderungsleistung der Kraftfahrzeuge gemeint sei, die sich durch Vervielfältigung des in Tonnen ausgedrückten Gewichts der beförderten Güter mit der in Kilometern ausgedrückten tatsächlich durchfahrenen Beförderungsstrecke ergebe.

Das Finanzgericht hält die Ermächtigungen in Abschnitt II Art. 3 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 4 VerkFinG für unvereinbar mit Art. 80 und 97 GG. Nach rechtsstaatlichen Grundsätzen sei es erforderlich, daß der Gesetzgeber die von ihm zugelassenen steuerlichen Eingriffe in die Freiheitssphäre des Bürgers durch Normierung von Tatbeständen genau abgrenze und hierbei Begriffe verwende, die entweder nach dem allgemeinen Sprachgebrauch bereits einen bestimmten Inhalt hätten oder durch den Gesetzgeber selbst näher festgelegt würden. Ermächtige aber der Gesetzgeber die vollziehende Gewalt, im Steuergesetz verwendete, für das Ausmaß der Besteuerung wesentliche Begriffe durch Rechtsverordnung näher zu bestimmen, so liege darin das Eingeständnis, daß er den Eingriff in die Freiheitssphäre des Bürgers im Gesetz selbst nicht hinreichend umschrieben und damit den aus der Gewaltenteilung folgenden rechtsstaatlichen Grundsatz nicht beachtet habe, wonach das für die Erhebung der Steuer Wesentliche nicht dem Verordnunggeber überlassen werden dürfe. Die Ermächtigungen verstießen deshalb gegen Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG. Sie verletzten auch Art. 97 GG, da sie darauf abzielten, die Finanzgerichte zu zwingen, Rechtsstreitigkeiten, die beim Vollzug des Beförderungsteuergesetzes zwischen der Finanzverwaltung und dem betroffenen Bürger aus Meinungsverschiedenheiten über den Inhalt von Gesetzesbegriffen entstünden, nicht auf Grund allgemeiner Auslegungsgrundsätze, sondern auf Grund der von der Bundesregierung nach eigenem Gutdünken gebildeten und in den Rang einer allgemein verbindlichen Rechtsnorm erhobenen Begriffsauffassung zu entscheiden. Eine Bindung der Finanzgerichte an die Auslegung von Gesetzesbegriffen durch die vollziehende Gewalt sei nicht vereinbar mit der Aufgabe der Gerichte, Streitigkeiten über die Auslegung von Gesetzen unabhängig zu entscheiden.

II.

1. Der Bundesminister der Finanzen hält die Vorlage für unzulässig. Die Auffassung des vorlegenden Gerichts, wonach die im Ausgangsverfahren anzuwendenden Vorschriften der Beförderungsteuer-Durchführungsverordnung 1955 nicht auch auf § 4 des Wiedererhebungsgesetzes beruhen könnten, sei offensichtlich rechtsirrig. Die Ausführungen zur Entscheidungserheblichkeit der zur verfassungsrechtlichen Überprüfung gestellten Ermächtigungsnormen seien nicht schlüssig. Im übrigen sei die Vorlage aber auch unbegründet. Die Ermächtigungen seien mit dem Grundgesetz vereinbar. Sie trügen den Erfordernissen des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG in ausreichender Weise Rechnung, da das Beförderungsteuergesetz 1955 die vom Finanzgericht beanstandete Berechnungsweise nach Eisenbahntarifentfernungen bereits selbst vorsehe. Die Beförderungsteuer werde gemäß § 4 BefStG 1955 grundsätzlich vom Beförderungspreis berechnet. Für den hier interessierenden nichtöffentlichen Güterkraftverkehr sei nach § 6 BefStG 1955 derjenige Betrag als Beförderungspreis maßgebend, der unter gleichen oder ähnlichen Verhältnissen im öffentlichen Güterverkehr gezahlt werde. Im öffentlichen Güterfernverkehr mit Kraftfahrzeugen werde aber der zu entrichtende Frachtpreis nach dem Reichskraftwagentarif berechnet, der nicht von der tatsächlich durchfahrenen Strecke, sondern von den Eisenbahntarifentfernungen ausgehe. Die von dem vorlegenden Gericht anzuwendenden Bestimmungen der Beförderungsteuer-Durchführungsverordnung 1955 hätten somit nur den Zweck, die im Gesetz selbst enthaltene Regelung in klarstellender Weise zu verdeutlichen und zu wiederholen. Inhalt, Zweck und Ausmaß der Ermächtigung seien deshalb durch die gesetzliche Regelung "unmittelbar mitbestimmt".

