RG, 12.10.1880 - III 206/80
Ist es zur Anfechtung der Ergebnisse der neuen steueramtlichen Vermessungen der Gemarkungen im Bezirke des Appellationsgerichtes zu Kassel bezüglich der Grenzen und der Bezeichnung der neu kartierten Grundstücke in den gerichtlichen Büchern erforderlich, daß nicht allein die Berichtigungsklage innerhalb der vom Grundbuchamte bestimmten Frist erhoben, sondern daß auch diese Anfechtung durch innerhalb jener Frist bewirkte Vormerkung im Grundbuche gewahrt sei?
Tatbestand
Nachdem die steueramtliche Vermessung der Gemarkung Wahlershausen beendet war, bestimmte das Grundbuchamt auf Grund des §. 38 des Gesetzes vom 29. Mai 1873 eine Frist zur Anfechtung der Karte, welche mit dem 21. Mai 1879 ablief. An diesem Tage reichte die Direktion der Main-Weser-Bahn, als Vertreterin des Fiskus, bei dem Amtsgerichte zu Kassel eine Berichtigungsklage bezüglich der Grenzen eines dem Eisenbahn-Fiskus gehörigen, in der Gemarkung Wahlershausen belegenen Grundstücks gegen den Beklagten, den Eigentümer der angrenzenden Grundstücke, ein. In einem am 22. Mai 1879 bei dem Grundbuchamte präsentierten Gesuche beantragte sie die Eintragung einer Vormerkung, welche am 27. Juni 1879 in das Grundbuch eingetragen ist.
Das Amtsgericht wies die Klage ab, weil dieselbe dem Beklagten vor Ablauf der Frist hätte behändigt werden müssen.
Das Oberlandesgericht verwarf zwar diesen Grund, bestätigte jedoch die Entscheidung, weil die Vormerkung im Grundbuche nicht innerhalb der gesetzten Anfechtungsfrist eingetragen sei.
Die hiergegen vom Kläger erhobene Nichtigkeitsbeschwerde wurde aus folgenden Gründen verworfen:
Gründe
"Die von dem Königlichen Amtsgerichte zu Kassel seinem Urteile zu Grunde gelegte und von dem Imploraten vertretene Ansicht, daß behufs Abwendung der in §. 38 des Gesetzes vom 29. Mai 1873, betreffend das Grundbuchwesen im Bezirke des Appellationsgerichts zu Kassel, gedrohten Nachteile die Berichtigungsklage dem Beklagten vor Ablauf der von dem Grundbuchamte für die Anfechtung der Flurkarte der Gemarkung Wahlershausen gesetzten Frist hätte behändigt sein müssen, kann zwar für zutreffend nicht erachtet werden, das Oberlandesgericht hat vielmehr mit Recht angenommen, daß die Einreichung der Klage bei Gericht innerhalb der Frist genüge, um im Sinne des Gesetzes die Anfechtungsklage für rechtzeitig erhoben ansehen zu dürfen. Es kann aber der auf Verletzung des §. 38 a. a. O. gestützte Angriff des Imploranten nicht für begründet erkannt werden.
Das Oberlandesgericht geht davon aus, daß nach §. 38 a, a. O. zur Anfechtung der Ergebnisse der neuen steueramtlichen Vermessungen erforderlich sei, daß die Anfechtung durch Erhebung der Berichtigungsklage innerhalb der vom Grundbuchamte gesetzten Frist geschehen, und daß diese rechtzeitig erfolgte Anfechtung durch ebenfalls innerhalb dieser Frist bewirkte Vormerkung im Grundbuche gewahrt sei.
Der Implorant ist dagegen der Ansicht, daß diese Auffassung des §. 38 irrig sei, vielmehr nach dem Wortlaute des Gesetzes, wie nach dem Zwecke und der Bedeutung der Vormerkung es genüge, wenn die Berichtigungsklage rechtzeitig, d. h. innerhalb der vom Grundbuchamte gesetzten Frist erhoben und die Vormerkung des erhobenen Anspruchs, wenn auch erst nach Ablauf der für die Anfechtungsklage bestimmten Frist in das Grundbuch eingetragen sei; daß eventuell jedenfalls §. 38 a. a. O. nicht dahin zu verstehen sei, daß die Vormerkung innerhalb der fraglichen Frist eingetragen, sondern nur dahin, daß ihre Eintragung bei dem Grundbuchamte beantragt sein müsse.
