RG, 12.07.1880 - Va 388/79

Daten
Fall: 
Eigentumsübergang an einem Grundstück
Fundstellen: 
RGZ 2, 323
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
12.07.1880
Aktenzeichen: 
Va 388/79
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • KreisG Olpe
  • Appellationsgericht Arnsberg
Stichwörter: 
  • Eigentumsübergang an Grundstück durch Auflassung und Eintragung nach vorher ausgeführter Separation

1. Wirkt die Auflassung und die sich anschließende Eintragung des Eigentumsüberganges der letzteren auch dann, wenn der Auflassende vor dem 1. Oktober 1872 zwar als Eigentümer eingetragen, aber nicht der wahre Eigentümer war?
2. Geht bei einem im Grundbuche speciell nach der Katasterbezeichnung eingetragenen Grundstücke durch die Auflassung und die sich anschließende Eintragung auch das Eigentum an einem anderen Grundstücke, welches bei einer vorher ausgeführten Separation dem Auflassenden statt jenes Grundstückes überwiesen ist, auf den Eingetragenen über?

Tatbestand

Die Witwe B. war Eigentümerin des Parzelles Steuergemeinde Lehnhausen Flur VIII Nr. 201. Dasselbe wurde zur Separation der Lehnhauser Gemarkung gezogen. Ausweise des bereits in den Jahren 1863 und 1865 ausgeführten, im Jahre 1874 bestätigten Separationsrecesses ist der Witwe B. statt jenes Grundstückes ein Abfindungsplan zugewiesen, welcher jetzt die Katasterbezeichnung Flur IX Nr. 135/49 hat.

Nach der Behauptung des Klägers hat die Witwe B. das Parzell Nr. 201 an E. verkauft und hat er - der Kläger - dieses Grundstück am 29. August 1866 von E. gekauft. Die Besitzübertragung auf ihn ist nicht nachgewiesen. Dagegen erlangte er am 17. Februar 1875 von der bis dahin noch als Eigentümerin eingetragen gewesenen Witwe B. die Auflassung des Parzelles Nr. 201, und ist er an diesem Tage auf Grund der Auflassung als neuer Eigentümer eingetragen. Hierauf gelangte der Separationsreceß mit den Katasternachrichten zu den Grundakten, und ist im Grundbuche vermerkt, daß Kläger das Parzell Flur IX Nr. 135/49 anstatt des Parzells Flur VIII Nr. 201 durch den gedachten Separationsreceß erworben habe. Im Besitze des Parzelles Flur IX Nr. 135/49 befindet sich der Beklagte, welcher dasselbe durch Vertrag vom 4. Mai 1866 von E. käuflich erworben haben will. Kläger hat beantragt, den Beklagten zur Herausgabe dieses Grundstückes zu verurteilen.

Der erste Richter erkannte nach dem Klageanträge. Der zweite Richter verurteilte den Beklagten im Falle der Nichtleistung eines ihm über seinen Titel und über die Übergabe des Grundstückes an ihn auferlegten Eides nach dem Klageanträge.

Gründe

Auf die von dem Beklagten eingelegte Nichtigkeitsbeschwerde ist auf Vernichtung des zweiten Erkenntnisses und auf Abweisung des Klägers erkannt. In den ist zunächst der vom Beklagten auf die Verletzung der §§. 59. 175. 176 A.L.R. I. 7 gestützte Angriff für zutreffend erachtet und bei freier Beurteilung ausgeführt, daß der Kläger auf den Kaufkontrakt vom 29. Aug. 1866 sein Eigentum nicht gründen könne.

Sodann heißt es weiter:
"Der weitere Klagegrund ist die Auflassung und die auf Grund derselben erfolgte Eintragung des Klägers als Eigentümer. Der Appellationsrichter verwirft denselben, weil nur derjenige auf den öffentlichen Glauben des Grundbuches sich berufen könne, welcher von einem nach dem 1. Oktober 1872 eingetragenen Eigentümer die Auflassung und Eintragung erhalten habe, der §. 7 des Gesetzes vom 5. Mai 1872 sich aber nicht auf die von vor dem Inkrafttreten des Gesetzes eingetragenen Personen hergeleiteten Auflassungen für den Fall beziehe, daß neben diesem bloß eingetragenen Eigentümer noch ein zweiter, zwar nicht eingetragener aber wahrer Eigentümer existiert. - Dieser Verwerfungsgrund ist unhaltbar.

