RG, 29.09.1880 - I 818/80
1. Ist eine Berufung als unzulässig zu verwerfen, wenn in der Berufungsschrift die Ladung des Berufungsbeklagten nicht ausdrücklich enthalten ist?
2. Hat das Revisionsgericht zu prüfen, ob den Anforderungen des §. 479 C.P.O. genügt ist?
Gründe
"Insofern das Oberlandesgericht die Förmlichkeiten der Berufung für gehörig beobachtet angenommen und demgemäß in der Sache selbst abändernd erkannt hat, beruht das angefochtene Urteil auf einer Verletzung des §. 479 Abs. 2 Nr. 3 bezw. des §. 497 C.P.O. Zuvörderst ist nicht daran zu denken, daß, wie der Beklagte hat ausführen wollen, die Annahme des Oberlandesgerichts, daß in der Berufungsschrift eine genügende Ladung enthalten sei, aufzufassen wäre als eine tatsächliche Feststellung, welche nach §. 524 C.P.O. für die Entscheidung des Revisionsgerichts maßgebend sein würde. Die Frage, ob ein gewisses, feinem Wortlaute nach vorliegendes Schriftstück in formeller Beziehung den Anforderungen genügt, welche der §. 479 an die Berufungsschrift stellt, ist vielmehr eine reine Rechtsfrage, welche, da es sich dabei um das reichsgesetzliche Prozeßrecht handelt, zur Entscheidung des Revisionsgerichtes steht. Wenn es nun ferner auch seine Richtigkeit hat, daß eine bestimmte Wortform für Ladungen in der Civilprozeßordnung nicht vorgeschrieben ist, so muß doch bei Anwendung des §. 479, wie der übrigen Bestimmungen der Civilprozeßordnung, welche für gewisse Schriftsätze als ein Stück des wesentlichen Inhaltes neben anderen eine Ladung vorschreiben, daran festgehalten werden, daß überhaupt in irgend welchen Worten neben dem übrigen, unter bestimmte andere rechtliche Kategorieen zu bringenden Inhalte des betreffenden Schriftstückes die fragliche Ladung in dem letzteren ausgedrückt sein müsse. In der vorliegenden sogenannten Berufungsschrift ist nun aber neben der Erklärung, gegen das bezeichnete Urteil Berufung einlegen zu wollen, der Ankündigung der Berufungsanträge und der Angabe geltend zu machender neuer Thatsachen und Beweismittel eine Ladung nirgends ersichtlich. Wenn das Oberlandesgericht eine notdürftig ausreichende Erklärung des Ladungswillens in der Zustellung des mit der präsidialen Terminsbestimmung bereits versehenen Schriftsatzes findet, so ist dagegen einmal einzuwenden, daß der Schriftsatz an sich, von dem doch die Terminsbestimmung des Vorsitzenden nicht etwa einen Bestandteil bildet, nach §. 479 schon die Ladung enthalten muß, und sodann, daß bei dieser Auffassung die ganze Vorschrift des §. 479 Nr. 3 für jeden Fall, wo die Zustellung an einen Rechtsanwalt geschieht, also die sonst nach §. 192 C.P.O. für die Ladung wesentliche Aufforderung zur Anwaltsbestellung nicht erforderlich ist, aller Bedeutung entbehren würde; denn die präsidiale Terminsbestimmung wird ja vor der Zustellung stets hinzugefügt. Man würde bei dieser Auffassung eben nicht begreifen können, warum das Gesetz das Erfordernis unter Nr. 3 in §. 479 nicht überhaupt nur für die Fälle, wo die Berufungsschrift nicht einem Rechtsanwälte zugestellt wird, aufgestellt hätte. Die Betrachtung, welche für das Oberlandesgericht bestimmend gewesen sein mag, nämlich, daß, sobald der Gegner von der Ansehung eines Termines in Anlaß der eingelegten Berufung benachrichtigt werde, die ausdrückliche Ladung überflüssig erscheine, da mindestens jeder Rechtsanwalt nach dem bestehenden Prozeßrecht ohne weiteres wissen müsse, daß der Termin deshalb bestimmt sei, damit der Berufungsbeklagte in demselben zur mündlichen Verhandlung erscheine - diese Betrachtung würde nur eine legislative sein, und ist eben von dem Gesetzgeber der Civilprozeßordnung offenbar nicht als entscheidend angesehen worden.
Daß schon in dem bloßen Erscheinen des Berufungsbeklagten durch einen Anwalt in dem angesetzten Termine ein stillschweigender Verzicht auf die Befolgung der Vorschrift des §. 479 Nr. 3 im Sinne des §. 267 C.P.O. liege, hat auch das Oberlandesgericht nicht annehmen mögen, und in der That würde auch solche Auffassung ganz willkürlich sein. Da ferner in der mündlichen Verhandlung der vorigen Instanz der Kläger den Mangel der Ladung ausdrücklich gerügt hat, so kann schon deshalb von einer Anwendung des §. 267 hier überhaupt nicht die Rede sein, und es darf daher von einer Erörterung darüber abgesehen werden, ob nicht wegen der Bestimmung des §. 497 dieser Fall unter die im 2. Absatz des §. 267 erwähnten zu stellen ist, in welchem ein wirksamer Verzicht einer Partei auf die Befolgung der Vorschrift überhaupt ausgeschlossen ist.
Wenn sonach das vorige Urteil aufgehoben werden muß, so ergiebt sich zugleich die Notwendigkeit, die Berufung gegen das Urteil erster Instanz nunmehr dem §. 497 bezw. §. 528 Abs. 3 Nr. 1 C.P.O. gemäß als unzulässig zu verwerfen." ...