RG, 02.12.1879 - IVa 383/79

Daten
Fall: 
Schadensersatz wegen Tötung
Fundstellen: 
RGZ 1, 89
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
02.12.1879
Aktenzeichen: 
IVa 383/79
Entscheidungstyp: 
Urteil

1. Die Witwe als Vertreterin im Prozesse bei fortgesetzter Gütergemeinschaft nach nassauischem ehel. Güterrecht.
2. Bedeutung des auf Grund des §. 227 St.G.B. ergangenen Strafurteils für den Beweis der Täterschaft des im Civilprozesse wegen Tötung auf Schadensersatz belangten Verurteilten.
3. Ergänzung des Klaggrundes aus Beiakten.

Tatbestand

Am Abend des 1. November 1874 fand zu Goarshausen eine Schlägerei statt zwischen dem Glaser R. und seinem Schwager Sch. einerseits, und dem Schlosser Gr. und dessen Sohn andererseits: Sch. erhielt dabei einen Stich in den linken Oberarm und starb an dieser Verwundung schnell verblutend. Die drei übrigen wurden nach geführter Untersuchung auf Grund des §. 227 St.G.B. "wegen Teilnahme an einer Schlägerei, durch welche der Tod eines Menschen verursacht worden", zu Gefängnisstrafe verurteilt, - R. zu dreimonatiger, Gr. Vater und Sohn zu je zweijähriger. Demnächst erhob die Witwe Sch. gegen Gr. sen. Klage auf Ersatz der Kurkosten, und Leistung von Alimenten. In zweiter Instanz abgewiesen, legte sie die Revision ein. Inzwischen war Gr. sen. gestorben und von seiner Witwe als Leibzüchterin des Nachlasses sowie von seinen 6 Kindern ab int. beerbt. Nur für ihre Person, nicht auch für diese, von ihr bevormundeten Kinder erklärte die Witwe Gr. den Prozeß aufzunehmen. - Im übrigen aus den Gründen:

Gründe

"Es hat nicht von seiten der Kinder, sondern nur der Witwe des Beklagten eine Streitaufnahme stattgefunden. Dies muß aber auch genügen, da die Witwe allein zur Vertretung des Nachlasses im Prozesse ermächtigt ist. Denn es ist schon gemeinen deutschen Rechtens, daß auch bei der bloß partikulären Gütergemeinschaft die Leibzucht des Überlebenden regelmäßig die aktive und passive Vertretung des Gesamtgutes begründet, weil sie nicht etwa bloß dem gewöhnlichen Nießbrauche gleichsteht, sondern zugleich auf der elterlichen Gewalt beruhend, ein sehr ausgedehntes Verwaltungs- und Vertretungsrecht einschließt. Dies muß, wie auch die Praxis annimmt, insonderheit für das Recht des Herzogtums Nassau, welches aus Errungenschaftsgemeinschaft beruht, angenommen werden (vergl. Arch. f. die Praxis des nassau. Rechtes, Bd. 6 S. 143, Bd. 9 S. 54), wobei hier dahingestellt bleiben kann, ob bei der rechtlichen Natur der eingeklagten Schuld anzunehmen ist, daß diese auf dem Gesamtgute oder nur auf dem Nachlasse des Mannes laste.

In der Sache selbst war dem vorigen Richter lediglich beizutreten.

Außer Zweifel ist zwar, daß der Ersatz von Kurkosten und die Leistung von Alimenten an die alimentationsberechtigten Hinterbliebenen bei Tötungen des Versorgers zu demjenigen Schadensersatze gehört, welchen der Tötende zu leisten hat. Es beruht dies auf einer Erweiterung der röm. Bestimmungen im Geiste und Sinne derselben, wie sie eine entschiedene Praxis (namentlich auch im früheren Herzogtume Nassau) für sich hat. Vgl. Seuffert, Arch. Bd. 11 Nr. 44, Bd. 13 Nr. 144.

Aber mit Recht vermißt der vorige Richter den ursächlichen Zusammenhang zwischen der verbrecherischen Handlung des Erblassers der Beklagten und dem Tode des Ehemannes der Klägerin.

