RG, 24.11.1880 - I 814/80

Daten
Fall: 
Übergang der Vorrechte nach der Reichskonkursordnung
Fundstellen: 
RGZ 3, 34
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
24.11.1880
Aktenzeichen: 
I 814/80
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Stendal.
  • OLG Naumburg.
Stichwörter: 
  • Normierung der Zulässigkeit, der Voraussetzungen und der Weise des Überganges der Vorrechte nach der Reichskonkursordnung

Normiert die Reichskonkursordnung die Zulässigkeit, die Voraussetzungen und die Weise des Überganges der in ihrem §. 54 bestimmten Vorrechte?

Welche Grundsätze sind seit dem 1. Oktober 1879 in Bezug auf die vorbezeichnete Materie in dem preußischen Geltungsgebiete des Allgemeinen Landrechts maßgebend?

Entsteht dem Bürgen, welcher eine gemäß §. 73 Nr. 1 der Preuß. Konkursordnung bevorrechtete Forderung vor dem 1. Oktober 1879 bezahlt, mit letzterem Tage das Vorrecht aus §. 54 Nr. 2 der Reichskonkursordnung?

Tatbestand

Dem Brennereibesitzer K. S. war von der zuständigen Königlich preußischen Steuerbehörde für die Brennperiode vom 1. Oktober 1878 bis zum 1. Oktober 1879 den gesetzlichen Bestimmungen entsprechend in Höhe von 3600 Mark derartig (unter Bürgschaft des A. S. und E. St.) ein Branntweinsteuerkredit bewilligt, daß K. S. den für jeden Monat jener Brennperiode nach dem Betriebspläne berechneten Steuerbetrag bis zum zwanzigsten des darauf folgenden sechsten Monats an die Steuerkasse zu zahlen hatte, widrigenfalls die Kreditbewilligung überhaupt sofort aufgehoben sein sollte.

K. S. bezahlte die am 20. September 1879 fällige Branntweinsteuer für den März 1879 mit 519 Mark 90 Pf. nicht, worauf die Bürgen (auf Erfordern der Steuerbehörde) diesen Betrag am 26. September 1879 zur Steuerkasse zahlten. Am 7. Oktober 1879 wurde über das Vermögen des K. S. der Konkurs eröffnet. Infolge dessen forderte die Steuerbehörde von den Bürgen die sofortige Zahlung der von dem K. S. für die Monate April bis August mit im ganzen 1418 Mark 70 Pf. geschuldeten Branntweinsteuer, und haben die Bürgen diesen Betrag am 11. Oktober 1879 an die Steuerkasse gezahlt. Die Bürgen meldeten darauf die erwähnten Branntweinsteuerforderungen im vollen Gesamtbetrage von 1938 Mark 60 Pf. mit dem Vorrecht des §. 54 Nr. 2 der Reichskonkursordnung in dem Konkurse über das Vermögen des K. S. an.

Der Verwalter der Konkursmasse erkannte die angemeldete Forderung dem Betrage nach an, bestritt dagegen das prätendierte Vorrecht. Die Bürgen erhoben darauf Klage mit dem Antrage, den Widerspruch des Konkursverwalters für unbegründet zu erklären und die angemeldete Forderung mit dem in §. 54 Nr. 2 der Reichskonkursordnung bestimmten Vorrechte anzusetzen. In erster Instanz wurde die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht verurteilte die Konkursmasse nach dem Klageanträge. Die von der Beklagten eingelegte Revision wurde gegründet auf Verletzung der §§. 10. 54 Nr. 2 und 58 der Reichskonkursordnung, sowie des §. 338 A.L.R. I. 14 und des §. 46 A.L.R. I. 16. Die Revision ist aus folgenden Gründen zurückgewiesen worden:

Gründe

"Zunächst ist den Revisionsbeklagten darin beizupflichten, daß der Versuch der Revisionsklägerin den (im Prüfungstermine von ihr anerkannten) Betrag der von den Revisionsbeklagten im Konkurse über das Vermögen des K. S. in Höhe von 1938 Mark 60 Pf. angemeldeten Forderung in dem vorliegenden Prozesse (und zwar allererst in der Revisionsinstanz) zu bemängeln, nicht zulässig ist, und zwar deswegen nicht, weil der vorliegende Rechtsstreit nur das Vorrecht zum Gegenstande hat, und das (etwa überhaupt noch zulässige) Hereinziehen der Frage des Forderungsbetrages, um dadurch klar zu legen, daß ein Teil dieses Betrages zu Unrecht beansprucht, also jedenfalls ein Vorrecht diesem Teile nicht zuzusprechen sei, bei der Existenz des obenerwähnten Anerkenntnisses doch nur durch Kondiktion des letzteren (unter Irrtumsklarlegung in den zum thatsächlichen Vorbringen bestimmten Vorinstanzen) hätte begrundlagt werden dürfen. Da ein solcher Behelf vor ihm gar nicht erhoben war, hatte das Berufungsgericht gar keine Veranlassung, mit Bezug auf denselben zu prüfen, ob der §. 58 der Reichskonkursordnung in der hier fraglichen Richtung für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreites von Einfluß sei.

Es kann daher dahin gestellt bleiben, ob nicht das Anerkenntnis des vollen angemeldeten Forderungsbetrages (der Sachlage nach) entschieden gerechtfertigt war, weil durch den Verzug in der Zahlung des am 20. September 1879 fälligen Betrages der Steuer für den Monat März desselben Jahres die Kreditbewilligung überhaupt resolviert war.

Es ist ferner dem Berufungsgericht darin Beifall zu schenken, daß der (den in Preußen geltenden Steuergesetzen und gesetzlicher Ermächtigung gemäß, von dem zuständigen Ministerium erlassenen Regulativen entsprechend) dem K. S. gewährte Steuerkredit der Anwendbarkeit des §. 54 Nr. 3 der Reichskonkursordnung auf die vorliegend erhebliche Steuerforderung nicht entgegensteht; da (ausweislich der Fassung des Gesetzes und des Inhalts der Motive zu dem Entwürfe desselben) die Worte in jener Gesetzesstelle

"oder nach §. 58 als fällig gelten"

den Sinn haben, daß derartig kreditierten Steuern das Vorrecht zustehe, dieselben aber, falls der Ablauf der Kreditfrist in die Zeit nach der Konkurseröffnung falle, als betagte Forderungen zu behandeln seien.

Nach dem Thatbestande und den vorentwickelten Principien würde dem preußischen Fiskus, falls derselbe noch Inhaber der Steuerforderungen in Rede wäre, das Vorrecht aus dem §. 54 Nr. 2 der Reichskonkursordnung zustehen.

