RG, 18.06.1880 - IVa 526/79

Daten
Fall: 
Abfindung bei Gutsüberlassungsvertrag
Fundstellen: 
RGZ 2, 272
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
18.06.1880
Aktenzeichen: 
IVa 526/79
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • KreisG Culm
  • Appellationsgericht Marienwerder

Wie erwerben bei Gutsüberlassungsverträgen zwischen Eltern (Ascendenten) und Kindern, in welchen anderen, nicht zugezogenen Kindern Erbabfindungen ausgesetzt sind, die so Bedachten das Recht auf die Abfindung dem Gutsannehmer gegenüber?

Tatbestand

In einem am 18. Dezember 1857 zwischen den L.'schen Eheleuten und ihrem Sohne geschlossenen Gutsüberlassungsvertrage hat der Übernehmer unter anderem sich verpflichtet, seinen Stiefgeschwistern, welche an dem Vertrage nicht teilgenommen haben, darunter dem Johann L., nach dem Tode der Mitverkäuferin als Muttererbteil je 100 Thlr. zu zahlen. Johann L. ist im Jahre 1867, die Mitverkäuferin, seine Mutter, im Jahre 1876 gestorben. Die Kinder und Erben des Johann L. haben den Gutsübernehmer auf Zahlung der Abfindung belangt.

Der Beklagte hat eingewendet, da Johann L. vor seiner Mutter gestorben und weder selbst noch seine Erben dem Vertrage beigetreten seien, so gehörten die 100 Thlr. den Erben der Mutter. Durch einen Vertrag vom 19. November 1875 hätten aber die L.'schen Eheleute ihm ihr gesamtes Vermögen übertragen; er sei also Eigentümer des Nachlasses der Mutter und somit auch der an sie zurückgefallenen 100 Thlr. geworden.

Die II. Instanz hat das den Beklagten verurteilende erste Erkenntnis bestätigt. Die Nichtigkeitsbeschwerde ist zurückgewiesen.

Gründe

"In Übereinstimmung mit dem ersten Richter hat der Appellationsrichter angenommen, daß Johann L., wenngleich er dem Vertrage nicht beigetreten, dennoch Rechte aus demselben auf die durch den Tod seiner Mutter bedingte Abfindung erworben habe, daß dieses Recht durch seinen vor Eintritt der Bedingung erfolgten Tod auf seine Erben übergegangen und der spätere Vertrag vom 19. November 1875 einflußlos sei, weil er nur das Vermögen der L.'schen Eheleute betreffe, zu welchem die dem Johann L. ausgesetzten 100 Thlr. nicht mehr gehört hätten. , ,

Der erste Richter hat seine Entscheidung auf den Plenarbeschluß des preuß. Obertribunals vom 25. August 1846 (Entsch. B. 14 S. 68) gestützt, und auch die Begründung des Appellationsrichters, welcher die erstrichterlichen Entscheidungsgründe für zutreffend erklärt, beruhen unverkennbar auf einer Anwendung des in jenem Plenarbeschluß ausgesprochenen Rechtsgrundsatzes. Den materiellen Angriffen der Nichtigkeitsbeschwerde ist daher Raum gegeben.

Die letztere rügt Verletzung der §§. 74-77 I. 5, des §. 656 I. 12, der §§. 481. 271 II. 2. A.L.R. und des gedachten Rechtsgrundsatzes, welcher lautet:

Wenn ein Vater in dem mit einem seiner Kinder abgeschlossenen Gutsüberlassungsvertrage seinen anderen Kindern Abfindungen ausgesetzt hat, so kann der Gutsannehmer dem die Abfindung einklagenden Kinde nicht entgegensetzen, daß es dem Vertrage nicht beigetreten sei. Zur Begründung des Angriffs behauptet die Nichtigkeitsbeschwerde: Der aufgestellte Rechtsgrundsatz sei nur in dem Sinne aufzufassen, daß die beim Gutsüberlassungsvertrage nicht zugezogenen Kinder mit Zulassung des Vaters ein Klagerecht aus dem Vertrage gegen den Gutsannehmer erlangen, entscheide aber nicht die hier erhebliche Frage, wann die beim Vertrage nicht zugezogenen Kinder das vertragsmäßige Recht auf die Abfindung dem parens und dem Gutsannehmer gegenüber erwerben. Für Beantwortung dieser Frage seien, da nach den §§. 481. 271. II. 2, §. 656. I. 12 A.L.R. ein solcher Vertrag als Vertrag unter Lebenden anzusehen, die gesetzlichen Vorschriften über Verträge zum Vorteil Dritter (§§. 74-77. I. 5 A.L.R.) maßgebend. Nach diesen erwerbe das nicht zugezogene Kind das vertragsmäßige Recht auf die Abfindung erst durch ausdrücklichen Beitritt zum Vertrage mit Bewilligung des parens oder durch formgültige Abtretung. Solange das eine oder andere nicht geschehen sei, gehöre das vertragsmäßige Recht nicht zum Vermögen, also - wenn das Kind vor dem parens ohne Beitritt und Abtretung sterbe - auch nicht zu dem Nachlaß des Kindes. Solange bleibe es vielmehr im Vermögen des parens , sei also mit der späteren Übertragung des gesamten Vermögens ans den Beklagten übergegangen. Bis zum Beitritt oder zur Abtretung habe der parens die aus seiner freien Entschließung hervorgegangene Vertragsbestimmung auch nach seinem Belieben abändern oder aufheben können. Auch ein Beitritt der Erben des Abfindlings vor der späteren Vermögensüberlassung an den Beklagten sei nicht festgestellt.

