RG, 02.07.1884 - I 236/84
1. Hat der Frachtführer (Schiffer), welcher nach Beendigung der Abladung wegen eines Streites mit dem Absender über von dem letzteren geschuldete Liegegelder noch länger liegen bleibt, deshalb Anspruch auf weitere Liegegelder ?
2. Gelten die das Rücktrittsrecht bei Verträgen über Handlungen betreffenden Bestimmungen des preußischen Allgemeinen Landrechtes auch beim Werkverdingungsvertrage, insbesondere beim Frachtvertrage ?
3. Zeitpunkt für die Berechnung der Revisionssumme.
Tatbestand
Der Kläger hatte mit seinem Flußschiffe eine Ladung Steinkohlen zu transportieren übernommen; nach seiner Behauptung war eine Verzögerung der Abladung eingetreten, wegen welcher er bei Beendigung der letzteren am 31. Januar 1884 vom Beklagten Liegegeld für sechs Tage gefordert hatte. Da der Beklagte diese Zahlung verweigert hatte, so hatte der Kläger (in einem anderen Prozesse) Klage darauf erhoben
und war mit seinem beladenen Schiffe noch weiter liegen geblieben. Nach Verlauf einiger Zeit klagte er dann auf fernere Liegegelder, nämlich auf Zahlung von 21 M für jeden Tag seit dem 1. Februar 1884 "bis zur ordnungsmäßigen Abfertigung des Klägers". Diese Klage wurde in zwei Instanzen abgewiesen, vom Berufungsgerichte am 25. April 1884, und die Revision des Klägers vom Reichsgerichte verworfen, mit folgenden Gründen:
Gründe
"Die Zulässigkeit der Revision betreffs der Summe unterlag keinem Bedenken, da die Summe der eingeklagten Liegegelder von 21 M täglich, vom 1. Februar 1884 an nur bis zum Tage der Verkündung des angefochtenen Urteiles gerechnet, schon den Betrag von 1500 M übersteigt.1
Dagegen erwies sich die Revision als unbegründet. Es handelte sich darum, ob der Kläger, falls ihm der Beklagte nach Beendung der Abladung am 31. Januar 1884 Liegegeld für 6 Tage schuldete, deshalb im Abladehafen auf Kosten des Beklagten solange liegen bleiben durfte, bis letzterer entweder diese Schuld berichtigt, oder sich damit einverstanden erklärt hatte, daß in den vom Kläger auszustellenden Ladescheine ein Vermerk wegen des demselben noch zukommenden Liegegeldes aufgenommen werde. Diese Frage war zu verneinen. Zwar mag es sein, daß vielleicht der Kläger in Ausübung des Retentionsrechtes mit der Abfahrt zu warten berechtigt war, bis der Beklagte ihm das geschuldete Liegegeld gezahlt hätte; aber dieser Punkt braucht nicht weiter erörtert zu werden, weil der Kläger keinesfalls gegen den Beklagten einen Anspruch auf eine Vergütung für diese Ausübung des Retentionsrechtes haben würde, sei es nun in der Form von Liegegeldern, oder eines besonders zu ermittelnden Schadensersatzes. Ein solcher Anspruch wäre nur unter der Voraussetzung überhaupt denkbar, daß es für den Kläger keinen anderen Weg, als das Liegenbleiben gegeben hätte, um sich sein Recht auf die bis zum 1. Februar verfallenen Liegegelder zu wahren. Freilich hat der Kläger mit Recht gerügt, daß das Oberlandesgericht angenommen hat, es hätte ihm, dem Kläger, freigestanden, entweder seinerseits den Transportvertrag zu erfüllen und wegen der Liegegelder Klage zu erheben, oder die Erfüllung abzulehnen, die Ausladung der Ware zu veranlassen und sich wegen seiner sämtlichen Ansprüche aus dem Frachtvertrage an den Absender, bezw. an das Frachtgut, zu halten. Bei der zweiten Alternative würde ein Rücktrittsrecht vorausgesetzt sein, wie es dem säumigen Mitkontrahenten gegenüber in Verbindung mit dem Rechte auf Entschädigung bei Verträgen über Handlungen durch die §§. 408. 410 Pr.A.L.R. I. 5, in Verbindung mit dem Art. 283 H.G.B., bezw. durch den §. 878 A.L.R. I. 11, allerdings gegeben ist; aber in konstanter Rechtsprechung ist angenommen worden, und zwar auf Grund von §. 412 A.L.R. I. 5 und §§. 925 flg. I. 11, bezw. auf Grund der Bestimmungen des Handelsgesetzbuches über den Frachtvertrag, daß dieses Rücktrittsrecht bei Werkverdingungsverträgen und insbesondere bei Frachtverträgen keine Anwendung finde.2
Da an dieser Rechtsprechung festzuhalten war, so mußte freilich anerkannt werden, daß hier eine Verletzung von Rechtsnormen auf seiten des Berufungsgerichtes vorliege; aber die vorige Entscheidung war dennoch aufrechtzuhalten. Denn nichtsdestoweniger hat der Kläger mit der Behauptung Unrecht, daß das Liegenbleiben das einzige Mittel gewesen sei, um die Sicherung, welche ihm das Frachtgut für das Liegegeld gewährte, nicht aus den Händen zu geben. Er hätte zweifellos auch den Transport ausführen und sich am Bestimmungsorte Z. auch dem Empfänger gegenüber noch immer auch wegen der Liegegelder an das Frachtgut halten können. Der Umstand, daß der Beklagte nicht damit einverstanden gewesen wäre, daß ein darauf bezüglicher Vermerk in den Ladeschein gesetzt würde, erscheint dabei als unerheblich; denn es war doch zunächst Sache des Klägers, den Ladeschein auszustellen, und er brauchte dem Beklagten eben keinen anderen Ladeschein, als einen mit dem betreffenden Vermerke versehenen, anzubieten, auch wenn der Beklagte hiermit nicht einverstanden war." ...
- 1. Übereinstimmend mit Entsch. des R.G.'s in Civils. Bd. 5 S. 387 flg., Bd. 7 S. 385, Bd. 8 S. 416; abweichend Bd. 11 S. 388 flg., welche Entscheidung dem erkennenden Senate bei Fällung des hier abgedruckten Urteiles noch nicht bekannt war. S. jetzt auch unten Nr. 113 S. 405.
- 2. Vgl. Entsch. des R.O.H.G.'s Bd. 5 S. 167 flg., Bd. 11 S. 20 und S. 158 flg., Bd. 20 S. 340 flg., sowie die dortigen Citate.