Der Anspruch des Klägers stützt sich auf die Thatsache der Auflassung und der Eintragung des Klägers als Eigentümers und rechtlich auf die Vorschrift des h. 1 des Gesetzes vom 5. Mai 1872 über den Eigentumserwerb etc.. An sich also ist der §. 7 vom Appellationsrichter mit Unrecht bei der Beurteilung der Eigentumsfrage in Betracht gezogen.

Wenn nun der Appellationsrichter die Auflassung und Eintragung eines Eigentumsüberganges als rechtswirksam nicht gelten lassen will, falls die Auflassung von einem vor dem 1. Oktober 1872 eingetragenen Eigentümer erklärt worden, sobald ein anderer wahrer Eigentümer vorhanden sei, so findet er sich zwar in Einklang mit dem Erkenntnisse des Obertribunals vom 12. März 1875 (Entsch. Bd. 75 S. 15). Der Ausführung in diesem Erkenntnisse kann jedoch nicht beigetreten werden. Die Regeln von der rückwirkenden Kraft der Gesetze, welche die Entscheidung zur Anwendung gebracht wissen will, rechtfertigen dieselbe keineswegs. Die Auflassung und Eintragung des Eigentumsüberganges sind eine juristische Thatsache, welcher das Gesetz die Wirkung des Eigentumsüberganges beilegt, ohne Unterschied, zu welcher Zeit der Auflassende als Eigentümer eingetragen war. Weder das Gesetz vom 5. Mai 1872, noch die in der Grundbuchordnung enthaltenen Übergangsbestimmungen machen einen solchen Unterschied. Hat jene Thatsache zur Zeit der Geltung des Gesetzes vom 5. Mai 1872 stattgefunden, so regeln sich ihre Wirkungen nach diesem Gesetze. §.14 der Einleitung zum A.L.R. bestimmt nur, daß neue Gesetze auf vorhin schon vorgefallene Handlungen und Begebenheiten nicht angewendet werden dürfen. Um eine vor dem Gesetz vom 5. Mai 1872 vorgefallene Handlung oder Begebenheit handelt es sich aber bei einer nach dem 1. Oktober 1872 vorgenommenen Auflassung nicht. Dagegen bestimmt §. 82 der Einleitung zum A.L.R., daß die Rechte des Menschen durch Handlungen oder Begebenheiten entstehen, mit welchen die Gesetze eine bestimmte Wirkung verbunden haben. Hat also eine Auslassung und Eintragung des Eigentums zur Zeit der Geltung des Gesetzes vom 5. Mai 1872 stattgefunden, so wirkt sie den vollen Eigentumsübergang auf den neu Eingetragenen nach Maßgabe dieses Gesetzes. Da nun aber neben dem vollen Eigentume des Erwerbers das volle Eigentum, welches ein Dritter möglicherweise bis zur Austastung gehabt hat, nicht bestehen kann, so wirkt jene Thatsache zugleich die Aufhebung des Eigentumes dieses Dritten. A.L.R. I. 16. §. 