RG, 02.12.1879 - II 80/79

Daten
Fall: 
Handlungsgehilfe als gens de service
Fundstellen: 
RGZ 1, 218
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
02.12.1879
Aktenzeichen: 
II 80/79
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • Handelsgericht Gladbach.
  • Appellationsgerichtshof Köln.
Stichwörter: 
  • Betrachtung von Handlungsgehilfen als gens de service

Können Handlungsgehilfen als gens de service im Sinne des Art. 2101 Nr. 4 Code civil betrachtet werden?

Tatbestand

A. war in dem Handlungshause H. & A. als Prokurist gegen einen Jahresgehalt von 3000 M. nebst freier Kleidung, Kost und Wohnung auf 2 Jahre angestellt. Bei dem gegen besagte Firma eröffneten Fallimentsverfahren meldete er seine rückständige Gehaltsforderung an und beantragte zugleich Zuerkennung des Privilegs aus Art, 2101 Nr. 4 Code civ. Beide Instanzen erkannten dieses Privileg zu, das Urteil zweiter Instanz wurde jedoch kassiert aus folgenden

Gründen

"In Erwägung, daß das in Art. 2101 Nr. 4 Code civ. den gens de service bewilligte Vorzugsrecht in dem älteren Gewohnheitsrechte namentlich der coutume de Paris nur den Domestiken verliehen war und auch in dem allgemeinen Hypothekengesetze vom 11. Brumaire VII nur in dieser Bezeichnung des privilegierten Personenkreises auf ganz Frankreich ausgedehnt worden ist;

daß, wenn nun die Gesetzgeber des Code civil bei der für nötig erachteten Übertragung einer für die städtischen Verhältnisse, namentlich die der Stadt Paris, berechneten Bestimmung auf die des ganzen Reiches sich veranlaßt fanden, die durch den Ausdruck "domestiques" gegebene Bezeichnung des privilegierten Personenkreises durch die umfassendere Bezeichnung von "gens de service" zu ersetzen, dieses nicht zu dem Schlusse berechtigt, daß auch die in dem Domestikenverhältnisse liegende charakteristische Voraussetzung des aus dem Gewohnheitsrechte übernommenen Privilegiums durch eine andere wesentlich verschiedene ersetzt sein solle, vielmehr allein dahin verstanden werden kann, daß dergleichen Gunst des Gesetzes alle sich erfreuen sollten, die, wenn auch keine Domestiken im Sinne des alten Stadtrechtes, doch, wie namentlich die ländlichen Dienstboten, in dem wesentlich gleichen, auf die Besorgung der persönlichen und wirtschaftlichen Angelegenheiten gerichteten, mit einer gewissen persönlichen Abhängigkeit von dem Dienstherrn verknüpften Verhältnisse ständen, und die auch aus dem Gesichtspunkte ihrer Vermögensverhältnisse des gleichen Schutzes bedürftig seien;

daß diese Auffassung durch die von dem Vorderrichter bezogene Äußerung Grenier's im Tribunate in keiner Weise widerlegt, wohl aber durch den Umstand noch unterstützt wird, daß das Privilegium für ein Jahr und das laufende verliehen ist, eine Bestimmung, die nur ein Verhältnis im Auge haben kann, das nicht etwa auf eine willkürliche in jedem einzelnen Falle erst zu vereinbarende Zeit abgeschlossen wird, sondern welches, wie es bei dein Dienstbotenverhältnisse die Regel ist, seiner durchs Herkommen bestimmten Natur nach jahrweise geschlossen zu werden pflegt;

daß endlich obige limitative Auslegung noch eine besondere Bestätigung in dem französ. Gesetze vom 28. Mai 1838 findet, indem dieses Gesetz dadurch, daß es das in Frage stehende Privilegium mit gewissen Modifikationen den ouvriers und Handlungsgehülfen verleiht, zu erkennen giebt, daß diese Personen nach der Anschauung des Gesetzgebers bis dahin unter der Kategorie der gens de service im Sinne von Art. 2101 cit. nicht begriffen gewesen seien;

In Erwägung, daß die oben hervorgehobenen Kriterien des vom Gesetze geschützten Verhältnisses bei der Stellung eines Commis und vollends der eines Prokuristen durchaus nicht zutreffen, selbst dann nicht, wenn derselbe, wie im vorliegenden Falle festgestellt worden ist, außer seinem Salair auch freie Kleidung, Kost und Logis von dem mit ihm verwandten Prinzipale bezieht, da der Charakter seines Verhältnisses lediglich durch die Natur seiner Dienste, nicht aber durch die Art seiner Lohnbezüge bestimmt wird."