RG, 11.12.1880 - I 277/79

Daten
Fall: 
Beschaffenheit der Ware
Fundstellen: 
RGZ 3, 87
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
11.12.1880
Aktenzeichen: 
I 277/79
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • Stadtgericht I Berlin.
  • Kammergericht Berlin.
Stichwörter: 
  • Rückforderung des Kaufpreises bei nicht vertragsgemäßer und gesetzmäßiger Beschaffenheit der Ware

Kann der Käufer bei nicht vertragsmäßiger oder nicht gesetzmäßiger Beschaffenheit der Ware den gegen Empfang des Konossements gezahlten Kaufpreis zurückfordern? Beweislast betreffs der Beschaffenheit der Ware.

Aus den Gründen

"Hat der Käufer eine Zahlung geleistet oder ein Wechselversprechen gegeben, um damit den Vertrag zu erfüllen, d. h. definitiv zu erfüllen, so kann, abgesehen vom Falle des Art. 353 H.G.B., von einer Rückforderung des Kaufpreises oder des Versprechens keine Rede sein. Der Käufer kann nur Erfüllung seitens des Verkäufers verlangen oder sein Interesse geltend machen. Fordert er als solches den Betrag des Kaufpreises, so hat er zu substanziieren, daß gerade darin sein Interesse besteht. Behauptet in diesem Falle der Verkäufer, vertragsmäßig erfüllt zu haben, so hat er dies zu beweisen. Der Käufer kann dagegen nicht ohne weiteres den Kaufpreis als solchen zurückfordern, auch wenn er beweisen wollte, der Verkäufer habe nicht vertragsmäßig geliefert.

Ganz anders aber stellt sich das Verhältnis, wenn die Leistung des Käufers nicht als definitive Erfüllung erscheint, sondern als provisorische, nicht als Zahlung, sondern als Deckung, als Vorschuß, wenn so geleistet wurde, daß die Leistung erst bei Eintritt einer gewissen Bedingung oder Voraussetzung, nämlich der vertragsmäßigen Leistung des Verkäufers, zur Erfüllung werden sollte. In einem solchen Falle hat der Käufer, wenn der Verkäufer nicht vertragsmäßig oder nicht gesetzmäßig erfüllt hat, das Recht, das Geleistete zurückzufordern. Betreffs der Frage aber, ob vertragsmäßig oder gesetzmäßig erfüllt sei, bleibt die Beweislast beim Verkäufer.

Vergl. Römer in der Zeitschr. für das allg. Handelsrecht, Bd. 19 S. 130 flg., Bd. 23 S. 29.

Ob die Leistung des Käufers als Zahlung oder als Vorschuß gegeben werde, dafür ist der Wille der Kontrahenten maßgebend. Im einzelnen Falle wird dieser Wille häufig nicht ausdrücklich ausgesprochen sein. Es ist dann zurückzugehen auf den allgemeinen Verkehrswillen. Ob es möglich ist, einen gleichmäßigen Inhalt dieses Verkehrswillens für alle Fälle der sogenannten Vorausbezahlung des Kaufpreises festzustellen, kann hier dahingestellt bleiben. Es genügt für den vorliegenden Fall, daß sich bei Genuskäufen für die gegen Aushändigung des Konnossements über die Ware erfolgte Leistung einer Zahlung oder eines Wechselversprechens ein solcher Verkehrswille allgemein feststellen läßt. Derselbe geht dahin, daß in diesen Fällen die Leistung als Vorschuß aufgefaßt wird. Dies ergiebt sich aus folgendem.

Auszugehen ist von dem allgemeinen Rechtssatze, daß, wenn nichts besonderes vereinbart ist, der Verkäufer Zahlung des Kaufpreises nur verlangen kann, wenn er seinerseits erfüllt hat, bezw. gegen Erfüllung, also gegen Leistung des Kaufobjektes, bei Genuskauf gegen Leistung der Ware in der vertragsmäßigen und gesetzmäßigen Beschaffenheit. Daraus folgt, daß beim Genuskaufe der Verkäufer, ehe er den Kaufpreis fordern kann, dem Käufer die Möglichkeit gewähren muß, sich von dieser Beschaffenheit der Ware zu überzeugen.

