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RG, 29.06.1920 - VII 48/20

Daten
Fall: 
Brandschadensvergütung für Explosionsschäden
Fundstellen: 
RGZ 99, 280
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
29.06.1920
Aktenzeichen: 
VII 48/20
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Oppeln
  • OLG Breslau

Kann der Versicherte Brandschadensvergütung für seine Explosionsschäden verlangen, wenn die Explosion selbst durch einen Brand hervorgerufen ist ?

Tatbestand

Die Klägerin klagt als Rechtsnachfolgerin zweier ihrer Angestellten einen angeblichen Brandschaden in Höhe von 9472 M ein. Am 5. Juni 1918 fand in der Sprengstofffabrik der Klägerin eine Explosion statt. Der dadurch hervorgerufene Luftdruck brachte die Wände und die Decken der Gebäude, in welchen sich die versicherten Sachen befanden, zum Einsturz. Die Sachen selbst wurden beschädigt oder zerstört. Die Klägerin behauptet, daß die Explosion die Folge eines in der Fabrik entstandenen Brandes gewesen sei und daß die Fabrik mit den Häusern für die Angestellten wirtschaftlich eine Einheit und deshalb auch ein einheitliches Grundstück im Sinne der Versicherungsbedingungen gebildet habe. Die Beklagte bestreitet dies.

Die maßgebenden Allgemeinen Versicherungsbedingungen lauten dahin:

§ 1 Nr. 1:
"Der Versicherer haftet nach Maßgabe der nachfolgenden Bestimmungen für den Schaden, der an den versicherten1 Sachen durch Brand, Blitzschlag oder durch Explosion von Leuchtgas aller Art, auch wenn es zu anderen als zu Beleuchtungszwecken dient, oder durch Explosion von Haushaltungsheizeinrichtungen oder von Beleuchtungskörpern entsteht. Die Haftung des Versicherers für den durch Explosion anderer Art entstehenden Schaden bedarf der besonderen Vereinbarung."

Nr. 2:
"Im Falle eines Brandes hat der Versicherer den durch die Zerstörung oder die Beschädigung der versicherten Sachen entstehenden Schaden zu ersetzen, soweit der Schaden die versicherten Sachen betrifft, welche zerstört oder beschädigt werden, und soweit die Zerstörung oder die Beschädigung auf Einwirkung des Feuers beruht, oder bei dem Brande durch Löschen, Niederreißen oder Ausräumen verursacht wird oder die unvermeidliche Folge eines Brandes ist, der auf dem Grundstück, auf dem sich die vernichteten Sachen befinden, oder auf einem angrenzenden Nachbargrundstücke stattgefunden hat. Der Versicherer hat auch den Wert der versicherten Sachen zu ersetzen, welche bei dem Brande abhanden kommen."

Eine besondere Explosionsversicherung nach Nr. 1 Satz 2 war nicht abgeschlossen.

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Auch die Revision der Klägerin blieb erfolglos.

Gründe

"Das Oberlandesgericht unterstellt zugunsten der Klägerin, daß die Explosion der Sprengstofffabrik die Folge eines dort ausgebrochenen Brandes gewesen ist, und es unterstellt weiter, daß das Grundstück, auf dem die Explosion stattgefunden hat, entweder dasselbe Grundstück gewesen ist, auf dem sich die versicherten Sachen befanden, oder ein angrenzendes Nachbargrundstück. Bei dieser alternativen Unterstellung durfte es das Oberlandesgericht belassen, denn darüber herrscht unter den Parteien kein Streit, und das geht auch aus den Versicherungsbedingungen zweifelsfrei hervor, daß die Folgen eines Brandes auf einem angrenzenden Nachbargrundstück ebenso zu entschädigen sind, wie die eines Brandes auf dem Grundstücke selbst, auf dem sich die versicherten Sachen befinden. Zu entscheiden blieb hiernach lediglich, ob der Versicherte Brandschadensvergütung für Explosionsschäden verlangen darf, wenn die Explosion selbst durch einen Brand hervorgerufen ist. Diese Frage hat das Oberlandesgericht verneint die von der Revision dagegen unter Berufung auf die §§ 133, 157 BGB. erhobenen Rügen müssen versagen.

Auszugehen ist von den die Feuerversicherung betreffenden Vorschriften des Gesetzes über den Versicherungsvertrag. Es heißt dort im § 82:

"Der Versicherer haftet für den durch Brand, Explosion oder Blitzgefahr entstandenen Schaden",

und im § 83:

"Im Falle eines Brandes hat der Versicherer den durch die Zerstörung oder die Beschädigung der versicherten Sachen entstehenden Schaden zu ersehen, soweit die Zerstörung oder Beschädigung auf der Einwirkung des Feuers beruht oder die unvermeidliche Folge des Brandereignisses ist. Der Versicherer hat auch den Schaden zu ersetzen, der bei dem Brande durch Löschen, Niederreißen oder Ausräumen verursacht wird; das gleiche gilt von einem Schaden, der dadurch entsteht, daß versicherte Sachen bei dem Brande abhanden kommen. Auf die Haftung des Versicherers für den durch Explosion oder Blitzschlag entstandenen Schaden finden die Vorschriften des Abs. 1 entsprechende Anwendung."

