BVerfG, 03.03.1965 - 1 BvR 208/59

Daten
Fall: 
Beurkundungsbefugnis
Fundstellen: 
BVerfGE 18, 392; DÖV 1965, 342; DVBl 1965, 396; JZ 1965, 356; MDR 1965, 543; NJW 1965, 1013
Gericht: 
Bundesverfassungsgericht
Datum: 
03.03.1965
Aktenzeichen: 
1 BvR 208/59
Entscheidungstyp: 
Beschluss

Die in Art. 12 § 2 prAGBGB eingeräumte Beurkundungsbefugnis stellt kein subjektives öffentliches Recht, insbesondere kein Eigentum im Sinne des Art. 14 Abs. 1 GG dar.

Beschluß

des Ersten Senats vom 3. März 1965
- 1 BvR 208/59 -
in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde des Bischöflichen Generalvikariats, Trier, Hinter dem Dom 6, gegen den Beschluß des Oberlandesgerichts Neustadt/Weinstraße vom 27. Januar 1957 - 3 W 8/59.
Entscheidungsformel:

Die Verfassungsbeschwerde wird verworfen.

Gründe

I.

Gemäß § 142 EGBGB bleiben durch das Bürgerliche Gesetzbuch unberührt die landesgesetzlichen Vorschriften, welche in Ansehung der in dem Gebiet eines Bundeslandes liegenden Grundstücke bestimmen, daß für die Beurkundung des in § 313 BGB bezeichneten Vertrags außer den Gerichten und Notaren auch andere Behörden und Beamte zuständig sind. Art. 12 § 2 des preußischen Ausführungsgesetzes zum BGB vom 20. September 1899 (GS S. 177) bestimmte:

Wird bei einem Vertrage, durch den sich der eine Theil verpflichtet, das Eigenthum an einem in Preußen liegenden Grundstücke zu übertragen, einer der Vertragschließenden durch eine öffentliche Behörde vertreten, so ist für die Beurkundung des Vertrags außer den Gerichten und Notaren auch der Beamte zuständig, welcher von dem Vorstande der zur Vertretung berufenen Behörde oder von der vorgesetzten Behörde bestimmt ist.

§ 22 Abs. 4 der Notarordnung für Rheinland-Pfalz vom 3. September 1949 (GVBl. S. 391) lautet:

Für Beurkundungen und Beglaubigungen in Grundbuchsachen und letztwilligen Verfügungen sind die Notare ausschließlich zuständig. Unberührt bleiben die Vorschriften über die Errichtung von Not- und Seetestamenten sowie die Vorschriften über die Bestellung von Urkundsbeamten bei der Landeszentralbank und den Landeskultur- und Vermessungsbehörden.

Die Notarordnung ist am 6. September 1949 verkündet worden und war bis zum Inkrafttreten des Bundesgesetzes über Maßnahmen auf den Gebieten des Notarrechts vom 16. Februar 1961 (BGBl. I S. 77) gültig (BVerfGE 16, 6 [16]).

II.

1. Am 26. April 1957 verkaufte die Katholische Kirchengemeinde Leutesdorf/Rhein an den Johannesbund e. V. Leutesdorf verschiedene in der Gemarkung Leutesdorf gelegene Grundstücke. Der Kaufvertrag wurde von dem Bischöflichen Rechtsrat K., den der Generalvikar der Diözese Trier zum Urkundsbeamten bestellt hatte, in Leutesdorf beurkundet. Den Antrag des Bischöflichen Generalvikariats auf Terminsanberaumung zur Entgegennahme der Auflassungserklärung wies das Amtsgericht Neuwied zurück; Beschwerde und weitere Beschwerde blieben ohne Erfolg. Übereinstimmend gingen die Gerichte davon aus, der Kaufvertrag entspreche nicht der in § 313 BGB vorgeschriebenen Form, da die durch Art. 12 § 2 prAGBGB eröffnete Möglichkeit, Grundstücksgeschäfte einer öffentlichen Behörde durch einen von dieser bestellten Urkundsbeamten beurkunden zu lassen, durch § 22 Abs. 4 der rheinland-pfälzischen Notarordnung vom 3. September 1949 beseitigt worden sei. Der Vertrag hätte deshalb durch einen Notar beurkundet werden müssen; die Beseitigung der Beurkundungsmöglichkeit gemäß Art. 12 § 2 prAGBGB verstoße nicht gegen Art. 14 GG.