2. Der Berufungsführer des Ausgangsverfahrens hat der vom Bundesminister der Finanzen vertretenen Auffassung widersprochen; er hält die Vorlage für zulässig und begründet. Für die Zulässigkeit des Vorlagebeschlusses sei die Auslegung der maßgeblichen steuerrechtlichen Vorschriften durch das Finanzgericht als richtig zu unterstellen. Da die vom Finanzamt angewendeten Vorschriften der Beförderungsteuer-Durchführungsverordnung 1955 nach Auffassung des Finanzgerichts nicht auf § 4 des Wiedererhebungsgesetzes gestützt werden könnten, sondern allein auf den zur Nachprüfung gestellten Ermächtigungen beruhten, hänge die Entscheidung des Rechtsstreits von der Gültigkeit der streitigen Ermächtigungsvorschriften ab. Die Ermächtigungen seien verfassungswidrig, weil der Gesetzgeber den Verordnunggeber nicht ermächtigen dürfe, das Gesetz authentisch zu interpretieren. Der Gesetzesbegriff des Tonnenkilometers sei eine so wesentliche und maßgebliche Berechnungsgrundlage für die Beförderungsteuer und damit für das Ausmaß des steuerlichen Eingriffs in die Berufstätigkeit des Steuerpflichtigen, daß es nicht einer Verordnung überlassen werden könne, verbindlich anzuordnen, was das Gesetz unter diesem Begriff verstehe. Eine solche Anordnung diene nicht mehr nur der Ausführung oder Durchführung des Gesetzes; mit ihr stelle sich vielmehr der Verordnunggeber gleichberechtigt und selbständig neben den Gesetzgeber. Die gesetzgeberische Aufgabe als solche sei jedoch auch unter den Voraussetzungen des Art. 80 GG nicht übertragbar.

3. Dem Verfahren ist kein Verfassungsorgan beigetreten.

B.

Die Vorlage ist zulässig.

Für die Entscheidung des Finanzgerichts kommt es auf die Gültigkeit der Ermächtigungen in Abschnitt II Art. 3 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 4 VerkFinG an (Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG, § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG). Die Regelung in den §§ 27 Abs. 2, 19 Abs. 2 und 20 Abs. 1 Nr. 2 BefStDV 1955 beruht nach der Auffassung des vorlegenden Gerichts ausschließlich auf diesen Ermächtigungen, die es für verfassungswidrig hält. § 4 des Wiedererhebungsgesetzes komme, falls die Vorschrift überhaupt fortgelte, als Ermächtigungsgrundlage nicht in Betracht, da die Bestimmungen über die Berechnung der Tonnenkilometer nicht auf die Ermächtigung zum Erlaß einer Rechtsverordnung über die "Berechnung der Steuer" gestützt werden könnten. Diese Auffassung ist vertretbar. Für die Prüfung der Entscheidungserheblichkeit ist das Bundesverfassungsgericht deshalb nach seiner ständigen Rechtsprechung an diese nicht offensichtlich rechtsirrige Ansicht gebunden.

