RG, 06.10.1930 - IV 583/29

Daten
Fall: 
Menzel
Fundstellen: 
RGZ 130, 69
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
06.10.1930
Aktenzeichen: 
IV 583/29
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG München I
  • OLG München
Stichwörter: 
  • Geistesschwäche, Ersitzung

1. Über Geschäftsunfähigkeit infolge von Geistesschwäche.
2. Kann gegenüber der Ersitzung ungerechtfertigte Bereicherung geltend gemacht werden?

Sachverhalt

Die Klägerin ist durch Beschluß des Amtsgerichts B. vom 4. Juni 1914 wegen Geisteskrankheit entmündigt worden. Durch Beschluß desselben Gerichts vom 22. Februar 1919 wurde diese Entmündigung in eine solche wegen Geistesschwäche umgewandelt.

Im Frühjahr 1908 hatte die Klägerin der Pinakothek in M. 66 Originalwerke Adolf von Menzels zum Geschenk gemacht, die sie von ihrer 1907 verstorbenen Mutter, einer Schwester des Malers, geerbt hatte. Ihr Vormund behauptet, daß sie damals geschäftsunfähig im Sinne des § 104 Nr. 2 BGB gewesen sei, und verlangt mit der Klage Herausgabe der Bilder. Das Landgericht verurteilte den Beklagten antragsgemäß; das Oberlandesgericht wies die Klage ab. Die Revision der Klägerin führte zur Aufhebung und Zurückverweisung.

Gründe

I.

Nach § 104 Nr. 2 BGB. ist geschäftsunfähig, wer sich in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden - nicht bloß vorübergehenden - Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befindet. Der Berufungsrichter erörtert an Hand der Gutachten, die in den beiden Entmündigungsverfahren und im vorliegenden Rechtsstreit erstattet worden sind, die Frage, ob die Klägerin zur Zeit der Schenkung geisteskrank oder geistesschwach war. Er hält Geisteskrankheit nicht für erwiesen und glaubt mit Sicherheit nur die Feststellung treffen zu können, daß die Klägerin zu jener Zeit an Geistesschwäche gelitten habe. Die Gründe besagen dann weiter: „Da sie (Klägerin) damals noch nicht entmündigt war - nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 BGB. kann auch ein Geistesschwacher, der seine Angelegenheiten nicht zu besorgen vermag, wegen Geistesschwäche entmündigt werden -, so ist die Klägerin geschäftsfähig geblieben; dem nur, wer wegen Geistesschwäche entmündigt ist, steht in Ansehung der Geschäftsfähigkeit einem Minderjährigen gleich, der das siebente Lebensjahr vollendet hat, § 114 BGB. Die in dem Schenkungsakt zum Ausdruck gekommenen Willenserklärungen der Klägerin waren daher auch nicht richtig, wie dies bei einem Geisteskranken im Sinne des § 104 Nr. 2 BGB. gemäß § 105 BGB. der Fall wäre.“ Es besteht hiernach kein Zweifel, daß der Berufungsrichter die Geschäftsunfähigkeit der Klägerin deshalb verneint, weil sie bei Vornahme des Rechtsgeschäfts bloß geistesschwach gewesen und, da nicht entmündigt, völlig geschäftsfähig geblieben sei. Damit ist die Bedeutung und Tragweite des § 104 Nr. 2 BGB. verkannt. Der dort vorausgesetzte Begriff der krankhaften Störung der Geistestätigkeit ist ein weiterer als der der Geisteskrankheit im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 1; die Tatbestände beider Gesetzesvorschriften decken sich insoweit nicht. Zwischen Geisteskrankheit und Geistesschwäche besteht überhaupt nur ein Unterschied dem Grade nach und die krankhafte Störung der Geistestätigkeit im Sinne des § 104 kann in der einen wie in der anderen ihren Grund haben (ZW. 1908 S. 323 Nr. 3, 1909 S. 411 Nr. 2, 1911 S. 179 Nr. 1; vgl. auch Planck Bem. II 2 zu § 104 BGB.; Staudinger Bem. 4 d das.). Ohne Belang ist es dabei auch, ob der Betreffende wegen Geisteskrankheit entmündigt war oder nicht. Er kann in beiden Fällen in bezug auf das in Rede stehende Rechtsgeschäft geschäftsunfähig sein. Es kommt vielmehr entscheidend darauf an, ob für den Geistesschwachen infolge seines krankhaften Zustands die freie Willensbestimmung ausgeschlossen war. Diese Möglichkeit läßt sich im Streitfall keineswegs von der Hand weisen. Es hätte daher in dieser Richtung besonderer Feststellung bedurft. Der Berufungsrichter ist an einer solchen vorbeigegangen und hat Geschäftsfähigkeit der Klägerin lediglich deshalb angenommen, weil sie nicht geisteskrank und, wenn auch geistesschwach, so doch nicht entmündigt sei. Auf dieser rechtsirrigen Erwägung beruht seine zu § 104 getroffene Entscheidung. Sie läßt sich auch nicht dadurch stützen, daß der Berufungsrichter an einer früheren Stelle der Gründe einmal den Ausschluß der Geschäftsfähigkeit infolge der geistigen Erkrankung verneint. Denn in welchem Sinne das gemeint ist, ergeben die im Anschluß daran folgenden, oben wiedergegebenen Ausführungen des Urteils. Es bleibt also nach dem Vorstehenden zu prüfen, ob bei der geistesschwachen Klägerin die freie Willensbestimmung zur Zeit der Schenkung fehlte, ob also „gegenüber ihren verschiedenen Vorstellungen und Empfindungen eine vernünftige Überlegung und Selbstentschließung darüber stattfand, was im einzelnen Falle als das Richtige zu tun war, oder ob nicht infolge der Geistesschwäche die damaligen Vorstellungen und Empfindungen derart übermäßig ihren Willen beherrschten, daß die Bestimmbarkeit des Willens durch vernünftige Erwägungen ausgeschlossen war“ (RGZ. Bd. 103 S. 400). Die Frage des Ausschlusses der freien Willensbestimmung haben die im Rechtsstreit vernommenen Sachverständigen sämtlich bejaht. Hierzu wird der Berufungsrichter Stellung zu nehmen haben. ...

