RG, 26.05.1880 - Vb 35/80

Daten
Fall: 
Umfang der Entschädigung bei Grundstücksenteignung
Fundstellen: 
RGZ 2, 234
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
26.05.1880
Aktenzeichen: 
Vb 35/80
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • Stadtgericht Breslau
  • Appellationsgericht

1. Außerordentlicher, voller Wert. Feuerrayon. Veränderung der Richtung eines öffentlichen Weges.
Sind bei der Berechnung der Entschädigung im Falle der Enteignung von Grundstücksteilen nur solche Nachteile des Restgrundstückes in Betracht zu ziehen, welche im ursächlichen Zusammenhange mit der Thatsache der Enteignung stehen, oder auch diejenigen, welche dem Restgrundstücke durch die spätere Benutzung der enteigneten Fläche und die auf derselben errichteten Anlagen erwachsen, insbesondere auch solche Nachteile, welche dem Grundbesitzer auch dann entstanden sein würden, wenn ihm nichts enteignet wäre?
2. Sechsmonatliche Frist zur Beschreitung des Rechtsweges. Ist die im §. 30 des Enteignungsgesetzes vom 11. Juni 1874 bestimmte sechsmonatliche Frist eine Präklusivfrist oder eine Verjährungsfrist? - Ist dieselbe nur im Falle des nach dem cit. Gesetz, oder auch im Falle des auf Grund früherer Gesetze eingeleiteten Enteignungsverfahrens maßgebend?
3. Berechnung des Mehrwertes einzelner Teile der enteigneten Fläche.
Ist es zur Begründung der Klage auf Erhöhung der Entschädigungssumme für die enteignete Fläche genügend, einen Teil der Fläche herauszugreifen, und für diesen einen besonderen Wert ohne Rücksicht auf den Wert der ganzen enteigneten Fläche zu berechnen?

Tatbestand

Zum Zweck der Erbauung der Breslauer Verbindungsbahn ist auf Antrag der Beklagten dem Kläger durch Negierungsbeschluß vom 27. August 1868 ein Areal enteignet, welches einen Teil mehrerer zusammenhängender zwischen der Gräbschener Chaussee und dem Gabitzer Wege liegender Ackerstücke des Klägers bildete. Kläger ist mit der im Regierungsbeschluß festgestellten Entschädigung nicht zufrieden. Er behauptet, daß das enteignete Areal zum Teil Bauplatzeigenschaft gehabt habe und mehr wert gewesen sei, als nach der festgestellten Summe auf diesen Teil zu berechnen sei. Ferner verlangt er ... Entschädigung dafür, daß die enteignete Fläche zur Herstellung eines Teils des Eisenbahndammes benutzt sei, hierdurch aber ein Teil des ihm verbliebenen Areals seine Bauplatzeigenschaft verloren habe; dieser Teil liege nämlich innerhalb des s. g. Feuerrayons längs der Bahn, dürfe daher nicht mehr bebaut werden. Endlich stützt er noch eine Forderung von ... auf die Behauptung, daß der Gabitzer Weg in einiger Entfernung von seinen Grundstücken nicht in seiner bisherigen Richtung unter dem Bahndämme unterführt sei.

Gründe

Das übrige aus den Gründen:

I.