Da der Fiskus aber zur Zeit der Anmeldung jener Forderungen nicht mehr deren Inhaber war, sondern die Revisionsbeklagten als seine Rechtsnachfolger die Anmeldung gethätigt haben, so ist nach der konkreten Lage des Falles zu untersuchen:

  1. ob etwa schon durch den Wechsel der Forderungsinhaberschaft für sich allein jenes Vorrecht, sei es nun nicht entstanden, sei es erloschen, ist;
  2. ob, falls erstere Frage zu verneinen, doch die Revisionsbeklagten (wegen der Nichtexistenz einer ausdrücklichen Cession der angemeldeten Forderungen an sie seitens des Fiskus) nicht, für befugt zu erachten seien, jenes Vorrecht zu beanspruchen, und zwar entweder überhaupt nicht, oder doch nicht bezüglich der vor der Konkurseröffnung bezahlten Forderung;
  3. ob (selbst wenn man die Existenz einer ausdrücklichen Cession für unerheblich erachten sollte) von der Revisionsbeklagten das Vorrecht des §. 54 Nr. 2 der Reichskonkursordnung bezüglich der von ihnen durch die Zahlung vom 26. September 1879 erworbenen Steuerforderung nicht beansprucht werden dürfe, weil an jenem Zahlungstage jenes Vorrecht noch gar nicht bestanden habe, da die Reichskonkursordnung erst mit dem 1. Oktober 1879 Gesetzeskraft erlangte.

Der Richter erster Instanz hat die erste Frage bejaht; weil seiner Ansicht nach aus den §§. 10 und 54 der Reichskonkursordnung die Höchstpersönlichkeit des in letzterem Paragraphen unter Nr. 2 der Reichskasse, den Staatskassen, sowie den Amts-, Kreis- und Provinzialverbänden verliehenen Vorrechtes folge. - Mit Recht hat das Berufungsgericht diese Auslegung der Reichskonkursordnung reprobiert. Der §. 10 der Reichskonkursordnung bezieht sich nur auf die Rechtsverfolgungsform. Derselbe hat lediglich den Sinn, daß die Gläubiger des Gemeinschuldners Sicherstellung oder Befriedigung aus der Konkursmasse nur durch Geltendmachung ihrer desfallsigen Ansprüche im Konkursverfahren erzielen dürfen. Die mit dem Absatz 2 des §. 73 der preußischen Konkursordnung vom 3. Mai 1855 übereinstimmenden Schlußworte unter Nr. 2 des §. 54 der Reichskonkursordnung: es macht dabei keinen Unterschied, ob der Steuererheber die Abgabe bereits vorschußweise zur Kasse entrichtet hat, dürfen nicht dahin ausgelegt werden, daß ein exzeptionelles (eben deswegen bei jedem sonstigen Dritten ausgeschlossenes) Eintrittsrecht des Steuererhebers in das Vorrecht der Kasse verordnet sei; denn es heißt in den Motiven zum §. 71 des Entwurfes der preußischen Konkursordnung, welcher mit dem §. 73 dieser Konkursordnung selbst übereinstimmt:

Muß der Steuererheber die Reste vorschußweise zur Kasse entrichten (vgl. Gesetz über die Klassen- und klassifizierte Einkommensteuer vom 1. Mai 1851 §. 13 G.S. S. 198), so ist dies nur eine vorläufige Deckung der Kasse, durch welche in der Person des Berechtigten gegenüber dem Steuerpflichtigen nichts geändert wird. Die Motive des Entwurfes der Reichskonkursordnung zu den §§. 54 - 56 allegieren ausdrücklich die erwähnte Bestimmung der preußischen Konkursordnung als Quelle jener Schlußworte unter Nr. 2 §. 54. Es ist daher anzunehmen, daß diesen Worten dieselbe Auffassung zu Grunde liegt, welche in der mitgeteilten Stelle der Motive des Entwurfes der preußischen Konkursordnung scharf ausgedrückt ist.

Es tritt ferner bezüglich aller unter Nr. 1 bis 5 des §. 54 der Reichskonkursordnung gegebenen Vorrechte schon in der Fassung des Gesetzes selbst prägnant hervor, daß die sachliche Natur der aufgeführten Forderungen für die Erteilung des Vorrechtsschutzes von wesentlichster Bedeutung sei. Die Motive zu den §§. 54 - 56 des Entwurfes der Konkursordnung für das Deutsche Reich zeigen, daß in dem Entwürfe die viel größere Zahl der nach den bisher geltenden objektiven Rechten bestehenden Vorrechte auf eine geringere Zahl beschränkt ist, um nur solche Forderungen in dieser Weise zu bevorzugen, deren objektives Wesen, als (nach dem gegenwärtigen Kulturzustande) innig mit dem öffentlichen Wohl, dem allgemeinen Verkehrs- und Kreditbedürfnisse und dem Interesse der Rechtsordnung verwachsen, erkannt wurde. Selbst die Rangordnung der einzelnen Klassen dieser bevorzugten Forderungen unter sich ist nach dem Grade der Intensität ihres sachlichen Einflusses auf jene allgemeinen Interessen abgestuft. Auch bei den mit dem schwächsten Vorrechte versehenen Forderungen unter Nr. 7 des §. 54 im Entwurfe (in der Reichskonkursordnung selbst unter Nr. 5) gekennzeichneten Forderungen wird doch betont, daß die Rechtsordnung an ihrem Schutze (mit Rücksicht auf ihren Inhalt) ein höheres Interesse habe, als bei den nicht bevorrechteten Konkursforderungen. Gerade bei dem im vorliegenden Falle in Frage stehenden Vorrechte unter Nr. 2 des §. 54 a. a. O. wird nachdrücklich hervorgehoben, daß dasselbe (auch abgesehen von dem Verwaltungsinteresse) für den Verkehr notwendig, ja daß das Vorrecht für kreditierte (direkte und indirekte) Steuern gar nicht vom fiskalischen Standpunkte angezeigt sei, sondern lediglich aus Rücksicht auf die Verkehrsbedürfnisse, welche durch die den Steuerpflichtigen (und mittelbar auch ihren Gläubigern überhaupt) günstigen Kreditgewährungen gefördert würden.

Diese Auffassung der Motive des Entwurfes ist in den weiteren legislativen Stadien nicht bemängelt worden, vielmehr sind bei strengerer Prüfung der Vorrechtsordnung des Entwurfes von dem Gesichtspunkte des Schutzes der Forderungen mit Rücksicht auf ihr sachlich mit der allgemeinen Wohlfahrt in Beziehung stehendes Wesen die unter Nr. 6 und 7 im Entwürfe vorgeschlagenen Vorrechte gestrichen.