II.

Sollte sich ergeben, daß die Klägerin bei Vornahme der Schenkung geschäftsunfähig war, so würde die schenkungsweise Übereignung der Bilder nichtig sein (§ 105 Abs. 1 BGB) und der Beklagte damals kein Eigentum erworben haben. Der Beklagte hat sich aber auf den inzwischen (1918) vollendeten Erwerb des Eigentums durch Ersitzung berufen und behauptet, deren Erfordernisse lägen vor. Demgegenüber wird die Klage gegebenenfalls darauf gestützt, daß gleichwohl eine Herausgabepflicht aus dem Gesichtspunkt der ungerechtfertigten Bereicherung bestehe, da der Beklagte die Bilder auf Grund der nichtigen Schenkung, also ohne Rechtsgrund, erlangt habe. Es fragt sich, ob diese Bereicherungshaftung gegenüber der vollendeten Ersitzung noch geltend gemacht werden kann. Das war nach gemeinem Recht, wo zur Ersitzung ein justus titulus nötig war, die Ersitzung also ihren rechtlichen Grund, die causa, in sich trug, zu verneinen. Auch für das Recht des Bürgerlichen Gesetzbuchs, das keinen Titel erfordert, wurde der Ausschluß der Bereicherungshaftung zunächst allgemein angenommen, obwohl die zugrunde liegende Vorschrift des § 748 Abs. 2 des ersten Entwurfs später gestrichen worden war (Mot. Bd. 3 S. 353; Prot. II S. 686 und die von Oertmann im Recht 1910 Sp. 585 flg. angeführten Lehrbücher und Kommentare). Neuerdings wird dagegen die Meinung vertreten, daß sich die Frage nicht schlechthin bejahen lasse und daß es darauf ankomme, ob im Einzelfall der zur Ersitzung führende Eigenbesitz mit oder ohne Rechtsgrund erworben sei. Wenn das letztere zutreffe, müsse eine condictio possessionis zulässig sein, die sich nach § 818 Abs. 1 BGB auch auf Herausgabe des auf Grund des Besitzes (der Ersitzung) erlangten Eigentums erstrecke (Wolff Sachenrecht § 71 Nr. IV; Oertmann a.a.O. und Komm. Vorbem. 2cß zu § 812 BGB S. 1330; Ennecerus Lehrb. Bd. 2 § 442 Anm. 19; Staudinger Bem. 4a zu § 937 BGB; Biermann Bem. 2 das.; RGR Komm. Bem. 6c zu § 812 S. 503; vergl. auch Planck Bem. 3 zu § 937 BGB). Der Ersitzende soll also dem bisherigen Eigentümer als solchem nicht aus Bereicherung haften; entbehrt aber der Erwerb des Eigenbesitzes, auf dem die Ersitzung beruht, ohne den den sofortigen Eigentumserwerb hindernden Mangel (z.B., wenn eine gestohlene Sache an einen Gutgläubigen veräußert und von ihm ersessen wird, ohne den Mangel des § 935 BGB) des rechtlichen Grundes, so soll der Bereicherungsanspruch gegeben sein. Demgegenüber halten andere, so Gierke Deutsches Privatrecht Bd. 3 S. 999 Anm. 19 und Hahmann in Therings Jahrb. Bd. 77 S. 268 flg., den Bereicherungsanspruch grundsätzlich für ausgeschlossen, weil nach Sinn und Zweck des Gesetzes der Eigentumserwerb durch Ersitzung ein endgültiger sei und die Rechtsordnung durch Ablauf der Ersitzungszeit im Interesse der Rechtssicherheit eine Beruhigung aller Verhältnisse schaffen wolle. die erste Meinung verdient den Vorzug. Das Gesetz selbst schweigt. Aus § 951 BGB läßt sich kein Umkehrschluß ziehen. Entscheidend ist, daß die Gegenansicht zu unannehmbaren Ergebnissen führen würde, wie der in Oertmanns Kommentar a.a.O. angeführte Fall beweist, wonach, wenn ein Geschäftsfähiger einem anderen eine fremde Sache schenkt, der Erwerber zwar sofort Eigentum erlangt, aber nach § 816 Abs. 1 Satz 2 BGB nach 30 Jahre lang auf Herausgabe haftet, während er im sonst gleichen Falle bei Beschenkung durch einen Geisteskranken nach 10 Jahren haftfrei wäre. Derartiges kann das Gesetz nicht wollen. Es liegt kein ausreichender Anhalt dafür vor, daß der Gesetzgeber den Ersitzungserwerb in der angegebenen Weise vor dem Traditionserwerb bevorzugen sollte. Im Streitfall kann also die Klägerin, wenn sie als Geschäftsunfähige auf Grund nichtiger Schenkung den Besitz übertragen hat, die Herausgabe der Bilder (nicht nur Wertersatz) verlangen.

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