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RG, 15.04.1919 - II 435/18

Daten
Fall: 
Unmöglichkeit der Leistung durch Beschlagnahme
Fundstellen: 
RGZ 95, 264
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
15.04.1919
Aktenzeichen: 
II 435/18
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Elberfeld
  • OLG Düsseldorf

1. Inwiefern hat der Fabrikant die Unmöglichkeit der Leistung deshalb zu vertreten, weil er sich nicht vor der Beschlagnahme effektiv eingedeckt hat?
2. Anforderungen an den Nachweis, daß die Leistung unmöglich geworden ist.

Tatbestand

Am 5. Oktober 1914 verkaufte die Klägerin, die eine Gerberei betreibt, der Beklagten 300 Häute Patronentaschenleder, lieferbar 50 Häute im Oktober, 100 im November, 150 im Dezember, in Teillieferungen von je 10 Häuten. Sie hat der Käuferin im ganzen 125 1/2 Häute geliefert, die letzte am 21. Dezember. Unter dem 22. November war eine Verfügung des Kriegsministers ergangen, durch welche sämtliche Rohhäute, von bestimmtem Mindestgewichte beschlagnahmt wurden. Durch Brief vom 18. Dezember erklärte die Klägerin der Beklagten, sie könne mit Rücksicht auf diese Verfügung und weil die übrigen Rohmaterialien im Preise gestiegen seien, die rückständigen Häute nicht mehr für den vereinbarten Preis von 17 M liefern, müsse vielmehr 25 M fordern. Die Beklagte erwiderte im Briefe vom 22. Dezember, daß sie auf Erfüllung in vereinbarter Weise bestehe, und setzte eine Nachfrist bis 25. Dezember. Am 28. Dezember schrieb die Klägerin hierauf, sie sei durch die Beschlagnahme von allen Lieferungen entbunden; entsprechend der ihr zugeteilten Quote brauche sie nur 70% ihrer bisherigen Abschlüsse zu erfüllen, und zwar zu entsprechend höheren Preisen; wenn die Beklagte nicht bis zum 31. Dezember ihre Einwilligung erkläre, sei sie von weiteren Lieferungen entbunden und stelle solche sofort ein. Am 23. Januar 1915 hat die Beklagte der Klägerin noch einmal eine Nachfrist bis 30. Januar gesetzt. Zu einer weiteren Lieferung ist es nicht gekommen.

Die Klägerin fordert den Restpreis für die gelieferte Ware. Die Beklagte macht Anspruch auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung des Vertrags geltend. Sie rechnet gegen die eingeklagte Forderung auf und fordert im Wege der Widerklage 10000 M.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und die Klägerin nach dem Antrage der Widerklage verurteilt. Die hiergegen von der Klägerin eingelegte Berufung ist vom Oberlandesgerichte zurückgewiesen worden. Auch die Revision hatte keinen Erfolg.

Gründe

"Der Vorderrichter erklärt den der Klägerin obliegenden Beweis, daß sie infolge der Beschlagnahme der Rohhäute ohne ihr Verschulden außerstand gesetzt worden sei, zu liefern, für nicht erbracht. Die hiergegen von der Revision vorgebrachten Bedenken sind zum Teil nicht ohne Berechtigung.

Der Vorderrichter verweist darauf, daß nach einer Auskunft der Kriegsleder-Aktiengesellschaft noch nach dem 22. November Häute-Auktionen stattgefunden haben, auf denen die Klägerin sich hätte eindecken können. Demgegenüber führt die Revision aus, daß die Kriegsleder-Aktiengesellschaft erklärt habe, durch die Beschlagnahme seien alle bestehenden Lieferungsverträge unerfüllbar geworden, die erwähnten Auktionen hätten nicht stattfinden dürfen. Dieses Bedenken besteht in der Tat. Die Beschlagnahme hat zwar nur den Handel mit Rohhäuten zum Gegenstand und schließt auch diesen keineswegs schlechthin aus. Indem sie sich unverkennbar der Art anschließt, wie im Verkehr der Handel mit Rohhäuten sich tatsächlich abspielt, läßt sie den Weg, den das Produkt von dem Einzelgefälle beim Schlachter usw. bis zur Aufsammlung beim Großhändler durchläuft, insofern frei, als Lieferungen vom Schlachter über die Sammler (Kleinhändler) bis zum Großhändler - unter Einhaltung gewisser Beschränkungen in der Zulassung zu diesem Handel - unverwehrt sind und nur der Weg vom Großhändler zur Gerberei gesperrt ist, der vielmehr über die Kriegsleder-Aktiengesellschaft geht, wo die planmäßige Verteilung auf die einzelnen Gerbereien erfolgt. Es wäre denkbar, daß jene Auktionen gleichwohl nicht mit der allgemeinen Beschlagnahme der Häute in Widerspruch gestanden haben, nämlich dann nicht, wenn an der Versteigerung nur die zugelassenen "Großhändler" sich haben beteiligen dürfen. Aber gerade dann auch hätten diese Auktionen der Klägerin keine Gelegenheit geboten, sich mit Rohmaterial zu versehen. Für sie bestand keine Möglichkeit, sich ohne Verstoß gegen die Beschlagnahmeverfügung einzudecken, und es kann nicht als ein Moment der Vertragsverletzung verwertet werden, daß sie es nicht getan hat. ...

