RG, 29.06.1880 - IVa 399/79
Findet die Bestimmung des §. 10 des Ges. über den Eigentumserwerb vom 5. Mai 1872, wonach die mangelnde Form eines Geschäftes, in dessen Veranlassung die Auflassung erfolgt, durch die Auflassung geheilt wird, auch auf mündliche Nebenabreden zu dem schriftlichen Veräußerungsvertrage Anwendung?
Tatbestand
Auf Grund eines schriftlichen Tauschvertrages vom 14. Sept. 1877 war dem Beklagten vom Kläger ein Grundstück in Berlin aufgelassen. In jenem Vertrage hatte sich der Kläger verpflichtet, für eine auf dem Grundstücke haftende Hypothek von 150000 Mk, gegen Erhöhung des Zinsfußes auf 6 Prozent dem Beklagten einen Gläubiger zu beschaffen, welcher die Unkündbarkeit auf 6 Jahre bewilligen werde. Zum Betrage von 130000 Mk. ist dieser Vertragsbestimmung von beiden Teilen genügt. Den Rest von 20000 Mk. aber hatte der Kläger schon vor der Auflassung selbst erworben. Diesen - nach Maßgabe des der Hypothek zum Grunde liegenden Vertrages fällig gewordenen - Restbetrag klagte der Kläger ein, weil der Beklagte die Erhöhung des Zinsfußes auf 6 Prozent für diesen Betrag verweigerte.
Der Beklagte wendete u. a. ein, der Kläger habe nach dem Erwerb der 20000 Mk. und vor der Auflassung ihm mündlich versprochen, diese hypothekarische Forderung 6 Jahre lang unkündbar stehen zu lassen. Mit dem Kläger hielt der erste Richter diese angebliche Abrede wegen mangelnder Schriftform für unverbindlich. Der Appell.-Richter verwarf sie aus thatsächlichen Gründen. Auf die Revision des Beklagten wurde die Replik der mangelnden Schriftform aus folgenden Gründen:
Gründe
"Der §. 10 des Ges. über den Erwerb des Eigentums vom 5. Mai 1872 bestimmt:
Die Anfechtung ist auch auf Grund des Rechtsgeschäftes, in dessen Veranlassung die Auflassung "folgt ist, statthaft, jedoch wird die mangelnde Form dieses Geschäftes durch die Auflassung geheilt.
In den Motiven des Gesetzes wird gesagt, daß diese Vorschrift weiter gehe, als der Entwurf von 1869/70, welcher nur die Auflassung gegen eine Anfechtung wegen mangelhafter Form des Veräußerungsvertrages sicher stellte. Die Ausdehnung des §. 10 a. a. O. rechtfertige sich dadurch, daß dem gemeinen Recht, für dessen Geltungsbereich das Gesetz mitbestimmt sei, Vorschriften über die Schriftlichst der Veräußerungsverträge unbekannt feien.
Deshalb, heißt es weiter, ist in dem jetzt vorliegenden Entwürfe der weiter gehende Grundsatz angenommen werden, daß die formgerechte Auflassung den Mangel an Form des Veräußerungsvertrages ersetzt oder heilt, daß mithin, wenn die Auflassung formgerecht erteilt ist, der Veräußerer aus dem Vertrage das Klagerecht auf die Gegenleistungen hat und sich nicht der Einrede ausgesetzt sieht, daß er die Gegenleistung nicht fordern könne, weil der Vertrag wegen Formmangels klaglos sei. Auch bei den Landtagsverhandlungen ist man sich dieser Tragweite des Gesetzes völlig bewußt gewesen. (Vgl. Werner, Materialien zu den Hyp.-Ges. Bd. I. S. 17, 125-129.)
Ob der im §. 10 a. a. O. sanktionierte Rechtsgrundsatz auch auf die im A.L.R. I. 5. §§. 127-129 gedachten mündlichen Nebenabreden zu schriftlichen Verträgen zu beziehen ist, mag nicht unbedenklich erscheinen. Das vormalige preuß. Obertribunal hat diese Frage in mehreren Entscheidungen bejaht. (Vgl. Entsch. des Obertrib. Bd. 81 S. 9; Striethorst Archiv Bd. 99 S. 317; Gruchot, Beiträge Bd. 22 S. 405.)
Es nimmt an, der Zweck des A.L.R.'s, die Rechts- und Willensgewißheit durch Nichtberücksichtigung mündlicher Nebenabreden möglichst festzustellen, sei im §. 10 a.a.O. aufgegeben. Werde durch die Auflassung der Formmangel des zu Grunde liegenden obligatorischen Geschäftes geheilt, so könne allein der Vertragswille, gleichviel in welcher Form er zum Ausdruck gebracht sei, für die Gegenleistung maßgebend sein. Der Vertragswille sei aber ein einheitlicher und in den Nebenbestimmungen ebenso wirksam, als in den Essentialien des Geschäftes. Die entgegenstehende Ansicht würde zu dem Resultate führen, daß dem nur mündlich geschlossenen Vertrage eine größere Wirksamkeit beiwohnte, als den teils mündlich, teils schriftlich zustande gekommenen, was vom Gesetze seinem Grunde und Zwecke nach nicht gewollt sein könne. -
Von dieser Auslegung des §. 10 a.a.O. seitens des vormaligen höchsten Landesgerichtes abzuweichen, hat das Reichsgericht keinen Anlaß."