RG, 12.12.1879 - IVa 268/79
Unterwerfung unter ein noch nicht rechtskräftiges Urteil durch vorbehaltlose Zahlung der Urteilssumme. Rückforderung der letzteren wegen Nichtschuld - wegen Betruges des Gegners.
Aus den Gründen
"In dem zwischen den Parteien geführten Vorprozesse hatte der Beklagte H., als damaliger Kläger, in erster Instanz ein Urteil erstritten, welches den Kläger Br., als damaligen Beklagten, verurteilte, die eingeklagten 500 Fl. nebst Zinsen an den H. zu zahlen, wenn dieser den ihm in betreff der Klage zuerkannten Erfüllungseid leisten würde. Gegen dies Erkenntnis hatte der bedingt verurteilte Br. kein Rechtsmittel eingewendet; nur der H. hatte appellierend unbedingte Verurteilung des ersteren verlangt. Während die Sache in der Appellationsinstanz schwebte, brachte H. bei dem Appellationsgerichte zur Anzeige, daß Br. ihm die eingeklagte Forderung nebst Zinsen bezahlt habe und nur noch die Kosten schulde. In seiner Appellationsbeantwortung räumte Br. dies zwar ein, behauptete aber und begründete tatsächlich näher, daß er zu dieser Zahlung lediglich durch Vorspiegelung des H., der Eid sei bereits von ihm geleistet, verleitet worden sei. Das Appellationsgericht erkannte jedoch in der Hauptsache für Recht, "daß nach jener Zahlung das angefochtene Erkenntnis dahin abzuändern sei, daß der Prozeß, was Hauptsache und Zinsen betreffe, für erledigt zu erachten, Kläger H. jedoch die Kosten beider Instanzen zu tragen habe" - letzteres um deswillen, weil in der That sein Anspruch nicht zu Recht bestehe. Mit der gegenwärtigen Klage fordert Br. die gezahlten 500 Fl. Hauptstamm und 60 Fl. Zinsen zurück, indem er sich 1. darauf beruft, daß er dieselben irrtümlich bezahlt habe, ohne sie schuldig zu sein, 2. darauf, daß er durch arglistige Vorspiegelung des H. zur Zahlung verleitet worden sei. Die beiden vorigen Richter haben diese Klage unter dem ersteren Gesichtspunkte ( condictio indebiti) für rechtlich und tatsächlich begründet erachtet, darum die Auffassung als actio doli auf sich beruhen lassen und den Beklagten, vorbehaltlich eines Eides über zwei vorgebrachte Einreden, zur Rückgabe der empfangenen 560 Fl. verurteilt. Hiergegen ist vom Beklagten Nichtigkeitsbeschwerde eingewendet und solche darauf gestützt worden, daß die Rechtsgrundsätze über die condictio indebiti und über die Rechtskraft der Urteile verletzt worden seien.
Die Nichtigkeitsbeschwerde mußte für begründet erachtet werden.
Die Klage auf Rückgewährung eines in der irrigen Voraussetzung der Schuld geleisteten Gegenstandes ( condictio indebiti) setzt ihrem Begriffe und Zwecke nach voraus, daß der Gegenstand nicht geschuldet sei. Eben weil dies den Grund des Klageanspruches bildet, hat unbestritten der Kläger zu behaupten und zu beweisen, daß die Schuld, deren Tilgung beabsichtigt wurde, nicht bestand. Demgemäß hat auch vorliegenden Falles der Kläger Br. die Klage darauf gegründet, daß die ursprünglich von ihm kontrahierte Schuld von 500 Fl. durch Anweisung einer ihm an einen gewissen K. zustehenden Forderung getilgt, also zur Zeit der früheren Klagerhebung nicht mehr existent gewesen sei. H. hat dies bestritten und vielerlei Einreden dagegen vorgebracht. Das beiderseitige Vorbringen in diesem Betreff sowie die darüber erhobenen Beweise bilden die Grundlage, auf welcher dann die erkennenden Richter im vorliegenden Prozesse zu der Entscheidung gelangt sind, daß in der That eine Schuld des Br. nicht bestanden habe. Ein solches Verfahren verstößt aber gegen die Grundsätze über die Rechtskraft des Urteiles. Denn dieselbe Frage, ob die Schuld des Br. bestand und namentlich ob sie trotz der Anweisung an den K. bestand, hat bereits den Gegenstand des Vorprozesses beider Parteien gebildet und hat dort seine Erledigung durch rechtskräftiges Urteil gefunden. H. hatte durch letzteres ein Recht auf die 500 Fl. nebst Zinsen, wofern er den ihm auferlegten Erfüllungseid leistete, erworben. Dieses Recht kann ihm unter keinen Umständen wieder entzogen oder durch einen neuen Prozeß in Frage gestellt werden. Da dies durch die angestellte condictio indebiti geschehen sollte, ihrer rechtlichen Natur und Bestimmung nach auch geschehen mußte, so war diese Klage hier schlechterdings ausgeschlossen und das angefochtene Urteil, welches wesentlich auf der rechtlichen Zulässigkeit derselben beruht, als gegen die Principien über die Rechtskraft verstoßend, unhaltbar.
