RG, 13.05.1880 - Va 37/80
1. Hat der Grundeigentümer, insofern es sich nicht um eine Befriedigung in der freien Feldflur handelt, ein Recht darauf, zu verlangen, daß eine zwischen seinem und dem Grundstücke des Nachbars bestehende Scheidung erhalten bleibt?
2. Kann der Grundeigentümer dieses Recht auch gegen den Dritten geltend machen, welcher die Scheidung wegnimmt?
Tatbestand
Auf dem in der Stadt Calbe a. M. belegenen Grundstücke Nr. 161, dessen Eigentümerin die Ehefrau des Maurers M. ist, befand sich ein dieser gehörig gewesenes Staket, welches zwischen dem gedachten Grundstücke und dem des Grundbesitzers W. die Scheidung bildete.
Im Jahre 1878 hat M. jenes Staket auf Verlangen seiner Ehefrau weggenommen und W. wurde deshalb gegen M. auf Wiederherstellung des Staketes klagbar.
Der erste Richter wies den Kläger ab, weil nicht der Beklagte, sondern die Ehefrau desselben Eigentümerin des Grundstückes sei, auf welchem sich das Staket befunden habe. Der Appellationsrichter erkannte dagegen abändernd nach dem Klageanträge, indem er annahm, daß Scheidungen nicht willkürlich entfernt werden dürften, sondern unterhalten werden müßten, der Kläger daher ein Recht darauf habe, daß das Staket bestehen bleibe, und der Beklagte somit nicht befugt gewesen sei, dasselbe wegzunehmen, auch wenn er dazu den Auftrag seiner Ehefrau gehabt habe.
Die von dem Beklagten eingelegte Nichtigkeitsbeschwerde ist zurückgewiesen aus folgenden Gründen:
Gründe
"Der auf die Verletzung der §§. 149. 150. 152. 153. 162 und 168 A.L.R. I. 8 gestützte Angriff richtet sich gegen die Folgerungen, welche das frühere Ober-Tribunal aus den als verletzt bezeichneten Gesetzesstellen gezogen hat. Bereits in dem am 21. April 1837 aufgestellten Präjudiz Nr. 235 hat das Ober-Tribunal angenommen und seitdem in der Praxis stets festgehalten, daß, abgesehen von den Befriedigungen in der freien Feldstur, die zwischen benachbarten Grundstücken bestehenden Scheidungen erhalten werden müssen, und zwar, wo die Gesetze nicht etwas Besonderes darüber verordnen, von dem Eigentümer - Präjudizien-Sammlung T. I S. 29; Erk. vom 2. Mai 1871 (Striethorst, Bd. 81 S. 353); Erk, vom 6. Juli 1871 (Striethorst, Bd. 82 S. 252); Erk. vom 2. Februar 1875 (Entsch. Bd. 74 S. 189). - Die Richtigkeit dieses Satzes ist auch verschiedentlich von den Auslegern des Allgemeinen Landrechtes anerkannt; Bornemann, System Bd. 2 S. 252; Koch, Anmerkung 11 zu §. 149 A.L.R. I. 8; Förster, Theorie und Praxis Bd. 3 S. 142; Dernburg, Lehrbuch Bd. 1 S. 500 Anm. 7. - Dessenunerachtet hält die Nichtigkeitsbeschwerde die Judikatur des früheren Ober-Tribunales für unrichtig. Sie hat aber zur Widerlegung jenes Satzes etwas Besonderes nicht anzuführen vermocht, und in der That ist derselbe auch nicht zu widerlegen. Er ergiebt sich nicht nur aus den Worten des Gesetzes, sondern wird auch durch die Materialien zum A.L.R. außer Zweifel gesetzt. Nach §. 149 A.L.R. I. 8 steht es allerdings in dem Belieben jedes Grundbesitzers, ob er sein Grundstück durch Scheidungen von den Grundstücken seines Nachbars trennen will. Er ist dazu berechtigt, aber nicht verpflichtet. Aus den §§. 152. 153. 162. 164 und 172 a. a. O. folgt aber unzweideutig, daß, abgesehen von der besonderen, sich auf Befriedigungen in der freien Feldstur beziehenden Vorschrift des §. 