RG, 02.06.1880 - V 506/80

Daten
Fall: 
Anfechtungsmöglichkeit im Konkursverfahren
Fundstellen: 
RGZ 2, 374
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
02.06.1880
Aktenzeichen: 
V 506/80
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Hagen
  • OLG Hamm

Gehören zu den nach §§. 22. 23 der deutschen Konkursordnung anfechtbaren Rechtshandlungen auch Leistungen, welche vom Gläubiger erzwungen sind, insbesondere durch Arrestanlegung erwirkte Sicherheitsbestellungen?

Tatbestand

Beklagter hatte gegen die Handlung L. & W. einen Civilanspruch wegen Nichteinlösung eines am 27. Septbr. 1879 fälligen Wechsels. Er brachte wegen Schulden unterm 1. Oktober 1879 einen Arrest bei dem Landgerichte zu Hagen aus, der unterm 2. dess. angeordnet und durch Pfändung von Eisenwaren der Schuldnerin vollstreckt wurde. Am 3. Oktober dess. J. beantragte letztere die Konkurseröffnung, welche erfolgte. Der Kläger als Konkursverwalter focht den Arrestbeschluß und den Arrest an und beantragte deren Aufhebung. Der erste Richter erkannte nach diesem Antrage. Der zweite Richter wies die eingelegte Berufung zurück.

In den Gründen ist die Vorschrift §. 23 Nr. 2 der deutschen Konkursordnung für anwendbar erachtet unter gleichzeitiger Hinweisung auf §. 28 das., und ausgeführt, daß danach auch eine durch Arrestvollziehung erwirkte Rechtshandlung, die ohne oder wider Willen des Gemeinschuldners erfolgt ist, anfechtbar sei, und daß die übrigen Voraussetzungen der benannten Vorschrift, eine innerhalb der bestimmten Frist vor dem Eröffnungsantrage, ja selbst mit Kenntnis von der bereits erfolgten Zahlungseinstellung, vorgenommene Rechtshandlung, die Erwerbung einer von dem Beklagten damals noch nicht zu beanspruchen gewesenen Sicherheit, nämlich eines mit der Pfändung verbundenen Pfandrechtes für einen angeblichen Anspruch auf Wechseleinlösung, und der Mangel des nachgelassenen Beweises guten Glaubens vorliegen, die Beschlagnahme somit den Konkursgläubigern gegenüber unwirksam sei.

Die vom Beklagten gegen dieses Urteil eingelegte Revision wurde vom Reichsgericht aus folgenden Gründen zurückgewiesen:

Gründe

"Der dem Berufungsgerichte gemachte Vorwurf einer unrichtigen Anwendung und Auslegung der §§. 22. 23 Nr. 2. 28 der Konkursordnung ist nicht begründet.

Die Anwendbarkeit der Bestimmungen dieses neuen Gesetzes auf den vorliegenden Fall, in welchem sowohl die Konkurseröffnung, wie die angefochtene Rechtshandlung in die Zeit nach 1. Oktober 1879 fällt, ist unbedenklich - §§. 1. 9 Einführ.-Gesetz vom 10. Februar 1877.

Die Ausführung der Beschwerde geht auch nur dahin, daß nach dem Wortlaute und Sinne jener Vorschriften Rechtshandlungen, bei denen der Gemeinschuldner in keiner Weise mitgewirkt hat, einer Anfechtung nicht unterliegen.

Der Wortlaut unterstützt diese Ansicht nicht. Der §. 22 a. a. O. bezeichnet die vor der Konkurseröffnung vorgenommenen Rechtshandlungen überhaupt als anfechtbar, und der §. 23 unterscheidet bei der näheren Bestimmung anfechtbarer Rechtsakte die von dem Gemeinschuldner vorgenommenen Rechtsgeschäfte und erfolgten Rechtshandlungen ohne Rücksicht auf den Handelnden.

Über den Sinn dieser Unterscheidung, den Zusammenhang der Anfechtungsbestimmungen und den Grund der Vorschriften der §§. 23.28 geben die Motive zum Entwurfe der Konkursordnung (gedruckt Berlin 1875) und die Verhandlungen der Reichstagskommission vollständige Auskunft.

Der allgemeine Grund der Bestimmungen über die Anfechtung im Konkurse beruht nach den Motiven - S. 111-112 a. a. O. - in dem Gedanken, daß bei materiell vorhandenem Konkurse die Gläubiger ein Recht auf gemeinsame Befriedigung aus der vorhandenen Vermögensmasse haben, dies Recht durch eine absichtliche vorzugsweise Befriedigung einzelner Gläubiger verletzt werde, und daher die daraus abzielenden bewußten Handlungen, gleichviel ob sie vom Gläubiger oder Schuldner ausgehen, vom Gesetze getroffen werden müssen. In diesem Sinne war der unverändert gebliebene §. 22 des Entwurfes und der §. 23 desselben, welcher als anfechtbar bezeichnete:

"die von dem Gemeinschuldner an einen Konkursgläubiger vorgenommenen Leistungen, wenn der andere Teil " die Leistung in Empfang nahm"

und

"die etc. vorgenommenen Rechtshandlungen des Gemeinschuldners", welche einem Konkursgläubiger eine - nicht zu beanspruchende - Sicherung oder Befriedigung gewähren,

aufzufassen, und die Motive (S. 119 flg. a. a. O.) bemerkten dazu ausdrücklich, daß es gleich stehe, ob die verletzende Leistung freiwillig oder auf Drängen des Gläubigers oder im Wege der Zwangsvollstreckung und des Arrestes erfolgt sei, ob der Gläubiger die Leistung vom Schuldner annehme oder sie demselben abzwinge, da auch in letzterem Falle der Schuldner sie durch Vertretung aus seinem Vermögen leiste; der hiervon abweichenden auf der preußischen Konkursordnung beruhenden Rechtsprechung müsse entgegengetreten werden, und der §, 28 des Entwurfes (welcher unverändert in das Gesetz übgegangen ist) würde in dieser Beziehung jeden Zweifel abschneiden. Nach diesem §. 28 sei es gleichgültig, ob für die anzufechtende Handlung schon ein vollstreckbarer Titel erlangt war, und ob sie rechtlich erzwungen werden konnte, und insofern entspreche er auch den in der preußischen Konkursordnung enthaltenen Grundsätzen (S. 144 daselbst).

Diese deutlichen Erklärungen befriedigten aber der Fassung des Entwurfes gegenüber die Reichstagskommission bei der Beratung des Gesetzes nicht; diese setzte vielmehr, "um zu konstatieren, daß unter §. 23 auch die durch Vermittelung des Gerichtes vollstreckte Sicherung und Befriedigung falle", die jetzige Fassung des Gesetzes im §. 23 an die Stelle des Entwurfes, und damit ist auch die Meinung, daß §. 23 nur Rechtshandlungen, bei denen der Schuldner sich beteiligt habe, im Auge habe, gänzlich unhaltbar geworden. (Vgl. Petersen, Konkursordnung S. 133 flg., 160; Sarwey, Konkursordnung S. 132, 136; v. Wilmowski, Konkursordnung S. 112 u. 113; v. Völderndorff, Konkursordnung I. 276, 333,)

Insbesondere läßt sich für diese Auffassung nicht aus dem Schlüsse des §. 23 Nr. 2, wonach der betreffende Gläubiger auch sein Wissen um eine Begünstigungsabsicht des Gemeinschuldners zu widerlegen hat, ein Argument herleiten. Dieser Gegenbeweis bezieht sich auf diejenige mögliche Kollusion von Gläubiger und Schuldner, welche schon binnen der kritischen Zeit vor der Zahlungseinstellung oder dem Eröffnungsanträge stattgefunden hat - Sarwey a.a.O. S. 141 -; ob er in Bezug auf eine vom Gläubiger erzwungene Rechtshandlung undenkbar ist und die Kollusionsabsicht schon durch die Beschaffenheit der Handlung widerlegt wird, kann sich nur im Einzelfalle beurteilen lassen; könnte aber auch eine dahin gehende allgemeine Behauptung aufgestellt werden, so würde sich daraus doch niemals der Schluß ziehen lassen, daß der §. 23 a. a. O. erzwungene Rechtshandlungen nicht zum Gegenstände habe, und daß dieselben unanfechtbar seien, auch wenn sie der Gläubiger in voller Kenntnis der geschehenen Zahlungseinstellung und des Antrages auf Konkurseröffnung veranlaßt hat.

Kann hiernach von der seitens des Revisionsklägers behaupteten Einschränkung des Gegenstandes der Anfechtung nicht die Rede sein, so können bei dem Thatbestande des Vorderurteils Bedenken gegen die Anwendbarkeit des §. 23 Nr. 2 a. a. O. nicht vorhanden sein. Der Beklagte hat binnen der kritischen Frist, und sogar nach der Zahlungseinstellung des Gemeinschuldners, einen durch Abpfändung von Sachen vollzogenen, ein Pfandrecht - §§. 810. 709 C.P.O. - begründenden Arrest erwirkt; er hatte diese Sicherstellung für seinen Anspruch auf Wechseleinlösung, selbst wenn derselbe fällig war, zur Zeit der Arrestlegung nicht zu beanspruchen, weil eine Verpflichtung des Schuldners zu solcher Sicherstellung damals nicht bestand (vgl. v. Wilmowski a. a. O. S. 113; Petersen a. a. O. S. 135; Motive a. a. O. 127), und er hat den Beweis seines guten Glaubens zu führen nicht einmal versucht. Die Beschlagnahme der Eisenwaren ist daher mit Recht als den Konkursgläubigern gegenüber unwirksam erklärt und aufgehoben, wenn es auch der Aufhebung des diese Gläubiger nicht berührenden richterlichen Arrestbeschlusses nicht bedurfte."