Die Klage behauptet unter Berufung ans die Untersuchungsakten und das Strafurteil, daß der Ehemann der Klägerin, Ludwig Sch., die tödliche Wunde bei einer Schlägerei erhalten, "bei welcher der Erblasser der Beklagten, Gr. sen., beteiligt war und sich einer Stichwaffe bediente", - und zieht hieraus die Folgerung, daß letzterer durch sein Verschulden den Tod des Sch. herbeigeführt habe und dafür schadensersatzpflichtig sei.

Dagegen behauptet die Klage weder, daß Gr. sen. die Wunde beigebracht, noch auch, daß er überhaupt Tätlichkeiten gegen Sch. verübt habe.

Den Beweis tritt Klägerin durch die Untersuchungsakten an, das Beweisresolut beschränkt ihn auf das Strafurteil. Auch noch in der Appellationsinstanz formuliert Klägerin ihre Behauptung nicht anders, indem sie von der Annahme ausgeht, daß, da sich Gr. an der Schlägerei beteiligt habe, durch die Sch.'s Tod verursacht worden, er für die aus dem Tode entspringenden Vermögensbeschädigungen ebenso einzustehen habe, wie er dafür nach §. 227 St.G.B. strafrechtlich unzweifelhaft verantwortlich ist. Hierin liegt aber der Fehlschluß.

Eine Verpflichtung zum Schadensersatz setzt schlechterdings voraus, daß die Beschädigung dem in Anspruch Genommenen "zur Schuld angerechnet" werden kann (1. 3, 1. 5 §. 1. Dig. ad L. Aqu. 9. 2; §. 2. Inst. eod. 4. 3), dies ist jedoch nur möglich unter der Voraussetzung eines ursächlichen Zusammenhanges zwischen seinem Handeln und dem schädlichen Erfolge. Die Behauptung dieses Zusammenhanges ist hier aber zu vermissen. Denn die Beteiligung an der Schlägerei wie der Besitz einer Waffe waren wohl möglich, ohne daß deshalb das Thun des Gr. sen. die alleinige oder wenigstens mitwirkende Ursache des Todes des Sch. geworden. Allerdings würde ihn auch schon die Mitwirkung zum Tode desselben für die Folgen verantwortlich gemacht haben, und zwar dergestalt, daß dabei das Maß dieser Mitwirkung nicht in Betracht gekommen, ja diese Mitwirkung schon dann bis zum Beweise des Gegenteiles vorausgesetzt sein würde, wenn er gegen den Getöteten überhaupt mit und neben anderen thätlich geworden wäre. Insoweit kommen also die Gesetze dem Beschädigten zu Hülfe; weiter gehen sie aber auch nicht und können nach den allgemeinen Grundsätzen über Verschuldung und Schadensersatz nicht weiter gehen, wie sich denn auch die neue Praxis innerhalb dieser Schranken gehalten hat. Denn überall da, wo der Fall gemeinschaftlicher Beschädigungen und namentlich Tötungen in den Quellen behandelt wird (I. 11 §§. 2, 4, I. 51 §. 1 D. ad L. Aqu. 9. 2; I. 4 §. 5 D. vi bon. rapt. 47, 8; vgl. Seuffert, Arch. Bd. 13 Nr. 144, Bd. 27 Nr. 28), wird eine Miturheberschaft dieser Beschädigung, mindestens aber irgend welcher verletzende Akt gegen den Beschädigten auf seiten dessen vorausgesetzt, der für die Folgen haftbar gemacht werden soll; nirgends aber wird diese Verantwortung auch demjenigen auferlegt, der sich zwar an dem beschädigenden Ereignis überhaupt beteiligt, zu dem Töten oder Verwunden selbst aber nicht mitgewirkt hat. Die strafrechtliche Verantwortlichkeit bleibt ihm freilich nicht erspart; dem Strafgesetz, dem älteren nicht weniger wie dem St.G.B. (§. 277, §. 367 Z. 10), gilt jeder, der sich an einem Raufhandel oder an einer Schlägerei, durch welche der Tod eines Menschen verursacht worden ist, beteiligt, als Urheber oder Mitthäter des Verbrechens; - dies gilt aber eben nur für den Gesichtspunkt der Strafe, bei dem nicht sowohl die Herbeiführung der Tötung (die einem ganz anderen Strafsatze unterliegt), als die Beteiligung an einem besonders gefährlichen, verbrecherischen Thun an sich schon mit Strafe bedroht wird, und zwar eine Beteiligung jedweder Art, d. h. jede Thätlichkeit, wie auch immer geartet und gegen wen auch immer gerichtet, mithin selbst, wenn sie in Handlungen besteht, die mit der Tötung in gar keinem ursächlichen Zusammenhange stehen. Es würde heißen, fundamentale Grundsätze des Civilrechtes völlig ignorieren, wenn man ihnen strafrechtliche Gesichtspunkte dieser Art substituieren wollte. Gerade der vorliegende Fall zeigt die Unzulässigkeit klar. An der Schlägerei hatte sich auch der R. beteiligt und ist deshalb dem §. 227 gemäß in Strafe genommen worden. Wollte man der Ansicht folgen, welche der Konstruktion der Klage zu Grunde liegt, so würde auch dieser R. der Klägerin haftpflichtig sein, obwohl feststeht, daß er bei der Rauferei auf seiten ihres Ehemannes gewesen ist, mit ihm zugleich angriff oder angegriffen wurde. Es zeigt dies, wie nicht die Beteiligung an der Schlägerei überhaupt, die schon den Thatbestand des §. 227 erfüllt, sondern nur die Beteiligung an der Tötung oder mindestens thätlichen Mißhandlung des Sch. den Gr. sen. schadensersatzpflichtig erscheinen lassen, und daher hier kein Gebrauch gemacht werden konnte von den seitens der Revidentin angerufenen Rechtssätzen, weder von dem, daß die Teilnehmer an einem Delikte solidarisch zum Ersatze des durch letzteres verursachten Schadens verbunden sind, noch von dem, daß der Civilrichter an das Strafurteil gebunden ist. (Preußische St.P.O. v. 25. Juni 1867 §. 10.)

