RG, 15.06.1917 - III 82/17

Daten
Fall: 
Vergütungen für außergewöhnliche Leistungen
Fundstellen: 
RGZ 90, 320
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
15.06.1917
Aktenzeichen: 
III 82/17
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Kiel
  • OLG Kiel

Kann der Dienstherr Vergütungen für außergewöhnliche Leistungen, deren Bewilligung in seinem Ermessen steht, ohne Zustimmung der Angestellten nachträglich diesen wieder entziehen oder herabsetzen?

Tatbestand

Die Kläger stehen als Ingenieure oder Techniker auf Grund Privatdienstvertrags im Dienste des Reichs. Nach § 3 Abs. 1 der mit ihnen abgeschlossenen Verträge waren sie verpflichtet, die vorgeschriebenen Dienststunden einzuhalten, erforderlichenfalls aber über die Dienststunden hinaus, auch an Sonn- und Feiertagen, ohne besondere Vergütung Dienst zu tun. § 3 Abs. 2 lautet: "Für außergewöhnliche Leistungen können mit Genehmigung des Reichsmarineamts außerordentliche Vergütungen gewährt werden." Das Reichsmarineamt (RMA.) ordnete durch Verfügung vom 12. Oktober 1912 an, daß über die Gewährung solcher Vergütungen unter gewissen Voraussetzungen der Leiter der betreffenden Behörde mitscheiden solle, während in anderen Fällen die Entscheidung des RMA.. herbeizuführen sei. Durch Verfügung des RMA. vom 15. September 1914 wurde den auf Dienstvertrag angenommenen Personen für die Dauer des Krieges eine bestimmte Vergütung für sämtliche Überstunden zugesprochen und zugleich bestimmt, daß die Verfügung vom 12. Oktober 1912 für die Dauer des Krieges außer Kraft trete. Die Verfügung vom 15. September 1914 wurde durch spätere Verfügungen in einer Weise geändert, daß dadurch für die Kläger eine Minderung ihrer Bezüge eintrat. Die Kläger machten geltend, daß dies ohne ihre Zustimmung wirksam nicht habe geschehen können, und verlangten mit der gegen das Deutsche Reich gerichteten Klage die unverkürzten Beträge bis zum 31. Oktober 1915, in der Berufungsinstanz auch für die Zeit vom 1. November 1915 bis zum 31. März 1916. Die erste Instanz verurteilte den Beklagten nur insoweit, als er auch bereits bezahlte Beträge durch Anrechnung auf die neufestgesetzten Vergütungen wieder einziehen wollte. Das Berufungsgericht gab der Klage im vollen Umfange statt. Die Revision des Beklagten wurde zurückgewiesen.

Gründe

Das Berufungsgericht legt den § 3 Abs. 2 des Vertrags dahin aus, daß den Klägern ein Anspruch auf Bezahlung einer außerordentlichen Vergütung nur dann, in diesem Falle aber unwiderruflich, zustehen sollte, wenn das RMA. eine Vergütung bewilligte, und findet eine solche unwiderrufliche Bewilligung in der Verfügung vom 15. September 1914. Diese Auslegung beruht auf einer dem § 286 ZPO. entsprechenden Würdigung des Sachverhalts und läßt einen Rechtsirrtum, insbesondere eine Verletzung von Auslegungsgrundsätzen, nicht erkennen. Was die Revision dagegen vorbringt, kann die Auffassung des Berufungsgerichts nicht entkräften. Wenn nach § 3 Abs. 1 des Vertrags der Dienstverpflichteten gehalten sein sollte, .erforderlichenfalls auch über die Dienststunden hinaus ohne Vergütung tätig zu sein, so konnte doch für den Fall einer dauernden Heranziehung durch Überstunden, wie sie z. B. der Krieg erwarten ließ, und überhaupt für außergewöhnliche Leistungen jeder Art eine besondere Vergütung in Aussicht gestellt werden. Die Fassung des Abs. 2 ("können") führte das Berufungsgericht zu der Annahme, daß die Bewilligung an sich im freien Ermessen des Beklagten stand, schließt aber eine rechtliche Bindung für den Fall einer erfolgten Bewilligung nicht aus. Die vom Beklagten vertretene freie Widerruflichkeit würde der Bestimmung des Abs. 2 jede rechtliche Bedeutung nehmen. Die Auffassung des Berufungsgerichts kann auch nicht unter dem Gesichtspunkte beanstandet werden, daß das bloße Wollen des Verpflichteten rechtlich nicht Vertragsbedingung sein kann (RGZ. Bd. 72 S. 385). Es handelt sich nicht um ein bloßes Wollen, sondern um ein, wenn auch in das Belieben gestelltes Tun des Beklagten. Seinem Ermessen war es überlassen, eine Vergütung zu bewilligen, nicht aber, die bewilligte Vergütung dem Inhalte der Bewilligung zuwider nachträglich wieder zu entziehen oder herabzusetzen. Das RMA. hätte die Bewilligung mit Einschränkungen erteilen oder einen Widerruf vorbehalten komm. Es hat aber die Bewilligung ohne jeden Vorbehalt für die Dauer des Krieges erteilt. Daran ist der Beklagte daher gebunden.

Einwandfrei ist endlich auch die Annahme des Berufungsgerichts, daß die den Angestellten bekannt gegebene Verfügung vom 15. September 1914 nicht lediglich eine Anweisung an die Nachgeordneten Dienststellen enthielt, sondern auch für die Angestellten und dafür bestimmt war, deren Rechtsverhältnis zum Beklagten zu regeln. Um ein Vertragsangebot, durch dessen Annahme erst ein Rechtsverhältnis begründet werden sollte, handelt es sich dabei nicht. Die Bindung des Beklagten ergab sich vielmehr schon aus dem Dienstvertrage, wie ihn das Berufungsgericht auslegt. Der vom Berufungsgericht angewendete § 130 BGB. gilt auch keineswegs nur für Vertragsangebote, sondern für empfangsbedürftige Willenserklärungen jeder Art. Daß in der Verfügung vom 15. September 1914 die Verfügung vom 12. Oktober 1912 ausdrücklich für die Dauer des Krieges außer Kraft gesetzt wurde, läßt erkennen, daß die in der ersteren allgemein ausgesprochene Bewilligung an die Stelle der nach der Verfügung vom 12. Oktober 1912 zu erteilenden besonderen Bewilligungen treten sollte. Sie mußte daher, sobald sie den Angestellten mitgeteilt worden war, für den Beklagten ebenso bindend sein, wie jene besonderen Bewilligungen." ...