RG, 26.05.1880 - I 807/80

Daten
Fall: 
Interpretation eines inkorrekt gefaßten Gesellschaftsvertrages
Fundstellen: 
RGZ 2, 30
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
26.05.1880
Aktenzeichen: 
I 807/80
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Magdeburg
  • OLG Naumburg

Interpretation eines inkorrekt gefaßten Gesellschaftsvertrages. Bedeutung des Grundsatzes der Widerruflichkeit der Prokura im Verhältnis der Handelsgesellschafter zu einander. Art der Vertretung der Handelsgesellschaft. Kennt das Handelsgesetzbuch die Vertretung eines einzelnen Handelsgesellschafters?

Tatbestand

In einem zwischen Sch. und B. abgeschlossenen offenen Gesellschaftsvertrag ist unter §. 7 bestimmt:

Der Todesfall eines Socius hebt den Vertrag nicht auf, vielmehr sind die Erben ebenso berechtigt wie verpflichtet, den Vertrag auszuhalten. Wollen die Erben in Gemeinschaft bleiben, so haben sie aus der Zahl der Schwiegersöhne ... des Verstorbenen einen Vertreter zu bestellen, der zwar für ihre Rechnung, aber mit vollen Befugnissen und Pflichten, wie sie dem Verstorbenen zugestanden, an dessen Stelle tritt.

Sch. starb. Seine Erben präsentieren dem anderen Gesellschafter B., den D., den Witwer einer vorverstorbenen Tochter Sch.'s, als "den von ihnen der Vorschrift des Gesellschaftsvertrags entsprechend bestellten Vertreter." B. will D. als Vertreter der Sch.'schen Erben in der Geschäftsführung anerkennen, weigert sich aber dessen Eintragung ins Handelsregister zu bewirken. Die Erben treten deshalb gegen ihn klagend auf. Das Übrige aus den Gründen:
Gründe

" ... Es ist völlig klar, was die Kontrahenten in §. 7 thatsächlich festsetzen wollten. Der Ausführung des Gewollten steht nun auch, soweit es sich um das innere Gesellschaftsverhältnis, die Geschäftsführung, handelt, kein Bedenken entgegen, und der Beklagte macht kein solches geltend. Er erklärt ausdrücklich, daß er dem von den Sch.'schen Erben bestellten Vertreter alle einem Gesellschafter in Bezug auf die Geschäftsführung zukommenden Rechte zugestehe.

Anders aber gestaltet es sich betreffs der Stellung dieses Vertreters nach außen. Nach dem Gesellschaftsvertrage soll derselbe, wie er nach innen betreffs der Geschäftsführung völlig die Stellung eines Gesellschafters einnehmen soll, auch nach außen wie ein Gesellschafter auftreten. Es fragt sich, ob dieser Vertragswille rechtlich ausführbar ist, bez. in welcher Weise er ausgeführt werden kann.

Die ursprünglichen Gesellschafter haben sich bei Abschluß des Gesellschaftsvertrages das rechtliche Verhältnis nicht klar gemacht. Sie unterscheiden nicht zwischen:

a.der Vertretung der Gesellschaft durch die Gesellschafter oder den einzelnen derselben, welche eine Vertretung aus eigenem Recht ist;
b. der Vertretung der Gesellschaft durch einen von den Gesellschaftern bestellten Bevollmächtigten;
c. der Vertretung eines einzelnen Gesellschafters durch einen von ihm Bevollmächtigten.

Sie kennen nur den einen Begriff: Zeichnung der Firma, und sind der Ansicht, daß die Befugnis hierzu jedem der verschiedenen Vertreter zukomme oder wenigstens erteilt werden könne.

Diese Unterschiedlosigkeit der rechtlichen Auffassung zeigt sich schon in den vorhergehenden Vertragsbestimmungen ... ." (Dies wird näher ausgeführt.)

"Die hierin liegende Unklarheit der rechtlichen Auffassung beeinträchtigt jedoch in keiner Weise die Deutlichkeit und Erkennbarkeit des von den Kontrahenten betreffs der Stellung des Vertreters der Erben nach außen thatsächlich Gewollten. Dem D. sollen die weitgehendsten Rechte in betreff der Vertretung der Gesellschaft zustehen. Es muß mithin angenommen werden, daß die Kontrahenten diejenige rechtliche zulässige Gestaltung des Rechtsverhältnisses gewollt haben, infolge deren der Vertreter diese Rechte im möglichst weiten Umfang erwirbt. In diesem Sinne sind auch die Anträge der Klägerin zu verstehen.