Bei der gekennzeichneten Fassung des Gesetzes und dem Inhalt der Motive seines Entwurfes ermangelt der Schluß jeder Stringenz, daß nach dem Willen der Reichskonkursordnung die im §. 54 derselben unter Nr. 1 bis 5 bestimmten Vorrechte unbedingt an die Person des ursprünglichen Inhabers der bevorrechteten Forderungen gebunden seien. Verhältnismäßig wichtigere Gründe würden aus den gekennzeichneten Voraussetzungen für eine reichskonkursrechtliche Norm gerade entgegengesetzten Inhalts entfließen. Bei sorgfältiger Prüfung wird man indessen auch diesen Schluß als zu gewagt bezeichnen und sich begnügen müssen, erstens mit der Feststellung, daß die Vorrechte des §. 54 Nr. 1 bis 5 der Reichskonkursordnung bestimmten Forderungen verliehen sind, welche zu ihrer Entstehung gewisse persönliche Eigenschaften ihres ursprünglichen Inhabers voraussetzen und ihrem sachlichen Wesen nach objektiv mit öffentlichen Interessen auf das innigste verknüpft sind, zweitens mit dem Ergebnis, daß sich aus dieser Voraussetzung in überzeugender Weise weder herleiten lasse, daß reichskonkursrechtlich der Erwerb der erwähnten Vorrechte durch einen anderen, als den ursprünglichen Forderungsinhaber, unbedingt untersagt, noch daß reichskonkursrechtlich bestimmt sei, das Vorrecht solle jedem Inhaber jener Forderungen zustehen, oder doch auf jeden späteren Inhaber, übertragbar sein.

Ebensowenig läßt sich in überzeugender Weise klarlegen, daß reichskonkursrechtlich, wenn auch nicht der (etwa nach den allgemeinen Grundsätzen der objektiven Rechte der einzelnen Mitgliedstaaten des Deutschen Reiches zulässige) Erwerb von Vorrechten der in obiger Feststellung gekennzeichneten Art durch spätere Inhaber der betreffenden Forderungen überhaupt, so doch die Möglichkeit oder Zulässigkeit eines Überganges jener Vorrechte auf solche spätere Inhaber vor der Konkurseröffnung verneint sei.

Die bereits beleuchteten §§. 10 und 54 der Reichskonkursordnung lassen sich in dieser Richtung gar nicht verwerten. Es könnte vielmehr nur versucht werden, jenen Grundsatz zu stützen auf eine Induktion aus den §§. 2 und 12 jenes Gesetzes, sowie auf ein angeblich rationell anzunehmendes Wesen der Vorrechte.

Der §. 2 der Reichskonkursordnung betrifft aber dem Grunde nach nur die Notwendigkeit der Existenz der Konkursforderungen zur Zeit der Konkurseröffnung; mit der Frage über die Rechtsnachfolge in die vor und zur Zeit der Konkurseröffnung bestehenden Forderungen und ihrer Vorrechte (sei es nun vor, sei es in dem Konkurse), sowie mit dem Wesen der Vorrechte hat derselbe nichts zu thun.

Der §. 12 a. a. O. enthält lediglich eine Norm in Bezug auf die Entstehung neuer Pfand-, Hypotheken-, Retentions- und Vorzugs-Rechte an zur Konkursmasse gehörigen Gegenständen nach der Eröffnung des Konkursverfahrens.

Allerdings ist in der Doktrin des gemeinen deutschen Rechtes bei anklingenden Streitfragen von angesehenen Rechtslehrern die Meinung (als in dem begrifflichen Wesen der Sache wurzelnd) verteidigt worden, daß ein Vorrechtsübergang vor Eröffnung des Konkurses über das Vermögen des Schuldners nicht möglich sei, weil vor jener Eröffnung das Vorrecht als Recht nicht existiere, vielmehr nur eine bloße Erwartung auf ein solches Recht bestehe. Dem entgegen ist aber von ebenso angesehenen Rechtslehrern das Gegenteil als rationell behauptet und ausgeführt worden; wenn kraft gesetzlicher Bestimmung eine Forderung, sobald dieselbe mit anderen Forderungen um Befriedigung aus einem zur Tilgung aller konkurrierenden Forderungen unzulänglichen Vermögen oder Vermögensstücke konkurriere, vor jenen anderen Forderungen befriedigt werden solle, so sei das sofort eine wirtschaftlich wertvolle, zu Recht bestehende Eigenschaft, oder ein Nebenrecht jener Forderung, wenn auch dieses (bereits bestehende und mit der Forderung übertragbare) Recht, seiner specifischen Natur gemäß, erst dann zur Durchführung gelange, sobald die Notwendigkeit zu seiner Bethätigung eintrete. Auf letzterem Standpunkte stehen auch viele Gesetzbücher und Prioritätsgesetze der Neuzeit, namentlich, wie solches weiter eingehend klargelegt werden wird, die preußische Gesetzgebung, an welche sich die legislativen Vorarbeiten eng anlehnen, welche schließlich zur Konkursordnung des Deutschen Reiches geführt haben.

Bei der angedeuteten umgreifenden Verschiedenheit der Meinungen wäre der Gesetzgeber (falls er in der Reichskonkursordnung die Fragen über die untrennbare Verknüpfung der Vorrechte mit der ursprünglichen Inhaberschaft der Forderungen, oder die Übergangsfähigkeit derselben, sei es nun vor, sei es in dem Konkurse, sowie über die sonstigen speciellen Voraussetzungen des Vorrechtsüberganges hätte regeln wollen) auf das Allerdringendste veranlaßt gewesen, diese Materie durch ausdrückliche, klare Bestimmungen zu normieren.

Das gänzliche Fehlen von ausdrücklichen Bestimmungen in der Reichskonkursordnung spricht (bei ihrer gekennzeichneten geschichtlichen Voraussetzung) schon für sich allein dafür, daß der Gesetzgeber (wenngleich jene Fragen auf das Tiefste das Wesen der Vorrechtsordnung affizieren, da ihre Lösung unleugbar den Kreis der in jener Rangordnung in Betracht kommenden Forderungen mitbestimmt) gerade mit Rücksicht auf den Zwiespalt der angeblich rationellen Auffassungen und der mannigfachen Unterschiede der positiven Bestimmungen der bürgerlichen Landesrechte sich in bewußter Weise (zur Zeit) eine Selbstbeschränkung auferlegt, und vorläufig (d. h. bis zur künftigen umfassenden Regelung dieser Materie in dem künftigen Gesetzbuche über das einheitliche bürgerliche Recht des Deutschen Reiches) diese Materie in allen oben berührten Richtungen der Herrschaft des bürgerlichen Rechtes der einzelnen Mitgliedstaaten des Deutschen Reiches belassen hat, namentlich also der Herrschaft derjenigen Normen, welche in jenen Sonderrechten in Bezug auf Wesen und Übergang solcher Vorrechte bestehen, die einer Forderung mit Rücksicht auf ihre (den Vorrechtschutz verdienende) sachliche Bedeutung (wenngleich mit Rücksicht auf persönliche Eigenschaften ihres ursprünglichen Inhabers) gewährt sind.

