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RG, 22.05.1880 - I 13/80

Daten
Fall: 
Verfahrensvoraussetzungen nach Art. 20 H.G.B.
Fundstellen: 
RGZ 2, 223
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
22.05.1880
Aktenzeichen: 
I 13/80
Entscheidungstyp: 
Urteil

Normen des in Preußen geregelten Verfahrens von Amts wegen zur Durchführung des Art. 20 H.G.B.

Gründe

"Das Allgemeine deutsche Handelsgesetzbuch unterscheidet:

I. die im Civilprozesse realisierbare Verfolgung des (in dem Art. 27 des Gesetzbuches in das Auge gefaßten) Anspruches des durch den unbefugten Gebrauch einer Firma Verletzten gegen den unbefugt Gebrauchenden auf Unterlassung weiterer Führung der Firma und auf Schadenersatz;
II. das (gemäß Art. 26 desselben Gesetzbuches) von Amts wegen zu thätigende Verfahren des Handelsgerichts, wodurch dasselbe den Kaufmann, dessen neuere Firma sich nicht (wie solches im Art. 20 a. a. O. verordnet ist) deutlich von allen an demselben Orte oder in derselben Gemeinde bestehenden und in das Handelsregister eingetragenen Firmen unterscheidet, durch Ordnungsstrafen zur Unterlassung des Gebrauchs der unzulässig erscheinenden und zum Gebrauch einer deutlich unterscheidenden Firma nötigt.

Letzteres Verfahren ist im Königreiche Preußen gegenwärtig geregelt in den Artt. 5 und 6 des preuß. Einführungsgesetzes zum Handelsgesetzbuch und den §§. 88 bis 101 der Instruktion des preuß. Justizministers vom 12. Dezember 1861 in Verknüpfung mit dem §. 28 des preuß. Ausführungsgesetzes vom 24. März 1879 zur deutschen Civil- Prozeß-Ordnung, den §§. 25 und 51 des preuß. Ausführungsgesetzes vom 24. April 1878 zum deutschen Gerichtsverfassungsgesetz und dem Allerhöchsten Erlaß vom 1. September 1879, betreffend die Bezeichnung des mit dem 1. Oktober 1879 ins Leben tretenden Oberlandesgerichts zu Berlin als Kammergericht.

Dieses Verfahren ist weder eine (den Normen der deutschen Civil-Prozeß-Ordnung unterliegende) bürgerliche Rechtsstreitigkeit zwischen Prozeßparteien, noch eine Strafsache im Sinne der deutschen Strafprozeß-Ordnung, sondern ein ( wesentlich im öffentlichen Interesse verordnetes, bestimmten Gerichtsbehörden zur Durchführung gesetzlich überwiesenes) Administrativ-Verfahren, welches, mit einem obrigkeitlichen Befehl bei Vermeidung einer Ordnungsstrafe beginnend, sich (falls die befehlende Obrigkeit in glaubhafter Weise davon Kenntnis erhält, daß ihrer Verfügung nicht Folge geleistet sei und, nach nochmaliger Prüfung des Sachverhalts in geordneter, dem Beteiligten zu seiner Rechtfertigung Gelegenheit gewährender Weise, dafür hält, daß der Befehl von dem Beteiligten hätte befolgt werden sollen) durch Festsetzung der angedrohten Ordnungsstrafe und (wenn nicht etwa inzwischen die Verhältnisse sich geändert haben) durch Androhung einer neuen Ordnungsstrafe andauernd fortsetzt, bis die gesetzliche Anordnung befolgt oder ihre Voraussetzung fortgefallen ist.

Dieses Verfahren von Amts wegen wird im Königreiche Preußen von dem zur Führung des betreffenden Handelsregisters zuständigen Amtsgerichte verwirklicht. Auf die zulässige sofortige Beschwerde des Beteiligten gegen die Entscheidungen des Amtsgerichts entscheidet die Civilkammer des übergeordneten Landgerichts. Auf weitere Beschwerde über solche Entscheidungen der Landgerichte in der ganzen preußischen Monarchie entscheidet ein Civilsenat des K. pr. Kammergerichts definitiv.

Während die Pflicht zur Tragung und Erstattung der Prozeßkosten, die Durchführung des Erstattungsverfahrens, die Festsetzung des Streitgegenstandeswertes bei den gemäß Art. 27 H.G.B. angestrengten, oben unter Ziffer I erwähnten Rechtsstreitigkeiten nach den betreffenden Bestimmungen der deutschen Civilprozeßordnung und den mit dieser Prozeßordnung konnexen Vorschriften des deutschen Gerichtskostengesetzes geregelt werden, kann in dem oben unter Ziffer II gekennzeichneten Verfahren von Amts wegen ein Recht auf Kostenerstattung seitens eines Prozeßgegners dem im Sinne des preußischen Einführungsgesetzes zum H.G.B. in jenem Verfahren Beteiligten (d. h. demjenigen, gegen welchen von Amts wegen vorgegangen wird) gar nicht entstehen, weil ihm eine Gegenpartei, als ein Prozeßsubjekt, nicht gegenübersteht, indem derjenige, dessen altere Firma mittelbar durch jenes Verfahren geschützt wird (auch wenn derselbe etwa durch Anzeige das Einschreiten von Amts wegen des zuständigen Amtsgerichts sollicitiert haben sollte) in keiner Weise die Stellung einer Prozeßpartei einnimmt. Selbst dann, falls derselbe behufs Abgabe von Erklärungen in dem Verfahren zugezogen werden sollte, kann er dadurch nur als eine derjenigen Quellen in Betracht kommen, aus welchen der von Amts wegen einschreitende Richter den für seine Entscheidung wesentlichen Sachverhalt ermittelt.