Es werden also im § 82 die Arten von Schäden umschrieben, für die der Versicherer zu haften hat, und im § 83 wird der Umfang des jeweils zu ersetzenden Schadens umgrenzt. Dieser Umfang des Schadens soll bei allen drei Arten von Schaden derselbe sein. Den beiden Paragraphen entsprechen unverkennbar die Nr. 1 und 2 des § 1 der Allg. Versicherungsbedingungen. Nr. 1 schränkt die Haftung des Versicherers gegenüber dem Gesetz etwas ein. Das ist zulässig, da § 82 VersVG. zum nachgiebigen Rechte gehört. Der Versicherer haftet danach unbedingt nur für zwei Arten von Schäden, nämlich für Brand- und Blitzschäden; für Explosionsschäden haftet er mangels anderer Vereinbarung nur, wenn es sich um die Explosion von Leuchtgas, von Haushaltungsheizeinrichtungen oder von Beleuchtungskörpern handelt.

Es ist nun unbedenklich und wird auch von der Klägerin nicht geleugnet, daß im gegenwärtigen Falle eine Explosion stattgefunden hat, gegen die als Explosion die Rechtsvorgänger der Klägerin nicht versichert waren. Besondere Vereinbarungen in dieser Richtung waren nicht getroffen; um eine Explosion von Leuchtgas, Haushaltungsheizvorrichtungen oder Beleuchtungskörpern hat es sich nicht gehandelt. Die Klägerin will aber die streitigen Explosionsschäden nach § 1 Nr. 2 der Allg. Versicherungsbedingungen als Feuerschäden vergütet wissen, weil die Explosion die unvermeidliche Folge eines Brandes gewesen sei. Damit verkennt die Klägerin den, wie dargelegt, dem Versicherungsvertragsgesetz entsprechenden Aufbau der Allg. Versicherungsbedingungen. Arten von Schäden, die an der dazu bestimmten Stelle von der Haftung des Versicherers ausgenommen sind, können nicht dadurch wieder unter diese Haftung gebracht werden, daß dem Umfange einer anderen Schadensart eine Auslegung gegeben wird, die auch jene an sich ausgenommenen Schadensarten wieder unter die Versicherung fallen lassen würde. Unterscheidet das Gesetz und unterscheiden ihm folgend die Versicherungsbedingungen nun einmal zwischen Brandschaden, Blitzschäden und Explosionsschäden, so ist an dieser Unterscheidung auch festzuhalten, wenn der Umfang der einzelnen Schadensart zu bestimmen ist. Es mag Fälle geben, in denen es schwer ist, Brandschäden und Explosionsschäden gegeneinander abzugrenzen. Das wird namentlich zutreffen, wenn beide Arten von Schäden nebeneinander gegeben sind. Derartige Schwierigkeiten kennt aber der gegenwärtig zu entscheidende Fall nicht. Die eingetretenen Schäden sind, wie auch die Klägerin nicht leugnet, nur durch den Luftdruck der Explosion verursacht, nicht auch durch Feuer. Solche reinen Explosionsschäden bleiben im Sinne des Gesetzes und der Versicherungsbedingungen Explosionsschäden, auch wenn zur Entstehung der Explosion ein Brand mitgewirkt hat. Der rein logische Zusammenhang ist hier nicht maßgebend. Um zu einer scharfen Scheidung zu gelangen, haben sich das Gesetz und die Allg. Versicherungsbedingungen darüber hinweggesetzt, für sie ist der sog. adäquate ursächliche Zusammenhang maßgebend, der Zusammenhang im natürlichen Sinne. Auf demselben Standpunkte steht das Urteil des Senats vom 21. Oktober 1907, VII 435/07." ...

  • 1. Amtl. Anm.: Wegen der Landesgesetzgebung anderer Gebiete sei auf Wörner, Nebengesetze zur Unfallversicherungsgesetzgebung, 1. Teil, verwiesen, weiter auf das bayerische Beamtenges. vom 16. August 1906 Art. 101 Abs. l, sowie auf das badische Beamtenges. in der Fassung v 1908 § 72. Die der sächsischen Vorschrift in der streitigen Frage zugrunde liegende Auffassung (vgl. Landtagsakten 1901/1902 Bd. 3 S 922) scheint vereinzelt geblieben zu sein.