6. Nicht das Gesetz hat diese Aufhebung bewirkt, sondern die unter der Herrschaft desselben vollzogene juristische Thatsache. Die Konsequenz der Ansicht des Obertribunales, daß die Rechte des wahren Eigentümers durch die Auflassung des Bucheigentümers nicht berührt werden, müßte dahin führen, daß das Eigentum im Falle der Duplizität desselben überhaupt nicht freiwillig veräußert werden könnte. Denn der wahre Eigentümer kann nicht veräußern, weil er nicht eingetragen ist, er also nicht auflassen kann, und weil die Veräußerung nur durch Auflassung erfolgen kann. §§. 1. 5 des Gesetzes vom 5. Mai 1872. Blieb er aber der Auflassung ungeachtet wahrer Eigentümer, so erlangte der neu eingetragene Eigentümer ebenfalls nur das nackte Bucheigentum, wie es als solches dem Auflassenden zustand. Durch weitere Auflassung könnte er daher ebenfalls wieder nur das nackte Bucheigentum übertragen; das wahre Eigentum verbliebe dem bisherigen wahren Eigentümer. Es würde nicht abzusehen sein, wie er dieses, wenn er es durch die erste Auflassung seitens des Bucheigentümers nicht verloren hat, durch eine zweite, dritte u. s. w. Auflassung verlieren sollte. In solcher Konsequenz würde also die Duplizität des Eigentumes perpetuiert werden. Es ist aber gerade Zweck des Gesetzes gewesen, dieselbe für den Fall freiwilliger Veräußerung mittelst Auflassung zu beseitigen. Dieselben Gründe, welche dafür angeführt werden, daß das Eigentum mit einer zweiten Auflassung auf den neu eingetragenen Eigentümer übergeht und dem bisherigen nicht eingetragenen Eigentümer verloren geht, sprechen dafür, daß dieses schon bei der ersten Auflassung eintritt. Solchen Wirkungen vorzubeugen, hatte der wahre Eigentümer das durch das Gesetz ihm gegebene Mittel; zu seiner Sicherung konnte er früher eine protestatio de non amplius disponendo und jetzt eine Vormerkung oder auf Grund des §. 49 der Grundbuchsordnung sich als Eigentümer eintragen lassen. Hatte er dieses verabsäumt, so muß er die Folge: den Verlust des Eigentumes durch Auflassung seitens des Bucheigentümers an einen Dritten, tragen. Wenn das Obertribunal aus §. 9 a. a. O. ein Argument für seine Ansicht herleitet, so liegt dem ein Zirkelschluß zu Grunde. Die Anfechtung der Eintragung des Eigentumserwerbes und deren Folgen können allerdings nach Vorschrift des bürgerlichen Rechtes angefochten werden. Dem früheren wahren Eigentümer würde die Anfechtung zustehen, wenn das bürgerliche Recht ihn hierzu berechtigte. Aus §. 9 kann aber doch nicht hergeleitet werden, daß er diese Berechtigung habe. Mangelnder guter Glaube des Erwerbers an die Richtigkeit des Grundbuches kam endlich generell nicht angenommen werden, wenn der Auflassende nicht wahrer Eigentümer war. Das Fehlen des guten Glaubens muß vielmehr in jedem konkreten Falle festgestellt werden.

