RG, 29.05.1880 - I 42/80
Genügt der Pflichtige der Zinspflicht, wenn er auf dem zinsbaren Gute im Zinsjahre gezogene Früchte durchschnittlicher Beschaffenheit liefert?
Gründe
"Die Verbindlichkeit, von einem landwirtschaftlichen Grundstücke jährlich eine bestimmte Quantität von Feldfrüchten als Zins zu entrichten, wird, sofern nicht ein anderer Inhalt derselben durch Gesetz oder Vertrag festgesetzt oder aus dem Besitzstande zu entnehmen ist, bald dahin verstanden, daß die zu leistende Quantität von den auf dem zinsbaren Gute im Zinsjahre gezogenen Früchten zu entrichten sei - vgl. Eichhorn, Einl. in das deutsche Privatrecht §. 253 Nr. 4; Mittermaier, das deutsche Privatrecht, 7. Aufl. Bd. 1 §. 179 Nr. 1; Maurenbrecher, deutsches Privatrecht, 2. Aufl. Bd. 1 §. 139 Nr. 6; Bluntschli, deutsches Privatrecht, 2. Aufl. §. 94 Nr. 5; Beseler, System des deutschen Privatrechtes, 3. Aufl. §. 192 Nr. 5; Stobbe, Handbuch des deutschen Privatrechtes Bd. 2 §. 136 Nr. 33; Häberlin, Landwirtschaftsrecht §. 90; Friedlieb, Reallasten §. 71 Nr. 2 - bald dahin, daß die zu leistenden Früchte nur der Gattung nach bestimmt und entweder solche, wie sie auf dem belasteten Grundstück überhaupt erzeugt zu werden pflegen - vgl. Gerber, System des deutschen Privatrechtes, 12. Aufl. §. 189 Nr. 6 - oder Früchte der bestimmten Gattung in marktgängiger Ware von mittlerer empfangbarer Beschaffenheit - vgl. Sammlung der Entsch. des Oberappellationsgerichtes zu Rostock von Budde und Schmidt Bd. 6 S. 294 - zu liefern seien. Es mag dahin gestellt bleiben, welche dieser Auffassungen den Vorzug verdient, wenn es sich um einen Fruchtzins handelt, welcher ohne Zusammenhang mit einem Leihe- oder Pachtverhältnis als eine für sich bestehende Reallast auf dem Grundstücke haftet. Bildet dagegen der Fruchtzins die Gegenleistung für die Überlassung des Nutzungsrechtes an dem Grundstücke, von welchem er zu entrichten ist, so erscheint ohne Zweifel die zuerstgedachte Auffassung der Verpflichtung gerechtfertigt. Sie entspricht der Natur eines derartigen Rechtsverhältnisses, welches darauf abzielt, den Grundeigentümer für die Aufgebung des Fruchtertrages, den er bei eigener Bewirtschaftung des Grundstückes jährlich gezogen haben würde, durch einen Teil des jährlichen Ertrages zu entschädigen und den Rest desselben dem Besteller für die Bewirtschaftung des Grundstückes zu überlassen, mag der dem Grundeigentümer abzugebende Teil des jährlichen Fruchtertrages in einer Quote (wie bei dem colonus partiarius, I. 25 §. 6 Dig. loc. cond. 19, 2) oder in einer festen Quantität bestehen. Diese Ordnung des Verhältnisses, welche einerseits dem Besteller des Grundstückes die Erfüllung seiner Verbindlichkeit erleichterte, andererseits dem Grundeigentümer den regelmäßigen Eingang seines Anteiles an dem Fruchtertrage sicherte, entsprach jedenfalls zu der Zeit dem beiderseitigen Vertrageswillen, als bei noch wenig entwickelter Geldwirtschaft die Überlassung von Grundstücken an Bauern durch erbliche oder nicht erbliche Leihe zuerst in Gebrauch kam; vgl. Arnold, Zur Geschichte des Eigentums, 1861 S. 65.
Sie erscheint aber auch jetzt noch als die regelmäßige, wo in neuerer Zeit die Überlassung bäuerlicher Grundstücke zu Nutzungsrecht gegen Entrichtung eines jährlichen Fruchtzinses als ein Überrest der alten Naturalwirtschaft beibehalten worden ist, da die Entwickelung der Geldwirtschaft zwar die Verdrängung der Fruchtzinsen und deren Ersatz durch Geldabgaben, nicht aber eine Umgestaltung der beibehaltenen Fruchtzinse zur Folge hatte.
Um einen Fruchtzins dieser Art handelt es sich in dem gegenwärtigen Rechtsstreit. Wenn gleich die Parteien unterlassen haben, die Verträge beizubringen, auf welchen das Recht der Beklagten an ihren Stellen beruht, oder doch nähere Angaben über den Inhalt derselben und den Ursprung des zwischen den Parteien bestehenden Rechtsverhältnisses zu machen, so geht doch aus der Bezeichnung des Klägers als Gutsherrschaft, der Beklagten als Hauswirte und der fraglichen Abgabe als Pachtkorn, sowie aus dem ausdrücklichen Anführen in der Klageschrift, daß die Beklagten diese Abgabe "für die Nutzung ihrer Hufen" zu entrichten haben, wenigstens so viel hervor, daß dieselbe die Gegenleistung für die Einräumung des Nutzungsrechtes an den Stellen der Beklagten bildet.
Die Annahme der Vorrichter, daß die Beklagten ihrer Verpflichtung genügen, wenn sie Durchschnittsware ihrer eigenen Ernte liefern, muß daher als zutreffend anerkannt werden."