Diese Ausführungen des Imploranten können jedoch in beiden Beziehungen nicht als zutreffend angesehen werden; es ist vielmehr die Auffassung des Oberlandesgerichts zu billigen.
Der Zweck der in den §§. 36-38 des Gesetzes vom 29. Mai 1873 enthaltenen Bestimmungen ist, im Interesse der Sicherheit des Verkehrs einen fest bestimmten und für jedermann erkennbaren Termin festzustellen, von welchem an die Grenzen der Grundstücke lediglich nach den Flurkarten und den ihnen zu Grunde liegenden Vermessungen sich bestimmen, zugleich aber die Interessen der Beteiligten durch Gewährung der Möglichkeit der Anfechtung der Richtigkeit der Karteneinträge zu wahren. Da bei Anlegung der Grundbücher eine allgemeine Neuvermessung der Grundstücke nicht erfolgte, man es vielmehr für thunlich erachtete, die vorhandenen älteren Flurkarten zu benutzen, so mußte zur Erreichung der angegebenen Zwecke zwar insofern ein verschiedenes Verfahren eingeschlagen werden, als in den letztgedachten Fällen den Interessenten eine geräumigere Frist zu gewähren war, innerhalb deren ihnen die Möglichkeit erhalten blieb, eine Berichtigung der im Laufe der Zeit durch den realen Besitzstand abgeänderten kartenmäßigen Grenzen zu erzielen, und für diese Frist ein Endtermin, 1. Januar 1877, durch das Gesetz selbst bestimmt werden konnte, während in den Fällen der Neuvermessung eine kürzere Anfechtungsfrist in jedem einzelnen Falle durch das Grundbuchamt zu bestimmen war. Allein im übrigen sind die Voraussetzungen der Anfechtung der Karten und die Folgen der Nichtbeachtung der gesetzten Fristen in beiden Fällen die gleichen. Wenn nun in §. 36 bestimmt ist:
"Bis zum 1. Januar 1877 bleibt den Beteiligten vorbehalten, einen anderweitigen Eigentumsbestand nachzuweisen und Berichtigung der Kartengrenzen im Wege der Klage gegen den nach der Karte berechtigten Eigentümer zu erwirken, auch zur Wahrung der klagend geltend gemachten Ansprüche Vormerkung im Grundbuche zu beantragen. Nach Ablauf dieser Frist bestimmen sich die Grenzen der Grundstücke, soweit nicht rechtzeitig erfolgte Anfechtungen im Grundbuche vorgemerkt sind, lediglich nach der Flurkarte und der ihr zu Grunde liegenden Vermessung",
so kann diese Vorschrift nach ihrem Wortlaute, wie nach ihrem Zwecke nur dahin verstanden werden, daß vom 1. Januar 1877 an über die Grenzen und den Eigentumsbestand der auf Grund der älteren Karten eingetragenen Grundstücke lediglich diese Flurkarten und die ihnen zu Grunde liegenden Vermessungen entscheiden, sofern nicht vor diesem Tage eine Berichtigungsklage gegen den nach der Karte berechtigten Eigentümer erhoben und im Grundbuche vorgemerkt ist, daß eine Anfechtung erfolgt sei. Denn nach der Fassung des §. 36 suspendiert das Gesetz die an den Ablauf der Frist geknüpfte Folge nur insoweit rechtzeitig erfolgte Anfechtungen im Grundbuche vorgemerkt sind, nicht insoweit vorher die Berichtigungsklage erhoben worden ist. Es ist nicht in das Belieben des Anfechtenden gestellt, ob er lediglich dem nach der Karte Berechtigten gegenüber seine Rechte durch Berichtigungsklage wahren und zugleich Dritten gegenüber durch Eintrag einer Vormerkung sich schützen will, sondern die Eintragung der Vormerkung ist ein wesentliches Erfordernis der Anfechtung; denn das Gesetz knüpft an das Vorhandensein beider Thatsachen, Erhebung der Berichtigungsklage und Eintrag der Vormerkung der Anfechtung im Grundbuche vor dem 1. Januar 1877, die Wirkung des Ausschlusses der Geltung der Karteneinträge.
