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RG, 20.10.1880 - I 398/80

Daten
Fall: 
Societätsverträge
Fundstellen: 
RGZ 2, 118
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
20.10.1880
Aktenzeichen: 
I 398/80
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • SG Berlin
  • KG Berlin
Stichwörter: 
  • Beschränkung des Gewerbebetriebes durch sog. "Societätsverträge"

Sind Verträge, wodurch der eine Kontrahent dem anderen Kontrahenten gegenüber sich verpflichtet, einzelne bestimmte Waren weder zu fabrizieren, noch zu vertreiben, noch das Fabrikationsgeheimnis anderen mitzuteilen, wenn diese Beschränkung weder örtlich noch zeitlich begrenzt ist, als gegen §§. 1.10 der Reichsgewerbeordnung oder gegen die guten Sitten verstoßend ungültig?

Aus den Gründen

"Die Parteien haben am 10. Dezember 1873 einen Societätsvertrag geschlossen, wodurch sie sich zu einer offenen Handelsgesellschaft zunächst auf die Dauer von 10 Jahren vereinigten, um ein bis dahin von dem Beklagten W. für seine alleinige Rechnung geführtes Geschäft zur Fabrikation von Feigenkaffee und Kräuterthee für gemeinschaftliche Rechnung zu betreiben. Im §. 8 des Vertrages verpflichteten sich mit Rücksicht darauf, daß die Fabrikation der verschiedenen Artikel noch Geheimnis der beiden Gesellschafter sei und bleiben solle, beide Gesellschafter unter Stipulation einer Konventionalstrafe von 5000 Thalern, das Geheimnis auch ferner zu bewahren, namentlich dasselbe nicht an andere, dem Geschäfte nicht angehörende Personen mitzuteilen, auch nicht durch dritte Personen die Artikel des Geschäftes fabrizieren zu lassen. Durch Vertrag der beiden Gesellschafter vom 21. Oktober 1876 wurde die Societät wieder aufgehoben und bestimmt, daß das Geschäft mit Aktivis und Passivis und mit der Firma wieder auf den Beklagten W. allein übergehen solle; dem Kläger G. wurde eine Entschädigung für seinen früheren Austritt im Betrage von 45000 M. zugesichert. Im §. 7 des Vertrages verpflichtete sich dagegen der Kläger G. bei einer Konventionalstrafe von 100 000 Mark, weder Kaffeesurrogate, noch Kräuterthee, noch Bonbons zu fabrizieren, noch mit genannten Waren Handel zu treiben oder das Fabrikationsgeheimnis einem Dritten mitzuteilen. In einem Nachtrage vom 4. Januar 1877 verpflichtete sich Kläger G. bei gleicher Konventionalstrafe, in seinen ferneren Unternehmungen niemals sogenannte Patentmedizinen resp. Geheimheil-, Volks- oder Hausmittel für den Engros-Verkauf zu fabrizieren, noch auch solche in öffentlichen Blättern behufs Handverkauf ankündigen zu lassen, sowie auch weder direkt noch indirekt an einem solchen Geschäfte teilzunehmen. und niemals eine der im Vertrage genannten Waren im Hausierwege vertreiben zu lassen.

In dem vorliegenden Prozesse, in welchem Kläger vom Beklagten Zahlung des Restes der stipulierten Abfindungssumme von 45 000 M. fordert, ist ein Hauptstreitpunkt der, ob die Stipulation im §. 7 des Vertrages vom 21. Oktober 1876 und im Nachtrage vom 4. Januar 1877 rechtsbeständig sei oder nicht. Der Beklagte ficht die Rechtsbeständigkeit der Stipulation an, weil sie mit dem Principe der Gewerbefreiheit, namentlich mit den §§. 1. 10 der Reichsgewerbeordnung vom 21. Juni 1869, im Widerspruche stehe, auch als eine unzulässige Beschränkung der persönlichen Freiheit enthaltend gegen die guten Sitten verstoße (A.L.R. I. 4. §. 6). Der Appell.-Richter hat die Vertragsbestimmung aber für rechtsbeständig erachtet. Die hiergegen wegen Verletzung der vorallegierten Gesetze eingelegte Nichtigkeitsbeschwerde kann nicht für begründet erachtet werden.