Hiernach geht die Nichtigkeitsbeschwerde in Übereinstimmung mit dem Appellationsrichter davon aus, daß das Recht des Johann L. auf die Abfindung nicht in einer letztwilligen Verfügung, sondern in einem Vertrage unter Lebenden konstituiert sei.

Die Unterscheidung ist offenbar erheblich.

Enthält die Vertragsbestimmung eine letztwillige Verfügung, so wurde das Recht des I. L. mit dem Tode der Mutter, vorausgesetzt, daß er sie überlebte, erst existent. Johann L. ist aber bereits vor seiner Mutter gestorben; er würde daher das ihm ausgesetzte Recht nicht erworben, folglich auf seine Erben nicht übertragen haben.

Anders ist es, wenn der Vertrag vom 18. Dezember 1857 auch in der hier fraglichen Bestimmung eine Disposition unter Lebendigen enthält. Und dies ist der Fall.

Das A.L.R. handelt im 12. Tit. I. Teils von den Titeln zur Erwerbung des Eigentums, welche aus Verordnungen von Todes wegen entstehen. Der 1. Abschnitt handelt von Testamenten und Kodicillen, also von den einseitigen Verfügungen auf den Todesfall, der 2. Abschnitt von den Erbverträgen. In betreff dieser bestimmt §. 646:

Übrigens gelten Erbverträge nur unter den Kontrahenten als Verträge; in Ansehung eines Dritten aber, dem darin etwas zugedacht worden und der dem Vertrage nicht mit Bewilligung der Hauptkontrahenten ausdrücklich beigetreten ist, haben sie nur die Kraft einseitiger letztwilliger Verfügungen (Tit. 5. §. 75. 76. 77).

Dagegen verordnet §. 656:
Verträge, wodurch Eltern ihr Vermögen schon bei Lebzeiten ihren Kindern abtreten, sind bloß als Verträge unter Lebendigen anzusehen.

Mit der letzteren Vorschrift hat das Landrecht über die Gutsüberlassungsverträge, wie solche in Deutschland seit jeher bei Bauerngütern, namentlich bei Kolonatgütern als erfrühte Realisierung des Anerbenrechts (sogen. successio anticipata) üblich waren ( v. Gerber, deutsches Privatrecht, §. 254), Bestimmung getroffen.

Zu den Verträgen dieser Art gehört auch der vorliegende. Die Gegenleistungen des Beklagten gegen die Gutsabtretung bestehen außer der Übernahme der eingetragenen Schuld in Zahlungen an die Stiefgeschwister, in der Gewährung einer Leibrente und eines Altenteils an die Veräußerer. Das ganze Rechtsgeschäft in allen seinen Bestimmungen ist nach §. 656 " bloß als Vertrag unter Lebendigen" anzusehen, und dies gilt namentlich auch von der Stipulation einer Abfindung für Johann L.

(Vgl. die Erk. des Obertribunals in Striethorsts Arch. Bd. 20, S. 66, Bd. 73 S. 8, Bd. 76 S. 324 und in den Entsch. Bd. 55 S. 296 ff., Bd. 59 S. 247.)

In dieser Weise beurteilt gleich dem Imploranten auch der Appellationsrichter das Rechtsgeschäft. Die §§. 481. 271. II. 2 A.L.R., welche von Erb Verträgen handeln, sowie §. 656 a. a. O sind also nicht verletzt. -

Der Appellationsrichter hat angenommen, daß Johann L., der Erblasser der Kläger, auch ohne Beitritt zum Vertrage Rechte auf die Abfindung erworben habe.

An sich wird anzunehmen sein, daß die Stipulation zu Gunsten des klägerischen Erblassers ein Vertrag zum Vorteil eines Dritten im Sinne des §. 74. I. 5 A.L.R. ist.

