RG, 04.12.1884 - IV 224/80
Ist der Erbe berechtigt, eine außergerichtlich vollzogene Schenkung seines Erblassers an eine dritte Person innerhalb sechs Monaten seit der Übergabe des geschenkten Objektes zu widerrufen?
Tatbestand
Der Landwirt W. hat am Tage vor seinem Tode ein auf seinen Namen lautendes Sparkassenbuch unter Übergabe desselben der Ehefrau des Klägers in privatschriftlicher Urkunde "schenkungsweise" cediert. Der die Rechtsgültigkeit der Schenkung nicht anerkennende Beklagte hat als Erbe des Geschenkgebers innerhalb sechs Monaten nach Vollziehung der Schenkung dieselbe mittels brieflicher, an den Kläger und dessen Ehefrau gerichteter Erklärung widerrufen. Er hat auch gegen die Zahlung der Sparkasseneinlagen an die Beschenkte Protest bei der Sparkasse erhoben, und diese demzufolge die Zahlung verweigert. Deshalb hat der mit der Beschenkten in gütergemeinschaftlicher Ehe lebende Kläger beantragt:
den Beklagten zu verurteilen, in die Zahlung des aus dem Sparkassenbuche sich ergebenden eingezahlten Betrages an den Kläger zu willigen.
In beiden Vorinstanzen ist der Kläger abgewiesen und seine gegen das Berufungsurteil eingelegte Revision zurückgewiesen worden.
Gründe
"Für die Entscheidung ist die Frage bestimmend, ob - was Kläger geltend macht - eine erst nach dem Tode des Geschenkgebers von den Erben desselben erklärter Widerruf der Rechtswirksamkeit entbehrt. Die Richter der Vorinstanzen haben dies verneint, und demgemäß den Kläger abgewiesen. Das vormalige preuß. Obertribunal hat in den Erkenntnissen vom 15. März 1845 und 6. Oktober 1871, vgl. Entsch. des preuß. Obertrib. Bd. 11 S. 256 und Bd. 66 S. 46, naher ausgeführt, daß das dem Geschenkgeber durch den §. 1090 A.L.R. I. 11 gestattete Widerrufsrecht nicht als ein höchst persönliches, an die Person des Geschenkgebers gebundenes Recht im Sinne des §. 102 Einleitung zum A.L.R. und des §. 360 A.L.R. I. 9 betrachtet werden könne, vielmehr als die Befugnis, binnen 6 Monaten die mangelhafte außergerichtliche Form eines Schenkungsvertrages zu rügen und die geschenkte Sache zurückzufordern, und zwar aus der Absicht des Gesetzgebers, der mit der Anerkennung der vollen Rechtsgültigkeit einer solchen Schenkung verbundenen Gefahr zu begegnen, daß der Schenker, dem Eindrucke des Augenblicks nachgebend, eine Sache weggebe, die er bei besserer Überlegung nicht weggegeben haben würde. Nach §. 350 A.L.R. I. 9 bestehe die Erbschaft eines Verstorbenen aus dem Inbegriffe aller seiner hinterlassenen Sachen, Rechte und Pflichten. Auch das Recht des Widerrufes einer Schenkung sei diesem Inbegriffe zuzurechnen. Daß die Ausübung dieses Rechtes von der Willensbestimmung des Berechtigten abhängig sei, könne den Übergang auf seine Erben nicht hindern. Der Wille der Person sei der Grund alles Rechtes, und die Bedeutung des Erbrechtes liege eben darin, daß der Erbe in vermögensrechtlicher Beziehung die Persönlichkeit des Verstorbenen in sich aufnehme, und dessen Willen auf denselben rechtlichen Erfolg, wie der Erblasser zur Geltung zu bringen vermöge.
