RG, 07.12.1880 - III 106/80
Einfluß der nachfolgenden Unmöglichkeit der Leistung bei der Dienstmiete; kann der Vermieter der Dienste im Falle einer ohne sein Verschulden eingetretenen Unmöglichkeit der Leistung die Gegenleistung fordern?
Tatbestand
Der Beklagte wurde im Jahre 1861 von der Regierung des Herzogtums Lauenburg zum Bauervogt im Dorfe Schwarzenbeck, unter Beilegung der mit diesem Dienste verbundenen Emolumente, der Nutznießung der sogenannten Bauervogtsdienstkoppel, ernannt. Infolge der Landgemeindeordnung vom 2. November 1874 ist die Stellung des Beklagten als herrschaftlicher Bauervogt erloschen. Der Kläger ist der Ansicht, daß gleichzeitig auch das Recht des Beklagten auf Nutzung der Bauervogtsdienstkoppel, welches auf die Dauer des Dienstes beschränkt sei, sein Ende erreicht habe und fordert, als Besitzer der Fideikommißherrschaft Schwarzenbeck, die Herausgabe derselben. Beklagter bestritt seine Verpflichtung zur Herausgabe der Dienstkoppel; denn, wenn auch seit 1875 in Folge der Einführung der Landgemeindeordnung sein Amt als Bauervogt weggefallen sei, so könne ihm doch der Genuß der ihm beigelegten Dienstemolumente, da ihm die Stelle als Bauervogt ohne Zeitbeschränkung und ohne Vorbehalt der Kündigung, also auf Lebenszeit verliehen worden, nicht entzogen werden, so lange er zur Leistung der Bauervogtsdienste fähig und bereit sei. Diese beiden Voraussetzungen liegen vor.
Das Kreisgericht zu Ratzeburg verurteilte den Beklagten nach dem Klagantrage, indem es davon ausging, daß der Beklagte infolge einer nach Aufhebung des Dienstes erlittenen Bestrafung für unfähig erachtet werden müsse, Bauervogtsdienste zu leisten, wenn solche noch von ihm gefordert würden.
Das Oberlandesgericht wies dagegen den Klaganspruch zur Zeit ab, indem es diesen Grund des Kreisgerichts mißbilligte und den Beklagten nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen zum Fortbezuge der ihm beigelegten Dienstemolumente für berechtigt hielt.
Die vom Kläger erhobene Revision wurde für begründet erkannt und der Beklagte zur Herausgabe der Dienstkoppel an den Kläger verurteilt.
Gründe
"Die Entscheidung des Oberlandesgerichts, daß der Kläger die Herausgabe der in seinem Eigentum stehenden Bauervogtsdienstkoppel von dem Beklagten zu verlangen zur Zeit nicht berechtigt sei, beruht auf der Erwägung, daß der Beklagte nicht auf Widerruf oder Kündigung, sondern auf Lebenszeit zum Bauervogt ernannt und daß er sein Recht auf die ihm aus dem Dienstkontrakt zustehenden Gegenleistungen infolge der lauenburgischen Landgemeindeordnung vom 2. November 1874 nicht verloren habe, weil, wenn auch mit der Durchführung derselben das Amt des Bauervogts wegfällig geworden sei, doch die Landgemeindeordnung in die bestehenden kontraktlichen Rechte nicht eingegriffen habe, nach den zur Anwendung zu bringenden allgemeinen Rechtsgrundsätzen aber bei dem Dienstmietkontrakte der Vermieter der Dienste, so lange er dieselben leisten könne und zu leisten bereit sei, den Anspruch auf die Gegenleistung habe, auch wenn der Mieter der Dienste dieselben nicht annehmen wolle oder könne.
Die von dem Revidenten gegen den ersten Grund erhobenen Angriffe können für begründet nicht angesehen werden. Das Oberlandesgericht ist vielmehr in Übereinstimmung mit dem Kreisgerichte, dessen Gründe es billigt, mit Recht davon ausgegangen, daß dem Beklagten das Amt eines Bauervogts auf die Dauer der Fähigkeit zur Leistung des Dienstes, eventuell auf Lebenszeit verliehen sei. ...
