RG, 15.05.1889 - I 114/89
1. Wesen der Hingabe eines Wechselblanketts. Einwand vertragswidriger Ausfüllung desselben.
2. Auf "Rubel Polnisch" lautender Wechsel?
Aus den Gründen
"Die Revision kann für begründet nicht erachtet werden.
1.
Hatte auch Kläger, wie Beklagter unter Bestreitung des Klägers behauptet hat, den hier fraglichen, vom Beklagten unterschriebenen Wechsel unausgefüllt übergeben und Kläger bei der ihm überlassenen Ausfüllung des Blankettes insofern vertragswidrig gehandelt, als er als Fälligkeitstag den 15. Oktober 1883 hineinschrieb, wahrend er ihn bei Abrede gemäß nicht vor dem 30. November 1888 hätte zahlbar machen dürfen, so würde dies der wechselmäßigen Verpflichtung des Beklagten in dem Umfange, in welchem seine Verurteilung ausgesprochen ist, keineswegs entgegenstehen. Die Übergabe eines in blanco unterzeichneten eigenen Wechsels stellt sich ebenso wie die Übergabe eines Blankoacceptes, in betreff dessen dies im Anschlusse an die Rechtsprechung des Reichsoberhandelsgerichtes vom Reichsgerichte in konstanter Praxis bereits wiederholt ausgesprochen ist, als Ermächtigung zur Herstellung einer Wechselobligation dar, und dem Geber eines solchen Wechsels ist es nur als eine dem Nehmer gegenüber nach Art. 82 W.O. zustehende exceptio doli gestattet seinerseits darzuthun, daß der Wechsel vertragswidrig ausgefüllt sei, und daß mithin der Wechsel gegen ihn insoweit nicht geltend gemacht werden dürfe, als dessen Inhalt nicht der getroffenen Abrede entspricht. Das letztere ist aber nach der Behauptung des Beklagten vorliegend nur in betreff der Fälligkeit des Wechsels der Fall, indem Beklagter nur geltend gemacht hat, Kläger habe zu früh geklagt und verlange Verzugszinsen, welche er nicht zu beanspruchen habe. Da nun aber der Kläger seinen Zinsenanspruch auf die Zeit von dem seitens des Beklagten selbst zugestandenen verabredungsmäßigen Fälligkeitstage an beschränkt hat und dieser Fälligkeitstag schon zur Zeit des Urteiles erster Instanz längst verstrichen war, ohne daß Beklagter gezahlt hatte, so stand der Verurteilung des Beklagten der gedachte Einwand in keiner Weise entgegen. Der von der Revision aufgestellten Ansicht, durch die auch nur in einem Punkte nicht vertragsmäßige Ausfüllung des Wechsels seitens des Klägers werde die Wechselobligation des Beklagten überhaupt hinfällig, kann nicht beigepflichtet werden. Ebensowenig ist aus §. 381 C.P.O. zu folgern, daß, wenn bewiesen wird oder zugestanden ist, daß die betreffende Urkunde von dem Aussteller derselben in blanco unterzeichnet worden sei, hierdurch die Beweiskraft der Urkunde beseitigt werde. Die formelle Beweisregel des §. 381 wird durch die bloße Thatsache, daß die Urkunde aus einem Blankett entstanden sei, nicht berührt. Die Behauptung, daß die Urkunde durch einen Mißbrauch des Blanketts entstanden sei, richtet sich nicht gegen die formelle Beweisregel des §. 381, sondern nur gegen die in §. 405 C.P.O. aufgestellte Vermutung.
2.
In betreff des daraus, daß der Wechsel auf "Rubel polnisch" lautet, entnommenen Einwandes erkennt der Berufungsrichter an, daß es nach Art. 96 Ziff. 2 W.O. dem Wechsel an einem wesentlichen Erfordernisse fehlen würde, wenn in demselben die zu zahlende Geldsumme nicht bestimmt angegeben wäre; auch erachtet er auf Grund des Einwandes des Beklagten, daß eine Münze unter der Bezeichnung "Rubel polnisch" mit einem in sich bestimmten Geldwerte nicht existiere, den Kläger dafür beweispflichtig, daß auch die Bezeichnung "Rubel polnisch" einen bestimmten Geldbetrag bedeute. Der Berufungsrichter erachtet aber diesen Beweis durch die vom Kläger beigebrachten beiden Bescheinigungen der Polizeiverwaltung zu Gr. vom 20. Februar 1889 für vollständig geführt, da hiernach in dem früheren, jetzt zu Rußland gehörigen Polen nur eine Geldsorte unter dem Namen "Rubel" existiere, mit Rücksicht darauf aber, daß die Provinz Polen an Preußen grenzt, in Gr. (wo der hier fragliche Wechsel ausgestellt und zahlbar ist, und wo beide Parteien ihren Wohnsitz haben) und der ganzen Umgegend der Gebrauch herrsche, das russische Geld als polnisches zu bezeichnen, es deshalb auch im Handel gebräuchlich und üblich, sowie für jedermann ohne weiteres verständlich sei, den russischen Rubel als "polnischen" zu bezeichnen, und mithin die Bezeichnung "Polnischer Rubel" ganz gleichbedeutend sei mit "Russischem Rubel" oder "Rubel" überhaupt, sodaß ein Zweifel darüber, daß in dem Wechsel die zu zahlende Geldsumme ganz bestimmt angegeben ist, füglich nicht mehr obwalten könne.
In dieser Ausführung ist irgend eine Verletzung von Rechtsnormen nicht enthalten, sei es nun von Normen des materiellen Wechselrechtes oder von prozessualischen Normen. Insbesondere ist auch der dem Berufungsrichter von der Revision gemachte Vorwurf unbegründet, er habe nicht beachtet, daß die Bescheinigungen von einer dazu nicht zuständigen Behörde ausgestellt seien. Der Berufungsrichter hat vielmehr den schon in der vorigen Instanz vom Beklagten erhobenen Einwand, daß die Polizeiverwaltung zu Gr. als eine untergeordnete Behörde nicht zuständig sei, über die streitige Frage ein Gutachten abzugeben, zutreffend damit beseitigt, daß gerade die Ortspolizeibehörde zu Gr., wo beide Parteien wohnen und wo der Wechsel ausgestellt sei, am besten befähigt erscheine, darüber Auskunft zu erteilen, was unter "Rubel Polnisch" nach dem in Gr. und und Umgegend herrschenden Sprachgebrauche verstanden wird. Von einer Verletzung des §. 383 C.P.O. kann daher nicht die Rede sein."