RG, 27.11.1879 - Va 29/79

Daten
Fall: 
Ablösung von Reallasten
Fundstellen: 
RGZ 1, 120
Gericht: 
Bundesgerichtshof
Datum: 
27.11.1879
Aktenzeichen: 
Va 29/79
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • KreisG Greifenhagen.
  • Appellationsgericht Stettin.

Ist die auf einem Grundstücke haftende Verpflichtung, für ein anderes Grundstück gegen eine fest bestimmte Geldvergütung gewisse Arbeiten zu leisten, durch den §. 2 Nr. 7 des Gesetzes, betreffend die Ablösung der Reallasten u.s.w., vom 2. März 1850 aufgehoben?

Tatbestand

In dem Grundbuche des dem Kolonisten J. in R. gehörigen Grundstückes ist die Verpflichtung eingetragen, für das Gut des Rittergutsbesitzers Z. zu N. in jeder Heuernte 10 Magdeburgische Morgen Wiese gegen ein Entgelt von 80 Pfg. pro Morgen zu mähen.

Der auf Anerkennung dieser Verpflichtung gerichteten Klage des Z. setzte J. den Einwand entgegen, daß dieselbe durch den §. 2 Nr. 7 des Ablösungsgesetzes vom 2. März 1850 ohne Entschädigung aufgehoben sei.

Der erste Richter wies den Kläger ab. Der Appellationsrichter erkannte abändernd nach dem Klagantrage, indem er annahm, daß der §. 2 Nr. 7 a. a. O.: wonach die auf Grundstücken haftende Verpflichtung, gegen das in der Gegend übliche Tagelohn zuarbeiten, ohne Entschädigung aufgehoben ist, auf die streitige Verpflichtung keine Anwendung finde.

Die auf die Verletzung des §. 2 Nr. 7 und der §§. 6 und 9 des Ablösungsgesetzes vom 2. März 1850 gestützte Nichtigkeitsbeschwerde ist zurückgewiesen aus folgenden Gründen:

Gründe

"Aus §. 2 Nr. 7 des Ablösungsgesetzes vom 2. März 1850 läßt sich die Aufhebung der streitigen Verpflichtung, mag ihr Entstehungsgrund sein, welcher er wolle, nicht herleiten. Die auf einem Grundstücke haftende Verpflichtung, gegen das in der Gegend übliche Tagelohn zu arbeiten, belastet das betreffende Grundstück, ohne dem Berechtigten unter gewöhnlichen Verhältnissen einen vermögensrechtlichen Vorteil zu gewähren; denn der Regel nach wird der Berechtigte auch ohne das Bestehen einer solchen Verpflichtung Personen finden, welche ihm für das übliche Tagelohn arbeiten. Mit Rücksicht hierauf konnte der Gesetzgeber, ohne Verletzung offen zu Tage liegender Vermögensrechte, dem Berechtigten für die Aufhebung derartiger Verpflichtungen, auch wenn sie nicht lediglich als ein Ausfluß der Gutsunterthänigkeit zu betrachten und deshalb schon durch das Edikt vom 9. Oktober 1807 für beseitigt anzusehen sind, jede Entschädigung versagen. Anders verhält es sich aber mit der hier in Frage stehenden Verpflichtung. Sie verbindet den Beklagten, als Besitzer seines Grundstückes, zum Mähen der Wiese gegen eine ein für allemal festgesetzte Vergütung pro Morgen und gewährt dem Kläger einen nach Geld zu schätzenden Vorteil, wenn der übliche Tagelohn die festgesetzte Geldvergütung übersteigt. Ohne vermögensrechtliche Nachteile für den Kläger war deshalb die Verpflichtung nicht zu beseitigen. Schon dieser Umstand spricht entschieden dagegen, daß Verpflichtungen, wie die streitige, ohne Entschädigung haben aufgehoben werden sollen, und auch die Worte des Gesetzes geben dafür nicht den mindesten Anhalt. Der §. 2 a. a. O. ist, da er bestehende Rechte ohne Entschädigung aufhebt und hierin eine Ausnahme von der allgemeinen Rechtsregel liegt, strikt zu interpretieren. Er hebt aber unter Nr. 7 nicht jede auf einem Grundstücke haftende Verpflichtung, für ein anderes Grundstück zu arbeiten, sondern nur diejenige auf, welche das Arbeiten gegen das in der Gegend übliche Tagelohn zum Gegenstande hat. Die Nichtigkeitsbeschwerde kann selbst nicht in Abrede stellen, daß, wenn die Arbeit gegen eine feste Geldvergütung geleistet wird, der Umfang der Verpflichtung ein anderer ist, als wenn die Arbeit gegen das übliche Tagelohn erfolgt, und daß namentlich dieses die festgesetzte Geldvergütung übersteigen kann. Wenn sie aber meint, daß dessenungeachtet die streitige Verpflichtung und zwar auf Grund des §. 2 Nr. 7 a. a. O. ohne Entschädigung für aufgehoben erachtet werden müsse, weil in derselben eine kulturschädliche Belästigung liege, deren Aufhebung das Gesetz vom 2. März 1850 bezwecke, so übersieht sie dabei, daß die Agrargesetze und insbesondere auch das Gesetz vom 2. März 1850 den Zweck, kulturschädliche Belastungen nach Möglichkeit zu beseitigen, im allgemeinen nicht dadurch zu erreichen suchen, daß sie unter Nichtachtung wohlerworbener Rechte diese ohne Entschädigung aufheben, sondern daß sie die Ablösung derselben gestatten und so ihre Aufhebung gegen Entschädigung herbeiführen. Da die Annahme des Appellationsrichters, daß die streitige Verpflichtung noch besteht, mit Erfolg nicht angegriffen ist, erledigt sich auch der fernere Vorwurf einer Verletzung der §§. 6 und 9 a. a. O. Denn der Appellationsrichter befindet sich in Einklang mit jenen Vorschriften, wenn er die Verpflichtung für eine solche erachtet, die der §. 6. a. a. O. für ablösbar erklärt und für deren Abfindung nach §. 9 a. a. O. die festgesetzte Geldvergütung zu Grunde zu legen ist."