Hiergegen darf auch die eigentümliche Weise, in welcher der Vorprozeß zu Ende gediehen ist, kein Bedenken erregen. Allerdings war das erstinstanzliche Endurteil noch durch einen Eid des H. bedingt, ja war von diesem noch durch ein Rechtsmittel angefochten worden, als die obere Instanz auf seine Anzeige über erfolgte Befriedigung, das angefochtene Urteil dahin abänderte, daß der Prozeß, soweit er Hauptforderung und Zinsen betreffe, für erledigt zu erachten, Kläger aber in die Prozeßkosten zu verurteilen sei. Dieser Entscheidung kann ein anderer Sinn nicht wohl untergelegt werden, als der, daß, nachdem Beklagter die Klagbitte erfüllt, sich der Streit in der Hauptsache erledigt habe. Der damalige Appellationsrichter hat also in der vorbehaltlosen Zahlung der ganzen Klagsumme eine thatsächliche Unterwerfung unter die Klagbitte oder unter das erstinstanzliche Urteil, und zwar als eines unbedingten erblickt, und ohne Zweifel involviert sie auch eine solche, da sie der ganzen Sachlage nach mit Rücksicht auf die erhobene Klage resp. das ergangene erstinstanzliche Urteil geleistet worden ist. Die Unterwerfung unter die Klagbitte aber, welche materiell der alten confessio in jure, dem bekannten Surrogat des rechtskräftigen Urteils, völlig gleich steht, begründet dieselben Wirkungen wie dieses letztere, - wie auch daran nicht gezweifelt werden kann, daß die Erfüllung eines Urteiles ohne Vorbehalt und ohne Zwang die Anerkennung desselben als eines rechtskräftigen und bindenden in sich schließt. Es liegt daher eine Verletzung der Rechtskraft vor, wenn diejenigen Verhältnisse der Parteien, welche Gegenstand der Entscheidung des Vorprozesses gewesen sind, in einem zweiten Prozesse derselben Parteien von neuem einer prozessualischen Erörterung und Entscheidung unterzogen worden sind. Es folgt dies aus den allgemeinen Grundsätzen über die Wirkungen der Rechtskraft - wobei auf sich beruhen kann, ob der bekannte Rechtssatz der römischen Quellen, daß gegen Zahlungen auf Grund rechtskräftigen Urteiles die condictio indebiti überhaupt schlechthin ausgeschlossen ist (vgl. 1. 74 §. 2. Dig. de judiciis 5. 1; 1. 29 §. 5. Dig. mandat. 17. 1; I. 1 Cod. de cond. ind. 4. 5), noch praktisches Recht bildet; desgleichen, ob und welches Mittel dem jetzigen Kläger gegeben sein mag, um die von ihm irriger Weise bewirkte Anerkennung wieder rückgängig zu machen und ihn in die prozessuale Lage zurückzubringen, in der er sich im Augenblicke seiner voreiligen Zahlung befand. Weiter zurück kann er ohne Verletzung des Rechtes des Beklagten nicht gebracht werden und das hierauf hinauslaufende Erkenntnis war daher zu vernichten.
War demnach in der Sache selbst zu erkennen, so bedarf es nach dem Obigen keiner weiteren Ausführung, daß die Klage, soweit sie die condictio indebiti darstellt, ohne weiteres verworfen werden muß. Sie ist jedoch weiter auch auf arglistiges Verhalten des Beklagten gestützt ( actio doli). Nun kann freilich auch auf diesem Wege das von letzterem in dem früheren Prozesse erworbene Recht nicht beseitigt oder ignoriert werden, da kein Rechtsgrund für die Annahme vorliegt, daß er jenes durch unredliches Gebaren mit demselben verwirke. Wohl aber ist die Betrugsklage dazu angethan, vorbehaltlich jenes Rechtes, alle diejenigen Veränderungen wieder aufzuheben, welche durch angeblich betrügliches Handeln des Beklagten herbeigeführt waren, namentlich also den jetzigen Kläger wieder in den Besitz der ihm angeblich abgeschwindelten Klagsumme zu setzen, - unbeschadet des Rechtes des Beklagten, dieselbe wieder zu erlangen, wenn er nach Wiederaufnahme des Vorprozesses durch Ableistung des Erfüllungseides das frühere Urteil zu seinen Gunsten für sich geltend zu machen vermag. Denn darüber kann kein Zweifel sein, daß der betrügerisch Handelnde jeden durch seine Arglist herbeigeführten Nachteil, welcher Art er auch sei, auszugleichen hat, und daß es einen Nachteil für den (jetzigen) Kläger darstellt, wenn er die Klagsumme zahlte, bevor und ohne daß der (jetzige) Beklagte den Eid leistete, von dessen Leistung seine Zahlungsverpflichtung im Urteile abhängig gemacht war. Es war daher auf die Frage einzugehen, ob die Klage als Betrugsklage haltbar und ob sie erwiesen war." ...