RG, 29.06.1880 - II 140/80

Daten
Fall: 
Verjährungsunterbrechung duch Rechtshandlungen gegen die Liquidatoren
Fundstellen: 
RGZ 2, 9
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
29.06.1880
Aktenzeichen: 
II 140/80
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • Handelsgericht Würzburg
  • Handelsappellationsgericht Nürnberg

1. Kann die gegen einen ausgeschiedenen Genossenschafter laufende Verjährung nicht bloß durch Rechtshandlungen gegen die fortbestehende Genossenschaft, sondern auch durch Rechtshandlungen gegen die Liquidatoren der aufgelösten Gesellschaft oder die Konkursmasse unterbrochen werden?
2. Welche Rechtshandlungen sind geeignet, die Verjährung gegen die Konkursmasse zu unterbrechen?

Tatbestand

Der Kreditverein L., eingetragene Genossenschaft, trat am 11. April 1875 in Liquidation. Am 1. Mai 1875 beantragte die Stadt L. Eröffnung der Gant gegen den Verein, welche auch am 30. Juni 1875 verfügt wurde. Die Stadt L. meldete am 25. September 1875 eine Forderung von 14245 Gulden an, welche unbestritten blieb und zum Passivstatus zugelassen wurde. Bei Beendigung der Gant, welche anfangs 1878 stattfand, ergab sich für die Stadt L. ein Ausfall von 11564 Mark, wovon sie sofort den Betrag von 1000 M. gegen den Genossenschafter H. einklagte. Dieser Genossenschafter hatte bereits am 28. August 1874 seinen Austritt erklärt, jedoch erst am 25. Februar 1875 davon Anzeige beim Handelsgerichte gemacht. In erster Instanz erfolgte Verurteilung, indem angenommen wurde, es sei durch den Antrag der Stadt L. auf Ganteröffnung die Verjährung rechtswirksam unterbrochen worden. Das Urteil zweiter Instanz wies die Klage als verjährt ab, würde jedoch vernichtet aus folgenden Gründen.

Gründe

"Nach §. 12 Abs. 1 und §. 51 Abs. 5 des Bundesgesetzes vom 4. Juli 1868 (in Bayern eingeführt durch Reichsgesetz vom 23. Juni 1873) kann, abgesehen vom Falle, wo die Eröffnung eines Konkurses nicht erfolgen kann, der Genossenschaftsgläubiger die Solidarhaft der einzelnen Genossenschafter nur in Anspruch nehmen, wenn der Konkurs gegen die Genossenschaft durchgeführt ist und sich dabei ein Ausfall für die im Konkurse geltend gemachte Forderung ergeben hat.

Wenn trotzdem das Gesetz (§. 63) die für diesen Anspruch bestimmte kurze Verjährungsfrist schon beginnen läßt mit dem Eintrage des Ausscheidens eines Genossenschafters oder der Auflösung der Genossenschaft in die betreffenden Register, also zu einer Zeit wo ein Klagrecht gegen den einzelnen Genossenschafter noch gar nicht besteht, so mußte es selbstverständlich auch die Mittel gewähren, diese Verwahrung in anderer Weise, als durch eine Klage gegen den Genossenschafter zu unterbrechen.

In diesem Sinne sind die Bestimmungen des §. 64.d. angef. Ges. gegeben; sie sollen den Gläubiger in die Lage setzen, sich unter allen Umständen gegen fragliche Verjährung dadurch zu schützen, daß er der Genossenschaft gegenüber die erforderliche Diligenz in Geltendmachung seines Rechtes bewährt.

Allerdings läßt sich nicht verkennen, daß der Gesetzgeber diesem Gedanken, der ihn leitete, nur unvollkommen Ausdruck gegeben hat. Er trifft nur Vorsorge für die zwei sich zunächst darbietenden Fälle, nämlich 1. den Fall, wo ein Genossenschafter ausscheidet und die Verjährung gegen die noch fortbestehende Genossenschaft unterbrochen werden soll, und 2. den Fall, wo die Genossenschaft sich auflöst und die Verjährung gegen die in Liquidation oder im Konkurse befindliche Genossenschaft unterbrochen werden soll, übersieht jedoch den dazwischen liegenden Fall, wo ein Genossenschafter ausscheidet und noch innerhalb der Verjährungszeit die Genossenschaft sich auflöst, also die Verjährung zum Teile der fortbestehenden, zum Teile der in Liquidation oder im Konkurse befindlichen Genossenschaft gegenüber zu unterbrechen wäre.

Wollte man am bloßen Wortlaute halten, so käme man zur Ansicht des Appellrichters, daß im Falle des Ausscheidens eines Genossenschafters (§. 64 Abs. 1) die Verjährung nur durch Rechtshandlungen gegen die fortbestehende Genossenschaft unterbrochen werden könne, also nie durch Rechtshandlungen gegen die aufgelöste Genossenschaft. Folge, hiervon wäre, daß vom Augenblicke der Auflösung der Genossenschaft an und bis zur Beendigung des Konkurses dem ausgeschiedenen Genossenschafter gegenüber eine Unterbrechung der Verjährung nicht möglich sein würde. Dies stünde im offensten Widerspruche mit dem Zwecke des Gesetzes, kann also unmöglich als gewollt gelten, vielmehr ist anzuerkennen, daß das Gesetz eine Lücke bietet, welche nach dem ihm zu Grunde liegenden Zwecke, unter Zusammenhalt der in §. 64 (Abs. 1 und 2) gegebenen Bestimmungen dahin zu ergänzen ist, daß auch dem ausgeschiedenen Genossenschafter gegenüber die Verjährung eintretenden Falles durch Rechtshandlungen gegen die Liquidatoren der aufgelösten Genossenschaft oder deren Konkursmasse unterbrochen werden könne.

