RG, 04.12.1880 - I 131/79

Daten
Fall: 
Schadensersatzanspruch bei Nichtlieferung
Fundstellen: 
RGZ 4, 1
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
04.12.1880
Aktenzeichen: 
I 131/79
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • Stadtgericht Berlin.
  • KG Berlin.
Stichwörter: 
  • Schadensersatzanspruch eines Käufers nach Nichtlieferung - Anforderungen an die Darlegung des entstandenen Schadens - Erfordernis eines konkreten Nachweises

Begründung des Anspruches des Käufers auf Entschädigung, nachdem der rechtskräftig zur Lieferung und zur Entschädigung wegen verspäteter Lieferung verurteilte Verkäufer auch nach dem Urteil nicht geliefert hat, bezüglich des Schadensbetrages und der maßgebenden Zeitpunkte.

Tatbestand

Die Beklagte hat der Klägerin im November 1874 110 nicht ganz fertige Oberteile zu Handschuhnähmaschinen eines bestimmten patentierten Fabrikates, "Industria"genannt (species), verkauft. Die Beklagte sollte dieselben vorher gegen Zahlung von 3 Thlr. 10 Sgr. per Stück justieren, d. h. gangbar machen, und gewisse fehlende Teile dazu liefern, auch Gestell und Tisch dazu anschaffen. Im November und Dezember 1874 lieferte die Beklagte 79 Stück, blieb aber mit der, nach dem Vertrag im Januar und Anfang Februar 1875 fälligen Lieferung von 31 Stück im Rückstand. Klägerin erstritt gegen die Beklagte im Vorprozesse ein Judikat, wodurch Beklagte zur Lieferung und zur Verspätungsentschädigung, vorbehaltlich der Festsetzung des Betrages derselben im Separatverfahren, verurteilt wurde. Da Beklagte dem Urteil keine Folge leistete, hat Klägerin im vorliegenden Prozesse von der Beklagten, welche wegen des Vertragspreises befriedigt ist, Zahlung des im Falle vertragsmäßiger Lieferung zur Lieferungszeit zu erzielen gewesenen Verkaufspreises gefordert. Durch das Urteil zweiter Instanz wurde die Klage abgewiesen, weil der Entschädigungsanspruch nicht für genügend substanziiert erachtet wurde. Auf die Revision der Klägerin hat aber das Reichsgericht das Appellurteil aufgehoben und die Sache zur zweiten Instanz zurückverwiesen aus folgenden Gründen:

Gründe

"Die Gründe, aus welchen in voriger Instanz auf Abweisung der Klage erkannt ist, können nicht für zutreffend erachtet werden. Der Appellrichter nimmt an, daß eine auch nur analoge Anwendung des Art. 357 Abs. 3 H. G. B. ausgeschlossen sei, da die fraglichen Nähmaschinen zu der maßgebenden Zeit keinen Marktpreis im gesetzlichen Sinne (Art. 353 H.G.B.) gehabt, der Schadensanspruch daher konkret zu begründen und zu dem Ende von der Klägerin die ihr zum Verkaufe der streitigen 31 Nähmaschinen dargebotene Gelegenheit speciell darzulegen gewesen wäre, daß dem aber nicht dadurch allein, daß in der fraglichen Zeit bei der Klägerin Bestellungen auf 31 Maschinen eingegangen seien, genügt sei, Klägerin vielmehr hätte darthun müssen, daß sie die noch zu liefernden 31 Maschinen bei pünktlicher Lieferung derselben seitens der Beklagten außer den ihr gelieferten 79 Maschinen wirklich überhaupt und namentlich zu dem von ihr behaupteten Preise hätte verkaufen können und nicht etwa auch jetzt noch unverkauft auf Lager haben würde. Der Appellrichter verlangt zu dem Ende die Vorlegung sämtlicher einzelnen bei der Klägerin eingegangenen Bestellungen, bez. die Darlegung des Inhaltes derselben, um daraus die Personen der Besteller, die Bedingungen der Bestellung, namentlich die gebotenen Preise entnehmen und darnach unter Berücksichtigung des Umstandes, ob die Bestellungen auf Detail- oder Engros-Käufe gerichtet gewesen, den Betrag des erlittenen Schadens berechnen zu können, da daraus, daß einzelne Maschinen zu einem bestimmten Preise an Andere thatsächlich verkauft seien, bei einer Ware, die nach ihrer Beschaffenheit nur einen beschränkten Kreis von Kauflustigen habe, nicht gefolgert werden könne, daß andere Besteller denselben Preis zu zahlen bereit gewesen seien.