Für die Androhung von Ordnungsstrafen werden Gebühren und Auslagen, falls es nicht zur Festsetzung derselben kommt, nicht erhoben. Wird dagegen die Ordnungsstrafe festgesetzt, so bildet ihr Betrag den Maßstab für die (im wesentlichen nach den in dem deutschen Gerichtskostengesetze für Strafsachen gegebenen Principien zu berechnenden) Kosten, welche der (in dem oben fixierten Sinne) Beteiligte zu tragen hat, wie ihm auch die Gebühren desjenigen Rechtsanwaltes zur Last fallen, welchen er etwa (nach der ihm in dem Art. 5 §§. 3 und 6 Ziffer 2 des preuß. Einführungsgesetzes zum H.G.B. gegebenen Befugnis) zum Bevollmächtigten bestellt hat.

Anträge auf Werts- oder Kostenfestsetzung in diesem Verfahren von Amts wegen finden in Preußen, falls es zur Beschwerde und weiteren Beschwerde in dieser Beziehung kommt, durch Beschluß eines Civil-Senats des Königlich preußischen Kammergerichts ihre definitive Erledigung.

Deutsches Gerichtskostengesetz §§. 1. 4. 16, 59, preußisches Ausführungs -Gesetz zu demselben §§. 4-8, preußische Verordnung vom 27. Januar 1862 §. 8 Nr. 4.

Das Reichsgericht ist (nach den Grundprincipien der Gerichtsverfassung des deutschen Reichs, namentlich nach den Bestimmungen der §§. 135. 136 des Gerichtsverfassungsgesetzes) in keiner Beziehung zuständig zu einer Entscheidung in dem (oben unter II gekennzeichneten) Verfahren von Amts wegen, sei es in dem Hauptgegenstande, sei es in Bezug auf Werts- und Kostenfestsetzungen.

Die vorliegend an das Reichsgericht gerichtete Beschwerde des Kaufmanns C. H. in Firma Carl H. zu K. greift an einen auf weitere Beschwerde gefaßten Beschluß des eisten Civil-Senats des Kammergerichts vom 23. Februar 1880, in welchem dieser Gerichtshof bestimmt hat, daß ein von der ersten Civilkammer des K. pr. Landgerichts zu K. gefaßter Beschluß über eine Wertsfestsetzung aufzuheben sei, weil ein Verfahren von Amts wegen der oben geschilderten Art vorliege, in welchem die angedrohte Ordnungsstrafe nicht festgesetzt sei, so daß Kosten überhaupt nicht zu berechnen wären.

Die gegenwärtige Beschwerde geht von der Unterstellung aus, daß ein solches Verfahren von Amts wegen gar nicht vorgelegen habe, sondern ein Civilprozeß der oben unter Ziffer I gekennzeichneten Art.

Wäre diese Voraussetzung des Beschwerdeführers wirklich vorhanden, so würde allerdings eine etwa dieser wirklichen Aktenlage entschieden widersprechende Annahme des Königlich preußischen Kammergerichts in Bezug auf das Wesen des getätigten Verfahrens dem Beschwerdeführer seine aus den Reichsgesetzen fließenden Rechte, zu deren Aufrechterhaltung durch obersten Richterspruch das Reichsgericht berufen ist, nicht verkümmern dürfen; aber jene Voraussetzung besteht in Wirklichkeit nicht. Es liegt aktenmäßig wirklich ein Verfahren von Amts wegen der oben unter Ziffer II gekennzeichneten Art vor.

Für die Existenz eines solchen Verfahrens spricht entscheidend:

  1. daß das Verfahren nicht mit Erhebung einer Klage begonnen hat, daß vielmehr der Kaufmann C. A. H. in Firma C. H. zu K. das Königlich preußische Amtsgericht XII für Handelssachen dortselbst, welches das Handelsregister führt, ersucht hat, das Verfahren nach Art. 20 H.G.B. gegen den Kaufmann C. H. in Firma Carl H. einzuleiten, weil dessen erst unter Nr. 2285 in das Handelsregister eingetragene Firma so wenig von der bereits unter Nr. 1409 registrierten Firma C. H. sich unterscheide, daß dadurch eine Unsicherheit des Geschäftsverkehrs entstehe;
  2. daß darauf das genannte Amtsgericht (vor Einleitung des Verfahrens durch Erlaß eines Befehls und Androhung einer Ordnungsstrafe) unter ausdrücklicher Allegierung des Art. 5 §. 8 des preußischen Einführungsgesetzes zum H.G.B. (in welchem dem das Handelsregister führenden Richter die Befugnis eingeräumt ist, zu jeder Zeit, auch schon vor Einleitung des Verfahrens, die einschlagenden Verhältnisse näher zu ermitteln) beschlossen hat, die technischen Mitglieder der Handelskammer zu K. darüber zu hören, ob (mit Rücksicht auf die am dortigen Handelsplätze bestehenden Verhältnisse) der Gebrauch der Firma Carl H. durch den Kaufmann C. H., während gleichzeitig die altere Firma C. H. am Orte bestehe, geeignet sei, Unzuträglichkeiten zu erzeugen;
  3. daß das genannte Amtsgericht (nach Konsultation jener technischen Mitglieder der Handelskammer) dem Kaufmann C. H. unter ausdrücklicher Allegierung des Art. 6 des preuß. Einführungsgesetzes zum H.G.B. bei Vermeidung einer Ordnungsstrafe von 100 Mark untersagt hat, sich ferner der Firma Carl H. zu bedienen;
  4. daß dasselbe Amtsgericht, als C. H. sich ausdrücklich weigerte, der an ihn erlassenen Verfügung nachzukommen, ausdrücklich gemäß Art. 5 Nr. 3 des preuß. Einführungsgesetzes zum H.G.B. und §. 28 des preuß. Einführungsgesetzes zur C.P.O. Termin angesetzt und in diesem Termine das Verfahren durch einen Beschluß beendigt hat.

Die Folge der Subsumtion dieses aktenmäßigen Thatbestandes unter die oben klar gelegten Normen ist, daß die vorliegend erhobene Beschwerde als unzulässig zu verwerfen ist.

Das K. pr. Amtsgericht zu K. ist indessen bei Thätigung des Verfahrens von Amts wegen unsicher und zum Teil unrichtig zu Werke gegangen, in welcher Beziehung namentlich folgende Punkte hervorzuheben sind:

a) Dasselbe hat das Verfahren bezeichnet, als Provokationssache des Kaufmanns C. A. H. in Firma C. H., Provokanten, gegen den Kaufmann C. H. in Firma Carl H., Provokaten, während es (bei klarem Verständnisse des Gesetzes) sich vergegenwärtigen mußte, daß in dem gethätigten Verfahren von Amts wegen von einem Provokanten und Provokaten gar nicht geredet werden durfte, vielmehr der Inhaber der Firma Carl H. allein im Sinne des Gesetzes der Beteiligte war, der Inhaber der Firma C. H. nur eine gelegentliche Veranlassung zum amtlichen Einschreiten gegeben hatte und im Verfahren nur als Quelle zur Ermittelung des Sachverhalts in Betracht kommen konnte.
b) Hat das Amtsgericht den das Verfahren beendigenden Beschluß, die Verfügung, welche dem C. H. die Führung der Firma Carl H. bei Ordnungsstrafe untersagte, einfach dadurch begründet, daß C.A.H. seinen (sogenannten) Antrag (nach Vortrag der obwaltenden Umstände) zurückgenommen habe und sich dadurch die Provokation erledige, während das Amtsgericht völlig objektiv von Amts wegen (unter Würdigung aller vorliegenden konkreten Umstände, zu denen die Erklärung des C. A. H., daß er auf Nötigung des C. H. zur Aufgabe seiner Firma nicht bestehe, gehörte) prüfen mußte, ob der Beteiligte C. H. die an ihn erlassene Verfügung hätte befolgen sollen und daher die Ordnungsstrafe festzusetzen, oder ob er nicht verpflichtet gewesen wäre, jene Verfügung zu befolgen, und daher die letztere aufzuheben sei, sowie im ersteren Falle, ob eine neue Verfügung unter Ordnung Strafandrohung zu erlassen oder etwa solches wegen Veränderung der Umstände zu unterlassen sei.
c) Hat das Amtsgericht den Inhaber der Firma C. H. als Extrahenten des Verfahrens die Kosten zur Last gelegt, während derselbe im Geiste des Gesetzes als Extrahent des Verfahrens von Amts wegen in keiner Weise gelten kann.

Diese unrichtige Behandlung der Sache, welche ohne Schuld des Beteiligten und jetzigen Beschwerdeführers entstanden war, hat denselben offensichtlich (und zwar in durchaus entschuldbarer Weise) zu der, allerdings an sich unrichtigen, Auffassung der Natur des gethätigten Verfahrens verleitet, welche ihn zur Erhebung der vorliegenden Beschwerde geführt hat. Es rechtfertigt sich daher, von der (durch den Gesetzgeber den Gerichtshöfen in dem §. 6 des G.K.G. beigelegten) Befugnis im vorliegenden Falle Gebrauch zu machen und dem Beschwerdeführer in Bezug auf diesen (seine Beschwerde, als unzulässig, verwerfenden) Bescheid Gebührenfreiheit zu gewähren."