RG, 15.05.1880 - I 806/80

Daten
Fall: 
Auslegung von Urkunden im Wege der Revision
Fundstellen: 
RGZ 2, 379
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
15.05.1880
Aktenzeichen: 
I 806/80
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Bremen
  • OLG Hamburg

Inwiefern unterliegt die Auslegung von Urkunden der Anfechtung im Wege der Revision?

Tatbestand

Die Kläger hatten festzustellen beantragt, daß dem Beklagten aus verschiedenen dem Gerichte vorgelegten Urkunden Ansprüche gegen die Kläger nicht zustehen, wogegen der Beklagte beantragt hatte, die Klage abzuweisen und vielmehr festzustellen, daß er auf Grund dieser Urkunden gewisse erhebliche Betrage von den Klägern zu fordern habe. Das zu Gunsten der Kläger erkennende Urteil des ersten Richters war auf die Berufung des Beklagten bestätigt, welcher dagegen noch die Revision eingelegt hatte.

In dem Revisionserkenntnisse ist nun zunächst ausführlich dargelegt, daß sich - möge auch die eine der hier fraglichen Urkunden für sich allein betrachtet zu manchen Zweifeln Veranlassung geben - mit Rücksicht auf die übrigen Urkunden und den sonstigen zwischen den Parteien unstreitigen Sachverhalt nach richtigen Interpretationsgrundsätzen eine Forderung des Beklagten an die Kläger von bestimmtem Betrage klar ergebe. Sodann heißt es in den Gründen:

Gründe

"Die Entscheidung der vorigen Instanzen, daß dem Beklagten ... keine weiteren Ansprüche gegen die Kläger aus den geschlossenen Vereinbarungen Anlage A. bis C. zustehen, ist hiernach nicht gerechtfertigt. Sie unterliegt aber auch dem Rechtsmittel der Revision, da sie nicht auf einer für die Entscheidung des Revisionsgerichtes maßgebenden abweichenden Feststellung von Thatsachen in dem angefochtenen Urteile (C.P.O. §.524), sondern nur auf der Nicht- bezw. unrichtigen Anwendung von gemeinrechtlichen Rechtsnormen (C.P.O. §§. 511. 512 516 Abs. 2 Nr. 1) beruht und zwar auf einer Rechtsverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf das festgestellte Sachverhaltes (C.P.O. §. 528 Abs. 3 Nr. 1).

Der Berufungsrichter geht nämlich mit dem ersten Richter, auf dessen Thatbestand er verweist, von demselben Sachverhalte aus, welcher, der vorstehenden Beurteilung zum Grunde gelegt ist. Insbesondere haben ihm die in den Urkunden Anlage A. bis C. niedergelegten Verträge und Erklärungen ganz so vorgelegen, wie sie jetzt vorliegen, und es erhellt in keiner Weise, daß er sich thatsächlich über deren Inhalt im Irrtum befunden hat. Es ist daher von vornherein anzunehmen, daß der Berufungsrichter bei der rechtlichen Würdigung des Sachverhaltes geirrt, durch eine unrichtige rechtliche Beurteilung das Gesetz verletzt habe. Dies findet auch seine Bestätigung in den vom Berufungsrichter adoptierten Gründen des ersten Richters und in dem von ihm selbst noch hinzugefügten, wonach die hier fragliche Entscheidung auf der Ausführung beruht, daß der Sinn der Anlage C. in sich widerspruchsvoll und pervers, und daß mit Sicherheit ein Schluß auf den Willen der Kontrahenten daraus nicht zu ziehen, dieser vielmehr dunkel und die Urkunde daher zur Begründung einer Forderung des Beklagten nicht geeignet sei. Zu diesem Resultate der Auslegung gelangen die Vorinstanzen dadurch, daß sie, obwohl sie anerkennen, daß die Witwe B. dem Beklagten schon durch die Anlage A. und B. gewisse Vorteile ... eingeräumt habe, und daß die Anlage C. nach ihrem Eingänge bezwecke, den Beklagten auch für den jetzt eingetretenen Fall zu sichern, aus einzelnen in Anlage B. gebrauchten Ausdrücken . . . einen unlöslichen Widerspruch mit der dem Beklagten in den folgenden §§. von der Witwe B. klar und deutlich zugesicherten ... Zahlung einer Summe von 69000 M. herleiten und deshalb in dieser weiteren Erklärung nur ein "juristisches Unding" finden.

Hierdurch wird aber verstoßen gegen die Regeln für die Auslegung der Rechtsgeschäfte. Denn bei einem zweifelhaften Wortsinne ist der wirkliche Sinn, welchen die Beteiligten mit demselben verbunden haben, womöglich zu ermitteln und zwar mit Rücksicht auf die Gesamtheit der in Betracht kommenden Umstände, sowie auf den Werth des Resultates und auf den übrigen unzweifelhaften Inhalt der Erklärung. Ferner sind zweifelhafte Rechtsgeschäfte so auszulegen, daß der Erklärung womöglich ein vernünftiger, nicht aber ein unmöglicher oder erfolgloser Zweck beigelegt wird, und daß das Rechtsgeschäft thunlichst aufrecht erhalten werden kann, wobei mehr auf die erweisliche Absicht, als auf den Wortlaut und buchstäblichen Sinn zu sehen ist.

(Folgen Quellen-Citate.)

Daß bei richtiger Anwendung dieser Grundsätze die vorigen Richter zu einer anderen Entscheidung gelangt sein würden, ist oben gezeigt ...

Das angefochtene Urteil ist hiernach ... aufzuheben, und ist, da nach dem festgestellten Sachverhältnisse die Sache zur Entscheidung reif ist, nach §. 528 Abs. 3 Nr. 1 C.P.O. zugleich in der Sache selbst die Entscheidung entsprechend abzuändern."