Abschnitt II Art. 3 Abs. 1 Nr. 4 VerkFinG ist allerdings nur insoweit entscheidungserheblich, als die Bestimmung zum Erlaß von Rechtsverordnungen über "den Umfang der Besteuerungsgrundlage" ermächtigt. Soweit die Vorschrift Ermächtigungen zum Erlaß von Rechtsverordnungen über andere Gegenstände enthält, kommt es auf ihre Gültigkeit im Ausgangsverfahren offensichtlich nicht an. Die verfassungsrechtliche Prüfung ist daher auf den entscheidungserheblichen Teil der zu prüfenden Norm zu beschränken (BVerfGE 5, 71 [75]).

C.

Die Ermächtigungen des Abschnitts II Art. 3 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 4 VerkFinG sind mit Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG nicht vereinbar.

I.

Nach Ansicht des Finanzgerichts verstoßen die zu prüfenden Ermächtigungen allerdings auch gegen Art. 97 Abs. 1 GG. Diese Auffassung geht aber fehl. Nach Art. 97 Abs. 1 GG sind die Richter unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen. Art. 20 Abs. 3 GG bindet die Rechtsprechung an Gesetz und Recht. Unter Gesetz im Sinne des Art. 97 Abs. 1 GG ist auch das von der vollziehenden Gewalt auf Grund einer gesetzlichen Ermächtigung ordnungsgemäß gesetzte Verordnungsrecht zu verstehen (vgl. Bettermann, Die Grundrechte, Bd. III 2, S. 532; v. Mangoldt, Grundgesetz, Art. 97 Anm. 3). Die Rechtsetzung durch die Exekutive durchbricht zwar das Gewaltenteilungsprinzip; sie wird aber durch Art. 80 GG ausdrücklich zugelassen. Die Vorschrift umschreibt die Grenzen dieser Rechtsetzungsbefugnis, die sich aus den verfassungsrechtlichen Prinzipien des Rechtsstaates und der Gewaltenteilung ergeben. Das auf Grund einer gesetzlichen Ermächtigung, die sich im Rahmen des Art. 80 GG hält, von der Exekutive gesetzte Recht bindet deshalb auch die Rechtsprechung. Der dem Gesetz unterworfene Richter wird dadurch in seiner verfassungsmäßig garantierten Unabhängigkeit nicht berührt. Überschreitet eine Rechtsverordnung nach Auffassung des Richters den Rahmen der gesetzlichen Ermächtigung, so kann er die Ungültigkeit der Verordnung feststellen und sie bei seiner Entscheidung unbeachtet lassen. Ist er der Meinung, die gesetzliche Ermächtigung selbst halte sich nicht in den durch Art. 80 GG gesetzten Grenzen, so hat er darüber die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen. Eine Ermächtigung, die den Erfordernissen des Art. 80 GG nicht entspricht, kann also die richterliche Unabhängigkeit nicht verletzen, weil auf Antrag des Richters das Bundesverfassungsgericht ihre Nichtigkeit festzustellen hat.

II.

Die Ermächtigung in Abschnitt II Art. 3 Abs. 1 Nr. 1 VerkFinG, Rechtsverordnungen über die nähere Bestimmung der im Beförderungsteuergesetz verwendeten Begriffe zu erlassen, ist nach Inhalt, Zweck und Ausmaß nicht hinreichend bestimmt. Sie ist deshalb mit Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG nicht vereinbar.

1. Das Beförderungsteuergesetz 1955 regelt in insgesamt 23 Paragraphen die Besteuerung von Beförderungsleistungen. Die Vielfalt der Verkehrsträger und Verkehrsarten bringt es mit sich, daß die Regelung verschiedene Besteuerungsobjekte, verschiedene Besteuerungsgrundlagen, verschiedene Steuersätze, verschiedene Berechnungsarten der Steuer und zahlreiche Ausnahmen, Steuerermäßigungen oder Steuererleichterungen kennt. Das Gesetz verwendet zwangsläufig eine Vielzahl von Begriffen, die in ihrem Wortsinn und in ihrer spezifischen Bedeutung innerhalb des Gesetzes nicht ohne weiteres klar sind, sondern für die Rechtsanwendung der Interpretation bedürfen. Indem der Gesetzgeber den Delegatar ermächtigt, sämtliche in diesem Gesetz enthaltenen Begriffe näher zu bestimmen, überträgt er ihm uneingeschränkt die Befugnis zur Legaldefinition. Bei diesem Umfang der Ermächtigung kann nicht vorhergesehen werden, in welchen Fällen und mit welchem Inhalt von ihr Gebrauch gemacht werden wird.