Was die Revision des Klägers betrifft, so behauptet derselbe, durch die Enteignung bezüglich der ihm verbliebenen Grundstücksteile in doppelter Weise beschädigt zu sein. Einmal sei es in Gemäßheit des Ministerialreskriptes vom 4. Dezember 1847 untersagt, innerhalb des sogenannten Feuerrayons, das heißt, innerhalb einer näher angegebenen Entfernung von der nächsten Schiene, Neubauten aufzuführen. Kläger geht bei seiner Berechnung davon aus, daß die Grundstücke längs der Gräbschener Chaussee bis auf eine Tiefe von 25 Ruten Bauplatzeigenschaft und soweit einen Wert von 150 Mark pro Rute gehabt hätten. Danach berechnet er den Flächeninhalt, welcher von den Grundstücken Nr. 50. 53/54. 55. in den Rayon falle, auf 205,19 Ruten. Er behauptete ferner, daß dieses Areal infolge dessen nur Ackerwert und zwar nur in Höhe von 10 Mark pro Rute habe. Letzteren Betrag zieht er von dem Bauplatzwert, 150 Mark pro Rute, ab, und verlangt Zahlung der Differenz mit 28726,60 Mark nebst Zinsen. Ferner behauptet er, daß die sämtlichen von der Enteignung betroffenen Grundstücke Nr. 50 bis 58 längs des Gabitzer Weges - eines öffentlichen, die sogenannte verlängerte Zimmerstraße bildenden Weges - soweit sie ihm verblieben, ebenfalls in einer Tiefe von 25 Ruten mit 700,23 Ruten ihre Bauplatzeigenschaft dadurch verloren hätten, daß die Eisenbahn auf einem Damm angelegt, die Unterführung unter demselben aber nicht in der Richtung des Weges, sondern in weiterer Entfernung angelegt sei, so daß der jenseits liegende Teil des Weges nur auf einem Umwege zu erreichen sei. Dieses hindere aber die Veräußerung der Grundstücke als Bauplätze; dieselben seien nur noch als Ackerstücke zu benutzen und zu verwerten, so daß ihr Wert nur 15 Mark pro Rute betrage. Kläger berechnet die Differenz zwischen ihrem Wert als Baugrundstücke (150 Mark pro Rute) und ihrem nunmehrigen Wert auf 94531,05 Mark und verlangt Zahlung dieser Differenz mit Zinsen.

Was die Forderung des Schadens, welcher durch den Feuerrayon verursacht sein soll, betrifft, so führt der Appellationsrichter aus, daß das Ministerialreskript vom 7. Januar 1875 das Bauverbot aufgehoben, den Bau innerhalb des Rayons nur von einer besonderen polizeilichen Erlaubnis abhängig gemacht und zugleich bestimmt habe, daß die Erteilung der Erlaubnis erfolgen müsse, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt würden. Kläger könne daher nur Ersatz der Nachteile fordern, welche ihm durch die Erfüllung dieser Bedingungen erwüchsen. Was aber die Entwertung der Flächen am Gabitzer Wege anbelange, so habe Kläger keinen Anspruch auf Ersatz, weil er kein wohlerworbenes Recht darauf gehabt habe, daß der Straßenplan der Stadt Breslau hinsichtlich der verlängerten Zimmerstraße unverändert bleibe, und weil die zuständige öffentliche Wegebehörde die Abschneidung derselben und ihre Umschaffung in einen mehrfach sich biegenden Weg genehmigt habe.

Die Abweisung dieser beiden Forderungen ist gerechtfertigt.

Allerdings kommt vorliegend das Gesetz vom 3. November 1838 zur Anwendung. Nach §.11 desselben erfolgt die Enteignung nach Vorschrift der §§. 8 bis 11 A.L.R. I. 11. Nach §. 9 A.L.R. I. 11 ist nicht bloß auf den gemeinen, sondern auch auf den außerordentlichen Wert Rücksicht zu nehmen. Für die beiden hier in Rede stehenden Forderungen kann sich nur fragen, ob sie bei Berechnung des außerordentlichen Wertes in Betracht kommen. Nun bestimmt A.L.R. I. 2. §. 114:

Der außerordentliche Wert einer Sache erwächst aus der Berechnung des Nutzens, welchen dieselbe nur unter gewissen Bestimmungen oder Verhältnissen leisten kann.