151, der Grundbesitzer eine bestehende Scheidung, welche er errichtet hat, beziehungsweise deren Eigentümer er ist, nicht wieder entfernen darf, der Nachbar vielmehr ein Recht darauf hat, daß dieselbe zur Sicherung seines Eigentumes bestehen bleibt. Wäre dies nicht der Fall, dann hätte die Pflicht zur Unterhaltung vorhandener Scheidungen nicht derartig festgesetzt werden können, wie es in den §§. 152. 153 und 162 a. a. O. geschehen ist. Auch würde es an jedem rechtlichen Grunde fehlen, aus dem der §. 164 a. a. O. denjenigen, welcher ein die Haltung eines Zaunes unnötig machendes Gebäude wegnimmt, hätte verpflichten können, an Stelle des Gebäudes einen Zaun anzulegen, und der §. 172 a. a. O. demjenigen, welcher an Stelle eines Scheidezaunes eine lebendige Hecke anlegt, die Verbindlichkeit hätte auferlegen können, die Hecke so anzulegen und zu unterhalten, daß durch diese das Eigentum des Nachbars ebenso gut, wie durch den Zaun gesichert werde, wenn dem Nachbarn nicht ein Recht auf das Fortbestehen der Scheidung hätte eingeräumt werden sollen. Daß dieses Recht des Nachbars Voraussetzung aller jener Bestimmungen ist, ergiebt sich überdies ganz klar aus der häufig in Bezug genommenen Äußerung von Suarez in der revisio monitorum. Er sagt:
Bei den §§. 107 - 116 (den korrespondierenden Bestimmungen des Entwurfes) entsteht eine Dunkelheit aus der Stellung der Sätze. Die Meinung dabei ist eigentlich diese: der Bau und die Unterhaltung der Zäune, sowie aller anderen Arten von Scheidungen kommt demjenigen zu, welcher Eigentümer derselben ist. Daraus folgt, daß, wenn jemand einen neuen Zaun anlegt, wo bisher gar keiner gewesen ist, derselbe in jedem Falle für die Unterhaltung sorgen müsse.
Hatte aber danach der Kläger auf die Erhaltung des fraglichen Staketes ein Recht, so hat der Beklagte dadurch, daß er dasselbe gegen den Willen des Klägers wegnahm, widerrechtlich in die Rechtssphäre des Klägers eingegriffen, und der Appellationsrichter befindet sich mit Rücksicht auf den §.51 A.L.R. I. 6 vollkommen in Einklang mit dem §. 79 a. a. O., wenn er daraus folgert, daß der Beklagte das Staket wiederherzustellen verpflichtet ist, ohne sich durch den Auftrag seiner Ehefrau decken zu dürfen. Es ist daher die fernere Rüge, daß diese Schlußfolgerung des Appellationsrichters gegen den §. 79 a. a. O. und die oben erwähnten Bestimmungen des Tit. 8 T. I. des Allgemeinen andrechtes verstoße, gleichfalls unbegründet. Aber ebenso wenig trifft der Vorwurf zu, daß der Appellationsrichter dabei den §. 10 A.L.R. 1.19 verletzt habe; denn es folgt aus dem §. 10 a. a.O. keineswegs, daß ein dingliches Recht, insbesondere eine Legalservitut, nur gegen den Eigentümer, beziehungsweise den vollständigen Besitzer der dienenden Sache verfolgbar Ist. Der §. 10 setzt einen Rechtsstreit voraus, durch welchen das dingliche Recht dem Besitzer der dienenden Sache gegenüber festgestellt werden soll, und bestimmt, daß ein solcher nur mit dem Eigentümer, beziehungsweise dem vollständigen Besitzer der dienenden Sache gültig verhandelt werden könne. Dagegen unterliegt es nach §.3 A.L.R. I. 15 keinem Bedenken, daß ein dingliches Recht auch gegen jeden Dritten verfolgt werden kann, welcher störend in das Recht eingreift. Wenn daher die Nichtigkeitsbeschwerde meint, daß der Kläger nach §. 1V A.L.R. 1.19 den Beklagten nur würde in Anspruch nehmen können, wenn er zuvor sein Recht gegen die Ehefrau des Beklagten, als die Eigentümerin des dienenden Grundstückes, mit Erfolg geltend gemacht hätte, so verkennt sie die Tragweite jener Bestimmung."