Im Beförderungsteuergesetz 1955 finden sich zwar selbst eine Reihe von Legaldefinitionen für die im Gesetz verwendeten Begriffe. So bestimmt beispielsweise § 1 Abs. 3, daß sich die Begriffe "Unternehmer" und "Unternehmen" nach dem Umsatzsteuerrecht richten und daß als Unternehmer auch die Deutsche Bundesbahn und die Deutsche Bundespost einschließlich der Landespostdirektion Berlin gelten. § 3 Abs. 2 BefStG 1955 definiert die Begriffe "Ortslinienverkehr" und "Nachbarortslinienverkehr". Das Gesetz enthält auch einige Einzelermächtigungen zur näheren Bestimmung gesetzlicher Begriffe (z.B. § 5 Abs. 3 und § 11 Abs. 2 Satz 4 BefStG 1955). Aber darüber hinaus finden sich im Gesetz immer noch Begriffe, die nicht klar sind und erst näher bestimmt werden müssen (z.B. "Arbeitnehmerverkehr", "Schülerverkehr", "benachbarte Gemeinden", "Gemeinden, die wirtschaftlich und verkehrsmäßig eng verbunden sind", "öffentliches Verkehrsbedürfnis", "Milcherzeugnisse", "inländisches Obst und Gemüse", "Mineralbrunnen"). Zu diesen unbestimmten Begriffen gehört auch der Begriff "Tonnenkilometer", der aus veränderlichen Werten (Gewicht und Entfernung) gebildet wird und der einen verschiedenen Inhalt erhält, je nachdem wie man Gewicht und Entfernung bestimmt.

Die im Beförderungsteuergesetz enthaltenen Legaldefinitionen und Spezialermächtigungen beschränken zwar teilweise den Inhalt der Ermächtigung des Abschnitts II Art. 3 Abs. 1 Nr. 1 VerkFinG. Dennoch ist die Ermächtigung hinsichtlich ihres Inhalts unbestimmt, da sie sich auf eine unbestimmte Vielzahl von nicht hinreichend bestimmten Begriffen bezieht, über die eine nähere Bestimmung getroffen werden kann. Damit ist es dem Verordnunggeber überlassen zu entscheiden, was er regeln will und wie er es regeln will. Aus Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG ergibt sich aber, daß eine Ermächtigung an den Verordnunggeber so bestimmt sein muß, daß schon aus ihr und nicht erst aus der auf sie gestützten Verordnung erkennbar und voraussehbar ist, was von dem Bürger gefordert werden kann. Dagegen verstößt ein Gesetz, das eine Steuer einführt und es dem Verordnunggeber überläßt, das für sie Wesentliche zu bestimmen (BVerfGE 7, 282 f.; 10, 251 [258]). Das ist hier der Fall.