Zu solchen gewissen Verhältnissen gehört auch der Zusammenhang enteigneter Grundstücksteile mit dem übrigen Grundbesitz des Eigentümers. Das enteignete Areal hat infolge örtlichen oder wirtschaftlichen Zusammenhanges mit dem Ganzen einen gewissen Mehrwert für den Eigentümer; denn es stellt entweder die Verbindung mit dem übrigen Grundbesitze her, oder es erleichtert, indem es eben mit diesem ein zusammenhängendes größeres Ganzes bildet, die wirtschaftliche oder sonstige Benutzung des Ganzen. Durch die Enteignung wird entweder die Verbindung unterbrochen, oder die Benutzung des verbliebenen Grundbesitzes beeinträchtigt. Alle diese Nachteile bilden die sogenannten "Durchschneidungs"- beziehungsweise "Deformationsnachteile". Der Besitz der enteigneten Flächen hatte also für den Grundbesitzer denjenigen besonderen Nutzen, welcher dem Werte nach den Nachteilen entspricht, die dem Grundeigentümer entstehen, wenn er die Grundstücksteile missen muß. Dieser außerordentliche Wert ist mithin bei der Abschätzung zu berücksichtigen. Solches ist auch in der Judikatur stets angenommen. Ferner ist in derselben stets angenommen, daß es bei Berechnung des Wertes auf den Zeitpunkt der Enteignung ankommt. Darüber aber, welche einzelnen Nachteile in Berechnung zu ziehen, besteht keine konstante Praxis. Es ist entschieden worden, daß es nur auf solche Nachteile ankomme, welche durch die Enteignung, die Entziehung des Eigentums, herbeigeführt würden. In anderen Entscheidungen ist davon ausgegangen, daß auch diejenigen Nachteile zu berücksichtigen seien, welche dem Grundbesitzer durch die späteren Anlagen auf dem enteigneten Grund und Boden und durch deren Benutzung seitens des Unternehmers entständen. Die letztere Ansicht hat aber keinen gesetzlichen Anhalt. Nach §. 75 der Einleitung zum A.L.R. ist derjenige, welcher seine besonderen Rechte und Vorteile dem Wohl des gemeinen Besten aufzuopfern genötigt wird, zu entschädigen. Das (besondere) Recht des Grundbesitzers bis zur Enteignung war die freie Benutzung des enteigneten Areals zu allen seinen Zwecken. Auf Grund des §. 75 a. a. O. ist er bei der Enteignung für alle Nachteile zu entschädigen, welche ihm dadurch entstehen, daß er die Fläche nicht mehr benutzen kann, mit anderen Worten: er ist für die Nachteile zu entschädigen, welche mit der Entziehung des Grundeigentums in ursächlichem Zusammenhang stehen. Ist aber der Unternehmer einmal Eigentümer der enteigneten Fläche geworden, so hat er alle Rechte des Eigentümers. Er darf sein Eigentum innerhalb der durch das Gesetz, A.L.R. I. 8. §§. 26 bis 28,1. 6. §§. 36 bis 38, gezogenen Schranken benutzen. Die Berücksichtigung solcher späteren Benutzung bei der Entschädigungsberechnung schließt sich gerade infolge des Grundsatzes aus, daß bei Bemessung der Entschädigung der Zeitpunkt der Enteignung maßgebend ist.

Nun ist es freilich denkbar, daß gewisse, aus der Thatsache der Enteignung hervorgehende, durch sie verursachte Nachteile nicht schon bei der Enteignung erkennbar werden. Dahin gehören z. B. die Nachteile, daß die Bewässerung der unterliegenden Grundstücksteile beeinträchtigt wird, oder daß dem Grundbesitzer der Zugang zu den ihm verbleibenden, hinter dem enteigneten Areal liegenden Grundstücksteilen erschwert, oder daß ihm die Aussicht von seiner Hofesstätte nach denselben durch eine Dammanlage entzogen wird. Alle derartige Nachteile müssen, wenn sie auch später erst hervortreten, vergütet werden, da sie im ursächlichen Zusammenhange mit der Enteignung stehen; denn sie würden überhaupt nicht eingetreten sein, wenn der Grundbesitzer die freie Verfügung über das enteignete zwischenliegende Areal behalten hätte. Solche Nachteile dagegen, welche durch die Anlage erst später entstehen und in ihrer Art auch entstanden sein würden, wenn die Enteignung lediglich Nachbarland betroffen hätte, wie z. B. eine Benachteiligung durch Licht- und Luftentziehung, bleiben von der Berücksichtigung bei Bemessung des außerordentlichen Wertes ausgeschlossen, weil sie nicht in ursächlichem Zusammenhange mit der Enteignung stehen.