Wenn man nun auch ganz davon absieht, ob ein Marktpreis der fraglichen Nähmaschinen als bestehend angenommen werden, und ob demgemäß die Bestimmung im Art. 357 Abs. 3 H. G. B. Anwendung finden kann, so können doch die Anforderungen, welche der Appellrichter an die Begründung eines Schadensanspruches des Käufers wegen Nichterfüllung eines Kaufvertrages seitens des Verkäufers stellt, nicht für haltbar erachtet werden. Der Appellrichter hat zunächst eine unrichtige Vorstellung von dem Handelsverkehr. Ein Kaufmann kann zwar Waren einkaufen, um ein schon vorher von ihm mit einem Dritten abgeschlossenes Verkaufsgeschäft erfüllen zu können, sodaß er, wenn er die von ihm gekaufte Ware erhält, die Bestellungen seines oder seiner Abnehmer für den ganzen Belauf der gekauften Ware schon vor sich liegen hat. Dies ist aber keineswegs als die Regel anzusehen, am allerwenigsten bei allen Arten von Waren. Der Kaufmann kann und wird auch Waren kaufen, um sich nach dem Abschluß eines solchen Kaufgeschäftes oder auch erst nach Empfang der gekauften Ware oder einer Probe Abnehmer zu suchen, indem er bei einer Ware, welche überhaupt einen Gegenstand des Handelsverkehres bildet, mit Sicherheit darauf rechnet und rechnen darf, daß er Abnehmer zu annehmbaren Preisen finden werde. So konnte auch die Klägerin die Lieferung der ihr von der Beklagten verkauften Maschinen abwarten und bis dahin die Aufsuchung von Gelegenheiten zu deren Verkauf aufschieben. Die Beklagte, welche vertragsbrüchig geworden ist und nicht geliefert hat, würde sich einer unverdient günstigen Lage erfreuen, wenn sie nun den durch ihren Vertragsbruch begründeten Schadensanspruch der Klägerin damit abwenden könnte, daß Klägerin zu der Zeit, in welcher die Lieferung vertragsmäßig erfolgen sollte, noch keine Bestellungen auf die sämtlichen von der Beklagten zu liefernden, aber nicht gelieferten Maschinen gehabt habe.