Dem Appellationsrichter ist auch darin beizutreten, daß die lauenburgische Landgemeindeordnung in die bestehenden kontraktlichen Verhältnisse nicht eingegriffen habe, und daß daher die Frage, ob dem Beklagten ungeachtet der Aufhebung des Bauervogtdienstes durch die Landgemeindeordnung ein Recht auf die ihm als Bauervogt beigelegten Emolumente zustehe, nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen zu beantworten sei. Nicht gebilligt werden kann es aber, wenn der Appellationsrichter den unter Bezugnahme auf 1. 19 §. 9 Dig. locati 19. 2 aufgestellten allgemeinen Satz, daß der Vermieter der Dienste, so lange er dieselben leisten könne und zu leisten bereit sei, den Anspruch auf die Gegenleistung habe, auch wenn der Mieter der Dienste dieselben nicht annehmen wolle oder nicht annehmen könne, gleichviel ob letzteres infolge des Gesetzes oder eines anderweitigen Zufalls eingetreten sei, auf den vorliegenden Fall für anwendbar erachtet.
Da für die Rechtsverhältnisse der Bauervögte die aus dem Staatsdienstverhältnisse sich ergebenden besonderen Grundsätze nicht maßgebend sind, so sind dieselben nach den für den Dienstmietkontrakt geltenden Normen zu beurteilen. Die Frage, welchen Einfluß die ohne Verschulden der Kontrahenten eingetretene Unmöglichkeit die Dienste zu leisten, beziehungsweise dieselben anzunehmen (die nachfolgende casuelle Unmöglichkeit der Leistung), hat, insbesondere, ob der Vermieter die Gegenleistung zu fordern berechtigt sei, wird von den Rechtslehrern verschieden beantwortet. Die Ansicht, daß bei den Obligationen auf ein Thun stets der Gläubiger die Gefahr zu tragen habe, sofern nur ohne Schuld des Verpflichteten die Erfüllung nicht geschehen könne, daß insbesondere bei der Dienstmiete die von dem Vermieter der Dienste nicht verschuldete Unmöglichkeit der Leistung der Leistung selbst gleichstehe und daß daher der Mieter der Dienste die Gegenleistung zu zahlen habe, sofern nur die Unmöglichkeit der Erfüllung nicht durch ein Verschulden des Vermietetes herbeigeführt worden sei, kann für richtig nicht erachtet werden. Sie steht mit dem Wesen der zweiseitigen Obligationen, bei welchen die Verpflichtung zur Leistung und die Verpflichtung zur Gegenleistung nicht als zwei besondere Obligationen, sondern als zwei Hälften eines und desselben Rechtsgeschäfts anzusehen sind, sowie mit dem Wesen der Dienstmiete, als einem auf eine gewisse Dauer berechneten Rechtsverhältnisse, bei welchem die Vorleistung des Vermieters die Voraussetzung für die Gegenleistung des Mieters bildet, nicht in Einklang.
Bei der nahen Verwandtschaft der Dienstmiete mit der Sachenmiete und der wesentlichen Verschiedenheit der Rechtsverhältnisse beim perfekten Kaufkontrakte sind bei Beantwortung der Frage über den Einfluß der casuellen Unmöglichkeit der Leistung nicht die in den Rechtsquellen für den letzteren aufgestellten Grundsätze, wonach der Verkäufer durch dieselbe nicht nur von jeder Haftung auf Leistung der Sache befreit wird, sondern auch die Gegenleistung, den Kaufpreis, vom Käufer verlangen kann (1. 5 D ig. de resc. vend. 18. 5; 1. 14. 15 Dig. de jure dot. 23. 3), sondern die für die Sachmiete geltenden, nach denen der Vermieter das Mietgeld nur für die Zeit verlangen kann, während welcher er dem Mieter die Benutzung der Sache gewährt hat (1. 9 §§. 4. 6, 1. 19 §. 6, 1. 30 §. 1 Dig. locati 19. 2) analog anzuwenden. Darnach ist als Regel davon auszugehen, daß der Mieter der Dienste zur Zahlung der Gegenleistung nur verpflichtet sei, wenn und so weit die Leistung der Dienste wirklich erfolgt ist und davon eine Ausnahme nur dann zuzulassen, wenn der Vermieter im Stande und bereit ist, die Dienste zu leisten, der Mieter aber durch ohne Verschulden des Vermieters eingetretene Hindernisse verhindert ist, von den angebotenen Diensten Gebrauch zu machen, oder keinen Gebrauch davon machen will, vorausgesetzt, daß der Vermieter seine Dienste nicht anderweitig vermietet hat.