Dieser Rechtsanschauung ist durchweg beizutreten.1
Der Umstand freilich, daß der dritte Abschnitt Teil I Tit. 11 des Allgem. Landrechtes eine Anzahl von einzelnen Fällen enthalt, in welchen den Erben des Geschenkgebers das Recht des Widerrufes ausdrücklich gestattet wird, könnte zu der Folgerung führen, daß nur in diesen Fällen das dem Schenker zustehende Recht auf die Erben übertragen werde, weil es dieser speziellen Bestimmungen nicht bedurft haben würde, wenn die Vererbung des Widerrufsrechtes die gesetzliche Regel bilde. Bei näherer Betrachtung der einzelnen Fälle ergeben sich dieselben jedoch nur als von der Regel abweichende Ausnahmen. So bestimmt der §. 1112 a. a. O., daß die Erben des Geschenkgebers eine an sich gültige Schenkung des Erblassers aus dem Grunde, weil sie das Vermögen des letzteren überstiegen habe, in der Regel nur dann widerrufen könne, wenn der Erblasser bereits seinen Entschluß gerichtlich erklärt habe. Es wird also das Widerrufsrecht der Erben eingeschränkt. - Der §. 1113 a. a. O. erweitert dagegen dieses Recht, indem er den pflichtteilsberechtigten Erben die von dem Erblasser innerhalb dreier Jahre vor seinem Tode gemachte Schenkung zu widerrufen gestattet, wenn der reine Betrag des Nachlasses nicht die Hälfte des Wertes der geschenkten Sache oder Summe ausmacht. - Eine Einschränkung enthält ferner der §.1150 a. a. O., nach dessen Bestimmung Kinder des Geschenkgebers, welcher von seiner Befugnis zum Widerrufe einer Schenkung wegen nachgeborener Kinder keinen Gebrauch gemacht hat - zum Widerrufe nur dann berechtigt, wenn sie durch die Schenkung im Pflichtteile verletzt sind. - Ein unter der Bedingung,
"wenn der Geschenkgeber eine bevorstehende Todesgefahr nicht überleben würde",
geschlossener Schenkungsvertrag verliert (§. 1136) seine Wirksamkeit, wenn der Schenkende die Gefahr überlebt. Ein solches Geschenk kann (§. 1137), wenn es auch wirklich übergeben ist, nicht nur von dem Geschenkgeber, sondern auch, wenn er nach überstandener Gefahr gestorben ist, von seinen Erben widerrufen werden. Aus dieser für einen Spezialfall den Erben ausdrücklich den Widerruf gestattenden Bestimmung könnte anscheinend die Folgerung entnommen werden, daß das Widerrufsrecht der Erben nicht die Regel bilde. Die unmittelbar anschließenden Bestimmungen lassen jedoch deutlich erkennen, daß bezüglich des Widerrufes nur der Gegensatz zweier zwar ähnlicher, aber nicht identischer Fälle klargestellt werden soll. Es sollen nämlich (§§. 1138. 1139) in dem Falle, wo eine "instehende Todesgefahr" nur der Beweggrund der Schenkung gewesen ist, die Erben zum Widerrufe nicht berechtigt sein. - Das wegen groben Undankes dem Schenkenden gestattete Widerrufsrecht soll (§. 1157), falls derselbe den Undank nicht gerügt hat, dem Erben nur alsdann gegeben werden, wenn der Schenkende durch den anderen sein Leben oder den Gebrauch seiner Verstandeskräfte verloren hat, es sei denn, daß der Schenkende (§. 1158) seinen Willen zu widerrufen gerichtlich erklärt hat.
Alle diese für besondere Fälle vorgesehenen Ausnahmen dienen durch ihren Gegensatz nur dazu, die Regel zu befestigen, daß das Widerrufsrecht des Geschenkgebers bezüglich außergerichtlicher Schenkungen (§. 1090) auf die Erben übergeht. - Der von dem Beklagten erklärte Widerruf der am 9. Mai 1883 beurkundeten schenkungsweisen Cession der fraglichen Sparkasseneinlagen an die Ehefrau des Klägers war hiernach ein berechtigter. Die Revision des Klägers war demgemäß zurückzuweisen."
- 1. Vgl. auch Erkenntnis vom 28. Januar 1875 in Striethorst, Arch. Bd. 93 S. 157; Erk. des zweiten Hilfssenates des Reichsgerichtes vom 13. Oktober 1881 in Gruchot, Beiträge Bd. 26 S. 971.