Der Appellrichter verlangt aber auch mit Unrecht von der Klägerin den speciellen, konkreten Nachweis der Möglichkeit des Verkaufes der fraglichen Maschinen seitens der Klägerin. Es darf vielmehr ohne weiteres angenommen werden, daß eine Ware, welche einen Gegenstand des Handelsverkehres bildet, überhaupt verkäuflich sei, und es würde, wenn die Beklagte dies für den vorliegenden Fall hätte in Abrede stellen wollen, ihre Sache gewesen sein, darzulegen und nachzuweisen, daß und aus welchen thatsächlichen Gründen eine solche Verkaufsmöglichkeit im konkreten Falle ausnahmsweise nicht vorgelegen habe. Im vorliegenden Falle kann auch daran, daß die Verkaufsmöglichkeit überhaupt vorhanden gewesen sei, nicht gezweifelt werden, wenngleich es sich nicht um eine marktgängige, gemeinverwertbare Ware handeln sollte, vielmehr die fraglichen Handschuhnähmaschinen zu den Waren, welche nur einen beschränkteren Kreis von Abnehmern haben, gehören mögen und das hier fragliche Fabrikat zu der maßgebenden Zeit nur in einer oder zwei Berliner Fabriken angefertigt wurde. Die Anführungen der Parteien stimmen darin überein, daß diese Nähmaschinen in großer Zahl verkauft sind, und die Beklagte selbst behauptet in der Appellationsrechtfertigung, daß ein einziger ihrer Abnehmer, ein Zwischenhändler, über 1000 Stück dieser Maschinen verkauft habe. Die Parteien haben ausweise der Akten in der letzten Hälfte des Jahres 1874 längere Zeit in Unterhandlung über einen unter ihnen zu eröffnenden derartigen Geschäftsverkehr gestanden, daß die Klägerin die von der Beklagten fabrizierten Maschinen vertreiben, aber weder selbst solche fabrizieren, noch von anderen Fabrikanten fabrizierte Maschinen vertreiben sollte. Dies läßt darauf schließen, daß von beiden Teilen auf den Verkauf einer so großen Zahl von Maschinen N.'schen Fabrikats gerechnet wurde, daß beide einen erheblichen Nutzen daran hatten. Der Klägerin würde der Verkauf um so leichter geworden sein, da sie durch ihre Beziehungen zu der alten Firma N. & Co. die Kundschaft der Beklagten kannte, wie denn auch gerade die Beklagte der Klägerin zum Vorwurfe macht, daß sie diese ihre Kenntnis zum Nachteil der Beklagten mißbraucht habe. Es liegt daher gar keine Veranlassung zu einem Zweifel darüber vor, daß es der Klägerin überhaupt möglich gewesen sei, die hier fragliche geringe Anzahl von 31 Maschinen zu verkaufen. Es hätte daher des in erster Instanz der Klägerin noch auferlegten Erfüllungseides darüber, daß bei der Klägerin in der fraglichen Zeit Bestellungen auf wenigstens 31 Stück der fraglichen Maschinen eingegangen seien, nicht bedurft, und es muß nur, weil Klägerin nicht dagegen gravaminiert, dabei bewenden. Die Frage kann nur die sein, zu welchem Preise die Klägerin die fraglichen Maschinen hätte verkaufen können, und welcher Gewinn ihr dadurch entgangen ist, daß sie wegen des Vertragsbruches der Beklagten diesen, den stipulierten Vertragspreis übersteigenden höheren Preis nicht hat erzielen können. Auch zur Beantwortung dieser Frage bedarf es aber eines konkreten Nachweises nicht, wenngleich ein eigentlicher Marktpreis nicht vorliegt; es genügt vielmehr, wie bereits das Reichsoberhandelsgericht (vgl. dessen Entscheidungen Bd. 11 Nr. 60 S. 183) erkannt hat, auch wenn es sich um eine Ware handelt, welche nur an einem einzigen Orte und von einem einzigen Produzenten produziert wird, für die Schadensberechnung die Darlegung des Preises, für welche dieser die Ware zu verkaufen pflegt, indem davon ausgegangen werden darf, daß zu dem Preise, zu welchem der Produzent aus erster Hand zu verkaufen pflegt, welcher also der möglichst niedrige ist, auch anderweite Verkäufe erfolgen können, sofern nicht seitens des Schadensersatzpflichtigen das Gegenteil dargelegt wird. Die Klägerin darf also ihrer Schadensberechnung die Preise, zu welchem die Beklagte ihr sogenanntes N.'sches Fabrikat verkauft hat, ebensowohl zu Grunde legen, wie die Preise, zu welchen sie selbst regelmäßig verkauft hat. Es kommt hierbei jedoch nur auf die mittleren Preise, die Durchschnittspreise für ordentliche Ware der fraglichen Art, auf die von der Beklagten selbst so genannten Normalpreise an. Solche will die Beklagte nach ihrer eigenen Angabe festgestellt haben, und es darf ohne weiteren Beweis angenommen werden, daß zu diesen Preisen auch die Klägerin die Maschinen, wenn die Beklagte ihr solche geliefert, hätte verkaufen können. Es darf ferner davon ausgegangen werden, daß die Beklagte der Klägerin durchaus ordnungsmäßige Maschinen geliefert haben würde. Die Beklagte kann sich nicht darauf berufen, daß die Maschinen, die aus ihrer Fabrik herrührten, die auch nicht durch die Lagerung während kurzer Zeit schlecht geworden sein können, und die die Beklagte selbst vor der Lieferung zu justieren übernommen hatte, von schlechter Qualität gewesen seien. Allerdings würde es einen Unterschied machen, ob die Klägerin die Maschinen im Detail oder en gros verkauft hätte, da sie im ersteren Falle höhere Preise erzielt haben würde, als im letzteren. Allein dieser Umstand und die Ungewißheit, ob und in welchem Umfange in der einen oder anderen Art verkauft sein würde, macht die Aufstellung der Schadensberechnung nicht unthunlich. Es würde vielmehr der Normalpreis für beide Fälle festzustellen und dann, falls nicht die Beweisaufnahme besondere thatsächliche Momente für einen Verkauf in der einen oder anderen Art oder für das Verhältnis, in welchem teils in der einen, teils in der anderen Art verkauft sein würde, ergeben, ein Mittelpreis zwischen beiden richterlich zu arbitrieren sein, wie dies bereits seitens des ersten Richters zutreffend geschehen ist ....

Zur Feststellung der Normalpreise der fraglichen Maschinen nach den vorstehend angegebenen Gesichtspunkten bedarf es noch einer Beweisaufnahme, zu welcher die Sache in die zweite Instanz zurückgewiesen werden mich.

