RG, 15.05.1917 - III 65/17

Daten
Fall: 
Berichtigung wegen Unrichtigkeit
Fundstellen: 
RGZ 90, 228
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
15.05.1917
Aktenzeichen: 
III 65/17
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • Landgericht Düsseldorf
  • Oberlandesgericht Düsseldorf

1. Fällt die Berichtigung nach § 319 ZPO. unter § 839 Abs. 2 BGB.?
2. Unbestimmtheit der Grenzen der "ähnlichen offenbaren Unrichtigkeiten".

Tatbestand

Der 5. Zivilsenat des Oberlandesgerichts in Düsseldorf hat die Urteilsformel des von ihm in Sachen der jetzigen Klägerin (als damaliger Beklagten und Anschlußberufungsklägerin) gegen die Firma B. & F. in D. (als damalige Klägerin und Berufungsklägerin) am 9. Juni 1914 verkündeten Berufungsurteils durch den auf mündliche Verhandlung ergangenen Beschluß vom 16. April 1915 gemäß § 319 ZPO. berichtigt. Die Klägerin fordert Schadensersatz, weil diese Berichtigung eine Verletzung der Amtspflicht darstelle. Die Urteilsformel vom 9. Juni 1914 hatte nämlich gelautet:

"Unter Zurückweisung der Berufung der Klägerin wird auf die Anschlußberufung der Beklagten das am 8. Januar 1913 verkündete Urteil der 2. Kammer für Handelssachen des Königlichen Landgerichts Duisburg dahin abgeändert:

Die Klage wird gänzlich abgewiesen und die Klägerin in die sämtlichen Kosten der 1. Instanz verurteilt.
Die Kosten der Berufungsinstanz fallen der Klägerin zur Last.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar."

Diese Formel war durch den Berichtigungsbeschluß vom 16. April 1915 dahin abgeändert worden:

"Die Berufung der Klägerin und die Anschlußberufung der Beklagten gegen das Urteil der 2. Kammer für Handelssachen des Landsgerichts Duisburg vom 8. Januar 1913 werden zurückgewiesen.

Die Kosten der Berufungsinstanz fallen zu 1/3 der Klägerin, zu 2/3 der Beklagten zur Last.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar."

Die Klägerin führt aus, eine derartige Berichtigung sei im Rahmen des § 319 unzulässig gewesen, und der 6. Zivilsenat habe dies bei pflichtmäßiger Sorgfalt erkennen müssen.

Das Landgericht sprach die Klage zu. Der Berufungsrichter wies sie ab, und zwar aus zwei selbständigen Gründen: zuvörderst, weil § 839 Abs. 2 BGB. Platz greife, sodann, weil auch eine fahrlässige Verletzung der Amtspflicht nicht vorliege. Die Revision der Klägerin ist zurückgewiesen worden aus folgenden Gründen:

Gründe

"Schon der erste Entscheidungsgrund des Berufungsrichters trifft zu. Der Berichtigung nach § 319 ZPO. unterliegen "Unrichtigleiten, welche in dem Urteile vorkommen", also insbesondere auch Unrichtigkeiten in der Urteilsformel. Die Sondervorschrift des § 839 Abs. 2 Satz 1 BGB. begreift jede Amtspflichtverletzung "bei dem Urteil in einer Rechtssache". Schon dieser Wortlaut ergibt, daß die Berichtigung "in dem Urteile" notwendig eine Amtstätigkeit "bei dem Urteil in einer Rechtssache" ist. Der Grund der Sondervorschrift des § 839 Abs. 2 war nach den Motiven zu dem Entw. eines Bürgerl. Gesetzbuchs Bd. 2 S. 824 die Wahrung der zur Aufrechthaltung der Rechtsordnung unentbehrlichen Unabhängigkeit der Gerichte und nach den Kommissions-Protokollen Bd. 2 S. 663, nach der Denkschrift und nach der dritten Beratung im Reichstage, Stenogr. Berichte S. 846, 847, weiter die Wahrung des Grundgedankens der Rechtskraft. Der Antrag auf Abänderung der bisherigen Worte "bei der Entscheidung in einer Rechtssache" in die - kraft des entsprechenden Beschlusses des Reichstags in der dritten Lesung - zum Gesetze gewordenen Worte "bei dem Urteil in einer Rechtssache" wollte die Konsequenz nicht weiter getrieben wissen, als die Rechtskraft des Urteils zwinge und verlange, und demnach in Zivilsachen nur die Endurteile, die Zwischenurteile und die Teilurteile einbeziehen. Die Unabhängigkeit der Gerichte und die Rücksicht auf die Urteilsrechtskraft ist für die Berichtigung eines Urteils genau in demselben Maße notwendig wie für die Fassung des ursprünglichen, sodann berichtigten Urteils; denn wie die von den Motiven zu § 319 ZPO. als Vorgang angezogene Württembergische Zivilprozeßordnung von 1868 es in Art. 378 ausgedrückt hatte: "Der Beschluß, wodurch ein Urteil berichtigt, ergänzt oder erläutert wird, bildet einen Bestandteil des Urteils"; darum war von jeher und ist auch jetzt vorgeschrieben, daß der Berichtigungsbeschluß auf dem Urteil und den Ausfertigungen bemerkt werden muß (Preuß. Allg. Gerichtsordnung I, 14 § 1, Hannoversche Prozeßordnung von 1850 § 364, Hannoverscher Entwurf von 1866 § 268, ZPO. § 318 Abs. 2).

