RG, 06.11.1880 - I 556/79

Daten
Fall: 
Rechte und Pflichten von Schiffern
Fundstellen: 
RGZ 3, 138
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
06.11.1880
Aktenzeichen: 
I 556/79
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • Handelsgericht Hamburg
  • Obergericht daselbst
Stichwörter: 
  • Rechte und Pflichten von Schiffern bei der Kollision zweier Schiffe und gegenseitiger Hilfeleistung

1. Was versteht der Art. 16 Abs. 2 der Kaiserlichen Verordnung vom 23. Dezember 1871 unter der für Dampfschiffe bei Nebelwetter vorgeschriebenen "gemäßigten" Geschwindigkeit?
2. Wird durch die in der Kaiserlichen Verordnung vom 15. August 1876 über das Verhalten der Schiffer nach einem Zusammenstoße auf See den Führern derselben auferlegte Verpflichtung zur gegenseitigen Hilfsleistung ein Anspruch auf Berg- oder Hilfslohn nach Artt. 742 flg. H.G.B, ausgeschlossen?

Tatbestand

Kläger verlangt von der Beklagten Ersatz des dem klägerischen Lotsschoner "Weser" durch eine Kollision mit dem beklagtischen Dampfer "Teal" zugefügten Schadens. Die Beklagte fordert widerklagend Vergütung für die dem klägerischen Schiffe von dem "Teal" nach der Kollision geleistete Assistenz, insbesondere für das Bugsieren des leck gewordenen Schiffes nach der Wesermündung.
Gründe

Aus den Gründen

1.

In conventione handelt es sich lediglich um die Frage, ob der "Teal" den Zusammenstoß durch Zuwiderhandeln gegen die Vorschrift des Art. 16 Abs. 2 der zu der hier fraglichen Zeit noch in Kraft befindlichen Kaiserlichen Verordnung vom 23. Dezember 1871, nach welcher bei Nebelwetter jedes Dampfschiff mit gemäßigter Geschwindigkeit fahren muß, verschuldet hat ...

Zunächst ist in dieser Beziehung erhebliches Gewicht darauf zu legen, daß das Handelsgericht, obwohl es unter Hinzuziehung zweier nautischer Sachverständiger erkannt hat, sich von der Grundlosigkeit der klägerischen Behauptung, daß der "Teal" zu der hier fraglichen Zeit eine im Sinne der gedachten Verordnung gemäßigte Fahrt nicht gehabt habe, durch das bereits vorliegende Beweismaterial nicht hat zu überzeugen vermögen, sondern "nach eingehender Erwägung aller in Betracht kommenden Momente" dieserhalb noch eine Beweisauflage für erforderlich erachtet hat. Um mit dem Obergerichte, bei dessen kaufmännischen Mitgliedern doch das Vorhandensein der entsprechenden nautischen Kenntnisse nicht ohne weiteres vorausgesetzt werden kann, schon jetzt die Schuldlosigkeit der Besatzung des "Teal" auch in der hier fraglichen Richtung als unwiderleglich erwiesen annehmen zu können, müßten daher ganz überwiegende Gründe vorliegen. Dies ist aber nicht der Fall.

Ist nämlich auch dem Obergerichte zunächst darin beizutreten, daß trotz der hier fraglichen Vorschrift ein Dampfschiff auch bei Nebel seine Maschine so stark gebrauchen darf, daß es seine Steuerfähigkeit nicht verliert und sich jederzeit vollständig in der Herrschaft seines Führers befindet, so hat hierzu im vorliegenden Falle nach den eigenen Angaben der Beklagten und ihrer Zeugen schon ein Fortgang des Schiffes von nur 3 oder 3 bis 4 Seemeilen per Stunde genügt, und es ist jedenfalls nicht unbedenklich, daß das Obergericht ohne weiteres anzunehmen scheint, der "Teal" würde der fraglichen Vorschrift auch schon dann genügt haben, wenn er mit der größeren Geschwindigkeit von 6 bis 7 Seemeilen per Stunde gefahren wäre. Denn, da er den Umständen nach ohne Gefährdung seiner eigenen Sicherheit mit der Hälfte dieser Geschwindigkeit hätte fahren können, würde an sich anzunehmen sein, daß er dies auf Grund jener Vorschrift auch habe thun müssen, da zu der betreffenden Zeit unstreitig ein ganz besonders dichter Nebel herrschte und daher im Sinne der Verordnung, deren Zweck ja die Verhütung des Zusammenstoßes von Schiffen ist, sowie mit Rücksicht auf die in Art. 19 und 20 der Verordnung enthaltenen allgemeinen Vorschriften auch eine ganz besondere Ermäßigung der Fahrt geboten war. Der Ausdruck "mit gemäßigter Geschwindigkeit" ist eben ein relativer. Es genügt offenbar nicht zur Befolgung der Vorschrift, daß ein Dampfschiff nur überhaupt eine Ermäßigung der Geschwindigkeit, mit welcher zu fahren es imstande sein würde, eintreten läßt. Der Ausdruck der Verordnung ist herübergenommen aus einer älteren internationalen Verordnung von 1863 und demselben liegt ohne Zweifel der englische Text zum Grunde, in welchem es heißt " with moderate (nicht etwa moderated) spead". Seine Bedeutung ist daher, daß nur mit einer mäßigen Geschwindigkeit gefahren werden darf, und zwar mit einer den jedesmaligen Umständen, insbesondere also der Dichtigkeit des Nebels, entsprechenden, während diejenige Geschwindigkeit, mit welcher gerade das betreffende Dampfschiff bei Anwendung der vollen Kraft der Maschinen zu fahren imstande sein würde, an sich nicht in Betracht kommen kann, und es daher nicht zu genügen scheint, wenn ein mit besonders kräftigen Maschinen versehenes Dampfschiff bei ganz dichtem Nebel seine Maschinenkraft nur auf die Hälfte reduziert, wobei die ihm begegnenden Schiffe ebenso sehr oder noch mehr gefährdet sein können, als wenn ein anderes schwächeres Dampfschiff bei Nebelwetter seine volle Kraft gebrauchen würde. Ist aber nach den Umständen des konkreten Falles das Dampfschiff nicht mit genügend ermäßigter Geschwindigkeit gefahren, so ist seiner Besatzung dieserhalb ein Verschulden zur Last zu legen....