Vorstehender Schluß aus der geschichtlichen Voraussetzung der deutschen Reichskonkursordnung und der Nichtexistenz ausdrücklicher Bestimmungen derselben über die bezeichnete Materie ist in sich stringent, wird aber admimkulierend noch unterstützt durch den Inhalt der Motive zum §. 12 des Entwurfes der Konkursordnung für das Deutsche Reich, insbesondere die beiden letzten Absätze dieser Motive.

Da nun der Übergang der im vorliegenden Rechtsstreite erheblichen fiskalischen Forderungen auf die Revisionsbeklagten sich in Preußen, und zwar in dem dortigen Geltungsgebiete der Fridericianischen Gesetzbücher, vollzogen hat, so sind die in diesem Gebiete den Erwerb von Vorrechten regelnden objektiven Rechtsnormen für den gegenwärtigen Rechtsstreit maßgebend. Diese Normen sind die Bestimmungen des Preußischen Allgemeinen Landrechts, keineswegs etwa (bezüglich des Vorrechtes der nach der Konkurseröffnung vom 7. Oktober 1879 am 11. Oktober 1879 von der Revisionsbeklagten befriedigten Forderungen des Fiskus) die Vorschrift des ersten Absatzes im §. 11 der preußischen Konkursordnung vom 8. Mai 1855. Der Ausführung, daß letztere Bestimmung auch nach dem Inkrafttreten der Reichskonkursordnung am 1. Oktober 1879 (gemäß §. 20 letzteren Reichsgesetzes) in Geltung geblieben sei,1 darf nicht beigepflichtet werden. Es ist anzunehmen, daß jener §. 20 der Reichskonkursordnung sich nur auf Reichsgesetze oder solche Landesgesetze bezieht, welche nicht bestimmt waren, das Konkurs-, Falliments-, Gant- oder Debit-Verfahren als solches umfassend zu regeln, welche vielmehr nur gelegentlich (bei der Normierung einzelner Civilrechtsverhältnisse) über den Einfluß der Eröffnung eines Konkursverfahrens auf diese einzelnen Verhältnisse Bestimmung treffen. Nach §. 4 des Einführungsgesetzes zur Reichskonkursordnung müssen die früheren landesgesetzlichen Konkursordnungen in Bezug auf alle in ihnen als konkursrechtlich gesetzten Bestimmungen mit dem Augenblicke des Inkrafttretens der Reichskonkursordnung als aufgehoben gelten. Der erste Absatz des §.11 der preußischen Konkursordnung beruht aber (ausweislich seiner Fassung und der Motive zu dem Entwürfe derselben) auf dem Grundgedanken, daß es notwendig sei, das in ihm geregelte Eintrittsrecht desjenigen, welcher die Forderung eines Gläubigers nach der Konkurseröffnung befriedigt, namentlich in Bezug auf den Übergang des Vorrechtes der befriedigten Forderung einem specifisch der Konkursordnung ungehörigen Grundsatze zu unterstellen, während das Eintrittsrecht bei vor der Konkurseröffnung erfolgter Befriedigung des Gläubigers, wie der zweite Absatz des §.11 ausdrücklich sagt, nach den allgemeinen gesetzlichen Vorschriften zu beurteilen sei. Dieser, noch in dem §. 18 des Entwurfes einer deutschen Gemeinschuldordnung festgehaltene Grundgedanke ist (ausweislich der Motive zu dem §.12 des Entwurfes der Konkursordnung des Deutschen Reiches, welche in den weiteren legislativen Stadien keinerlei Widerspruch gefunden haben) von den Gesetzgebungsfaktoren der Reichskonkursordnung ausdrücklich als ein verfehlter bezeichnet worden.

Nach dem Preußischen Allgemeinen Landrechte besteht zunächst (was von vornherein hervorzuheben ist, da es sich im konkreten Streitfalle um den Übergang von fiskalischen Forderungen handelt) kein specifischer Unterschied zwischen letzteren Forderungen und den Forderungen anderer Personen in Bezug auf den Übergang des Vorzugsrechtes.

Noch in dem §. 55 T. I Abschn. III T. 2 des gedruckten Entwurfes eines "Allgemeinen Gesetzbuches für die Preußischen Staaten" war der Grundsatz vorgeschlagen, daß der Cessionar einer fiskalischen Forderung sich des fiskalischen Vorzugsrechtes ohne besondere Übertragung desselben nicht erfreue. Dieses Princip hat der Gesetzgeber nicht sanktioniert; vielmehr bestimmt das A.L.R. II. 14. §.74:

"Wie weit eine Privatperson, der eine fiskalische Forderung cediert worden, in die Rechte des Fiskus trete, ist nach den allgemeinen Vorschriften von Cessionen zu beurteilen (I. 11. §§. 402 - 406)".

Während im §. 99 der Einleitung zum A.L.R. verordnet ist:

"Rechte, welche an eine bestimmte Person, oder an gewisse Eigenschaften derselben nicht gebunden sind, können von dem einen auf den anderen übertragen werden,"

schreiben die in A.L.R. II. 14. §. 74 allegierten Vorschriften der §§. 402 bis 404 I. 11 vor, daß auch besondere Vorrechte, welche der cedierten Forderung in Rücksicht ihrer Natur und Beschaffenheit beigelegt sind, selbst ohne ausdrückliche Übertragung auf den neuen Inhaber mit übergehen, und daß dahin auch solche Vorrechte, welche der Forderung selbst, in Rücksicht auf die persönliche Eigenschaft ihres ersten Inhabers, zukommen, gehören, nicht aber bloß persönliche Befugnisse, welche, wie die Vorrechte des Fiskus wegen des Gerichtsstandes und der Sportelfreiheit, bloß bei Gelegenheit der cedierten Forderung von dem vorigen Inhaber ausgeübt werden könnten.

Schon aus der Fassung dieser Gesetzesstellen und ganz schlagend aus ihrer Entstehungsgeschichte geht hervor, daß das preußische Allgemeine Landrecht die fiskalischen Prioritätsrechte wegen öffentlicher Abgaben für solche Rechte erachtet, welche nicht an eine bestimmte Person oder an gewisse Eigenschaften derselben gebunden sind, sondern als solche Vorrechte, welche der Forderung selbst, wenngleich in Rücksicht auf die persönliche Eigenschaft des ersten Inhabers, verliehen sind.

Der gedruckte Entwurf eines Allgemeinen Gesetzbuches für die Preußischen Staaten enthielt im Tl. II. Abt. II. T. VIII. Absch. III. von Abtretung der Rechte folgende Bestimmungen:

§. 363.

"Besondere Vorrechte, die einer Forderung nur in Rücksicht auf die Person des ersten Inhabers beigelegt sind, erlangt der Cessionarius nur alsdann, wenn ihm solche ausdrücklich übertragen sind"

(Personenrecht Abt. III. T. II. §. 55). §. 364.