2. Mit der Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluß des Oberlandesgerichts Neustadt/Weinstraße vom 27. Januar 1959 - 3 W 8/59 - rügt der Beschwerdeführer Verletzung der Art. 14, 140, 123 Abs. 2 GG. Zur Begründung der Verfassungsbeschwerde führt er aus:

a) Die Verneinung der Beurkundungsbefugnis des bischöflichen Urkundsbeamten verstoße gegen das Grundgesetz. Die rheinland-pfälzische Notarordnung sei als Ganzes nichtig, weil sie erst nach dem 6. September 1949 in Kraft getreten sei und gegen die Reichsnotarordnung vom 13. Februar 1937 (RGBl. I S. 191) verstoße, die gemäß Art. 123 Abs. 2 GG Bundesrecht geworden sei.

Abgesehen davon verletze die Entziehung der Beurkundungsbefugnis Art. 14 GG. Die Beurkundungsbefugnis gemäß Art. 12 § 2 prAGBGB sei ein subjektiv-öffentliches Recht und als solches ein vermögenswerter Besitzstand; sie sei deshalb als Eigentum im Sinne des Art. 14 GG anzusehen.

Auch gehöre die Beurkundungsbefugnis zu den durch Art. 140 GG, Art. 138 WRV sowie Art. 17 des Reichskonkordates und Art. 5 des preußischen Konkordates geschützten kirchlichen Vermögensrechten. Das Reichskonkordat gehe im Hinblick auf Art. 25 GG und den Völkerrechtssatz "pacta sunt servanda" "allen Gesetzen des Bundes und der Länder und auch den Bestimmungen des Grundgesetzes uneingeschränkt vor".

Im übrigen habe das Oberlandesgericht als weiteres Beschwerdegericht den Begriff "Grundbuchsache" verkannt und deshalb den § 22 Abs. 4 der rheinland-pfälzischen Notarordnung falsch ausgelegt.

b) Die Verfassungsbeschwerde sei durch das Bundesgesetz über Maßnahmen auf dem Gebiete des Notarrechts vom 16. Februar 1961 nicht gegenstandslos geworden. Art. 7 Abs. 3 Satz 1 dieses Gesetzes verbiete zwar, daß Behörden oder Beamte eine Beurkundung vornehmen, wenn die Körperschaft oder Anstalt, der sie angehören oder die sie zur Beurkundung bestellt hat, bei der den Gegenstand der Beurkundung bildenden Angelegenheit beteiligt ist. Das Bischöfliche Generalvikariat sei aber an den Grundstücksgeschäften der katholischen Kirchengemeinden nicht beteiligt, weil die Kirchengemeinden selbst Eigentümer der auf sie eingetragenen Grundstücke seien und die bischöfliche Behörde lediglich die Kirchenvorstandsbeschlüsse, nicht aber die vom Kirchenvorstand auf Grund dieser Beschlüsse geschlossenen Verträge genehmige.

3. Der Bundesminister der Justiz hält die Verfassungsbeschwerde für unbegründet. Eine Verfassungsbeschwerde könne nur mit der Verletzung eines Grundrechts oder eines der in Art. 33, 38, 101, 103 und 104 GG enthaltenen Rechte begründet werden. Von diesen Rechten sei lediglich Verletzung des Art. 14 GG gerügt. Art. 14 GG sei aber offensichtlich nicht betroffen, da die öffentliche Beurkundung Ausübung öffentlicher Gewalt sei und nicht Gegenstand des Eigentums sein könne.

Der Justizminister von Rheinland-Pfalz hält die Verfassungsbeschwerde für gegenstandslos, jedenfalls aber für unbegründet.

Gegenstandslos sei die Verfassungsbeschwerde deshalb, weil die Beurkundungsbefugnis des von dem Generalvikar des Bistums Trier bestellten Urkundsbeamten durch Art. 7 Abs. 3 des Bundesgesetzes über Maßnahmen auf dem Gebiet des Notarrechts beseitigt sei. Im übrigen sei die Landesnotarordnung von Rheinland-Pfalz wirksam erlassen. Jedenfalls sei § 22 Abs. 4 Notarordnung gültig. Soweit die Vorschrift die Beurkundungsbefugnis gemäß Art. 12 § 2 prAGBGB aufgehoben habe, behandle sie einen Gegenstand, dessen Regelung durch Art. 142 EGBGB dem Landesgesetzgeber über den 7. September 1949 hinaus überlassen worden sei.