2. Die Ermächtigung ist auch hinsichtlich ihres Ausmaßes und ihres Zwecks nicht hinreichend bestimmt. Die von der Bundesregierung zu erlassenden Rechtsverordnungen sollen die im Beförderungsteuergesetz verwendeten Begriffe näher bestimmen. In dieser Wendung liegt zwar eine sachliche Schranke für die Tätigkeit des Verordnunggebers. Die nähere Bestimmung eines im Gesetz verwendeten Begriffs findet notwendig ihre Grenze an seinem Inhalt. Die dadurch dem Verordnunggeber gezogene Grenze kann aber nur in dem Maße bestimmt sein, als der Sinngehalt der im Gesetz verwendeten Begriffe selbst hinreichend eindeutig ist. Die Unbestimmtheit des Inhalts der Ermächtigung und die Unbestimmtheit der im Gesetz verwendeten Begriffe, auf die sie sich bezieht, läßt daher die Ermächtigung auch hinsichtlich ihres Ausmaßes als nicht genügend bestimmt erscheinen. Der Gesetzgeber, der eine Ermächtigung zur Rechtsetzung erteilt, muß die Grenzen der zu schaffenden Regelung festsetzen und angeben, welchem Ziel die Regelung dienen soll (BVerfGE 2, 307 [334]; 5, 71 [76]; 7, 282 [304]). Er muß der ermächtigten Stelle ein "Programm" an die Hand geben (BVerfGE 5, 71 [77]; 8, 274 [307, 313, 323]). Das hat er hier unterlassen.

III.

Auch die Ermächtigung in Abschnitt II Art. 3 Abs. 1 Nr. 4 VerkFinG, soweit sie hier verfassungsrechtlich zu prüfen ist, ist mit Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG unvereinbar.

1. Die Vorschrift ermächtigt die Bundesregierung, Rechtsverordnungen über den Umfang der Besteuerungsgrundlage für die Beförderungsteuer zu erlassen. Als Besteuerungsgrundlage einer bestimmten Steuerart wird diejenige Größe bezeichnet, die der Berechnung dieser Steuer zugrunde gelegt wird (vgl. Bühler- Strickrodt, Steuerrecht, 3. Aufl., Bd. I S. 71; Sperling, Beförderungsteuer - Kommentar S. 78). In diesem Sinn wird der Begriff "Besteuerungsgrundlage" in Abschnitt II Art. 3 Abs. 1 Nr. 4 VerkFinG gebraucht. So wird die Ermächtigung auch allgemein verstanden. Die Beförderungsteuer-Durchführungsverordnung 1955 regelt in dem mit "Besteuerungsgrundlage" überschriebenen § 15, wann die Beförderungsteuer nach dem Beförderungspreis, nach dem Durchschnittsbeförderungsentgelt oder nach Tonnenkilometern zu berechnen ist. Im Schrifttum zum Beförderungsteuerrecht werden Beförderungspreis, Durchschnittsbeförderungsentgelt und Tonnenkilometer allgemein als die Besteuerungsgrundlagen der Beförderungsteuer bezeichnet.

2. Der Wortlaut der Ermächtigung des Abschnitts II Art. 3 Abs. 1 Nr. 4 VerkFinG bietet keinen Anhaltspunkt für Inhalt und Ausmaß der Delegation. Das Beförderungsteuergesetz 1955 selbst kennt als Besteuerungsgrundlage der Beförderungsteuer nur den Beförderungspreis (§§ 4 bis 6) und den Tonnenkilometer (§ 6 Abs. 1 Satz 2 und § 11). Für die Frage, ob die Ermächtigung in Abschnitt II Art. 3 Abs. 1 Nr. 4 hinreichend bestimmt ist, kommt es also darauf an, ob sich aus den Begriffen, die das Beförderungsteuergesetz 1955 selbst zur Bestimmung der Besteuerungsgrundlage verwendet, eindeutig ergibt, von welchen tatsächlichen Voraussetzungen die Berechnung der Steuer abhängt. Das kann für den Begriff des Beförderungspreises als Besteuerungsgrundlage bejaht werden. Er ist sowohl durch seinen allgemeinen Wortsinn als auch durch seine gesetzliche Regelung in den §§ 4 bis 6 BefStG 1955 hinreichend deutlich umschrieben (vgl. BVerfGE 10, 251 [255]).