"Persönliche Vorrechte, die bloß an die Person oder an den Stand des Cedenten gebunden sind, können dem Cessionario nicht mit übertragen werden."

Darauf bemerkte Suarez in der Revisio Monitorium:

"Der Unterschied der Fälle in den §§. 363 und 364, ob das Vorrecht der Forderung in Rücksicht auf die Person des ersten Inhabers zukomme, oder ob es an die Person des Cedenten gebunden sei, ist zu sein und unbestimmt. Ich würde mit mehreren Monenten bei der Distinktion stehen bleiben, ob das Vorrecht seinen Grund in der Qualität der Forderung selbst, oder in der Qualität der Person des Berechtigten habe. Ersteren Falls geht das Vorrecht mit der Forderung selbst, auch ohne besondere ausdrückliche Session, mit über, letzteren Falls kann es nicht cediert werden, z. B. die Priorität, welche Fiskus wegen öffentlicher Abgaben hat, kommt auch dem Cessionarius zu. Die Privilegien wegen des fori, wegen der Kostenfreiheit etc. können nicht mit cediert werden."

Aus dieser Bemerkung sind die §§. 403. 404. A.L.R. I. 11 hervorgegangen. Nach den Vorschriften der §§. 46 flg. A.L.R. I. 16 wird in Bezug auf das Eintrittsrecht desjenigen Nichtverpflichteten, welcher eine Forderung bezahlt, in die Rechte des Gläubigers unterschieden zwischen "den Rechten gegen den Schuldner und den Vorrechten im Verhältnis zu Dritten". Die ersteren sollen regelmäßig auch ohne ausdrückliche Cession der Forderung auf den Zahlenden übergehen, während der Zahlende sich der Vorrechte, welche der bezahlten Forderung nach ihrer Qualität beiwohnen, gegen Dritte (falls nicht besondere Gesetze ein anderes vorschreiben) nur nach ausdrücklicher Cession der Forderung (welche der Gläubiger auf Verlangen des Zahlenden zu thätigen verpflichtet ist) bedienen darf.

Daß auch in diesen Gesetzesstellen unter den gekennzeichneten Vorrechten die Vorzugsrechte, welche im Konkurse zur Durchführung gelangen, einbegriffen sind, geht wiederum schlagend aus einer Bemerkung von Suarez bei der Revisio monitorum zum §.18 Tl. II. Abt. II. Tit. XIII. Absch. II. "von der Zahlung" in dem gedruckten Entwurfe des Allgemeinen Gesetzbuches für die Preußischen Staaten hervor, in welcher er ausdrücklich (als Beispiel jener gekennzeichneten Vorrechte) das der Ehefrau wegen ihrer Illata zustehende Privilegium der vierten Klasse hervorhebt. Suarez spricht sich dahin aus:

"die Ordnung und Sicherheit des bürgerlichen Verkehrs scheine es zu erfordern, daß man hier bei der alten Theorie bleibe und ausdrücklich cessiones verlange. Es könnten sonst häufig Betrügereien und Unordnungen vorfallen, und könne ein tertius ohne sein Verschulden gefährdet werden."

Aus dieser Bemerkung sind denn die §§. 46 flg. A.L.R. I. 16 entstanden.

Die Revisionsbeklagten haben nun keine Session der von ihnen bezahlten fiskalischen Forderungen erwirkt. Dieselben würden also nach den Grundsätzen jenes sechzehnten Titels zur Geltendmachung des Vorrechts jener Forderungen nicht befugt sein. Die Revisionsbeklagten haben aber jene Forderungen als Bürgen bezahlt, und fragt es sich, ob auch der zahlende Bürge nach dem Preuß. Allgem. Landrechte zum Erwerbe des Vorrechts einer ausdrücklichen Session der bezahlten Forderung bedürfe.

Das ist schon bisher in der Doktrin des preußischen Rechts vorwiegend verneint worden und hat sich dieser Gesetzesauslegung auch das Königlich preußische Obertribunal angeschlossen.

Vergl. Koch, Lehre von dem Übergange der Forderungsrechte 1837 S. 152;
Bornemann, Systematische Darstellung des preußischen Civilrechts 2. Ausg. Bd. III. §. 226 S. 295;
Förster, Theorie und Praxis 3. Aufl. Bd. I. §. 99 S. 637, Bd. II. §. 144 S. 368. 869;
Dernburg, Lehrbuch des preußischen Privatrechts Bd. II. 2. Aufl. §. 82 S. 198, § 245 S. 695;
Dr. Schollmeyer, Der gesetzliche Eintritt: etc. 187. S. 62; Erkenntnis des preußischen Obertribunals III. vom 28. Januar 1861, Striethorst Archiv Bd. 40 Nr. 45 S. 184.

Die für diese herrschende Ansicht geltend gemachten Gründe entbehren in der entwickelten Art zum Teil der Stringenz, indessen im Endergebnisse muß jene Gesetzesinterpretation für richtig erachtet werden. Die §§. 338. 339 A.L.R. I. 14 lauten:

§. 338.

"Der Bürge tritt, soweit er den Gläubiger befriedigt hat, in alle Rechte desselben gegen den Hauptschuldner, ohne daß es dazu einer ausdrücklichen Cession bedarf."

§. 339.

"Doch muß der Gläubiger auf Verlangen des Bürgen auch zur Erteilung einer solchen ausdrücklichen Cession auf dasjenige, was er von dem Bürgen wirklich erhalten hat, angehalten werden."

Diese Bestimmungen sind aufgefaßt worden als besondere Gesetze im Sinne des §. 47 A.L.R. I. 16 und soll der Wille des Gesetzgebers, durch diese besonderen Gesetze (als Ausnahme von der Regel jenes §. 47) den Übergang der Vorrechte auf den zahlenden Bürgen, als auch ohne ausdrückliche Cession der Forderung (lediglich infolge der Zahlung) sich vollziehend, festzusetzen, daraus folgen, daß der §. 46. I. 16 von den Rechten des bezahlten Gläubigers, der §. 338 I. 14 von allen Rechten dieses Gläubigers spreche. Diese Art der Argumentation ist keine glückliche. Es entspricht nicht den Gesetzen der Sprache, Stellen eines Gesetzbuches in demselben "als besondere Gesetze" zu bezeichnen. Will man ferner die betreffenden Bestimmungen des erwähnten vierzehnten und sechzehnten Titels von dem Gesetzgeber in der Art gedanklich verknüpft setzen, wie sie in der gekennzeichneten Argumentation, als von ihm verknüpft, gedacht sind, so wäre es höchst bedenklich ein so entscheidendes Gewicht auf den Unterschied des Ausdrucks "die Rechte" von dem Ausdrucke "alle Rechte" zu legen, da an die Worte "alle Rechte" im § 338. I. 14 sich die Worte anschließen "gegen den Hauptschuldner", und in den §§. 46. 47. I. 16 die Rechte gegen den Schuldner gerade als Gegensatz der Vorrechte, welche im Verhältnis zu Dritten ihre Wirkung äußern, hingestellt sind, so daß man bei der (unter Voraussetzung einer so engen Verknüpfung jener Stellen beider Titel) entschieden gebotenen Gleichartigkeit der Terminologie unter "allen Rechten des Gläubigers gegen den Hauptschuldner", doch füglich nicht die Dritten gegenüber zu thätigenden Vorrechte mitverstehen konnte, es vielmehr nahe liegen würde, aus jenen zusätzlichen Worten "gegen den Hauptschuldner" (in Verknüpfung mit dem Anschlüsse des §. 339) zu folgern, daß der §. 338. I. 14 sich nicht auf Vorzugsrechte beziehe und der §. 339 die Bedeutung habe, den Weg zu zeigen, (gewünschtenfalls) das Vorzugsrecht zu erwerben. Eine Auslegung, welcher sich der preußische Gesetzrevisor nach seinen Bemerkungen im Pensum XIV S. 47, 80, 81 zuzuneigen, scheint.

