RG, 18.12.1880 - I 849/80
Bedeutung des "Ortsgebrauches" in Art. 596 Abs. 1 und Art. 600 H.G.B. - Nichterhebung eines angebotenen Beweises über ein angebliches Gewohnheitsrecht.
Aus den Gründen
"Der Beklagte hat seinen Angriff hauptsächlich auf einen angeblichen Verstoß gegen die Artt. 596. 599 und 600 H.G.B, gestützt. Es handelt sich hierbei um die Frage, ob in Hamburg ein Ortsgebrauch existiere, welchem gemäß die Bestimmung des Art. 599, daß dem Verfrachter für die Tage, während welcher er wegen der zufälligen Verhinderung des Transportes jeder Art von Ladung von dem Schiffe an das Land hat länger warten müssen, Liegegeld gebühre, dort nicht zur Anwendung gebracht werden dürfe. Wenn in dieser Beziehung das Oberlandesgericht ausgesprochen hat, daß die Frage, ob die Dauer der Löschzeit durch hamburgischen Ortsgebrauch abweichend von Art. 596 Abs. 1 H.G.B, geregelt sei, für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreites keine Erheblichkeit habe, so liegt darin allerdings eine kleine Unrichtigkeit, die aber einmal dem Beklagten nicht zum Nachteile gereicht, und sodann ihren Grund nur in einer etwas unvorsichtigen Wahl des Ausdruckes hat, indem das Oberlandesgericht nach dem sonstigen Inhalte seiner Entscheidungsgründe keineswegs verkennt, daß nach Art. 600 einem etwaigen Ortsgebrauche nur unter der Voraussetzung Bedeutung zukommen würde, daß auch ein nach Art. 596 Abs. 1 in Betracht zu ziehender Hamburger Ortsgebrauch existierte.
Vgl. Entscheidungen des Reichsoberhandelsgerichts Bd. 5 S. 135 flg. Die Hauptfrage ist, ob mit Recht das Oberlandesgericht unter dem "Ortsgebrauche" im Sinne des Art. 600 H.G.B, nicht eine bloße thatsächliche Übung, sondern ein Gewohnheitsrecht verstanden hat.
Dies ist nun aber unbedenklich zu bejahen; denn ein Ortsgebrauch, der irgend etwas "bestimmt", muß notwendig eine Rechtsquelle, also ein Gewohnheitsrecht, sein. Übrigens führt auch eine Vergleichung des Art. 600 mit dem Art. 596 Abf. 1 zu demselben Ergebnisse, indem es logisch nicht wohl denkbar wäre, daß, wenn an der letzteren Stelle hintereinander Vertrag, örtliche Verordnungen und Ortsgebrauch als mögliche Grundlagen einer Norm genannt werden, dann unter "Ortsgebrauch" nicht gleichfalls etwas direkt Normgebendes, also ein lokales Gewohnheitsrecht, verstanden sein sollte. Die Entscheidung des Oberlandesgerichts, daß ein Ortsgebrauch des fraglichen Inhaltes in Hamburg nicht bestehe, ist nun für das Reichsgericht, nach §. 525 C.P.O. verglichen mit §.12 des Einführungsgesetzes zu derselben, maßgebend, insofern nicht die Grundsätze des gemeinen Rechtes über das Gewohnheitsrecht oder die Vorschriften des §. 265 C.P.O. über den Beweis desselben verletzt sein sollten. Ersteres ist weder ersichtlich, noch auch nur vom Beklagten behauptet. Den §. 265 C.P.O. hat er zwar als durch die Ablehnung der Beweiserhebung über das angebliche Gewohnheitsrecht verletzt bezeichnet, aber völlig grundloser Weise, da in dieser Gesetzesbestimmung es keineswegs dem Richter zur Pflicht gemacht ist, den angebotenen Beweis über ein angebliches Gewohnheitsrecht zu erheben, von dessen Nichtexistenz er unmittelbare Kenntnis hat, oder von dessen Existenz er selbst unter Voraussetzung der unter Beweis gestellten Thatumstände sich nicht überzeugt halten würde."