Vgl. Kommissionsbericht des Herrenhauses S. 34; A.L.R. I. 10. §5.10 flg., I.7. §§. 10 flg.

Ist hiernach die Argumentation des Obertribunales in dem gedachten Erkenntnisse nicht zutreffend, so ist der Wille des Gesetzgebers, daß jede, also auch die erste Auflassung in Verbindung mit der Eintragung des neuen Eigentümers den Eigentumsübergang, falls jene nicht betrügerisch bewirkt und die Eintragung nicht erschlichen ist, zur Folge hat, klar in den Motiven zu §§. 1-10 des Gesetzes ausgedrückt. Es sind dort Fälle aufgeführt, in denen jemand der Auflassung und Eintragung ungeachtet kein Eigentum erlangen konnte, die Eintragung also anfechtbar ist, weil diese eine falsche war. Weiter aber heißt es:

"Wer aber von dem eingetragenen, obwohl falschen Eigentümer die Auflassung erhält ... muß ein unter allen Umständen unanfechtbares Recht erlangen."

Dieses vorausgeschickt, so ergeben jedoch die vom Kläger selbst in Bezug genommenen Grundakten, daß er nicht auf Grund der Auflassung als Eigentümer des vindizierten Parzells Flur IX Nr. 135/49 eingetragen ist, sondern auf Grund des Separarionsrecesses. Es liegt in Ansehung dieses Grundstückes also einer der Fälle des §. 5 des Gesetzes vom 5. Mai 1872 vor. Zum Nachweise, daß er dieses Parzell bei der Separation erhalten habe, beruft er sich auf den Receß. Er hat diesen Nachweis zu führen, da Beklagter seine Behauptung bestritten hat. Nun enthält aber der mit den Grundakten kombinierte Receß den Vermerk in der Tabelle zu §. 7 unter Nr. 5, daß der Plan, welcher später die Bezeichnung Flur IX Nr. 135/49 erhalten hat, der Witwe B. zugewiesen ist, nicht dem Kläger. In Kolonne Bemerkungen steht: "jetzt Graf von Pl." (der Beklagte). Nach §. 12 ist die Witwe B. bereits im Herbst 1863 oder am 1. Januar 1865 Eigentümerin geworden. Alles dieses wird auch durch die in zweiter Instanz zu den Akten gebrachte, den Parteien abschriftlich mitgeteilte amtliche Auskunft des Regierungsassessor H. bestätigt. Es ist also erwiesen, daß nicht der Kläger durch den Receß Eigentümer des streitigen Grundstückes geworden ist, sondern die Witwe B., von welcher Kläger mittelbar seine Rechte herleitet. Unter diesen Umstanden ist die Beurkundung im Grundbuche eine unrichtige, und kann der Kläger dieselbe zum Beweise seines Rechtes am Grundstücke - zum Beweise seines Eigentumes - nicht benutzen.

Was dagegen die Auflassung betrifft, so ist ihm das Parzell Flur VllI Nr. 201 aufgelassen. Nun ist allerdings dieses Parzell bei der Separation von der Witwe B. in die gemeinschaftliche Masse eingeworfen, und ist ihr als Abfindung das streitige Grundstück zugewiesen, wie sich aus der Tabelle zu §. 7 Nr. 5 ergiebt, und durch die oben gedachte amtliche Auskunft bestätigt wird. Auch bestimmt §. 147 der Gemeinheitsteilungsordnung vom 7. Juni 1821, daß die Entschädigung ein Surrogat der dafür abgetretenen Grundstücke sei, und daher in Ansehung ihrer Befugnisse, Lasten und sonstigen Rechtsverhältnisse die Eigenschaften derjenigen Grundstücke erhält, für welche sie gegeben sind, also, nach §. 148, in Rücksicht der Lehensverbindungen, Fideikommißverbindungen und der hypothekarischen Schulden (vgl. auch A.L.R. I, 20. §. 459), ferner nach §. 156 in Rücksicht der öffentlichen Lasten und, nach §§. 158. 159, jedoch mit einer Modifikation, in Rücksicht auf die Pächter. Für den Eigentümer des eingeworfenen Parzells dagegen ist die Abfindung nur insofern ein Surrogat, als er das Eigentum ohne weiteres durch die Zuweisung erhält, während er das Eigentum an dem eingeworfenen Grundstücke mit der Einwerfung verloren hat. Es findet also ein durch das Gesetz bestimmter Umtausch statt. Nach dessen Vollziehung hat der Erwerber, mit vorgebuchten Einschränkungen, die freie Verfügung über das erworbene Grundstück. Dieses ist an sich eine andere Sache, als das eingeworfene. Letzteres ist als besondere Sache bei der Separation in Folge der Einweisung untergegangen. Diese Rechtsfolgen entsprechen den §§. 2-4 A.L.R. I. 16. Veräußert daher der Abgefundene das eingeworfene Parzell nachher, so veräußert er eine Sache, welche nicht mehr existiert, ihm nicht mehr gehört. Um so mehr gilt dieses bei der streng formalen Natur der auf dem strengsten Specialitätsprincip beruhenden Auflassung. Steht das eingeworfene Parzell noch auf seinen Namen eingetragen, so betrifft die Auflassung und die Eintragung des neuen Eigentümers nur dieses. Existiert nun in Folge der neuen Planlegung das eingetragene Grundstück nicht mehr, so ist die Auflassung gegenstandlos. Das Abfindungsgrundstück aber ist nicht aufgelassen, der Erwerber ist nicht als Eigentümer dieses Grundstückes eingetragen. Vorliegend hat Kläger daher durch die Auflassung und seine Eintragung als Eigentümer des Parzells Flur VIII Nr. 201 nicht das Eigentum an dem streitigen Parzell Flur IX Nr. 135/49 erworben.

Entfallen daher sämtliche Klagegründe für die Vindikation, so ist dieselbe abzuweisen."