(Vgl. Unger in den Jahrbüchern f. d. Dogm. Bd. 10 S. 109, dazu: Regelsberger in der krit. Vierteljahrsschrift Bd. 11 S. 165. Vgl. ferner Entsch. des Obertrib. Bd. 14 S. 73, Bd. 75 S. 327 und Justiz-Minist.-Bl. 1846 S. 209, 210.)

Nach der Regel des §. 73. I. 5 A.L.R. würde daher Johann L., welcher festgestelltermaßen dem Vertrage nicht beigetreten ist, daraus kein Recht erlangt haben. Denn nach "dieser Vorschrift erlangt der Dritte aus dem zu seinem Vorteile geschlossenen Vertrage, an dessen Schließung er weder mittelbar noch unmittelbar teilgenommen hat, erst alsdann ein Recht, wenn er demselben mit Bewilligung der Hauptparteien beigetreten ist.

In Anwendung des §. 73 hat denn auch das preuß. Obertribunal bis zum Plenarbeschluß vom 25. August 1846 die Klagen der nicht zugezogenen Abfindlinge aus Gutsüberlassungsverträgen abgewiesen. (Justiz-Minist.-Bl. a. a. O. und Entsch. Bd. 14 S. 70.)

In diesem Plenarbeschluß dagegen ist das Obertribunal zu einer entgegengesetzten Auffassung gelangt, indem es eine mittelbare Teilnahme des nicht zugezogenen Kindes am Vertrage im Sinne des §. 75 konstruierte: es ist angenommen, daß die Eltern zugleich ihre abwesenden Kinder vertreten.

Die Richtigkeit dieser Begründung kann dahingestellt bleiben1.

Der im Plenarbeschluß ausgesprochene Rechtsgrundsatz wird von dem Imploranten nicht angefochten und muß auch dann, wenn den Gründen des Obertribunals nicht beigetreten wird, aufrecht erhalten werden.

In der Theorie und Praxis des gemeinen Rechts bildet das Recht des Dritten aus einem zu seinem Vorteile geschlossenen Vertrage seit jeher eine sehr bestrittene Frage. Zu denjenigen Vertragen aber, über welche gegenwärtig in dieser Beziehung Übereinstimmung herrscht, gehören die Gutsansatzverträge hinsichtlich der Abfindungen der nicht zugezogenen Kinder. Man ist jetzt darüber einig, daß die abzufindenden Kinder " nach unbestrittenem Gewohnheitsrecht" auch ohne Zuziehung zum Vertrage ein Recht auf die Abfindung gegen den Gutsannehmer erlangen und nur die Frage der Widerruflichkeit dieses Rechtes ist kontrovers.

(Vgl. Bähr in den Jahrb. f. Dogm. Bd. 6 S. 169; Unger, ebenda Bd. 10 S. 82; Gareis, a. a. O. §. 70; Zimmermann, die Lehre von der stellvertretenden negotior. gestio. S. 65; Karlowa, das Rechtsgeschäft und seine Wirkung S. 75, 76; Busch, Doktrin und Praxis über die Gültigkeit der Verträge zu Gunsten Dritter S. 52 ff.; Windscheid, Pandekten - 5. Aufl. - §. 316 Note 15; Stobbe, a. a. O. Bd. III S. 122; Seuffert Archiv II. 213, III 31, III 32 Ziffer 7, XIV 131, XVIII 128, XXI 224.)

Der entscheidende Grund wird mit Recht in der eigentümlichen Natur der Gutsüberlassungsverträge gefunden.

"Es handelt sich hier um ein besonderes Institut des Bauernrechts, welches dahin ausgebildet ist, daß für das Bauerngut durch die Übergabe desselben von seiten des Bauern an seinen Sohn ein ähnliches Resultat erzielt wird, als wenn es nach seinem Tode infolge von Gesetz oder von letztwilliger Verfügung an den Sohn gelangt wäre. Nicht mit Bezug auf seine gesamten Rechtsverhältnisse, aber für diesen wichtigsten Teil des bäuerlichen Vermögens werden die Wirkungen des Erbganges anticipiert. Wird in dem Übernahme- Verträge der übernehmende Sohn zu Leistungen an seine Geschwister und an seine Mutter verpflichtet, so erwerben diese das betreffende Recht auch ohne dem Vertrage als Kontrahenten beigetreten zu sein oder ihren Erwerbswillen erklärt zu haben; sie können die Leistungen ebenso fordern, als wenn der Bauer gestorben wäre und ihnen testamentarisch die Abfindung vermacht hätte." ( Stobbe, d. Privatrecht III S. 122.)