Ebenso ist aber die Vorschrift in §. 38 a. a. O. zu verstehen. Wenn auch die Fassung:
"Das Grundbuchamt bestimmt ... eine Frist von acht bis zwölf Wochen innerhalb deren es den Beteiligten freisteht, die Ergebnisse der Vermessung bezüglich der Grenzen und der Bezeichnung der neu kartierten Grundstücke in den gerichtlichen Büchern im Wege der Berichtigungsklage gegen den nach der Karte berechtigten Eigentümer anzufechten, auch Vormerkung der geltend gemachten Ansprüche im Grundbuche zu beantragen. Nach Ablauf dieser Frist bestimmen sich die Grenzen der Grundstücke, soweit nicht rechtzeitig erfolgte Anfechtungen durch Vormerkung im Grundbuche gewahrt sind, lediglich nach der Flurkarte und der ihr zu Grunde liegenden Vermessung, nicht vollkommen mit derjenigen des §. 36 übereinstimmt, so liegt doch ein sachlicher Unterschied nicht vor. Darauf, daß das Wort "rechtzeitig" nur in Verbindung gesetzt ist mit "erfolgte Anfechtungen", kann nicht, wie Implorant meint, gefolgert werden, daß das Gesetz nur für die Anstellung der Berichtigungsklage die Wahrung der Frist fordere, nicht auch für die Eintragung der Vormerkung. Teils ergiebt sich aus dem ganzen Zusammenhange sowohl im §. 38, wie im §. 36, daß auch für die Eintragung der Vormerkung die vom Grundbuchamte gesetzte, beziehungsweise die gesetzliche Frist, der 1. Januar 1877, maßgebend sein solle, teils würde der vom Gesetzgeber gewollte Zweck nicht erreicht werden, wenn vor Ablauf der Frist durch Anstellung der Berichtigungsklage erhobene Anfechtungen auch nach Ablauf der Frist durch Eintragung einer Vormerkung wirksam gemacht werden könnten. Wäre die aus der inneren Natur der Vormerkung und ihrem Zwecke, dritten Erwerbern gegenüber Schutz zu gewähren, von dem Imploranten entnommene Ansicht zutreffend, daß kein Grund vorgelegen habe, auch dem Vermessungsinteressenten gegenüber den Anspruch auf Berichtigung der Karte an die Voraussetzung zu knüpfen, daß die Vormerkung innerhalb der gesetzlichen Frist geschehen sei, so hätte die Fassung der §§. 36 und 38 a. a. O. eine andere sein müssen. Allein diese Argumentation selbst trifft im vorliegenden Falle nicht zu, wo es sich darum handelt, im öffentlichen Interesse einen bestimmten, allgemein erkennbaren Zeitpunkt für die Wirksamkeit und Gültigkeit der Einträge im Grundbuch bezüglich der Grenzen der Grundstücke und des Eigentumsbestandes zu schaffen.
Auch die eventuell vom Imploranten verteidigte Ansicht, daß es zur Wahrung der Frist nur eines vor Ablauf der Frist bei dem Grundbuchamte gestellten Antrages auf Eintragung einer Vormerkung bedürfe, entbehrt der Begründung. Zunächst ist sie nicht in Einklang mit der Fassung des §. 38, beziehungsweise des §. 36. Denn im ersteren heißt es: "soweit nicht rechtzeitig erfolgte Anfechtungen durch Vormerkung im Grundbuche gewahrt sind" und im §. 36 "soweit nicht rechtzeitig erfolgte Anfechtungen im Grundbuche vorgemerkt sind". "Durch Vormerkung im Grundbuche gewahrt" beziehungsweise "vorgemerkt" ist die Anfechtung erst mit der Eintragung der Vormerkung im Grundbuche, nicht mit dem beim Grundbuchamte angebrachten Antrage auf Eintrag einer Vormerkung. Diese hat hier, wie überhaupt, erst mit der Eintragung im Grundbuche Wirkung und Bedeutung. Sodann würde aber auch der angegebene Zweck des Gesetzes nicht erreicht werden, wenn, eine vor Ablauf der Frist bei dem Grundbuchamte beantragte Vormerkung noch nach Ablauf der Frist mit der Wirkung eingetragen werden könnte, daß dadurch die vom Gesetz an den Ablauf der Frist geknüpften Folgen suspendiert würden. Der gegen diese Annahme vom Imploranten erhobene Einwand, daß dann die Frage, ob der Verletzte sein Recht wahren könne, nicht von ihm, sondern von dem guten Willen und der Geschäftslast des Grundbuchrichters abhänge, ist nicht durchschlagend gegenüber der bestimmten Vorschrift des Gesetzes. Diese Möglichkeit einer von der Partei unverschuldeten Gefährdung ihrer Interessen liegt aber auch in allen Fällen vor, wo die Wahrung der Rechte nach dem Gesetz nicht allein von der Thätigkeit der Partei abhängt." ...