Eventuell hat sich Revidentin nun aber auch darauf berufen, daß ihre Behauptung und Beweisführung weiter und zwar dahin gehe, daß der Gr. sen. in der That an dem Angriffe gegen Sch. teilgenommen, ihn mißhandelt habe. Dies ergäben die gleich in der Klage von ihr angezogenen Untersuchungsakten. Indem der Appellationsrichter lediglich das Strafurteil berücksichtige, verstoße er gegen wesentliche Prozeßgrundsätze. Auch dieser Vorwurf ist unbegründet.

Nach dem eingangs Bemerkten stellt die Klage die Behauptung, daß der Tod des Sch. durch eine widerrechtliche Handlung des Gr. sen. herbeigeführt worden sei, keineswegs als eine thatsächliche, sondern lediglich als eine Schlußfolgerung hin, die sie selbst daraus, daß sich Gr. sen. überhaupt an der Schlägerei beteiligt habe, zieht und, wie dargelegt, unrichtig zieht. Wenn sie nun nicht einmal in erster, sondern auch, wie bemerkt, in zweiter Instanz diesen Mangel nicht ergänzt, ja erst in der Revisionsschrift und bei der mündlichen Verhandlung obige Behauptung bestimmt aufstellt, so liegt hierin nicht etwa bloß eine Erläuterung der Klagdarstellung, sondern das Vorbringen des eigentlichen und einzig möglichen Klaggrundes, und dies ist nicht mehr in zweiter, geschweige in der Revisionsinstanz zulässig, in welcher neue Thatsachen und neue Beweise überhaupt ausgeschlossen sind. Nun will Revidentin zwar dieser Konsequenz durch die Berufung darauf entgehen, daß sie sich bereits in der Klage auf die Untersuchungsakten bezogen habe, diese aber ergaben, daß der Gr. sen. sich auch gerade an dem Sch. thätlich vergriffen habe. Allein eine fehlende Klagbehauptung, die eben, weil sie gefehlt hat, nicht Gegenstand der Parteiverhandlung geworden ist, kann nicht durch eine ganz vage Verweisung auf sehr umfängliche Untersuchungsakten ersetzt werden. Es kann daher auch dahin gestellt bleiben, ob Untersuchungsakten als solche und abgesehen von der Frage nach der Beweiskraft einzelner urkundlicher Bestandteile derselben überhaupt geeignet erscheinen könnten, einen civilistischen Beweis, der zur Zeit noch formaler Natur ist, zu erbringen, zumal sie bekanntlich selbst den kriminellen keineswegs beschaffen, sondern nur vorbereiten resp. das in der mündlichen Verhandlung gewonnene Resultat fixieren sollen."