RG, 12.06.1920 - I 55/20

Daten
Fall: 
Begriffe "Erfindung", "Neuheit" und "Äquivalenz" bei Gebrauchsmustern
Fundstellen: 
RGZ 99, 211
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
12.06.1920
Aktenzeichen: 
I 55/20
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG II München
  • OLG München

Zu den Begriffen Erfindung, Neuheit und Äquivalenz bei Gebrauchsmustern.

Tatbestand

Für den Kläger ist unter dem Patent Nr. 275229 und dem Gebrauchsmuster Nr. 650174 auf Grund der Anmeldung vom 8. März 1913 unter Nr. 548309 ein Gebrauchsmuster, betr. den Messerantrieb an Gras- und Getreide-Mähmaschinen eingetragen. Er behauptet, daß der Beklagte durch die Herstellung und den Vertrieb seines seit dem 16. August 1917 als Gebrauchsmuster geschützten Schwungrads an Mähmaschinen in seine 3 genannten Schutzrechte eingreife, und hat den Beklagten auf Unterlassung und Schadensersatz in Anspruch genommen. Das Landgericht gab der Klage teilweise statt. Das Oberlandesgericht wies die in zweiter Instanz auf das Gebrauchsmuster 548309 beschränkte Klage ab. Die Revision des Klägers hatte Erfolg.

Gründe

"Das Oberlandesgericht hat erwogen: Zur Entscheidung stehe nur noch, ob der Beklagte durch Herstellung und Vertrieb seines durch Gebrauchsmuster 667453 geschützten Schwungrads das Gebrauchsmuster 548309 des Klägers verletze. Die neue Gestaltung in diesem sei nach dem Schutzanspruche darin zu erblicken, daß das Schwungrad größer sei als bei den bisherigen Mähmaschinen und daß es an einem Arme mit einem Schlitze zum Verstellen des Kurbelzapfens versehen sei. Da aber die Anbringung eines Schwungrads nach Inhalt der Akten des Patentamts keinen neuen Erfindungsgedanken darstelle, könne die neue Gestaltung nur in der besonderen Konstruktion des Schwungrads erblickt werden. Diese entspreche aber im Punkte der Größergestaltung keinem irgendwie neuen Gedanken. Auch bezüglich des weiteren Merkmals - Schutzfähigkeit des Schlitzes zur Verstellung des Kurbelzapfens - bestünden Bedenken, da es scheinbar an einem gewerblichen Fortschritt fehle. Einer Beweiserhebung bedürfe es jedoch nicht mehr. Denn auch wenn man die Neuheit des Gebrauchsmusters 548309 unterstelle, sei die Klage dennoch unbegründet, weil Beklagter dieses mit seinem Gebrauchsmuster 667453 nicht verletze. Letzteres diene zwar demselben wirtschaftlichen Zwecke, verkörpere dieselbe technische Idee und beruhe auf demselben Prinzipe, wie das Modell des Klägers; es weiche aber in der Form ab und bedeute selbst einen technischen Fortschritt. Eine Nachbildung liege daher nicht vor.

Dieser Auffassung kann nicht beigepflichtet werden. Es handelt sich um ein Gebrauchsmuster. Sowohl hinsichtlich der Höhe wie der Neuheit des Erfindungsgedankens ist daher ein anderer Maßstab anzulegen als bei einem Patente. Bei der Auslegung eines Gebrauchsmusters ist in erster Linie nicht vom Schutzanspruch auszugehen, sondern vom Modell oder der an dessen Stelle tretenden Zeichnung in Verbindung mit der Beschreibung. Hiernach ist zu prüfen, welcher Raumschöpfungsgedanke darin zum Ausdruck kommt. Das Gebrauchsmuster 548309 hat zum Gegenstand den Gedanken, daß die abwärts gelegene, senkrecht angebrachte Kurbelscheibe größer gemacht wird als bei sonstigen Gras- und Getreidemähmaschinen, damit sie so als Schwungrad wirken könne. Die Zeichnung ergibt gleichzeitig, wie sich der Kläger die Größe der Kurbelscheibe in Wirklichkeit etwa denkt. Die auf diese Weise hinreichend ersichtlich gemachte Gestaltung des Erfindungsgedankens ist sowohl von genügender Bedeutung als auch offensichtlich neu. Der Gedanke, die Kurbelscheibe einer Maschine abzunehmen und einfach durch ein an ihre Stelle gesetztes größeres Rad zu ersetzen, das wie ein Schwungrad wirkt, ist nicht eine Selbstverständlichkeit, die keine nennenswerte technische Überlegung erfordert hätte. Die Einfachheit des Ergebnisses tut dessen Gehalt und dessen Bedeutung keinen Abbruch. Die Erfindungshöhe war in Ansehung eines Gebrauchsmusters unbedenklich als gegeben zu erachten. Die Konstruktion ist aber auch neu. Mag auch der allgemeine Erfindungsgedanke, an Mähmaschinen überhaupt Schwungräder anzubringen, schon als vorbekannt angesehen werden, so ist doch bisher nicht dargetan. daß die Ausgestaltung der abwärts gelegenen und senkrecht angebrachten Kurbelscheibe zu einem Schwungrade, so wie es der Kläger ausgeführt hat, irgendwo schon einmal ausgeführt oder veröffentlicht worden ist. ... (Wird näher ausgeführt.) Daß dadurch auch Vorteile erreichbar waren und welche, ist in der Gebrauchsmusterbeschreibung genügend zum Ausdruck gekommen; das Wesentlichste hieran ist die Überwindung des sogenannten toten Punktes.

Das Gebrauchsmuster 548309 des Klägers bestand hiernach vollkommen zu Recht. Es kann aber auch keinem Zweifel unterliegen, daß der Beklagte in dessen Schutzbereich durch Anfertigung und Vertrieb der nach seinem Gebrauchsmuster 667453 angefertigten Schwungräder eingreift. Letztere dienen nicht nur demselben wirtschaftlichen Zwecke und verkörpern dieselbe technische Idee, sondern sie erreichen diesen Zweck lediglich unter Zuhilfenahme gleichartiger Mittel. Auch der Beklagte ersetzt die abwärts gelegene, senkrecht angebrachte Kurbelscheibe durch ein Schwungrad. Nur nicht auf dem Wege, daß er das ganze Rad abmontiert und ein anderes an dessen Stelle setzt, sondern dadurch, daß er durch Aufsetzen von zwei halben Kreisbogen den Umfang der Kurbelscheibe so weit vergrößert, bis die Kurbelscheibe annähernd den Umfang hat, den das Schwungrad in dem Gebrauchsmuster des Klägers aufweist. Hierin liegt ein Fall der Äquivalenz. Diese wird dadurch nicht ausgeschlossen, daß vielleicht in dem Gebrauchsmuster des Beklagten noch ein weiterer technischer Fortschritt liegt."...