Ausgeschlossen bleiben ferner solche Nachteile, welche lediglich dadurch entstehen, daß der Grundbesitzer infolge der errichteten Anlagen in seinem Eigentume beschränkt wird. Nach §§. 29 bis 31 A.L.R. I. 8 ist hierfür zwar unter Umständen Entschädigung zu gewähren, aber nicht nur demjenigen, welchem ein Teil seines Grundeigentumes enteignet ist, sondern jedem benachteiligten Eigentümer. Daher ist der Rechtsgrund für die Entschädigungspflicht nicht die Enteignung, sondern die Anlage in Verbindung mit den gesetzlichen oder polizeilichen Eigentumsbeschränkungen.

In beiden letztgedachten Beziehungen ist aus dem Eisenbahngesetz von 1838 nichts herzuleiten. Entscheidend sind vielmehr die allgemeinen gesetzlichen Grundsätze. Auch das Enteignungsgesetz vom 11. Juni 1874 enthält in Bezug auf die Frage, ob und wie weit bei der Entschädigungsberechnung die späteren Anlagen auf der enteigneten Fläche mitzuberücksichtigen seien oder nicht, keine besonderen Bestimmungen. Soweit muß daher auch bei Enteignungen nach diesem Gesetz auf die allgemeinen gesetzlichen Grundsätze zurückgegangen werden.

Nicht ohne Erheblichkeit sind indessen die letzterem Gesetz zu Grunde liegenden parlamentarischen Arbeiten, sofern aus ihnen ersichtlich ist, was man als bestehende allgemein-rechtliche Grundsätze angenommen hat.

Das Gesetz ist aus der Umarbeitung des Entwurfes vom Jahre 1871 seitens der Kommission des Abgeordnetenhauses, de dato 4. März 1872, hervorgegangen. Der Entwurf lautete in §. 7: Die Entschädigung für die Abtretung des Grundeigentums umfaßt:

  1. den gemeinen Wert des abzutretenden Gegenstandes und der entwahrten Pertinenzien und Früchte;
  2. den Mehrwert, welchen der abzutretende Gegenstand durch seinen Zusammenhang mit anderen Eigentumsteilen oder durch seine bisherige Benutzungsart für den Eigentümer hatte;
  3. den Minderwert, welcher durch die Abtretung für den übrigen Grundbesitz des Eigentümers entsteht.

Das Folgende betrifft die Nutzungsberechtigten u. s. w. und die Werterhöhung infolge der Anlage. Nach den Motiven sollte durch die gedachten drei Nummern eine Umschreibung der §§. 112 bis 114 A.L.R. I. 2 gegeben werden; diese wurde für nötig erachtet, weil das Allgemeine Landrecht nur in einem Teile des Staates gelte. - In der Kommission wurde beantragt, den Unternehmer zu verpflichten, das "volle Interesse" zu vergüten, weil der volle Grundstückswert noch nicht diejenige vollständige Entschädigung zu bieten scheine, auf welche der Eigentümer nach dem Gesetz Anspruch habe. Neben dem Grundstückswert seien alle sonstige Schäden und Nachteile zur Geltung zu bringen, welche mit der Enteignung in einem ursächlichen Zusammenhange stehen. Als Beispiel für das Bedürfnis wurde unter anderm der Fall aufgeführt, daß auf einem zu einer Eisenbahn enteigneten Grundstück eine hohe Dammschüttung angelegt werde, welche demnächst dem expropriierten Eigentümer in seinem Hause Fensterlicht entziehe. Der Regierungsvertreter sprach sich gegen diesen Antrag aus, insbesondere, weil das "Interesse" etwas unfaßbares sei. Die Mehrheit der Kommission sprach sich ebenfalls gegen denselben aus; man hielt dafür, daß nur aufzuführen sei, was reell von den Taxatoren zugebilligt werden solle. Bezüglich des Beispiels hielt man dafür, daß der Fall mit der Enteignung in keinem ursächlichen Zusammenhange stehe; alle Nachteile, welche durch eine spätere Benutzungsart irgendwie entstehen könnten, ließen sich unmöglich von vornherein übersehen, könnten daher nicht im voraus in den Bereich der Entschädigung gezogen werden. Es sei Sache desjenigen, den solche Benutzungsart dereinst beeinträchtige, hiergegen mit den Mitteln anzukämpfen, welche die allgemeinen Gesetze gewähren. - Andererseits legte man Gewicht darauf, daß die Unterscheidung des Landrechts vom gemeinen und außerordentlichen Wert in den neuen Landesteilen nicht verständlich sei, ja selbst im Landrecht erfahrungsmäßig zu verschiedenen Auslegungen bezüglich des außerordentlichen Wertes Veranlassung gebe. In Erwägung alles dessen gab die Kommission dem Paragraphen (nunmehr) 8 folgende Fassung:

Die Entschädigung für die Abtretung des Grundeigentumes besteht in dem vollen Werte des abzutretenden Grundstückes, einschließlich der entwährten Zubehörungen und Früchte.

Steht das abzutretende Grundstück mit anderm Grundbesitz desselben Eigentümers im Zusammenhange, so umfaßt die Entschädigung zugleich den Mehrwert, welchen das abzutretende Grundstück durch diesen Zusammenhang hat, sowie den Minderwert, welcher für den übrigen Grundbesitz durch die Abtretung entsteht.

§. 8 des Gesetzes, wie es zustande gekommen ist, enthält nur redaktionelle Änderungen, von welchen hervorzuheben ist, daß der "Zusammenhang" als ein "örtlicher oder wirtschaftlicher mit dem Ganzen" präcisiert ist.

Weiter bestimmte §. 28 des Entwurfes, daß der Rechtsweg gegen die Entscheidung der Regierung innerhalb dreier Jahre zulässig sei. Die Mehrheit der Kommission unterschied: a. Ansprüche, welche in dem vorbereitenden Verfahren zur Sprache gekommen seien, oder, weil der Nachteil erkennbar, doch hätten zur Erörterung gebracht werden können; für solche wurde eine 90tägige Frist zur Beschreitung des Rechtsweges angenommen; b. Nachteile, welche sich von vornherein nicht erkennen lassen, aber sich nachträglich als Folge der Enteignung herausstellten. Es seien solche denkbar, namentlich wenn Wassertriebwerke oder Wasserverhältnisse in Frage kämen. Die gewöhnliche 30jährige Verjährung wurde für zu lang erachtet, man nahm daher eine dreijährige Verjährung an; c. nachbarliche Beschwerden, die sich auf spätere Verwendung des enteigneten Grundstückes bezogen; in betreff dieser wurde ausgesprochen, daß sie mit dem Enteignungsverfahren in gar

keinem Zusammenhange ständen, und mit den allgemeinen Mitteln der Rechtshilfe binnen den dafür vorgeschriebenen Fristen zur Geltung zu bringen seien. Dem entsprechend nahm die Kommission einen besonderen Paragraphen (32) an, welcher lautete:

Wegen solcher nachteiligen Folgen der Enteignung, welche erst nach dem im §. 26 gedachten Termin erkennbar werden, bleibt dem Entschädigungsberechtigten bis zum Ablauf von drei Jahren nach der Besitzeinweisung ein im Rechtswege verfolgbarer persönlicher Anspruch gegen den Unternehmer.

