RG, 25.06.1880 - III 41/80

Daten
Fall: 
Gemeindebeschlussanfechtung / Allmende
Fundstellen: 
RGZ 2, 162
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
25.06.1880
Aktenzeichen: 
III 41/80
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • KreisG Hechingen
  • OLG Frankfurt a. M.

Anfechtung eines Gemeindebeschlusses über Rechte von Gemeindeteilen. - Disposition der Gemeindeglieder über Gemeindenutzungsrechte - Allmenden.

Tatbestand

Die klagende Gemeinde verlangt Aufhebung einer von der beklagten Firma gegen einen Ortsnachbar (M.) im Wege der Hilfsvollstreckung erfolgten Beschlagnahme seines Gemeindeteiles, welcher in der Nutzung des ihm zukommenden Stückes der Gemeinde-Allmende, die von Zeit zu Zeit der Neuverteilung unter die Gemeindeglieder unterliegt, besteht. Gestützt wird die Klage auf eine Bestimmung des von der Gemeindebehörde mit Genehmigung der vorgesetzten Verwaltungsstelle in betreff der Allmendennutzung erlassenen Statuts vom 10. März 1873, durch welches die executivische Beschlagnahme der Nutzungsanteile untersagt wird. Die Berechtigung der Gemeinde zum Erlaß einer solchen Bestimmung wird aus dem ihr an der Allmende zustehenden Eigentume und aus unvordenklicher Übung hergeleitet.

Die beklagte Firma ficht die bindende Kraft der statutarischen Bestimmung an und bestreitet das Eigentum der Gemeinde an der Allmende. Die Klage ist in erster und zweiter Instanz als rechtlich unbegründet abgewiesen, die dagegen von der Klägerin eingewendete Nichtigkeitsbeschwerde verworfen worden.

Gründe

"Einen Rechtssatz des Inhaltes, daß bei der Neu-Austeilung einer Allmende jeder Bürger, welcher das ihm zugeteilte Stück angenommen, die Bestimmungen des die Verteilung ordnenden Gemeindebeschlusses so lange gegen sich gelten zu lassen habe, als er nicht den Beschluß mit Erfolg wegen rechtswidrigen Eingriffes in seine Privatrechte angefochten habe, existiert nicht. Denn wie jemand zwar unter Umständen berechtigt, niemals aber verpflichtet sein kann, einen seine Rechte nur erst bedrohenden oder gefährdenden Akt anzufechten, bevor die Rechtsverletzung wirklich eingetreten ist, so kann auch insbesondere ein Ortsbürger nicht deshalb verpflichtet sein, sich die Beeinträchtigung seiner Rechte durch einen Beschluß der Gemeinde gefallen zu lassen, weil er diesen Beschluß nicht schon vorher erfolgreich angefochten hatte. Vielmehr ist gerade der auf die Zurückweisung der einzelnen Rechtsverletzung abzielende Prozeß der Ort, wo die Rechtsbeständigkeit eines solchen Beschlusses zum Austrug kommt, wobei es auch gleichgültig ist, ob der Ortsbürger den ihm nach dem Beschluß zufallenden Anteil an der Allmende angenommen hatte oder nicht - vorausgesetzt nur, daß hierin nicht ein Verzicht auf sein Widerspruchsrecht gefunden werden kann, wovon hier nicht die Rede ist. Wie aber der Ortsbürger selbst, so konnte auch sein Rechtsnachfolger die ersterem gegen den Rechtsbestand zustehenden Einwendungen zur Geltung bringen, und ist daher weiter auch nicht abzusehen, inwiefern der Rechtssatz verletzt sein soll, daß der Rechtsnachfolger nicht mehr Rechte haben könne als sein Rechtsvorgänger.

Aber auch der weiter erhobene Vorwurf der Verletzung von Rechtsgrundsätzen kann für begründet nicht erachtet werden.