Verträge, durch welche der eine Kontrahent dem anderen Kontrahenten gegenüber sich Beschränkungen in seinem Gewerbebetriebe unterwirft, sind nicht nach §§. 1.10 der Reichsgewerbeordnung ungültig, sofern sie nicht dem öffentlichen Interesse zuwiderlaufen (vergl. Entsch. des preuß. Obertribunals Bd. 80 S. 1 flg.; Entsch. des R.O.H.G.'s Bd. 7 S. 418 flg.; Bd. 12 S. 29. 30; Bd. 15 S. 163. 164; Bd. 16 S.160 flg.; Entscheidungen des Reichsgerichts Bd. 1 Nr. 11 S.22). Die Gewerbeordnung hat die Vertragsfreiheit nicht in weiterem Umfange, als durch das öffentliche Wohl, das Interesse des Publikums geboten wird, beschränken wollen. Durch Stipulationen des angegebenen Inhaltes wird eine ausschließliche Gewerbeberechtigung im Sinne des §. 10 der Gewerbeordnung nicht begründet. Auch wird dadurch der Grundsatz des §. 1 der Gewerbeordnung, wonach, abgesehen von den in diesem Gesetze bestimmten Ausnahmen oder Beschränkungen, der Betrieb eines Gewerbes jedermann gestattet ist, nicht verletzt. In den meisten bisher zur Entscheidung der gedachten höchsten Gerichtshöfe gelangten Fällen lautete die angefochtene Vertragsbestimmung dahin, daß der eine Kontrahent ein bestimmtes Gewerbe während eines bestimmten Zeitraumes oder in einem örtlich bestimmten Bezirke nicht oder nur mit Beschränkungen betreiben dürfe. Allein durch eine solche örtliche oder zeitliche Begrenzung der vertragsmäßigen Beschränkung des Gewerbebetriebes des einen zum Vorteile des anderen Kontrahenten ist die Rechtsverbindlichkeit solcher Stipulationen keineswegs bedingt. An sich ist eine solche vertragsmäßige Beschränkung, welcher der eine Kontrahent dem anderen Kontrahenten gegenüber sich unterwirft, ohne daß eine Begrenzung nach Ort oder Zeit hinzugefügt wird, der Regel nach nicht rechtsungültig, so lange nicht ein öffentliches Interesse, welches die Gewerbeordnung schützen will, dadurch verletzt wird. Davon ist im vorliegenden Falle keine Rede. Der Kläger hat sich dem Beklagten gegenüber nur verpflichtet, einzelne genau bestimmte Waren weder zu fabrizieren noch zu vertreiben, dagegen hat der Beklagte in einer Urkunde vom 4. Januar 1877, demselben Tage, von welchem der Nachtrag zum §. 7 des Vertrages vom 21. Oktober 1876 datiert, dem Kläger ausdrücklich gestattet, in Berlin ein Drogengeschäft zu etablieren und mit sämtlichen in einem solchen Geschäfte üblichen Artikeln Handel zu treiben, wenn er nur die in dem Nachtrage vom 4. Januar 1877 dem Beklagten gegenüber eingegangenen Verbindlichkeiten nicht verletze. Es steht nicht mit den Grundsätzen der Gewerbefreiheit im Widerspruche, wenn ein Gewerbetreibender durch Stipulationen des vorliegenden Inhaltes sich gegen den Mißbrauch seines Fabrikationsgeheimnisses durch Personen, welche in einem Societäts- oder Dienstverhältnisse zu ihm gestanden und dadurch von dem Geheimnisse Kenntnis erhalten haben, schützt (vgl. Entsch. des R.O.H.G.'s Bd. 7 S. 421, 422).

Ob eine Vertragsbestimmung gegen die guten Sitten streitet und deshalb unverbindlich ist, ist eine wesentlich konkrete Frage, in deren Beantwortung der Appell.-Richter, soviel ersichtlich, von rechtsirrtümlichen Anschauungen nicht beeinflußt ist."