Für, diese Auffassung spricht insbesondere auch die Entstehung des §. 64 a. a. O. Die Bestimmungen dieses §, welche aus dem Gesetzesvorschlage von Schulze-Delitzsch unverändert und ohne nähere Diskussion in das preußische Gesetz vom 27. März 1867 und das Bundesgesetz vom 4. Juli 1868 aufgenommen wurden, sind ganz den Bestimmungen des Art. 148 H.G.B. nachgebildet. Man begnügte sich, den Abs. 1 des Art. 148, welcher bestimmt, daß die Verjährung zu Gunsten eines ausgeschiedenen Gesellschafters durch Rechtshandlungen gegen die fortbestehende Gesellschaft nicht unterbrochen werde, dahin zu ändern, daß die Verjährung zu Gunsten eines ausgeschiedenen Genossenschafters durch Rechtshandlungen gegen die fortbestehende Genossenschaft unterbrochen werde, d. h. an Stelle einer Verneinung eine Bejahung zu setzen. Den Fall der Auflösung der Genossenschaft während der Verjährungszeit überging man in gleicher Weise, wie Art. 148 Abs. 1 den Fall der Auflösung der Gesellschaft nicht vorgesehen hatte, und beachtete dabei nicht, daß nach der bezeichneten Änderung und bei der Verschiedenheit der Zwecke beider Gesetzesstellen die nämliche Unterlassung, welche bei der einen ganz unerheblich war, bei der anderen zu Zweifeln und Mißdeutungen Anlaß geben konnte.

Hieraus ergiebt sich klar, daß es nur auf einer, aus besonderen Umständen sich herleitenden mangelhaften Redaktion beruht, wenn das Gesetz seinen Willen nur in unvollkommener Weise ausspricht, daher nichts im Wege steht, dem wahren Willen des Gesetzgebers Geltung zu verschaffen. Ganz richtig hat daher das badische Genossenschaftsgesetz vom 11. Februar 1870 die Bestimmungen in Abs. 1 des §. 64 a. a. O. dahin ergänzt, daß es am Schlusse sagt: "wohl aber durch Rechtshandlungen gegen die fortbestehende Genossenschaft, oder die Liquidatoren bezw. die Konkursmasse."

Es könnte scheinen, als ob diese Auslegung des §. 64 Abs. 1 sich mit der Bestimmung in §. 3 Abs. 4 des Einführungsgesetzes zur Konkursordnung insofern in Widerspruch setze, als hier der Gesetzgeber einen anderen Sinn jener Gesetzesstelle voraussetze; allein in der That ist dies nicht der Fall, denn fragliche Bestimmung wurde nur gegeben, um durch eine bestimmte klare Verfügung jeden Anlaß zu Zweifeln zu beseitigen, keineswegs, weil man es für unmöglich hielt, das Nämliche schon aus §. 64 Abs. 1 zu folgern. Übrigens ist darauf hinzuweisen, daß jene Gesetzesbestimmung nur für den Fall des Konkurses, nicht aber auch für den Fall der Liquidation Vorsorge trifft, in letzterer Beziehung also die Frage, ob §. 64 Abs. 1 in dem erörterten weiteren Sinne aufzufassen sei, auch in Zukunft ihre Bedeutung behält.

Es fragt sich nun weiter, welche Rechtshandlungen man als solche, welche die Verjährung unterbrechen, zu betrachten habe.

In Art. 148 H.G.B. sind, wie sich aus den Beratungen der Nürnberger Kommission (Prot. S. 4535) ergiebt, nur solche Rechtshandlungen gemeint, welche nach den maßgebenden Landesrechten geeignet sind, die Verjährung zu unterbrechen, und ohne Zweifel ist dies auch der Sinn des §. 64 des Genossenschaftsgesetzes, soweit er die Bestimmungen des Art. 148 a. a. O. aufgenommen hat. Weitergehend als Art. 148 bezeichnet nun aber §. 64 auch Rechtshandlungen gegen die Konkursmasse als Mittel die zu Gunsten der Genossenschafter laufende kurze Verjährung zu unterbrechen, und hiermit können, der Natur der Sache nach, nur Rechtshandlungen gemeint sein, welche das Konkursverfahren an die Hand giebt, um eine Forderung der Konkursmasse gegenüber zur Geltung zu bringen, also vorzugsweise die Anmeldung der Forderung im Konkurse.

Was nun den vorliegenden Fall betrifft, so ergiebt sich aus den tatsächlichen Feststellungen, daß die am 25. Februar 1875 beginnende Verjährung bereits am 25. September 1875 durch Anmeldung der Forderung in der gegen die Genossenschaft eröffneten Gant unterbrochen wurde. Von da bis zur Beendigung der Gant konnte, insofern die Sache der Gantmasse gegenüber als anhängig zu erachten war, von einer Verjährung nicht die Rede sein."