2.

In reconventione ist dagegen die Beschwerde des Klägers unbegründet.

Von der Entscheidung der durch das Obergericht angeregten Frage, ob die Beklagte ihren Anspruch auf Hilfslohn nach den im V. Abschnitte der Strandungsordnung vom 17. Mai 1874 enthaltenen Bestimmungen zunächst bei dem Strandamte anzumelden gehabt hätte, kann hierbei abgesehen werden, da der Kläger die Unzulässigkeit der Widerklage aus diesem Grunde weder in den früheren Instanzen noch jetzt geltend gemacht hat. Es handelt sich mithin nur darum, ob die im §. 1 der Kaiserlichen Verordnung vom 15. August 1876 über das Verhalten der Schiffer nach einem Zusammenstoße auf See dem Führer eines jeden derselben auferlegte Verpflichtung, dem anderen Schiffe und den dazu gehörigen Personen zur Abwendung oder Verringerung der nachteiligen Folgen des Zusammenstoßes den erforderlichen Beistand zu leisten, soweit er dazu ohne erhebliche Gefahr für das eigene Schiff und die darauf befindlichen Personen imstande ist, den Anspruch auf eine Vergütung für diesen Beistand ausschließt. Diese Frage ist aber zu verneinen. Denn die gedachte Verordnung ist, wie auch im Eingange ausdrücklich erwähnt wird, gleich der Not- und Lotsensignalordnung vom 14. August 1876 ergangen auf Grund des §. 145 des Strafgesetzbuches, welcher durch das Gesetz vom 26. Februar 1876 dahin erweitert war, daß außer der Übertretung der vom Kaiser zur Verhütung des Zusammenstoßes der Schiffe auf See erlassenen Verordnungen auch die Übertretung der Kaiserlichen Verordnungen über das Verhalten der Schiffer nach einem Zusammenstoße, sowie in betreff der Not- und Lotsensignale unter Strafe gestellt werden solle. Der §. 1 der Verordnung charakterisiert sich daher als eine Bestimmung des öffentlichen Rechts, ohne die Frage, ob und welche civilrechtlichen Folgen die Erfüllung der statuierten Verpflichtung habe, irgendwie zu berühren. Diese Frage zu entscheiden konnte jene Verordnung auch unmöglich beabsichtigen. Denn sie war bereits durch ein Reichsgesetz, nämlich durch die Bestimmungen im 9. Tit. des V. Buches des Handelsgesetzbuches Artt. 742 flg. geordnet, welche - wie Kläger mit Unrecht vermeint - die Fälle, wo von zwei zusammengestoßenen Schiffen das eine dem anderen hinterher Hilfe leistet, keineswegs ausschließen. Die Behauptung des Klägers, daß durch die Verordnung vom 15. August 1876 eine Lücke des Handelsgesetzbuches ausgefüllt und zugleich der hier vorgesehene Fall dem Gebiete des Privatrechts entzogen sei, ist hiernach unbegründet. Nach dem Handelsgesetzbuche gewährt aber schon die bloße Thatsache der Bergung oder Hilfsleistung einen Anspruch auf eine entsprechende Vergütung, ohne daß hierfür auch das Erfordernis der Freiwilligkeit aufgestellt wäre. Aus dem durch die gedachte Verordnung aufgestellten Gebote der Hilfsleistung kann die Unentgeltlichkeit der letzteren umsoweniger hergeleitet werden, als eine Abänderung der betreffenden Bestimmungen des Handelsgesetzbuches, als eines Reichsgesetzes, nach Art. 5 der Reichsverfassung nur im Wege der Reichs gesetzgebung zulässig gewesen sein würde. Nur soviel versteht sich allerdings von selbst, daß ein Schiff, welches nach einem Zusammenstoße dem anderen Schiffe Beistand leistet, dann einen Hilfs- oder Bergelohn nicht fordern kann, wenn es dessen Beschädigung und Hülfsbedürftigkeit durch eigene Verschuldung beim Zusammenstoße herbeigeführt hat. Ob nach englischem Rechte, auf welches Kläger hinweist, in einem Falle der vorliegenden Art Vergütung gefordert werden könnte, kann hier umsomehr dahin gestellt bleiben, als das englische Recht über die s. g. Salvage ganz besondere Grundsätze enthält.

Vgl. Entsch. des R.O.H.G.'s Bd. 22 S. 91 flg.