RG, 24.11.1880 - I 843/80

Daten
Fall: 
Ausschluss des Kündigungsrechts
Fundstellen: 
RGZ 3, 91
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
24.11.1880
Aktenzeichen: 
I 843/80
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Frankfurt a. M.
  • OLG Frankfurt a. M
Stichwörter: 
  • Ausschluss des Kündigungsrechts bei einem auf Kündigung angestellten Reichsbeamten

Wird bei einem auf Kündigung angestellten Reichsbeamten das Kündigungsrecht durch den Ablauf zehnjähriger Dienstzeit oder durch Eintritt der Dienstunfähigkeit nach Ablauf derselben ausgeschlossen?

Tatbestand

Der Kläger war als Postschaffner bei dem Kaiserlichen Postamte I. in Frankfurt a. M. auf vierwöchentliche Kündigung angestellt. Am 2. Mai 1879 wurde ihm von gedachter Behörde mit Wirkung vom 1. Juni 1879 ab gekündigt. Auf ein unter dem 15. Juli 1879 eingereichtes Pensionsgesuch wurde ihm durch Erlaß des Kaiserlichen Generalpostamtes in Berlin vom 23. August 1879 nach Prüfung der Akten eröffnet, daß seinem Gesuche um Bewilligung eines Ruhegehaltes nicht zu entsprechen sei. Kläger erhob nunmehr, da er eine in den Besoldungsetats aufgeführte Stelle bekleidet habe und nach einer Dienstzeit von mehr als zehn Jahren dienstunfähig geworden sei, auch die Dienstunfähigkeit sich in Ausübung des Dienstes zugezogen habe, auf Grund der §§. 34. 36. 37. 149 des R.Ges. vom 31. März 1873 Klage gegen den Postfiskus auf Zahlung einer jährlichen Pension.

Die Klage wurde in erster und zweiter Instanz abgewiesen und die Revision des Klägers aus folgenden Gründen zurückgewiesen:

Gründe

"Es ist dem Revisionskläger darin Recht zu geben, daß die Abweisung der Klage auf den §. 155 des R.Ges. vom 31. März 1873 nicht gegründet werden konnte. Nach §. 155 sind die Gerichte bei Beurteilung der vor ihnen geltend gemachten vermögensrechtlichen Ansprüche der Reichsbeamten an die Entscheidungen der Disciplinar- und Verwaltungsbehörden darüber, ob ein Reichsbeamter aus seinem Amte zu entfernen oder in den Ruhestand zu versetzen sei, gebunden. Die Kündigung des Dienstes ist keine Entfernung aus dem Amte im Sinne des §. 155, weil hierunter die im §. 73 desselben Gesetzes erwähnte Disciplinarstrafe zu verstehen ist. Der Erlaß des Generalpostamtes vom 23. August 1879 enthält keine Entscheidung darüber, ob Kläger in den Ruhestand zu versetzen, sondern nur darüber, ob ihm eine Pension zu bewilligen sei; er enthält auch keinen Ausspruch darüber, ob Kläger dienstunfähig sei, da der Grund, weshalb dem Gesuch um Bewilligung eines Ruhegehaltes nicht zu entsprechen sei, nicht angegeben, mithin nicht ersichtlich ist, ob die erbetene Pension wegen Mangels der im §. 53 des gedachten Gesetzes geforderten Nachweisung der Dienstunfähigkeit oder wegen der stattgehabten Kündigung oder aus irgend einem anderen Grunde versagt worden ist.

Wenngleich hiernach der gegen das angefochtene Erkenntnis gerichtete Angriff an sich als begründet erscheint, so ist dennoch die Revision gemäß §. 526 C.P.O. zurückzuweisen, weil die Entscheidung sich aus anderen Gründen als richtig darstellt.

Infolge des bei der Anstellung des Klägers gemachten Vorbehaltes stand der Behörde, welche die Anstellung verfügt hatte, das Recht zu, ihn mit Ablauf von vier Wochen nach erfolgter Kündigung zu entlassen. Durch die Bestimmung des §. 37 des R.Ges. vom 31. März 1873, welcher den auf Kündigung angestellten Reichsbeamten, sofern sie eine in den Besoldungsetats aufgeführte Stelle bekleiden, einen Rechtsanspruch auf Pension gewährt, ist das Kündigungsrecht nicht ausgeschlossen. Wäre es die Absicht des Gesetzgebers gewesen, dasselbe nach zehnjähriger Dienstzeit ohne weiteres oder wenigstens nach Eintritt der Dienstunfähigkeit auszuschließen, so hätte es einer diese Absicht verwirklichenden Bestimmung im Gesetze bedurft. Eine solche ist aber nicht vorhanden; vielmehr gewährt §. 32 des Reichsbeamtengesetzes der Behörde, welche die Anstellung verfügt hat, die Befugnis zur Entlassung der auf Kündigung angestellten Reichsbeamten ohne Einschränkung. Es ist übrigens auch nicht anzunehmen, daß es die Absicht des Gesetzgebers gewesen wäre, das Kündigungsrecht in der fraglichen Beziehung einzuschränken. Da die Motive zu §. 37 erwähnen, das revidierte Civil-Staatsdienergesetz für das Großherzogtum Oldenburg vom 28. März 1867 enthalte im Art. 53 die Bestimmung, daß bei widerruflich angestellten Beamten nach dem Eintritt der Voraussetzungen für eine Versetzung in den Ruhestand von dem Kündigungsrecht kein Gebrauch gemacht werden darf, so unterliegt es keinem Zweifel, daß die Nichtaufnahme einer gleichen Bestimmung in das Reichsbeamtengesetz nicht auf einem Übersehen der Frage, sondern auf der Absicht beruht, eine solche Bestimmung nicht zu treffen. Es muß daher angenommen werden, daß das vorbehaltene Kündigungsrecht auch dann fortdauert, wenn bei dem Beamten die Voraussetzungen für eine Versetzung in den Ruhestand bereits eingetreten sind, und daß dasselbe insbesondere zu dem Zwecke ausgeübt werden kann, den Beamten wegen begangener Dienstvergehen ohne Einleitung des Disziplinarstrafverfahrens aus dem Amte zu entfernen. Durch die vermittelst der Kündigung erfolgende Entlassung hören alle Ansprüche aus dem Dienstverhältnisse, insbesondere auch Pensionsansprüche auf. Auch wenn der entlassene Beamte der Ansicht ist, daß ein genügender Grund zur Kündigung nicht vorgelegen habe, kann er vermögensrechtliche Ansprüche für die Zeit nach der Entlassung vor Gericht nicht erheben; ihnen steht nicht §. 155 des Reichsbeamtengesetzes, welcher den Fall der Kündigung nicht erwähnt, aber das Wesen des vorbehaltenen Kündigungsrechtes entgegen, dessen Ausübung dem pflichtmäßigen Ermessen der im §. 52 bezeichneten Behörde überlassen ist, so daß eine richterliche Nachprüfung der Gründe, welche zur Ausübung desselben Veranlassung gegeben haben, nicht stattfindet. Ob die Entscheidung des Gerichts nicht wenigstens dann angerufen werden könnte, wenn das Kündigungsrecht von der Verwaltungsbehörde dazu mißbraucht worden wäre, einem dienstunfähig gewordenen Beamten, dessen Entlassung nicht durch andere Gründe veranlaßt worden, geflissentlich den Anspruch auf Pension abzuschneiden, kann dahin gestellt bleiben, weil ein solcher Vorwurf von dem Kläger nicht erhoben worden ist."