Trotzdem erscheint die entgegengesetzte Interpretation richtig. Dieselbe begründet sich schlüssig in folgender Weise:

Die Bestimmungen der §§. 338. 339 A.L.R. I.14 sind weder Ausnahmen von der Regel der §§. 46. 47 A.L.R. I.16 durch besonderes Gesetz, noch eine (an sich überflüssige) Wiederholung derselben in einem einzelnen Specialfalle. Es enthalten vielmehr die bezeichneten Bestimmungen jedes jener Titel von denjenigen des anderen isolierte, koordinierte Vorschriften, welche in jedem Titel ein von demjenigen, welches in dem anderen Titel geordnet wird, grundverschiedenes Rechtsverhältnis regeln. In dem sechzehnten Titel sind diejenigen Fälle normiert, in denen der freiwillig zahlende Nichtschuldner erst durch die Zahlung zu dem Gläubiger in Bezug auf die betreffende Forderung sich in ein diese Zahlung betreffendes Rechtsverhältnis setzt. Im vierzehnten Titel dagegen sind diejenigen Fälle geregelt, in denen derjenige zahlt, welcher schon vor der Zahlung sich dem Gläubiger zu dieser Zahlung der Hauptschuld eines Anderen verpflichtet hatte, sei es derartig, daß der Gläubiger regelmäßig diese Zahlung erst nach fruchtloser Inanspruchnahme des Hauptschuldners zu fordern befugt sein solle, sei es derartig, daß der Gläubiger von dieser Schranke befreit war. Jedes dieser Arten von Rechtsverhältnissen in Bezug auf den Übergang der Vorrechte der bezahlten Forderung bei der Legislation verschieden zu regeln, konnte deswegen angezeigt erscheinen, weil es nahe liegt, in der im vierzehnten Titel geregelten Gattung von Fällen anzunehmen, daß die zur Zahlung führende Obligation des Bürgen schon mit Rücksicht auf die Vorzugsrechte und Sicherheiten derjenigen Forderung, welcher die zu berichtigende Hauptschuld eines Anderen entspricht, und mit Rücksicht auf den Erwerb dieser Eigenschaften oder Nebenrechte dieser Forderung eingegangen sei; daß in der Vertragswillensermittelung auf Zahlung für einen Anderen und Annahme einer solchen Zahlung schon konkludent klar gelegt sei sowohl der Wille des sich Verpflichtenden, im Falle der Zahlung in die ganze konkrete Individualität und Rechtsverzweigung des Gläubigerrechts, welche das Vorrecht der Forderung in sich faßt, einzutreten, als auch der Wille des Gläubigers, daß im Falle und mit der Zahlung die Summen der ihm in Bezug auf die gezahlte Forderung, als solche, zustehenden Rechte auf den Bürgen übergehen solle.

Eine derartige Auffassung führte zu der um die Zeit der Kodifikation des Preußischen Allgemeinen Landrechts herrschenden Lehre der gemeinrechtlichen Praktiker, daß auf den zahlenden Bürgen durch die Zahlung nicht bloß die (wie gekauft zu betrachtende) Forderung, sondern auch alle Nebenrechte und namentlich das Vorrecht der Forderung übergingen. Dieser Grundsatz hat noch kurz vor Kodifikation des Preußischen Allgemeinen Landrechts, bereits zur Regierungszeit Friedrichs des Großen, in dem Projekt des Codicas Fridericiani Marchici von 1748 Teil IV Titel 9 §. 30 folgenden Ausdruck gefunden:

"diejenigen, so einem Gläubiger seine Forderung bezahlen, auch die Bürgen so dergleichen für ihre Principalschuldner gethan, treten in der bezahlten Kreditoren Recht, jedoch dergestalt, daß die Bürgen keine cessionem jurium von Nöten haben."

Daß diese Stelle sich auch auf das Vorrecht der Forderung bezog, folgt daraus, daß jenes Projekt insbesondere die Rechtsverhältnisse für den Fall eines Gläubigerkonkurses regelte.

Da nun Suarez in seiner oben mitgeteilten Bemerkung der Revisio monitorum, welche zu den Bestimmungen des sechzehnten Titels geführt hat, und in welcher er sich für die ausdrückliche Cession der Forderung als Vorbedingung des Überganges des Vorrechtes ausspricht, ausdrücklich sagt:

"daß er die alte Theorie konservieren wolle",

so geht daraus hervor, daß er dabei den Übergang auf den zahlenden Bürgen (auf welchen auch die von ihm betonten legislativ politischen Momente sich nicht mit gleichem Gewicht geltend machen lassen, wie auf die Fälle der ganz spontanen Zahlung) nicht in das Auge gefaßt hat. Auf dem Standpunkte der völligen Selbständigkeit der gekennzeichneten Bestimmungen des vierzehnten und sechzehnten Titels verringert sich auch das Schwergewicht der an den Gesetzgeber zu stellenden Forderung einer ganz besonderen Vorsicht in der Wahl der einzelnen Ausdrücke, welche Forderung (unter der Voraussetzung der innigen Beziehung beider Titel) zu den oben entwickelten, von dem entgegengefetzten Standpunkte schwer überwindlichen, Bedenken führte; vielmehr erscheint es nun (bei dem hinzutretenden Gewicht der geschichtlichen Voraussetzung) gerechtfertigt, die Bestimmung des §. 338 A.L.R. I. 14, daß alle Rechte des Gläubigers gegen den Hauptschuldner auch ohne ausdrückliche Cession auf den zahlenden Bürgen übergehen, dahin auszulegen, daß die Worte "Rechte gegen den Hauptschuldner" hier nicht in dem engeren, das Vorzugsrecht der Forderung ausschließenden Sinne, sondern in der weiteren, das mit der Forderung verbundene Vorrecht (wenn auch zu dessen Entstehung die ursprüngliche Forderungsinhaberschaft einer in bestimmter Weise qualifizierten Person notwendig sein sollte) umfassenden Sinne von dem Gesetzgeber gebraucht sind.