Der erste Antrag der Klägerin geht dahin, daß D.,

"der von ihr namens der Sch.'schen Erben in Gemäßheit des Gesellschaftsvertrags erwählte Vertreter bei der Handelsgesellschaft, als solcher mit allen Befugnissen und Pflichten, wie sie dem Verstorbenen zustanden, also als Gesellschafter, namentlich mit der Befugnis zur Zeichnung der Firma, in das Handelsregister eingetragen werde."

Dieser Antrag ist nicht völlig deutlich. Derselbe kann entweder so verstanden werden, daß D.:

a. als "Vertreter der Sch.'schen Erben mit den Rechten eines Gesellschafters" eingetragen werde, daß aber die Sch.'schen Erben selbst als "Gesellschafter" eingetragen bleiben, oder
b. daß D. als "offener Gesellschafter" ohne Beschränkung hinsichtlich der Vertretung eingetragen werde, und zwar, daß

alpha daneben die Sch.'schen Erben als Gesellschafter ohne Vertretungsrecht eingetragen bleiben, oder
beta daß die Sch.'schen Erben als Gesellschafter gelöscht werden.

Allein es braucht nicht festgestellt zu werden, welches der wahre Sinn des Antrags ist, denn nach jeder der verschiedenen Auffassungen ist derselbe unbegründet.

ad a. Eine Handelsgesellschaft hat begrifflich zweierlei Arten von Vertretern: geborene Vertreter, die Gesellschafter, und bestellte Vertreter, die Prokuristen und sonstigen Bevollmächtigten. Der einzelne Gesellschafter ist, wenn nichts anderes vereinbart ist, befugt, Vertreter der Gesellschaft zu bestellen, er kann sich aber nicht selbst in Ausübung seines Rechts als geborenen Gesellschafters vertreten lassen. Er kann keine Person dazu bestellen, daß diese an seiner Stelle, bez. in seinem Namen, die ihm als Gesellschafter zustehenden Vertretungsrechte ausübe. (Es bleibt hier unerörtert, ob und in welcher Weise ein Altersvormund oder sonstiger notwendiger Vertreter der gesamten Persönlichkeit die Gesellschaftsrechte des Bevormundeten ausüben kann.) Es kann daher auch, was auf das Gleiche herauskommen würde, keine Verteilung der Rechte und Pflichten eines Gesellschafters auf verschiedene Personen stattfinden. Den Begriff eines Vertreters des Handelsgesellschafters in betreff seiner Stellung nach außen kennt das Recht nicht. Die Eintragung eines solchen in das Handelsregister ist nicht möglich.

ad b. Versteht man den Antrag der Klägerin so, daß der Vertreter "als Gesellschafter" eingetragen werden solle, so stehen einer solchen Eintragung zwar begriffliche Bedenken nicht entgegen, einerlei. ob D. neben den Sch.'schen Erben, oder an deren Stelle eingetragen werden soll, und es ließe sich wohl auf die eine oder andere Weise eine zweckmäßige Regulierung des Verhältnisses bewirken. Allein der Beklagte ist durch den Vertrag nicht verpflichtet, hierauf einzugehen. Der Vertrag bestimmt zwar, daß, wenn die Erben eines verstorbenen Gesellschafters eine Auseinandersetzung der Erbschaft vornehmen und dabei ihren Gesellschaftsanteil einem der Miterben übertragen, dieser allein als offener Gesellschafter in die Gesellschaft eintreten solle, und es kann dahingestellt bleiben, ob die Erben nicht auch befugt sein würden, ohne Vornahme einer materiellen Auseinandersetzung, einen Miterben dem anderen Gesellschafter als "Inhaber des Gesellschaftsanteils" und Gesellschafter zu präsentieren, so daß zwischen diesem und den anderen Miterben das Rechtsverhältnis des Art. 98 Abs. 2 H.G.B. eintrete; allein der Vertrag gewährt das Recht, als Gesellschafter einzutreten, nur einem Erben des verstorbenen Gesellschafters, und ein solcher ist D. nicht.

Ebensowenig ist aber vertragsmäßig das Recht der Erben begründet, neben sich noch eine andere Person als Gesellschafter eintreten zu lassen.

Anders verhält es sich mit dem eventuellen Antrag.

Der Prokurist einer Gesellschaft hat zwar die Befugnis, die Gesellschaft zu vertreten, nicht in gleichem Umfang wie ein Gesellschafter, allein seine Vertretungsrechte sind doch immerhin umfassende, jedenfalls die umfassendsten, welche jemand, der nicht Gesellschafter ist, überhaupt haben kann. Der Vertragswille der Kontrahenten ist daher nach dem oben Bemerkten dahin aufzufassen, daß dem von den Erben eines verstorbenen Gesellschafters gewählten Vertreter diese Rechte gewährt werden, wenn ihm die eines Gesellschafters versagt bleiben müssen.