Die Beurkundungsbefugnis genieße nicht den Schutz des Art. 14 GG. Diese Vorschrift gewährleiste nur solche subjektiv-öffentlichen Rechte, die mit der persönlichen und privaten Sphäre, also mit der wirtschaftlichen Lebensbasis der natürlichen oder juristischen Personen zusammenhingen. Die Beurkundungsbefugnis enthalte keine privatwirtschaftlichen Elemente und könne nicht privatwirtschaftlich genutzt werden. Auch durch die Konkordate werde die Beurkundungsbefugnis nicht zum eigentumsähnlichen Recht gemacht.

III.

1. Die Verfassungsbeschwerde ist nicht durch Art. 7 Abs. 3 des Bundesgesetzes über Maßnahmen auf dem Gebiete des Notarrechts vom 16. Februar 1961 gegenstandslos geworden. Diese Vorschrift hat zwar die Möglichkeit der Beurkundung durch Beamte beseitigt, die einer Behörde angehören oder von einer Behörde bestellt sind, die bei der den Gegenstand der Beurkundung bildenden Angelegenheit beteiligt ist. Der Grundstückskaufvertrag, der Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist, wurde aber bereits am 26. April 1957 abschließend beurkundet. Er wird daher von dem Gesetz vom 16. Februar 1961, das am 1. April 1961 in Kraft getreten ist, nicht berührt.

2. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Verfassungsbeschwerde deshalb unzulässig ist, weil der Beschwerdeführer Grundrechte in Anspruch nimmt, die möglicherweise nicht dem Generalvikariat als Behörde, sondern dem Generalvikar als Vertreter des Bischofs oder dem Bistum als einer Körperschaft des öffentlichen Rechts zustehen. Diese Frage braucht hier nicht entschieden zu werden, weil die von dem Beschwerdeführer in Anspruch genommene Beurkundungsbefugnis nicht Gegenstand des Grundrechts aus Art. 14 GG sein kann.

Die in Art. 12 § 2 prAGBGB eingeräumte Beurkundungsbefugnis stellt kein subjektives öffentliches Recht dar. Vielmehr werden durch diese Bestimmungen die Behörden des Staates und der öffentlichen Körperschaften in das Instanzensystem der freiwilligen Gerichtsbarkeit eingegliedert und erhalten Kompetenzen im Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit zugewiesen (vgl. auch BVerfGE 17, 371 [376 ff.]). Diese Kompetenzen begründen kein Recht gegen den Staat, sondern wirken sich auf die Teilnehmer am Rechtsverkehr aus, die die Behörden zur Beurkundung von Rechtsgeschäften in Anspruch nehmen.

Auch die Möglichkeit, für die Ausübung der Kompetenz Gebühren zu sparen, macht die Beurkundungsbefugnis nicht zu einem gegen den Staat gerichteten subjektiven öffentlichen Recht. Die Gebühren stellen die Gegenleistung für bestimmte staatliche Tätigkeiten dar und sollen die Kosten dieser Staatstätigkeit decken. Die gebührensparende Selbstbeurkundung kann nicht als Erwerbsquelle behandelt werden. Vielmehr tritt an die Stelle der Gebührenzahlung hier die Notwendigkeit, die tatsächlichen Kosten der Beurkundungstätigkeit zu tragen. Daß bei umsichtiger Regelung die tatsächlichen Kosten im Einzelfall - insbesondere bei Geschäften mit hohem Gegenstandswert - niedriger sein können, steht dem nicht entgegen.