Die Bestimmung des §. 339 desselben Titels ist nicht geeignet, ein durchgreifendes Bedenken gegen die Richtigkeit dieser Gesetzes-Interpretation zu erregen; da die ausdrückliche Cession der Forderung, wenn auch nicht essentiell für den Erwerb des Vorrechtes durch den Bürgen, so doch für denselben von sehr erheblichem Nutzen sein kann zur Klarlegung des Erwerbes der Forderung und des Vorrechtes.

Bis jetzt sind nur die Bestimmungen des Allgemeinen Landrechts selbst und dessen geschichtliche Voraussetzung bei der Auslegung verwertet. Es fragt sich indessen noch, ob etwa der Inhalt des fünfzigsten Titels der Allgemeinen Gerichts-Ordnung (welcher zwar bereits mit dem 1. Oktober 1855 die Gesetzeskraft verloren hat, aber trotzdem an sich als Interpretationsmittel des Allgemeinen Landrechts Erheblichkeit besitzen kann, weil das Allgemeine Landrecht und die Allgemeine Gerichts-Ordnung von dem preußischen Gesetzgeber als Momente eines einheitlichen objektiven Rechts gewollt waren) dazu führen kann, die verteidigte Auslegung der gekennzeichneten Bestimmungen des Allgemeinen Landrechts zu erschüttern?

Das ist nicht der Fall.

Im §. 122 II. 26 des Corpus juris Fridericianum 1. Buch von der Prozeß-Ordnung und dann im §. 161 A.G.O. I. 30 ist bestimmt, daß derjenige, welcher entweder einen Gläubiger unmittelbar bezahlt oder dem Gemeinschuldner Geld unter der ausdrücklichen Bedingung geliehen hat, daß ein anderer Kreditor damit bezahlt werden soll, und die Bezahlung dieses anderen Kreditors dann wirklich erfolgt ist, und der Bürge, welcher für den Hauptschuldner einem Gläubiger Zahlung geleistet hat, an die Stelle des durch ihn bezahlten Kreditors trete und in der Klassifikation daselbst angesetzt werden müsse, wenn er sich auch seine Rechte von dem bezahlten Gläubiger nicht ausdrücklich habe cedieren lassen. Wollte man diese Bestimmung auch auf die Fälle der Zahlung vor der Konkurseröffnung beziehen, so würde für die im Titel 16 Teil I des Allgem. Landrechts geregelten Fälle eine Antinomie vorliegen, keinesweges nur eine der im §. 47 jenes Titel 16 freigelassenen Ausnahmen von seiner Regel durch Vorschrift eines besonderen Gesetzes; denn der Konkurs (sei es nun ein allgemeiner oder partikularer, auf welchen letzteren sich nach feststehender Gesetzesauslegung der §. 161 A.G.O. I. 50 ebenfalls bezieht) ist ja, wenigstens nach der Auffassung des preußischen Rechts, das ausschließliche Feld der praktischen Durchführung der schon vor seiner Eröffnung als Recht bestehenden Vorzugsrechte.

Da aber ein Fehler der Gesetzgebung nicht anzunehmen ist, so erscheint es richtig, wofür auch die Stellung der Bestimmung (bei der Koexistenz der landrechtlichen Vorschriften) sowie die Fassung des Gesetzes (der Ausdruck "Gemeinschuldner" und der damit verknüpfte eigenartige Fall, die Worte "an die Stelle" und "in der Klassifikation") sprechen: die Bestimmung der Allgemeinen Gerichtsordnung dahin auszulegen, daß dieselbe lediglich die Fälle der Zahlung nach Eröffnung des Konkurses hat regeln sollen, für welche Fälle sie in Bezug auf die (ohne ihre Specialvorschrift) den regelmäßigen Normen der §§. 46. 47. A.L.R. I. 16 anheimgefallenen Fälle als besonderes Gesetz eine der nach dem §. 47 I. 16 freigelassenen Ausnahmen durch ein solches Gesetz enthält, während sie für die Fälle der Bürgenzahlung sich als eine vorsichtige Wiederholung des landrechtlichen Grundsatzes des §. 338 I. 14 charakterisiert.

Schon zur Zeit der Bedrängnis des preußischen Staates im Anfange dieses Jahrhunderts entstanden bei den Gerichten Zweifel über die Vorbedingungen des Überganges des Vorzugsrechtes der öffentlichen Abgabenforderungen des Fiskus, als die Staatskassen wegen solcher Abgaben von Anderen (statt der während des Krieges in Zahlungsverlegenheit geratenen Schuldner) befriedigt waren, und, als hinterher über das Vermögen dieser Schuldner Konkurs ausbrach, den ohne ausdrückliche Cession des Fiskus die Abgabenforderung mit dem fiskalischen Vorrecht liquidierenden Personen, welche den Fiskus befriedigt hatten, das fiskalische Vorrecht streitig gemacht wurde. Damals machte sich der Gesichtspunkt, welcher auch bei Erörterung über das Vorrecht der öffentlichen Abgabenforderung in den Motiven des Entwurfes zur Reichskonkursordnung betont ist, auf das Natürlichste geltend. Es sprang mit größter Schärfe die Gefahr für den Staat und den Verkehr in das Auge, welche durch die Erschwerung des Vorrechtüberganges und die dadurch entstehende Paralysierung des bereiten Willens Dritter, für die Abgabenrestanten einzutreten, entstand.

Infolge eines Referats des Geheimen Oberfinanzrats von Massow berichtete der Kanzler von Schrötter an den König Friedrich Wilhelm III. und wurde auf Grund einer Kabinetsordre vom 5. März 1808 das Publicandum der ostpreußischen Regierung vom 16. März 1808 "betreffend das jus subintrandi in Konkursen wegen solcher Forderungen, welche mit Vorrechten versehen ist" dahin erlassen:

"Die Rechtsfrage: Ob die den Staatsbehörden wegen der öffentlichen und gemeinen Lasten und Abgaben im Vermögen des Schuldners gesetzlich zustehenden Vorrechte ohne ausdrückliche Cession auf den übergehen, der statt des unvermögenden Schuldners jene Befriedigung erteilt hat?

ist zwar schon durch die Prozeßordnung Titel 50 §. 161 bejahend entschieden. Da aber solche in Rücksicht der Vorschrift des A.L.R.'s I. 16. §. 47 für zweifelhaft erachtet ist, so ist durch die Immediatverfügung vom 5. d. M. dieselbe dahin deklariert worden:

daß dem allegierten §. der Prozeßordnung die vorangeführte des Landrechts nicht entgegenstehe, und also in Konkursen über das Vermögen des Schuldners jus subintrandi auch in Absicht solcher Forderungen stattfinde, denen nach ihrer Qualität gewisse Vorrechte beiwohnen."