Wie man auch im übrigen das Rechtsverhältnis der Allmende auffassen mag, darüber kann nicht wohl ein Zweifel bestehen, daß regelmäßig der Gemeinde als solcher (nach Befinden einer Realgemeinde oder Genossenschaft) die Verwaltung und Disposition über die Allmende in einer die einzelnen Mitglieder derselben bindenden Weise zukommt, andererseits aber auch diesen letzteren in einem gewissen Umfang kraft privaten Rechtes Nutzungsbefugnisse zustehen, welche ihnen durch Gemeindebeschluß nicht entzogen, noch beeinträchtigt werden können. Der Zweifel betrifft nur die Grenze, innerhalb deren sich die Dispositionen der Gemeinde zu bewegen haben. In dieser Beziehung kann man sich nun in Ermangelung von bestimmenden (positiven) Rechtsnormen - denn auch der §. 81 der Hechinger Stadtordnung von 18341 gewährt für den vorliegenden Fall direkt keine Entscheidung - nur an die Natur des Rechtsverhältnisses selbst halten, welche dahin führt, der Gemeinde lediglich das Recht einzuräumen, vorbehaltlich des Nutzungsrechtes jedes einzelnen Mitgliedes, die Art und das Maß der Ausübung dieser Nutzungsrechte im Interesse der Gesamtheit zu regeln und demgemäß zu beschränken. Insofern die Implorantin diesen Rechtssatz aufstellt, ist ihr beizutreten, nicht aber, insofern sie ihn vom Appellationsrichter verletzt glaubt. Dieser geht davon aus, daß dem einzelnen Ortsbürger nicht durch Gemeindebeschluß die Befugnis entzogen werden könne, über die Erträge seiner Nutzungsanteile zu verfügen, insbesondere sie zu verpfänden, bezw. ihre Abpfändung zu dulden. Insoweit handelt es sich aber in der That nicht bloß um die Art und Weise der Ausübung seines Nutzungsrechtes, sondern um den Ertrag des ausgeübten und um Entziehung bezw. Schmälerung der Wirkungen des Rechtes selbst.

Nun wird zwar bei der Mannigfaltigkeit dieser Verhältnisse und der schwankenden Natur der gedachten Grenzlinie die Möglichkeit nicht ausgeschlossen sein, daß gewohnheitsrechtlich, oder durch besonderes positives Gesetz Gemeinden auch zu Dispositionen über die Allmende ermächtigt erscheinen, welche nicht bloß die Ausübung, sondern mehr oder weniger die Substanz der Nutzungsrechte der einzelnen selbst alterieren. Daß aber eine derartige Rechtsnorm für den vorliegenden Fall existiere, eine Rechtsnorm, welche der Gemeinde eine über das gewöhnliche Maß hinausgehende, sie zu Beschlüssen, wie der vorliegende ist, ermächtigende Befugnis beilegte, wie die Implorantin schließlich behauptet, ist nicht anzunehmen.

Einen Beweis über die von ihr angerufene Observanz hat sie nicht versucht, der von ihr angerufene und als verletzt bezeichnete §. 2 der (Dorf-) Gemeinde-Ordnung für das Fürstentum Hohenzollern- Hechingen vom Jahre 1833 betrifft die Frage überhaupt nicht, und wenn auch §. 55 Ziff. 4 gelegentlich das Recht der Gemeinde bezw. des Gemeindeausschusses anerkennt, "die Vornahme von Kulturveränderungen des Gemeindegutes im ganzen oder einzelner Teile desselben, zum Beispiel beim Umbruch von Allmenden und dergleichen" zu beschließen, so betrifft doch auch ein solcher Beschluß lediglich die Art und Weise der Ausübung der Gemeindenutzungsrechte. Wenn dagegen andererseits das Kgl. Kreisgericht aus der ihm beiwohnenden Kenntnis der lokalen Rechtszustände bekundet, daß in den dortigen Gemeinden die Bürger von jeher ihre Bezüge aus dem Allmendvermögen an Dritte, ohne Rücksicht auf deren Qualität als Gemeindebürger, verpfändet und verpachtet haben; und wenn ferner für die gleichartigen Verhältnisse der Gemeinden des Fürstentums Hohenzollern-Sigmaringen durch das dortige Hilfsvollstreckungsgesetz vom 1. Juni 1840 §. 83 (im Vergleich mit der dortigen Gemeindeordnung vom 6. Juni 1840 §. 94)2 auch "der Bürgernutzen", wiewohl mit einer gewissen Beschränkung, als Exekutionsobjekt anerkannt worden ist, so giebt sich darin eine Rechtsanschauung kund, die mit einem Rechtsgrundsatz, über anomal weitgehende Dispositionsrechte der Gemeinden in betreff der Anteilsrechte der einzelnen am Allmendgut unvereinbar ist."

  • 1. Amtl. Anm.: Der Eingang dieses Paragraphen lautet: "Da alles liegende und fahrende Vermögen der Stadtgemeinde (Hechingen), ersteres mag Gemeinde- oder Allmendgut sein, das Eigentum der Gemeinde als Gesamtheit ist, so sind..."
  • 2. Amtl. Anm.: Der §. 94 der G.O., auf welchen der §. 83 des Hilfsvollstreckungsgesetzes verweist, lautet: "Soweit der jährliche Ertrag des Bürgernutzens nicht zwanzig Gulden übersteigt, darf, wegen Forderung von Abgaben an die Gemeinde ausgenommen, kein gerichtlicher Zugriff darauf erkannt werden."