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RG, 01.10.1880 - IVa 141/79

Daten
Fall: 
Entstehung einer Wechselforderung mit der Ausfolgung eines akzeptierten Blanketts
Fundstellen: 
RGZ 2, 89
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
01.10.1880
Aktenzeichen: 
IVa 141/79
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • Stadt- und KreisG Danzig.
  • Appellationsgericht Marienwerder.

Entsteht die Wechselforderung schon mit der Ausfolgung des acceptierten Blanketts an den Nehmer oder erst mit der vollständigen Ausfüllung durch denselben?

Tatbestand

Der Gutsbesitzer G. veräußerte am 15. bezw. 29. Dezember 1875 ein ihm gehöriges Wiesengrundstück an den Beklagten, seinen Schwiegervater. Der Kläger focht diese Veräußerung wegen einer ihm gegen G. aus Wechseln vom 2. Januar 1875 zustehenden, vollstreckbaren Forderung auf Grund des §. 5 Nr. 2 und 3 des Gesetzes vom 9. Mai 1855 an. Das Alter der Forderung wollte Kläger nach dem Ausstellungsdatum der Wechsel festgestellt wissen, und er machte event. geltend, daß die Wechsel auf das Guthaben aus einem, schon im Jahre 1874 zum Abschlüsse gelangten Kontokurrentverkehre zwischen ihm und G. gegeben und genommen worden, so daß der ihnen zu Grunde liegende Anspruch älter sei, als die angefochtene Rechtshandlung. Der Beklagte bestritt, daß die Wechsel schon am 2. Januar 1875 ausgestellt worden, und behauptete, daß sie erst kurz vor ihrer Einklagung - im Jahre 1877 - zurecht gemacht seien. Bezüglich der Kontokurrentforderung bemängelte er, daß derselben die Eigenschaft der Vollstreckbarkeit fehle. - Es wurde festgestellt, daß zwar vor dem 15. Dezember 1875 dem Kläger die mit der Acceptunterschrift des G. versehenen Wechselformulare ausgefolgt seien, dagegen die vollständige Ausfüllung dieser Formulare, insbesondere durch Hinzufügung des Ausstellungsdatums und des Zeitpunkts der Fälligkeit, erst nach jenem Tage stattgefunden, mithin zur Zeit der Vornahme der angefochtenen Rechtshandlung verpflichtende Wechsel nicht vorgelegen haben. Beide Instanzrichter nahmen an, daß die ausgeurteilte Wechselforderung schon vor dem 15. Dezember 1875 existiert habe, und erachteten die Anfechtung für begründet. Auf die Revision der Beklagten erkannte das Reichsgericht abändernd auf Abweisung der Klage, und zwar aus folgenden Gründen:

Gründe

"Der Appellationsrichter hat den Umstand, daß zur Zeit der Vornahme der angefochtenen Rechtshandlung vollständige Wechsel nicht vorgelegen, für die Bestimmung des Zeitpunktes der Entstehung der Wechselforderung als unerheblich bezeichnet, weil die Wechselverbindlichkeit des Acceptanten schon durch die Acceptation des von dem Aussteller auf ihn gezogenen Blanketts entstehe. Diese Ansicht ignoriert die notwendige Sonderung des durch den Wechselvorvertrag - den sog. Wechselschluß, pactum de cambiando - begründeten Rechtsverhältnisses von der Wechselobligation und den sich aus dieser ergebenden Rechten und Verbindlichkeiten. Das pactum de cambiando ist auf Herstellung einer Wechselobligation gerichtet. Der eine Teil verpflichtet sich, dem anderen gegenüber eine Wechselverbindlichkeit einzugehen. Hierdurch wird das Recht auf Schaffung eines Wechselanspruchs begründet. Der Wechselanspruch selbst wird erst durch die Wechselobligation erzeugt, und diese entsteht, wenn ein Wechsel, also eine mit allen durch das Gesetz - Artt. 4. 96 der A.D.W.O. - als wesentlich bezeichneten Erfordernissen eines Wechsels versehene Urkunde, gegeben und genommen wird. Es wird daher der Acceptant, wenn er - wie hier geschehen - ein, seine Namensunterschrift tragendes, aber sonst noch nicht vollständig ausgefülltes Wechselformular einem anderen ausfolgt, noch nicht wechselrechtlich verpflichtet. Vielmehr überträgt er durch die Ausfolgung des Formulars an den Rehmer - in Erfüllung des Wechselschlusses - nur das, allerdings unbedingte und unwiderrufliche, Recht, das Formular - sei es der getroffenen Abrede gemäß oder in Ermangelung einer solchen nach den ihm ausdrücklich oder stillschweigend überlassenen Dispositionen - auszufüllen. Die Übergabe des Formulars stellt sich als Ermächtigung zur Herstellung einer Wechselobligation dar und kann unter Umständen die Offerte für deren Eingehung sein. Macht der Nehmer von der Ermächtigung Gebrauch und füllt das Formular aus, so ist die Wechselobligation vollzogen und dadurch die Wechselverbindlichkeit begründet. Die Ausfüllung des Formulars ist dann die Annahme der Offerte; durch sie gelangt der auf Herstellung einer Obligation gerichtete beiderseitige Wille zum Ausdruck, und erst damit hat in Wirklichkeit das Geben und Nehmen eines Wechsels stattgefunden. - Bei der formalen Natur der Wechselobligation ist eine Wechselverbindlichkeit abgelöst von der Wechselurkunde - von dem Ersatz der letzteren durch Amortisation abgesehen - rechtlich nicht denkbar, und deshalb muß der obligatorische Wille durch den Wechsel zum Ausdrucke kommen, welcher Moment für die Bestimmung des Zeitpunktes der Entstehung der Wechselverbindlichkeit von entscheidender Bedeutung ist.