Bei Platzgeschäften kann der Verkäufer dem Käufer die Möglichkeit der Untersuchung gewähren, ohne sich der Ware zu entäußern, und die Übergabe erst dann vornehmen, wenn Billigung erfolgt ist. Auch beim Distanzgeschäft ist diese Möglichkeit zwar gegeben durch Herbeiziehung eines Dritten, welcher die ihm vom Verkäufer zugesendete Ware für diesen detiniert, dieselbe dem Käufer vorzeigt und nach erfolgter Genehmigung überträgt. Allein ein solches Verfahren ist mit Weitläufigkeiten verbunden und verursacht Kosten. Beides wird vermieden, wenn der Verkäufer die Ware dem Käufer direkt zusendet. Allein damit giebt der Verkäufer die Ware aus der Hand und verliert die Sicherheit, welche er in der Ware hatte. Dazu kommt, daß der Verkäufer, wenn er erst, nachdem die Ware vielleicht nach längerer Zeit in die Hand des Käufers gelangt und von diesem gebilligt ist, den Kaufpreis beanspruchen kann, die Benutzung desselben zu lang entbehren muß. Andererseits ist es leicht thunlich, dem Käufer die ausschließliche Verfügung über die Ware, schon bevor dieselbe zu ihm gelangt, einzuräumen durch Übergabe der Transportpapiere insbesondere des Konnossements, und damit ihm Sicherheit und die Veräußerungsmöglichkeit zu verschaffen.

Es liegt daher nahe, daß schon während die Ware noch unterwegs, ja schon sobald sie nur abgeladen ist, ein Austausch von Werten stattfindet, welche ebenso als Sicherheiten wie als Gebrauchswerte in Betracht kommen.

Dieser Austausch hat zugleich den Vorteil, daß der Kauf provisorisch, d. h. unter der Voraussetzung erfüllt wird, daß die Ware vertragsmäßig ausfällt, so daß wenn diese Voraussetzung eintritt, von beiden Seiten nichts weiter zu geschehen hat. Die Ware bleibt dann als Erfüllung beim Käufer, die Zahlung als Erfüllung beim Verkäufer. Allein an sich ist dieser Austausch noch keine Erfüllung. Daß der Käufer die Ware, die nicht von gesetzmäßiger oder vertragsmäßiger Beschaffenheit ist, zurückweisen kann, nicht zu empfangen braucht, wenngleich sie ihm durch Konnossement schon tradiert war, wird von niemandem bestritten. In der Aufnahme der übersandten Ware liegt noch keine Empfangnahme, d.h. keine Erklärung des Käufers, daß er die Übergabe der Ware als Erfüllung anerkenne, und ebensowenig liegt eine solche in der Annahme des Konnossements. Dem entspricht aber, daß der Käufer seinerseits die Leistung, welche er dem Verkäufer macht, nicht als Erfüllung auffaßt, sondern als Vorbereitung zu einer solchen. Das Verkehrsbedürfnis geht dahin, daß der Käufer dem Verkäufer, welcher die Ware aus der Hand giebt und damit die Möglichkeit der Verwertung derselben verliert, einen dem Kaufpreise gleichen Wert als Sicherheit und zur Verwertung zuweist. Nicht aber liegt ein Bedürfnis dafür vor, daß der Käufer diesen Wert als Vertragserfüllung gewähre, und im eigenen Interesse des Käufers liegt dies ebenfalls nicht.

Macht sich nun aber im gewöhnlichen Verkehre in keiner Weise das Bedürfnis geltend, unter den angegebenen Verhältnissen eine Leistung (Zinszahlung oder Wechselverpflichtung) als Erfüllungshandlung, als definitive Zahlung vorzunehmen, ist vielmehr allen Bedürfnissen bei Auffassung des Geschäftes als Sicherheitsleistung, als provisorischer Zahlung entsprochen, ist also unerfindlich, warum der Käufer sich durch Erfüllung seinerseits in eine schlimmere Lage setzen sollte, so muß es als Äußerung des vernünftigen allgemeinen Verkehrswillens angesehen werden, daß die gegen das Konnossement geleistete Zahlung an sich als Vorschußleistung, als eine provisorische Zahlung gewährt und angenommen werde.

Dieser allgemeine Verkehrswille muß aber im einzelnen Falle dann als maßgebend angesehen werden, wenn besondere ausdrückliche oder stillschweigende Willenserklärungen anderer Art nicht vorliegen.

Zn demselben Resultate, nur in Anwendung auf einen weiteren Thatbestand und mit zum Teil anderer Begründung, ist das Reichsoberhandelsgericht gelangt.

Entscheid. Bd. 2 Nr. 42 S. 182; Bd. 6 Nr. 62 S. 272; Bd. 7 Nr. 61 S. 236; Bd. 11 Nr. 61 S. 185; Bd. 15 Nr. 62 S. 213.

Über die frühere und die spätere Auffassung des Oberappellationsgerichts Lübeck siehe Voigts Neues Archiv für Handelsrecht Bd. 4 S. 64."