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RG, 25.06.1880 - III 76/80

Daten
Fall: 
Ausübung der Dienstbarkeit bei vertragsmäßiger Bestellung eines Fahrtrechts
Fundstellen: 
RGZ 2, 159
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
25.06.1880
Aktenzeichen: 
III 76/80
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • Kreisgericht Neuwied
  • Oberlandesgericht Frankfurt a. M.

Vertragsmäßige Bestellung eines Fahrtrechtes. Inwiefern geht bei der Einhaltung eines bestimmten Weges seitens des Berechtigten durch eintretende Unmöglichkeit der Ausübung der Dienstbarkeit diese verloren? Beweislast bezüglich der Ausübung des Wahlrechtes.

Aus den Gründen

"Das Berufungsurteil nimmt an, daß sich die erhobene Klage auf zwei verschiedene Klagegründe stütze, einmal darauf, daß nach der Verabredung der Beteiligten bei der Bestellung des streitigen Fahrtrechtes den C. B.'schen Eheleuten eine bestimmte Wegerichtung über das dienende Grundstück in der Richtung b-m, des Handrisses angewiesen worden sei, und sodann darauf, daß der Weg zwar unbestimmt geblieben sei, die Berechtigten aber jene Richtung demnächst gewählt hätten. In Anschluß hieran stellt die vorige Instanz tatsächlich fest, daß der Vertrag am 15. Nov. 1859 den Ort der Ausübung der Gerechtigkeit nicht näher bezeichne, von dem Wahlrechte aber dadurch Gebrauch gemacht worden sei, daß die Beklagte bezw. deren Rechtsvorgänger im Besitze des herrschenden Grundstückes zugestandenermaßen seit Bestellung des Fahrtrechtes die vorgebuchte Richtung zumeist eingeschlagen habe, um über den Hofraum des Klägers in die dahinter liegende Hofseite zu gelangen; sie verurteilt demgemäß die Beklagte mit Bezug auf 1. 9 Dig. de serv. 8. 1 sofort nach der Klagbitte, ohne auf den ersten Klaggrund und die von beiden Teilen weiter angebotenen Beweise einzugehen.

Diese Entscheidung ist, wie die Implorantin zutreffend rügt, rechtsirrtümlich. Aus der Thatsache allein, daß die Beklagte bezw. deren Rechtsvorgänger seit Bestellung der Servitut durch Vertrag die Richtung b-m des Handrisses über des Klägers Hofraum eingehalten haben, folgt nicht, daß die Berechtigte für alle Zeit diese Strecke innehalten müsse, so daß der übrige Teil des dienenden Grundstückes von der Dienstbarkeit befreit würde. Ist bei der vertragsmäßigen Konstituierung eines Fahrtrechtes dessen Umfang und Richtung nicht ausdrücklich bestimmt worden, so ist das dienende Grundstück an und für sich ganz und in allen seinen Teilen belastet; es kann aber der Berechtigte genötigt werden, mit billiger Berücksichtigung der Interessen des Verpflichteten eine bestimmte Strecke zur Ausübung der Servitut zu wählen, und es hat, im Falle er dies unterläßt, richterliches Ermessen einzutreten. 1. 13. §5. 1. 3; 1. 21. I. 26. Dig. de serv. p. r., 8. 3; 1. 6 §. 1 Dig. quemadei. serv. 8. 6.

Die Ausübung des Wahlrechtes selber kann sowohl ausdrücklich als stillschweigend erfolgen, und ist letzteres namentlich dann anzunehmen, wenn entweder der Berechtigte einen Weg anlegt oder aus der fortgesetzten Einhaltung einer bestimmten Richtung nach den Umstanden des Falles ein Einverständnis der Beteiligten darüber sich ergiebt, daß nur die seither befahrene Strecke fernerhin dienstbar sein solle.

Nichts anderes bestimmt denn auch die von dem Berufungsgerichte angezogene I. 9. Dig. de serv. 8. 1. Denn der Jurist, indem er dem Servitutberechtigten die Veränderung der einmal eingehaltenen Richtung der Fahrt untersagt, bedient sich hierbei des Beispieles der Wasserleitung. Von Anfang an, sagt er, könne man solche leiten, wohin man wolle; habe aber der Berechtigte einmal dem Wasser einen bestimmten Lauf gegeben, so dürfe er die Leitung nicht verlegen. Es ist also von einer Anlage die Rede, welche zum Zwecke der Ausübung der Servitut gemacht wurde.