Der zweite Richter verkennt dies auch nicht, er betrachtet aber eine solche Vertragsbestimmung als rechtlich unwirksam, weil sie mit der gesetzlichen Vorschrift der Widerruflichkeit der Prokura in Widerspruch stehe. Mit dieser vertrage sich der Verzicht auf das Widerrufsrecht nicht. Durch dessen Zulassung würde der Machtgeber über die Dauer seines Vertrauens hinaus gebunden und seine naturgemäße Stellung zum Bevollmächtigten, als die eines Geschäftsherrn zu seinem Geschäftsführer, in die umgekehrte Stellung verwandelt werden.

Diese Deduktion ist nur insofern richtig, als es sich um das Rechtsverhältnis zwischen Vollmachtgeber und Bevollmächtigtem handelt, nicht aber in der behaupteten Allgemeinheit, insbesondere nicht in Bezug auf das Rechtsverhältnis, um welches es sich nach der vom zweiten Richter aufgestellten und seinen rechtlichen Deduktionen zu Grunde gelegten Auslegung des Gesellschaftsvertrags hier handelt, nämlich in Bezug auf die Vereinbarung zwischen Handelsgesellschaftern über die Bestellung bez. Belastung eines Prokuristen in ihrem Geschäft.

Der sowohl im preußischen Landrecht, als im Handelsgesetzbuch anerkannte Grundsatz: "Die Vollmacht ist widerruflich", heißt soviel: Der Bevollmächtigte hat kein Recht auf Belastung der Vollmacht, und der Dritte, welcher nach Widerruf der Vollmacht mit dem früher Bevollmächtigten kontrahiert, kann daraus, daß die Vollmacht ursprünglich auf längere Zeit erteilt war, kein Recht gegen den Vollmachtgeber herleiten.

Die Bestimmung des Art. 118 H.G.B. geht dahin, daß, sobald einer der zur Vertretung der Gesellschaft befugten Gesellschafter die Prokura aufgehoben hat, Dritte durch spätere mit dem Prokuristen abgeschlossene Verträge nicht mehr in rechtliche Beziehung zur Gesellschaft treten.

Das Recht der Gesellschafter, unter sich über die Bestellung und Belastung eines Prokuristen wirksame Vereinbarungen zu treffen, wird durch diese Sätze nicht berührt.

Art. 104 Abs. 2 H.G.B räumt allerdings dem einzelnen Gesellschafter auch im Verhältnis nach innen das Recht ein, die Prokura allein zu widerrufen; allein diese Bestimmung enthält, wie alle Bestimmungen des zweiten Abschnitts Titel 2 Buch II H.G.B., nach der ausdrücklichen Bestimmung des Art. 90 Abs. 2 einen lediglich subsidiarischen Rechtssatz. Die Gesellschafter können übereinkommen, daß der Widerruf der Prokura im Verhältnis der Gesellschafter zu einander nur bei Übereinstimmung der Gesellschafter zulässig sei, oder daß nicht gegen den Willen des einen Gesellschafters die Prokura widerrufen werden dürfe, daß aber dieser immer berechtigt sei, den Widerruf zu verlangen u. s. w.

Wegen dieses Rechtsirrtumes des zweiten Richters wurde die Revision als begründet anerkannt. In der Sache wurde dem zweiten Klagantrag gemäß erkannt.] Allerdings kann der einzelne von der Vertretung der Gesellschaft nicht ausgeschlossene Gesellschafter trotz dieses Übereinkommens die Prokura jederzeit mit Wirksamkeit nach außen aufheben, allein er handelt, wenn er dies gegen den Willen des anderen Gesellschafters thut, vertragswidrig, und der andere Gesellschafter kann sein vertragsmäßiges Recht geltend machen. Er kann, wenn er selbst die Gesellschaft zu vertreten befugt ist, die Prokura von Neuem erteilen, oder, wenn er von der Vertretung ausgeschlossen ist, aus dem vertragswidrigen Verhalten des anderen Gesellschafters möglicher Weise einen Grund zur Auflösung der Gesellschaft entnehmen, oder er kann einen Schadensanspruch geltend machen, oder endlich, er kann direkt auf Erfüllung der Vertragsbestimmung, d. h. auf Wiederbestellung des Prokuristen, klagen. Was aber von der Vereinbarung der Gesellschafter über die Bestellung einer bestimmten einzelnen Person als Prokurist gilt, muß ebenfalls von der Bestimmung gelten, daß der eine Gesellschafter befugt sein solle, in einem gewissen Fall unter mehreren bestimmt bezeichneten Personen (z. B. seinen Söhnen und Schwiegersöhnen) eine einzelne Person, deren Qualifikation vorausgesetzt, als Prokuristen der Gesellschaft zu präsentieren. Diese Stipulation liegt aber vor und die Qualifikation D.'s ist nicht bestritten."