§.31 des Gesetzes ist fast gleichlautend; er weicht nur darin ab, daß statt der Worte "im §. 26" die Worte im "§. 25" gesetzt, sind und daß ferner der Anfangstermin für den Lauf der Verjährung aus Zweckmäßigkeitsgründen anders bestimmt ist; sie - die Verjährung - beginnt nämlich mit, der Ausführung des Teiles der Anlage, durch welchen der Grundeigentümer benachteiligt wird. Voraussetzung aber bleibt, daß der Nachteil die Folge der Enteignung ist, mit ihr in ursächlichem Zusammenhange steht. Vgl. Anlagen zu den stenographischen Berichten über die Verhandlungen des Abgeordnetenhauses 1871/72 Bd. III S. 1206-1208, 1217 flg., 1224, 1231.

Hiernach ist unzweifelhaft, daß, was die thatsächlichen Grundlagen für die Höhe der Entschädigung betrifft, eine Abänderung des bisherigen Rechtes im Gebiet des A.L.R.'s nicht beabsichtigt ist; auch ist eine solche an keiner Stelle des Gesetzes zum Ausdruck gebracht. Das bisherige Recht hat, soweit es hier darauf ankommt, eine Abänderung nur in Bezug aus die Zulässigkeit der Beschreitung des Rechtsweges und in Bezug auf die Verjährung erfahren. Man hatte also - um es zusammenzufassen - angenommen, daß

a. zwar alle Nachteile, welche dem Grundbesitzer durch die Enteignung entstehen und mit ihr in ursächlichem Zusammenhange stehen, auf Grund der Enteignung ersetzt werden müßten,
b. nicht aber solche Nachteile, welche ohne Rücksicht auf die Enteignung durch eine spätere Benutzungsart verursacht werden und als nachbarliche Beschwerden sich herausstellen. Ob hierfür Entschädigung zu leisten, ist nach den allgemeinen Gesetzen zu bestimmen.

Es ergiebt sich hieraus, daß in Bezug auf diese beiden Punkte die Rechtsanschauungen der gesetzgebenden Faktoren genau mit dem übereinübereinstimmen, was oben als bisher bestandenes Recht entwickelt ist. Insofern ist hierin eine - allenfalls deklarative - Bestätigung jener Ausführung zu finden.

Prüft man hiernach die Entschädigungsforderung für die durch den Feuerrayon herbeigeführte angebliche Entwertung der dem Kläger verbliebenen Grundstücke, so handelt es sich allerdings zunächst um eine nicht schon aus dem Gesetz hervorgehende Eigentumsbeschränkung. Daß und wieweit diese aber in ursächlichem Zusammenhange mit der Thatsache der Enteignung steht, daß und wieweit sie lediglich eine Folge derselben sei, dafür ist nichts beigebracht. Eine solche Einschränkung trifft jeden, welcher Grundeigentum innerhalb des Rayons hat, ohne Rücksicht darauf, ob ihm Grund und Boden zur Bahnanlage entzogen ist oder nicht. Auf die Thatsache der Enteignung kann daher ein Entschädigungsanspruch nicht gegründet werden. Ob Kläger auf die §§. 29-31 A.L.R. I. 8 einen Entschädigungsanspruch gründen kann, darf hier völlig dahingestellt bleiben, da die Klage nach dieser Richtung hin nicht substanziiert ist, überdies die durch ministerielle Anordnung allgemein angeordnete Baubeschränkung zum Besten des allgemeinen Wesens, nicht aber zum besondern Vorteil der Beklagten ergangen ist, daher nicht ersichtlich ist, wie gerade die Beklagte entschädigungspflichtig sei.

Die Veränderung in der Richtung des Gabitzer Weges (verlängerte Zimmerstraße) steht ebensowenig mit der Thatsache der Enteignung in ursächlichem Zusammenhange. Auch hier trifft der Nachteil jeden, welcher Grundeigentum an dem gedachten öffentlichen Wege hatte, mag ihm nun Grund und Boden zur Anlage der Bahn enteignet sein oder nicht. Mit Recht führt auch der Appellationsrichter aus, daß Kläger keinerlei wohlerworbenes Recht darauf hatte, daß die Straßenrichtung nicht verändert werde, daß daher auch keinerlei Rechtsbeeinträchtigung vorliege.

Hiernach war die angefochtene Entscheidung auf die Revision des Klägers zu bestätigen.