Selbst wenn man aber mit dem Beschwerdeführer die Beurkundungsbefugnis als subjektives öffentliches Recht ansehen würde, fiele sie nach den Kriterien, die das Bundesverfassungsgericht in seiner bisherigen Rechtsprechung aufgestellt hat, nicht unter den Eigentumsbegriff des Art. 14 Abs. 1 GG. Das Bundesverfassungsgericht hat sich zwar in seiner Entscheidung vom 21. Juli 1955 (BVerfGE 4, 219 [240 ff.]) zu der differenzierenden Lösung bekannt, daß es jedenfalls vermögenswerte subjektive öffentliche Rechte gibt, die Eigentum im Sinne des Art. 14 GG sind. Kriterium hierfür ist, ob der das subjektive öffentliche Recht begründende Tatbestand seinem Inhaber eine Rechtsposition verschafft, "die derjenigen des Eigentümers so nahe kommt, daß Art. 14 GG Anwendung finden muß". Die des Grundrechtsschutzes fähige Rechtsposition muß also so stark sein, daß ihre ersatzlose Entziehung dem rechtsstaatlichen Gehalt des Grundgesetzes widersprechen würde (vgl. BVerfGE 16, 94 [112]). Entscheidend ist für die Bewertung eines Rechts als Eigentum, inwieweit es "sich als Äquivalent eigener Leistung erweist oder auf staatlicher Gewährung beruht" (BVerfGE 14, 288 [294]). Der verfassungsrechtliche Eigentumsschutz ist jedenfalls solchen öffentlich-rechtlichen Ansprüchen zu versagen, bei denen "zu der einseitigen Gewährung des Staates keine den Eigentumsschutz rechtfertigende Leistung des Einzelnen hinzutritt" (BVerfGE 16, 94 [113]; vgl. 1, 264 [278]).

Die Erteilung der Befugnis, Beurkundungen im Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit vorzunehmen, ist weder Voraussetzung noch Folge bestimmter besonderer Leistungen der betroffenen Behörden und Körperschaften. Die Befugnis könnte daher, selbst wenn man sie als subjektives öffentliches Recht ansähe, nicht unter den Eigentumsbegriff des Art. 14 GG subsumiert werden.

3. Auch aus Art. 138 WRV in Verbindung mit Art. 140 GG und den Bestimmungen der Konkordate ergibt sich nichts anderes.

a) Art. 138 WRV gewährleistet "das Eigentum und sonstige Rechte der Religionsgesellschaften und religiösen Vereine an ihren für Kultus-, Unterrichts- und Wohltätigkeitszwecke bestimmten Anstalten, Stiftungen und sonstigen Vermögen". Daraus läßt sich keine Ausdehnung des Eigentumsbegriffes zugunsten der Religionsgesellschaften herleiten. Denn nur das für die genannten Zwecke bestimmte Vermögen der Religionsgesellschaften und ihrer Vereine wird durch Art. 138 WRV gewährleistet. Die Beurkundungsbefugnis ist aber kein Vermögen, das für Kultus-, Unterrichts- und Wohltätigkeitszwecke bestimmt ist; sie ist weder ein Vermögen noch dient sie unmittelbar diesen Zwecken.

b) Das gleiche gilt hinsichtlich Art. 17 des Reichskonkordats und Art. 5 des preußischen Konkordats schon deshalb, weil diese Bestimmungen keine Erweiterung des allgemeinen Eigentumsbegriffes in Art. 14 GG enthalten, sondern einen Begriff des Eigentums und des Rechts am Vermögen voraussetzen, der nach deutschem Recht zu bestimmen ist.

4. Die Rüge, das Oberlandesgericht habe den Begriff der Grundbuchsache verkannt, betrifft eine Frage der Auslegung einfachen Rechts, die im verfassungsrechtlichen Verfahren grundsätzlich nicht nachzuprüfen ist. Anhaltspunkte dafür, daß das Oberlandesgericht den Begriff willkürlich bestimmt habe, sind nicht ersichtlich.

5. Auf Art. 2 GG in Verbindung mit Art. 74 Nr. 1 GG kann die Verfassungsbeschwerde nicht gestützt werden, weil die Notarordnung für Rheinland-Pfalz sich im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung hält. Denn im Beschluß vom 2. April 1963 - 2 BvL 22/60 - (BVerfGE 16, 6 [16]) hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden, daß die Notarordnung für Rheinland-Pfalz rechtzeitig vor dem ersten Zusammentritt des Deutschen Bundestages verkündet worden ist, so daß das Land an ihrem Erlaß durch Art. 74 Nr. 1 GG noch nicht gehindert war.