(Vergl. Rabe, Sammlung preußischer Gesetze und Verordnungen Bd. 9 S. 170. 171, Bd. 13 S. 765.)

Aus dieser Kabinetsordre vom 5. und Publikandum vom 16. März 1808 ist der Anhang §. 331 (zum §. 16l. I 50) der Allgemeinen Gerichtsordnung hervorgegangen, welcher lautet: "Auch in Absicht solcher Forderungen, denen nach ihrer Qualität gewisse Vorrechte beiwohnen, findet das jus subintrandi statt.

Die Vorschrift des A.L.R.'s I. 16. h. 47 leidet demnach hier keine Anwendung."

Nicht sowohl durch die Fassung als durch die Entstehungsgeschichte dieses Anhangsparagraphen mußte der (oben hervorgehobene) richtige Gesichtspunkt für das Verhältnis der Bestimmungen des Preußischen Allgemeinen Landrechts und der Allgemeinen Gerichtsordnung verrückt werden, sodaß in den Motiven zum Entwürfe der preußischen Konkursordnung (und zwar zum §. 11) gesagt ist:

"Sofern diese Ausnahme (nämlich die von der landrechtlichen Regel der A.G.O. I. 50. §. 161 Anh. §. 331 bestimmte Ausnahme), wie es den Anschein hat, auch diejenigen Fälle umfassen soll, wo die Befriedigung des Gläubigers schon vor der Eröffnung des Konkurses stattgefunden hat, ist dieselbe ungerechtfertigt,"

worauf denn in dem §. 11 der preußischen Konkursordnung die oben referierte Distinktion zwischen der der specifisch konkursrechtlichen Regel und der den allgemeinen Principien des bürgerlichen Obligationenrechts unterliegenden Fällen festgesetzt wurde.

Bei dem mitgeteilten Inhalt der Vorschriften des fünfzigsten Titels des ersten Teiles der Allgemeinen Gerichtsordnung leuchtet ein, daß dieselben in keiner Weise geeignet sind, eine Grundlage herzustellen, von welcher aus die oben aus dem Inhalt der erheblichen Bestimmungen des Allgemeinen Landrechts, aus dessen Materialien und aus dessen geschichtlicher Voraussetzung klargelegte Auslegung der §§. 46. 47 A.L.R. I. 16 und §§. 338. 339 A.L.R. I. 14 erschüttert werden könnte.

Die bisher entwickelten Gründe in Verknüpfung mit dem Thatbestande rechtfertigen schon für sich allein das Vorrecht des §. 54 Ziff. 2 der Reichskonkursordnung für diejenige Forderung von 1418 M. 70 Pf. an Branntweinsteuer, welche die Revisionsbeklagten durch die Zahlung vom 11. Oktober 1879 erworben haben, da dieses Vorrecht dem Fiskus selbst zur Zeit der Zahlung zustand.

Bezüglich derjenigen weiteren Forderung von 519 M. 50 Pf., welche die Revisionsbeklagten durch die Zahlung vom 26. September 1879 erworben haben, wird jenes Vorrecht durch dieselben Gründe in Verknüpfung mit folgender weiteren Erwägung gerechtfertigt:

Am 26. September 1879 besaß der Fiskus für diesen Steuerbetrag das Vorrecht des §. 73 der preußischen Konkursordnung. Die Revisionsbeklagten erwarben also durch die an jenem Tage von ihnen als Bürgen geleistete Zahlung die Forderung mit dem Vorrechte dieses §. 73. Dieses ihnen erworbene Vorrecht war aber für den Forderungsinhaber viel günstiger, für die mit ihm konkurrierenden Gläubiger viel nachteiliger als das Vorrecht des §. 54 Ziff. 2 der Reichskonkursordnung. Nach der letzteren gehen die im §. 54 Ziff. 1 gekennzeichneten Forderungen den unter Ziff. 2 lozierten öffentlichen Abgaben vor, während die Rückstände von direkten und indirekten Staatssteuern und anderen denselben gleichstehenden Abgaben nach der preußischen Konkursordnung das stärkste Vorrecht besaßen, ihnen namentlich auch die nach der Reichskonkursordnung koordinierten Forderungen der Amts-, Kreis- und Provinzialverbände wegen öffentlichen Abgaben nachstanden.

Nach der preußischen Konkursordnung war dieses Vorrecht den Rückständen der genannten Steuern und denselben gleichstehenden Abgaben aus den beiden letzten Jahren von dem Tage der Konkurseröffnung oder dem früheren Tode des Gemeinschuldners gegeben, während nach der Reichskonkursordnung das Vorrecht nur für die in dem letzten Jahre vor der Konkurseröffnung fälligen oder nach §. 58 als fällig geltenden öffentlichen Abgaben gewährt ist.

Erwägt man dieses Verhältnis des Vorrechtes der fiskalischen Forderungen in der Landesgesetzgebung zu demjenigen des Reichsgesetzes und die entschiedene Art, wie in der ersteren dieses Vorrecht als ein der Forderung nach ihrer Qualität gewährter Schutz aufgefaßt und auch in der letzteren dieser Schutz im Interesse des Verkehrs gewährt ist, so muß angenommen werden, daß ebenso gut, wie der Fiskus selbst, wenn er zur Zeit des Inkrafttretens der Reichskonkursordnung die in Rede stehende durch den stärkeren Vorrechtsschutz der bis zu jenem Moment geltenden preußischen Konkursordnung gesicherte Forderung besessen hätte, von nun an des, wenngleich geringeren, Vorrechtsschutzes der Reichskonkursordnung teilhaftig geworden wäre, ein Gleiches auch bezüglich der Revisionsbeklagten eingetreten ist, welche diese Steuerforderung mit dem stärkeren Vorrechtsschutz der preußischen Konkursordnung in dem Augenblicke des Wechsels der Gesetzgebung ebenfalls besaßen. Es darf nicht dieser Wechsel der Gesetzgebung wie eine geistlose Naturgewalt (unter den Voraussetzungen des konkreten Falles wider den Geist beider im Augenblicke des Wechsels sich ablösenden Gesetze) die Revisionsbeklagten jedes Vorrechtsschutzes in Bezug auf die öffentliche Abgabenforderung entblößen und den konkurrierenden Gläubigern einen jeder vernünftigen Berechtigung entbehrenden Vorteil zuwenden."

  • 1. Amtl. Anm.: vgl. Dr. F. Schollmeyer, Der gesetzliche Eintritt in die Rechte des Gläubigers Abschnitt II. §. 2 S. 62 Anm. 2