Ob nun eine Wegeanlage in der Richtung b-m des Handrisses bestehe, oder in der seitherigen Einhaltung der letzteren der Vertragswille der Beteiligten sich ausgeprägt habe, darüber hat sich das angefochtene Erkenntnis nicht ausgesprochen. Auch enthalten seine thatsächlichen Feststellungen keine Anhaltspunkte, welche einen Schluß darauf zuließen, daß das streitige Fahrtrecht unter der Voraussetzung eines bestimmten Weges gegeben worden sei; insbesondere ist nirgends dargelegt, daß das Fahren über des Klägers Hofraum auf der neuen Linie diesem nachteiliger sei, als die Ausübung der Fahrten auf der seitherigen Strecke. Auf keinen Fall ist aber eine bindende Wahl darin zu finden, daß die Berechtigten die Fahrstrecke b-m des Handrisses meistens eingehalten, in der That also bei der Ausübung der Dienstbarkeit verschiedene Richtungen eingeschlagen haben, zumal nicht feststeht, daß jene Strecke von Anfang an, alsbald bei oder nach der Bestellung der Servitut, befahren worden sei. Es kann daher nur die obige Regel zur Anwendung kommen, daß im Zweifel bei der Dienstbarkeit des Fahrweges das ganze Grundstück des Verpflichteten belastet ist.

Daraus folgt denn für den vorliegenden Fall, daß das streitige Fahrtrecht bei der eingetretenen Unmöglichkeit der Ausübung auf der seither befahrenen Strecke nicht verloren ging.

Das angefochtene Erkenntnis unterliegt deshalb der Vernichtung.

Bei freier Beurteilung kann zur Zeit ein Enderkenntnis noch nicht erlassen werden.

Die erhobene Klage stützt sich nach den Erläuterungen der Replik und Appellationsrechtfertigungsschrift auf zwei wesentlich verschiedene Momente:

  1. auf die ausdrückliche oder doch aus den Umständen zu folgernde Konstituierung eines beschränkten Fahrtrechtes über die mehrgedachte Strecke;
  2. auf die Bestellung eines unbestimmten Fahrtrechtes mit nachfolgender Bestimmung jener Linie durch Einverständnis der Parteien.

In beiden Beziehungen widerspricht die Beklagte, und sind die von den streitenden Teilen in zweiter Instanz angebotenen Beweise zu erheben.

... Mit Unrecht hat sich in zweiter Instanz der Kläger über die Regulierung der Beweislast beschwert. Der von manchen Rechtslehrern aufgestellte Satz: "daß im Zweifel gegen das Vorhandensein der Servitut zu entscheiden sei," - ist in dieser Allgemeinheit unrichtig. Im vorliegenden Falle kommt nur der Inhalt einer durch Vertrag konstituierten Servitut in Betracht, und dieser bestimmt sich nach dem Willen der Kontrahenten, welcher wiederum unter den für Rechtsgeschäfte geltenden Interpretationsregeln steht. Der Bestellungswille selbst ist im Zweifel zu Gunsten des Bestandes, jedoch zu Ungunsten des Umfanges der Dienstbarkeit auszulegen. - Vergl. Böcking, Pandekten §. 160 Anm. 20 flg. - Kann daher der Kläger nicht die zum ersten Klagegrunde aufgestellten Behauptungen erweisen und ist demgemäß davon auszugehen, daß das Fahrtrecht unbestimmt bestellt worden sei, so muß die Beklagte so lange zu allen Handlungen, die überhaupt bei solcher Dienstbarkeit gesetzlich erlaubt sind, und an allen Teilen der belasteten Sache für befugt erachtet werden, als nicht der Verpflichtete eine seitens des Berechtigten bereits getroffene Wahl in der Ausübung des Fahrtrechtes auf einer bestimmten Wegstrecke darzuthun imstande ist. Der Grundsatz, daß Servituten schonend auszuüben sind und der Richter bei dem Vorhandensein der erforderlichen Voraussetzungen auf Antrag des Verpflichteten dem Servitutberechtigten eine bestimmte Wegstrecke anweisen kann, wird selbstverständlich hierdurch nicht berührt."