II.

Was die als Revision zu behandelnde Nichtigkeitsbeschwerde der Beklagten betrifft, so erhebt Beklagte die Einrede der Verjährung auf Grund des §. 30 des Enteignungsgesetzes vom 11. Juni 1874. Allein mit Unrecht. Der citierte §. 30 schreibt eine Präklusivfrist für die Beschreitung des Rechtsweges gegen die Entscheidung der Be- Bezirksregierung (des Bezirksrates) über die Entschädigung vor. Solche Entscheidung setzt aber ein förmliches kontradiktorisches Verfahren voraus, wie es durch das Enteignungsgesetz geordnet ist. Auf das vor Erlaß dieses Gesetzes eingeleitete Enteignungsverfahren findet der §. 30 keine Anwendung. Vergl. §. 55 des cit. Gesetzes und die überzeugenden Ausführungen in den Erkenntnissen des ehemaligen preuß. Obertribunales vom 16. Mai 1879 (Entsch. Bd. 83 S. 278) und vom 27. Oktober 1876 (das. Bd. 78 S. 207). Der Klage würde nur eine 30jährige Verjährung entgegenstehen. Deklaration vom 31. März 1838.

Zur Begründung seines Klageanspruches betreffs der Grundstücke Nr. 50 bis 54 längs der Gräbschener Chaussee behauptet Kläger, daß dieselben bis zur Tiefe von 25 Ruten, von der Baufluchtlinie zurückgerechnet, Bauplatzeigenschaft gehabt hätten. Er berechnet die Differenz Zwischen dem für die enteigneten Flächen gezahlten Enteignungspreise und ihrem Bauplatzwert auf 31787,42 Mark. Die beiden Vorderrichter nehmen auf Grund der Gutachten der von der Beklagten benannten Sachverständigen an, daß die Grundstücke in einer Tiefe von nur 12 1/2 Ruten Bauplatzeigenschaft gehabt hätten, und auf Grund der Gutachten der vom Kläger benannten Sachverständigen, daß die Quadratrute zur Zeit der Enteignung einen Wert von 172,50 Mark gehabt habe. Der erste Richter berechnet die gedachte Differenz auf 18801,12 Mark, spricht dem Kläger diese nebst fünf Prozent Zinsen seit dem 16. Oktober 1868 zu und weist ihn mit der Mehrforderung ab. Beklagte beantragt gänzlich Abweisung.

Diese mußte auch, jedoch nur angebrachtermaßen, erfolgen.

Der Kläger läßt nämlich bei Begründung seiner Klage außer Acht, daß das zu Bauplätzen geeignete Areal nicht allein und für sich enteignet, daß es vielmehr nur ein geringer Teil der ganzen enteigneten Fläche ist. Es ist aber unzulässig, einen Teil der enteigneten Fläche herauszugreifen und für diesen einen besonderen Wert ohne Rücksicht auf den Wert des Ganzen zu berechnen. Die enteigneten Flächen sind Teile eines im Zusammenhange stehenden Grundbesitzes desselben Eigentümers. Die Berechnung der geleisteten Entschädigung mag sich aus verschiedenen Positionen zusammensetzen. Rechtlich aber erscheint die Summe dieser Positionen als eine einheitliche, nämlich als die Entschädigung für das gesamte, dem zusammenhängenden Grundbesitz entzogene Areal. Ist der Grundbesitzer mit dieser Gesamtentschädigung nicht zufrieden, weil nach seiner Meinung einzelne wesentliche Rechnungsfaktoren unberücksichtigt geblieben oder falsch berechnet sind, so hat er eine vollständig neue, der von ihm behaupteten Sachlage entsprechende Berechnung aufzustellen. Ergiebt sich diese im Laufe des Prozesses als richtig und stellt sich bei derselben ein höherer Entschädigungsbetrag heraus, als welcher gezahlt ist, so ist sein Klageanspruch in bezug auf diese Differenz berechtigt. In solcher Weise ist aber die vorliegende Klage nicht substanziiert."