Daß die Berichtigung in Form eines Beschlusses ergeht, gegen den die sofortige Beschwerde stattfindet, ist ohne Belang. Zwar hat der dem gedachten Antrag in der dritten Lesung des Reichstags entgegentretende Regierungskommissar ausgeführt, nach diesem Antrage würden Entscheidungen, die nicht in der Form des Urteils erfolgten, insbesondere Entscheidungen, welche der sofortigen Beschwerde unterlägen, ausgeschlossen sein, während doch die Frage der Form eines Urteils oder eines Beschlusses lediglich nach Zweckmäßigkeitsrücksichten, nach rein formalen Erwägungen beantwortet worden sei. Im § 839 Abs. 2 ist jedoch nicht zum Ausdruck gebracht, daß die Amtstätigkeit "bei dem Urteil" ihrerseits selbst wieder auf Grund einer mündlichen Verhandlung und in Form eines Urteils erfolgen müßte; nicht die Form, sondern der sachliche Inhalt der Amtstätigkeit entscheidet, ob sie eine solche "bei dem Urteil" ist. Der Berichtigungsbeschluß hat nun gerade die besondere Natur einer Amtstätigkeit "bei dem Urteile": er entbehrt der sachlichen Selbständigkeit, enthält vielmehr die Feststellung des vom Richter ursprünglich beabsichtigten, nur aus Versehen in anderer Fassung verkündeten Erkenntnisses; er erst gibt den wahren Inhalt des Urteils; auf den so festgestellten wahren Inhalt des Urteils erstreckt sich denn auch die Rechtskraft, mag sie vor oder nach Erlaß des Beschlusses eingetreten sein; das berichtigte Urteil bildet den Vollstreckungstitel; es ist so anzusehen, als ob das Urteil von vornherein in der berichtigten Fassung erlassen wäre, der Berichtigungsbeschluß hat also insofern rückwirkende Kraft (RGZ. Bd. 29 S. 406, Bd. 23 S. 410/11; Jur. Wochenschr. 1898 S. 661, 1891 S. 7); die sofortige Beschwerde gegen den Berichtigungsbeschluß betrifft nur die Feststellung des sich aus den Gründen als der objektiven Grundlage ergebenden Urteilsinhalts; die Rechtsmittel der Berufung und Revision, soweit sie zulässig sind, betreffen die Rechtmäßigkeit des so berichtigten Urteilsinhalts (Gruchot Beiträge Bd. 29 S. 1091); sachlich ist, wie bereits betont, die Berichtigung ein auf der früheren mündlichen Verhandlung beruhender Bestandteil des Urteils; gegen das unangefochten oder unter Zurückweisung der Beschwerde berichtigte Urteil findet nur das gegen das ursprüngliche Urteil zulässige Rechtsmittel statt.

Dem ersten Entscheidungsgrunde des Berufungsrichters ist hiernach völlig beizutreten. Daraus folgt die Zurückweisung der Revision, ohne daß der weitere Prozeßstoff eines Eingehens bedarf. Es ist insbesondere kein Raum mehr weder für eine Entscheidung über die vom Beklagten erhobene Einrede der Arglist noch für eine Entscheidung darüber, ob den Richtern des 5. Zivilsenats eine Fahrlässigkeit zur Last zu legen ist.

Jedoch soll - nicht als eventueller zweiter Entscheidungsgrund, sondern im Interesse der Auslegung und Einwendung des § 319 ZPO. - ausdrücklich ausgesprochen werden, daß der jetzt erkennende Senat auch in der Frage der Fahrlässigkeit die Darlegungen des Berufungsrichters nach eingehender Prüfung in allen Punkten für zutreffend erachtet. Insbesondere ist richtig, daß "Rechnungsfehler" meist auch Denkfehler sind, daß sich also eine verläßliche Unterscheidung zwischen Rechenfehlern und rein mechanischen Versehen einerseits und materiellem Irrtum anderseits (RGZ. Bd. 23 S. 402. 411, 412) nicht durchführen läßt. Ebenso ist die Feststellung zu billigen, daß die Richter des 5. Senats ohne Fahrlässigkeit annehmen durften, es sei in den Gründen des Urteils vom 9. Juni 1914 deutlich zum Ausdruck gebracht, daß nur das Gutachten der Duisburger Sachverständigen zugrunde gelegt werden wollte. Danach und weil das Gutachten dieser Sachverständigen aus sich heraus ohne Beiziehung eines weiteren Beweismaterials ergab, daß die Sachverständigen das ganze Holzquantum untersucht und den gesamten Holzminderwert aus insgesamt 2888,58 qm fehlerhaftem Holze auf 433,28 M geschätzt hatten, durften die Richter des 5. Senats sehr wohl den Tatbestand des § 319 für gegeben erachten und das die Firma B. & F. durch völlige Abweisung ihrer Klage (statt der Abweisung nur des Betrags von 433,28 M) benachteiligende Versehen, als sei nur 1/3 des Holzes untersucht und der Minderwert nur dieses 1/3 auf 433,28 M geschätzt, so wie geschehen berichtigen. Die Zusammenstellung der zum Teil vom Reichsgerichte selbst erlassenen Berichtigungsbeschlüsse in RGZ. Bd. 23 S. 399 flg. zeigt, wie schwierig und unbestimmt die Grenzlinien der "offenbaren Unrichtigkeit" sind."