Die Quellenstellen, auf welche man zur Bekämpfung dieser Ansicht und zur Begründung der Behauptung sich berufen hat, daß für die Dienstmiete dieselben Grundsätze gelten, wie für den perfekten Kauf, sind nicht geeignet, diese letztere zu rechtfertigen. Insbesondere kann die von dem Appellationsrichter angezogene I. 19 §. 9 Dig. locati 19. 2 nicht auf alle Fälle einer casuellen Unmöglichkeit bezogen werden, namentlich nicht auf die Fälle, wo der Grund der Unmöglichkeit der Leistung nicht auf die Person des Mieters zurückzuführen ist. Die I. 11 Cod. de cond. ob caus. dat. 4. 6, 1. 1 §. 13 Dig. de extr. cogn. 50. 13, 1. 4 Dig. off. ass. 1. 22, 1. 19 §. 10 Dig. locati 19. 2 enthalten aus der besonderen Stellung des Advokaten und des patronus fisci sich ergebende singuläre Bestimmungen. Eher würde ein Bedenken gegen die hier vertretene Ansicht aus 1. 38 pr. Dig. locati 19. 2 entnommen werden können, indem dort allgemein der Satz aufgestellt wird: qui operas suas locavit totius temperis mercedem accipere debet, si per eum non stetit, quo minus operas praestet. Allein es erscheint gerechtfertigt, diesen dem liber regularum des Paulus entnommenen Satz einschränkend dahin zu interpretieren, daß er wie die 1. 19 §. 9 a. a. O. nur von solchen Fällen zu verstehen sei, in welchen der Mieter die ihm vom Vermieter zur Verfügung gestellten Dienste nicht annehmen will oder kann, weil derselbe mit den in den übrigen Quellenstellen enthaltenen Principien und den sonstigen Grundsätzen des römischen Rechts nicht in Einklang stehen würde, wenn man ihn auf alle Fälle einer casuellen Unmöglichkeit der Leistung beziehen wollte.1
Es genügt also nicht, daß der Vermieter der Dienste persönlich fähig und bereit ist, die vermieteten Dienste zu leisten, sondern er muß auch objektiv im Stande sein, sie zu leisten. Das ist aber vorliegend nicht der Fall, und es ist insofern unrichtig, wenn der Appellationsrichter davon ausgeht, es seien die Voraussetzungen für die Anwendbarkeit des von ihm aufgestellten allgemeinen Rechtssatzes gegeben. Es handelt sich keineswegs lediglich um eine casuelle Unmöglichkeit der Annahme der von dem Beklagten zu leistenden Dienste, sondern es liegt auch eine Unmöglichkeit der Erfüllung auf Seiten des Beklagten vor. Derselbe ist nicht im Stande, die vermieteten Dienste zu leisten und dem Mieter zur Verfügung zu stellen. Denn durch die veränderte Gesetzgebung sind die von den Bauernvögten bisher geleisteten Dienste weggefallen, beziehungsweise anderen Organen und Beamten übertragen. Es liegt also der Fall einer casuellen Unmöglichkeit der Erfüllung vor, bei welchem allerdings der Zufall nicht in der Person des Vermieters sich ereignet hat, sondern die eine notwendige Voraussetzung der Möglichkeit der Erfüllung bildenden Verhältnisse betroffen hat.
Der Einwand des Beklagten, daß er zur Zeit nicht verpflichtet sei, die fraglichen Ländereien dem Kläger herauszugeben, ist daher nicht begründet, und war vielmehr Beklagter in der Hauptsache dem Klageanträge gemäß zu verurteilen, ohne daß es erforderlich wäre, auf den weiteren, aus der Bestrafung des Beklagten entnommenen Einwand des Klägers einzugehen." ...
- 1. Vgl. Mommsen, Beiträge zum Obligationenrecht I. §. 30 S. 352 flg., III. S. 415 flg.; Windscheid, Kritische Zeitschrift für die gesamte Rechtswissenschaft II. S. 106 flg.; Windscheid, Pandekten §§. 321. 401; von Vangerow, Pandekten III. §.591. VII.; Sintenis, Civilrecht II. §. 106 S. 471 flg.