Dagegen ist der im Gesetz verwendete Begriff "Tonnenkilometer" nicht hinreichend bestimmt. Der Umfang der Besteuerungsgrundlage "Tonnenkilometer" hängt ab von den beiden Größen "Gewicht" und "Entfernung". Hinsichtlich beider Faktoren ist dem Verordnunggeber bei der Bestimmung des Umfangs der Besteuerungsgrundlage ein nicht näher begrenzter Spielraum eingeräumt. Das zeigen deutlich die Vorschriften über die Berechnung des Rohgewichts in § 19 Abs. 3 bis 5 BefStDV 1955, nach denen für bestimmte Fälle ein Durchschnittsgewicht, in anderen Fällen nur das halbe tatsächliche Gewicht maßgebend sein soll und nach denen das Gewicht u.U. auf- oder abzurunden ist. Für die Berechnung der Entfernung sieht § 20 BefStDV 1955 neben der tatsächlich durchfahrenen Strecke verschiedene Tarifentfernungen und in besonderen Fällen sogar bestimmte Straßenverbindungen vor. Alle diese vom Verordnunggeber gewählten Differenzierungen mögen sachgerecht sein. Darauf kann es aber nicht ankommen. Für die Vereinbarkeit einer Ermächtigung mit Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG ist allein entscheidend, daß der Gesetzgeber Inhalt, Zweck und Ausmaß der Ermächtigung bestimmt hat. Das ist hier aus den dargelegten Gründen nicht der Fall. Es läßt sich nicht voraussehen, welchen Inhalt die auf Grund der Ermächtigung erlassenen Vorschriften haben werden. Der Verordnunggeber kann zwar mit diesen Vorschriften die im Gesetz bestimmte Basis der Beförderungsteuer nicht grundlegend verschieben. Im Einzelfall kann aber die Höhe der Steuer je nach der Abgrenzung des Umfangs der Besteuerungsgrundlage wesentlich beeinflußt werden.

3. Auch der Zweck der Ermächtigung läßt die erforderliche Bestimmtheit vermissen.

Mit der Bemessung der Beförderungsteuer verfolgt der Gesetzgeber verschiedene Ziele. Seine Regelung bezweckt eine möglichst einfache Steuerberechnung, eine möglichst einheitliche steuerliche Behandlung vergleichbarer Steuertatbestände und schließlich auch eine an den wirtschaftspolitischen und verkehrspolitischen Zwecken der Beförderungsteuer orientierte Steuerbelastung der verschiedenen Verkehrsarten. Bezüglich des Werkfernverkehrs verfolgt das Verkehrsfinanzgesetz außerdem deutlich das wirtschaftspolitische Ziel einer Eindämmung dieses Verkehrs zum Schutze der Bundesbahn. Die Zielsetzung des Beförderungsteuerrechts ist also nicht einheitlich. Angesichts dieser Tatsache läßt die Ermächtigung zur Bestimmung des Umfangs der Besteuerungsgrundlage nicht erkennen, welche der verschiedenen Tendenzen der Verordnunggeber beim Erlaß von Vorschriften über den Umfang der Besteuerungsgrundlage verfolgen soll. Die Ermächtigung verweist zwar auf die im Beförderungsteuergesetz enthaltenen Bestimmungen über die Besteuerungsgrundlage. Diese enthalten jedoch kein festes Programm; sie bestimmen nicht die Richtung, in der der Verordnunggeber beim Erlaß von Vorschriften über den Umfang der Besteuerungsgrundlage vorzugehen hat.

D.

Da Abschnitt II Art. 3 Abs. 1 Nr. 1 VerkFinG und Abschnitt II Art. 3 Abs. 1 Nr. 4 dieses Gesetzes, soweit diese Vorschrift die Bundesregierung zum Erlaß von Rechtsverordnungen über den Umfang der Besteuerungsgrundlagen ermächtigt, mit Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG nicht vereinbar sind, ist ihre Nichtigkeit festzustellen.

Abschließend sei noch bemerkt, daß gegen die Bestimmung des § 4 des Wiedererhebungsgesetzes 1951 dieselben verfassungsrechtlichen Bedenken bestünden, insoweit sie die Bundesregierung ermächtigt, durch Rechtsverordnung Vorschriften über "die Berechnung der Steuer" zu erlassen.