Auch für das preuß. Recht wird bei Begründung, des Klagerechts der Abfindlinge von der eigentümlichen Natur der deutschrechtlichen Gutsabtretung auszugehen sein und es ist hervorzuheben, daß auch bei der Beratung über den Plenarbeschluß vom 25. August 1846 gerade dieser Gesichtspunkt in den Vordergrund gestellt worden ist. (Vgl. das Protokoll im Justiz-Minist.-Bl. von 1846 S. 210.) In der That kann nicht angenommen werden, daß das preußische A.L.R. die auf festgewurzelter Rechtsüberzeugung beruhende Eigentümlichkeit dieses Rechtsgeschäfts habe auslöschen wollen. Seine Vorschriften zwingen nicht, die Wirksamkeit eines Vertragswillens zu leugnen, welcher ausnahmsweise dahin geht, daß der bedachte "Dritte", nämlich der Descendent, unmittelbares Recht aus dem Überlassungsvertrage auf die Abfindung gegen den Promittenten erwerben soll, vorbehaltlich der Befugnis der Kontrahenten, die Aussetzung vor der Acception ab seiten des Bedachten zu widerrufen.

Es darf vielmehr auch nach preußischem Rechte gemäß §. 656. I. 12 A.L.R. als eine Ausnahme von der Regel des §. 75. I. 5 A.L.R. anerkannt werden, daß bei Gutsüberlassungsverträgen die nicht zugezogenen Kinder, welchen darin Abfindungen ausgesetzt sind, auch ohne Beitritt zum Vertrage ein Recht gegen den Gutsübernehmer erlangen.

Man muß das Verhältnis einmal zwischen dem Abtretenden und dem Übernehmer und sodann der Abfindlinge - einerseits zu dem Übernehmer, andererseits zum abtretenden parens auseinanderhalten.

Der Gutsabtretungsvertrag ist nach §. 636. I. 12 A.L.N. " bloß ein Vertrag unter Lebendigen"; er ist kein Erbvertrag (§. 646), keine letztwillige Verfügung, wenngleich mit erkennbarer Rücksicht auf das künftige Erbrecht der Kinder geschlossen. Der Vertrag tritt daher als disposio inter vivos - und zwar nach seinem ganzen Inhalte - mit dem Abschluß in Wirksamkeit, nicht erst auf den Todesfall der Kontrahenten oder eines derselben.

Der Vertrag betrifft ferner " das Vermögen" des Abtretenden, d. h. einen Vermögensinbegriff, das Grundstücksvermögen, nicht den Nachlaß, er enthält also eine Singularsuccession, keine Erbfolge, keine Universalsuccession. Der Vater verteilt bei Lebzeiten dieses Vermögen unter seine Kinder, er tritt das Grundstück durch Vertrag an den Übernehmer, er tritt aber gleichzeitig die von dem Übernehmer als Gegenleistung zu zahlenden Abfindungen an die übrigen Kinder, auch die nicht zugezogenen, ab und läßt sich die Zahlung dieser Gegenleistung, an die Abfindlinge versprechen. Damit vollzieht der abtretende in betreff des abgetretenen Vermögens schon bei Lebzeiten eine divisio inter liberos. Die Abtretung in allen Bestimmungen wirkt nicht bloß als Vertrag unter den Kontrahenten, d. i. dem Abtretenden und dem Übernehmer, sondern zugleich als Teilungsakt unmittelbar für und gegen alle Beteiligten, auch die nicht zugezogenen Kinder. Der hierin liegende Dispositionsakt der Eltern bindet, so lange er nicht widerrufen ist, den Übernehmer und gewährt auch den Abfindungen ein unmittelbares Recht gegen denselben und zwar mit dem Abschluß des Vertrages und ohne Beitritt. (Vgl. Striethorst Bd. 25 S. 127; Entsch. des Obertrib. Bd. 34 S. 45, Bd. 75 S. 230.)

Daraus folgt, daß der durch den Plenarbeschluß vom 23. August 1846 festgestellte Rechtsgrundsatz als richtig anzuerkennen und daß vom Appellationsrichter weder gegen diesen Rechtsgrundsatz noch gegen die §§. 74-77. I. 5 A.L.R., welche mit Recht außer Anwendung gelassen sind, gefehlt ist."

  • 1. Vgl. Förster, Privatrecht, I. §. 75; Koch, Kommentar zu §. 75. I. ö A.L.R.; Dernburg, Privatrecht, II Seite 42; Siegel, das Versprechen als Verpflichtungsgrund, S. 151; Gareis, die Verträge zu Gunsten Dritter, S. 174 ff.; Stobbe, d. Privatrecht, III S. 122 Note 42; Windscheid, Pandekten - 5. Aufl. - §. 316 a Note 1; Bähr, Jahrbücher für die Dogmatik, Bd. 6. S. 145; Entscheidungen des Reichsgerichts, Bd. 1 S. 190.