Mit Unrecht dagegen vermißt die Klägerin die genügende Würdigung ihrer Behauptungen, daß sie Mitte Dezember ihren ganzen Bestand aufgearbeitet gehabt habe, daß sie erst am 28. Dezember wieder Häute habe erhalten können, und daß die ihr zunächst gelieferten Häute gerade für die Zwecke der Beklagten nicht verwendbar gewesen seien. Daraus würde sich noch nicht die Unmöglichkeit der Leistung ergeben. Einmal ist nicht ersichtlich, weshalb die Klägerin nicht aus dem bis Mitte Dezember aufgearbeiteten Material sollte haben liefern können, und sodann ist darauf hinzuweisen, daß die Klägerin sehr wohl noch im Januar und selbst später noch hätte liefern können und zu liefern verpflichtet war. Denn die Beklagte hatte zwar zunächst bis 25. Dezember, dann wiederum bis 31. Januar Nachfrist gesetzt, sie hatte aber die wesentliche Erklärung, daß nach Ablauf der Frist Annahme der Leistung abgelehnt werde, in keinem der Fälle abgegeben. Sie hätte angebotene Leistung nicht ablehnen können, und daß es nicht zu weiteren Leistungen gekommen ist, hat nur an dem Verhalten der Klägerin gelegen, die offenbar entschlossen war, jedenfalls dem Gegner mit aller Bestimmtheit erklärt hatte, daß sie zu dem vereinbarten Preise nicht liefern werde.

Alles Gesagte trifft aber gar nicht den entscheidenden Grund des Vorderrichters, der die Möglichkeit, daß die Klägerin im Dezember und später deswegen nicht hat erfüllen können, weil es ihr an den erforderlichen Häuten gefehlt habe, unterstellt, aber annimmt, daß sie diese Unmöglichkeit der Leistung zu vertreten habe.

Es wird ausgeführt, der Vertrag sei zu einer Zeit geschlossen, als der Krieg bereits zwei Monate dauerte und mit einer längeren Dauer desselben und zunehmenden Schwierigkeiten in der Beschaffung von Rohstoffen gerechnet wurde; seit Anfang November seien in einzelnen Bezirken Auktionen von Viehhäuten verboten worden. Wer unter solchen Umständen von ihm herzustellende Waren verkaufe und ohne einschränkende Klausel auf bestimmten Termin verspreche, müsse die erforderlichen Rohstoffe in seinem Besitze haben oder doch möglichst bald nach dem Abschluß anschaffen, was der Klägerin im vorliegenden Falle auch möglich gewesen wäre. Sie habe zwar am 1., 2. und 6. Oktober Deckungskäufe in ausreichendem Umfange vorgenommen, aber auf spätere sukzessive Lieferung, und wenn sie sich hierauf verlassen habe, so habe sie das auf ihre Gefahr getan. Es erscheine unwillig, daß sie diese Gefahr auf den Käufer abwälzen wolle; sie habe sich durch Vorbehalte im Vertrage sichern müssen, was indessen nicht geschehen sei.