Vgl.: Entsch. des R.O.H.G.'s Bd. 14 S. 57. 58; Bd. 21 S. 327; Bd. 25 S. 16; Seuffert's Archiv Bd. 13 Nr. 274; Bd. 16 Nr. 238; Sohm in d. Zeitschrift für das ges. Handelsr. Bd. 17 S. 72. 93.

Hieraus folgt, daß von einem Zurückbeziehen der Wirkungen der vollzogenen Wechselobligation auf die Zeit des Wechselschlusses oder der auf Grund desselben geschehenen Ausfolgung des Blankoaccepts nicht die Rede sein kann. Eine gegenteilige Aufstellung hat auch bisher weder in der Praxis, noch in der Doktrin eine hinreichend motivierte Vertretung gefunden, und wenn Thöl in seinem Wechselrecht (Aufl. 4 S. 158, §. 34 Anm. 8) anscheinend für die Zurückbeziehung "als dem Willen der Beteiligten entsprechend" sich entscheidet, so fügt er doch gleichzeitig einschränkend hinzu, daß eine Zurückbeziehung nicht stattfinde, wenn der ursprüngliche Wille zur Zeit der Ausfüllung des Blanketts nicht mehr bestimmend sein könne, z. B. der Geber des Accepts inzwischen die Wechselfähigkeit verloren habe. Aber gerade diese Einschränkung liefert den Beweis, daß rechtlich nur der Wille der Kontrahenten zur Zeit der Ausfüllung des Blanketts, also der Herstellung der formalen Wechselobligation, in Betracht kommen kann.

Aus den vorstehenden Ausführungen ergiebt sich, daß die Forderung des Klägers gegen den Schuldner G. aus den Wechseln vom 2. Januar 1875, welche den Gegenstand des Judikats vom 7. Dezember 1877 bildet, zur Zeit der Vornahme der angefochtenen Rechtshandlung noch nicht bestanden hat, und somit eine wesentliche Voraussetzung des Anfechtungsrechts nicht vorhanden ist. ...

Was die Kontokorrentforderung anbetrifft, so mag davon abgesehen werden, ob deren Tilgung durch die Hingabe und Annahme der Wechsel in der Intention der Beteiligten gelegen hat. Wäre dies der Fall gewesen, so würde die Kontokorrentforderung erloschen sein und schon aus diesem Grunde hier nicht in Berücksichtigung treten können. Aber auch wenn die ursprüngliche Forderung noch existent ist und die Wechsel nur zu ihrer größeren Sicherheit gegeben sind, ist der Zeitpunkt ihrer Entstehung irrelevant, weil nicht sie, sondern die Wechselforderung ausgeklagt ist und ihr daher das - das Anfechtungsrecht bedingende - Requisit der Vollstreckbarkeit fehlt (§. 1 des Ges. vom 9. Mai 1835). Durch die nachherige Eingehung der Wechselverbindlichkeit ist zu dem bereits bestehenden ein neuer selbständiger Schuldgrund getreten, dessen Elidierung bei der Eigenartigkeit der Wechselobligation an wesentlich andere Voraussetzungen geknüpft ist, und bei dessen prozessualischer Geltendmachung durch den Gläubiger der Verteidigung des Schuldners engere Schranken gestellt sind. Wenn daher bei solcher Sachlage der Kläger den Schuldner G. allein auf Grund der Wechsel in Anspruch nahm und aus diesen gegen ihn ein obsiegendes Urteil erstritt, so ist auch nur die Wechselforderung vollstreckbar geworden, und eine Identifizierung der Kontokorrentforderung mit der Wechselordnung in betreff der Vollstreckbarkeit erscheint ausgeschlossen, weil es sich der Beurteilung entzieht, ob die auf den ursprünglichen Schuldgrund gestützte Klage gleichfalls zu einer Kondemnierung des Schuldners - überhaupt oder in demselben Umfange - geführt haben würde. (Vgl. Entsch. d. vorm. preuß. Ob. Trib. Bd. 67 S. 358 in Strieth. Arch. Bd. 84 S. 307.)"