Bezüglich der Begründung der vorliegenden Klage ist noch folgendes zu bemerken: Die Beklagte ist im Vorprozesse durch Erkenntnis vom 8. Februar 1877 rechtskräftig verurteilt, die fraglichen 31 Maschinenoberteile justiert etc. gegen Zahlung von 10 M. zu liefern, und den durch die verspätete Lieferung verursachten Schaden zu ersetzen. Auf Antrag der Klägerin wurde der Beklagten durch Exekutionsmandat vom 17. März 1877 aufgegeben, dem Erkenntnisse gemäß zu liefern; die Lieferung ist jedoch nicht erfolgt. Im vorliegenden Prozesse verbindet nun Klägerin die Liquidation des Ersatzes des Wertes der nicht gelieferten Maschinen mit derjenigen der Entschädigung wegen verspäteter Erfüllung. Die 31 Maschinen hätten vertragsmäßig in der Zeit vom 3. Januar bis 13. Februar 1875 geliefert werden müssen, und zwar wöchentlich 6 Maschinen. In der vorliegenden Klage wird nun behauptet: die Maschinen hätten in der angegebenen vertragsmäßigen Lieferungszeit einen Preis von 225 M. = 75 Thlr. im Detailverkauf gehabt; davon wird der Anschaffungspreis von Gestell mit Tisch mit 20 M. und für Justieren mit Zubehör 10 M. in Abzug gebracht, so daß sich ein Nettoerlös von 195 M, pro Stück ergeben haben würde. Klägerin bemerkt ferner, daß die fraglichen Industriemaschinen jetzt veraltet, nicht mehr verkäuflich seien und nur noch den Wert von 15 M. pro Stück hätten. Sie berechnet deshalb den Wertersatz der nicht gelieferten Maschinen zu 15 M. pro Stück, im Ganzen zu 465 M. und die Entschädigung wegen verspäteter Erfüllung zu 180 M. pro Stück, im Ganzen zu 5 580 M. und bemerkt, daß, je geringer der zu ersetzende jetzige Wert der Maschinen gegenüber dem Wert zur vertragsmäßigen Lieferungszeit veranschlagt werde, desto größer der durch die Verspätung entstandene Schade zu veranschlagen sei und umgekehrt, sodaß beide Entschädigungen zusammengerechnet immer gleich dem Verkaufswerte zur vertragsmäßigen Lieferungszeit seien. Diese Schadensberechnung entspricht im wesentlichen den richtigen Grundsätzen, welche das Reichsoberhandelsgericht in den in seinen Entscheidungen Bd. 24 Nr. 46 S. 153 flg. und Nr. 86 S. 327 flg. veröffentlichten Urteilen über die Berechnung der Verspätungsentschädigung und über die für die Berechnung des Wertersatzes maßgebenden Zeitpunkte ausgeführt hat; darnach mußte der Berechnung des Wertesatzes der Zeitpunkt des im Vorprozesse ergangenen Judikats bez. der Exekution zu Grunde gelegt und daneben Verspätungsentschädigung unter Vergleichung der Preise zur vertragsmäßigen Erfüllungszeit und des Judikats bez. der Exekution liquidiert werden. Nun stimmt allerdings die Zeit, wonach der Wertersatz berechnet ist, nicht ganz mit jenen Grundsätzen; es ist der Wert der Maschinen zur Zeit der Klage statt zur Zeit des Judikats, bez. der Exekution zu Grunde gelegt. Allein abgesehen davon, daß beide Zeitpunkte nicht weit auseinander liegen, und daß nicht ersichtlich und nicht wahrscheinlich ist, daß in der Zwischenzeit der Wert sich wesentlich geändert hätte, kommt es ziffermäßig auf dasselbe hinaus, ob der Wertersatz etwas höher oder niedriger berechnet wird, da immer um soviel als der Wertersatz höher veranschlagt wird, die Verspätungsentschädigung sich vermindert. Es ist bereits vom Reichsoberhandelsgericht in dem zweiten allegierten Urteil S. 332 bemerkt worden, daß die Liquidation nach den vorstehend angegebenen Grundsätzen zu demselben ziffermäßigen Resultat führen könne, wie die Liquidation der Entschädigung wegen Nichterfüllung statt Erfüllung. Dies trifft im vorliegenden Falle zu. Klägerin erhält im Resultate, wenn der Wertersatz und die Verspätungsentschädigung zusammengerechnet werden, genau ebenso viel, als wenn sie Entschädigung wegen Nichterfüllung statt Erfüllung zur vertragsmäßigen Erfüllungszeit gefordert hätte, nämlich den Verkaufswert zur vertragsmäßigen Erfüllungszeit. Gegen die Schadensberechnung in der Klage ist daher grundsätzlich nichts zu erinnern."...