Danach bezweifelt der Vorderrichter nicht, daß die Anfang Oktober mit K. W. und namentlich mit B. getätigten Abschlüsse ernsthaft gemeinte Eindeckungen gewesen sind. Er macht der Klägerin zum Vorwurf eines vertretbaren Verschuldens, daß sie sich auf solche Lieferungsgeschäfte verlassen und nicht vielmehr zur sofortigen Lieferung gekauft hat. Das wird von der Revision mit Recht beanstandet. Das Verfahren der Klägerin entspricht so sehr einer rationellen Betriebsweise der Fabrikation, die sich nicht ohne wesentliche Beeinträchtigung des wirtschaftlichen Erfolges mit Massen von einstweilen unverwendbaren Rohstoffen belasten kann, sowie den natürlichen Bedingungen der tatsächlichen Beschaffung der Häute, die in ständigem Laufe der Dinge so einkommen, wie sie bei den Schlachtungen des Viehes gewonnen werden, wie sie "fallen"; es entspricht denn auch so sehr den im Verkehr üblichen Gepflogenheiten, daß es ganz besondere Umstände sein müssen, welche es im einzelnen Falle verbieten, sich daran zu halten. Der Vorderrichter verweist auf die Entscheidung des Reichsgerichts Bd. 93 S. 17, wo in Beziehung auf einen im Dezember 1914 vorgenommenen Verkauf von Braugerste allerdings sehr allgemein gesagt wird, daß, wer unter Verhältnissen, wie sie damals obwalteten, in unsicherer Kriegszeit Waren wie Braugerste verkaufe, sie im Besitz oder dergestalt in seiner Verfügungsmacht haben müsse, daß er sie zur Erfüllung seiner Verpflichtung jederzeit greifen könne; verlasse er sich auf Deckungskäufe mit Dritten, von denen er nicht bestimmt wisse, daß sie im Besitze der Ware, zur Lieferung imstande und völlig verlässig seien, so tue er das auf seine Gefahr; die im Frieden unter normalen Verhältnissen geltende Regel, daß der Großhändler auch Waren verkaufen darf, die er erst beschaffen muß, werde im Kriege durchbrochen. Indessen, so allgemein das lautet, so gilt es doch nur und wird auch in dem angezogenen Urteile nur ausgesprochen unter der Voraussetzung der Umstände, wie sie im dortigen Falle vorgelegen haben. Es läßt sich diese Frage gar nicht anders als unter der Würdigung aller gegebenen Umstände von Fall zu Fall entscheiden. Was von Braugerste im Dezember 1914 gegolten hat, darf nicht ohne weiteres auf Häute im Oktober und November 1914 übertragen werden. Ob man - wie die Revision meint - am 5. Oktober 1914 mit einer bald bevorstehenden Kriegsbeendigung allgemein bestimmt gerechnet hat, muß allerdings dahingestellt bleiben. Aber es ist nicht ohne weiteres abzulehnen, wenn die Revision ferner behauptet, daß zu einer so außergewöhnlichen Eindeckung wie der Vorderrichter verlange, keine Veranlassung, ja nicht einmal die Möglichkeit vorgelegen habe, weil, wenn alle Gerbereien so hätten verfahren wollen, es zu einer dem augenblicklichen Bedürfnis gar nicht entsprechenden Nachfrage und damit zu den größten wirtschaftlichen Schädigungen hätte führen müssen.

Indessen vermag dieses Bedenken der Revision nicht zum Erfolge zu verhelfen. Denn es bleibt dabei, daß die Klägerin die Unmöglichkeit der Erfüllung beweisen muß, und der Vorderrichter konnte von der Erhebung der in dieser Richtung angebotenen Beweise absehen, weil schon die aufgestellten Behauptungen nicht ausreichen, die Unmöglichkeit der Erfüllung schlüssig zu begründen. Die Klägerin beruft sich ausschließlich auf die Hinderung durch behördliche Beschränkungen des freien Handels. In Frage kommt hierfür indessen nur die allgemeine Verfügung des Kriegsministers vom 22. November. Denn wenn auch schon vorher einzelne Korpskommandeure Auktionen verboten haben, so gibt das allein noch kein Bild des Marktes und keinen ausreichenden Boden für die Schlußfolgerung, daß ein Bezug von Häuten der Klägerin unmöglich gewesen ist. Schon vor dem 22. November ist sie mit ihren Lieferungen stets im Rückstande gewesen. Sie sollte liefern im Oktober 50, bis 20. November etwa 65 Häute. Tatsächlich sind geliefert im Oktober 18, bis 20. November 43 Stück. Mag sie nun auch vom 23. November an zum freien Bezug von Häuten nicht mehr berechtigt und verpflichtet gewesen sein und erst am 28. Dezember eine Zuweisung von Häuten erhalten haben, die sie für den hier fraglichen Zweck nicht verwenden konnte, so bleibt doch unaufgeklärt, weshalb sie nicht bis 22. November wenigstens das bis dahin geschuldete Quantum geliefert hat. Dazu kommt, daß die Klägerin nach ihrer eigenen Erklärung bis Mitte Dezember Bestände zur Aufarbeitung zur Verfügung gehabt hat, und es scheint, daß diese Bestände es gewesen sind, aus denen sie der Beklagten dann noch 64 1/2 Stück geliefert hat, statt fälliger 129 Stück. Die Klägerin hätte, um die Unmöglichkeit der Leistung darzutun, eine vollständige Aufstellung hergeben müssen, aus der sich ihr Bestand bei Abschluß des Vertrags und der Fortgang der Arbeiten sowie der Verbleib ihrer Fabrikate im einzelnen hätte ersehen lassen. Da sie gleichzeitig noch andere Abschlüsse zu erfüllen hatte und gegenüber der vielleicht vorliegenden Unmöglichkeit, alle Gläubiger zu befriedigen, jedenfalls vom 23. November an für eine gleichmäßig anteilweise Befriedigung aller hätte Sorge tragen müssen, hätte sie auch darüber, daß und wie das geschehen ist, die erforderlichen Behauptungen auf- und unter Beweis stellen müssen, was um so mehr geboten war, als die an verschiedene Abnehmer gleichzeitig gerichteten Schreiben der Klägerin vom 18. Dezember die Annahme nahe legen, daß sie darauf ausgegangen ist, denjenigen vorzugsweise zu befriedigen, der sich auf eine Erhöhung des Preises einlassen würde. Dabei hat die Klägerin es an der erforderlichen tatsächlichen Begründung ihres Standpunktes fehlen lassen, obwohl die Beklagte auf das Unzulängliche des gegnerischen Vorbringens ausdrücklich hingewiesen hatte."