RG, 13.04.1919 - I 20/19

Daten
Fall: 
Inhalt des Stückeverzeichnisses
Fundstellen: 
RGZ 95, 255
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
13.04.1919
Aktenzeichen: 
I 20/19
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Würzburg
  • OLG Bamberg

1. Zum Inhalt des Stückeverzeichnisses.
2. Frist für Übersendung desselben.
3. Kann der Kommittent nach § 4 DepotG. wegen verspäteter Übersendung des Stückeverzeichnisses das Geschäft noch zurückweisen, wenn er es vorher bereits schriftlich und durch Abzahlungen anerkannt hat?

Tatbestand

Der verstorbene Ehemann der Klägerin zu 1 hatte seit etwa 1899 mit der beklagten Firma Börsenspekulationsgeschäfte abgeschlossen. In einem Vorprozesse hatte die Beklagte den Saldo eingeklagt, der sich nach ihrer Meinung zu ihren Gunsten aus der Geschäftsverbindung ergab. Diese Klage ist rechtskräftig abgewiesen worden, und zwar aus dem Grunde, weil ein Geschäft über 180 Stück Johannesburg Investment Shares, 200 Stück A. Goerz & Co. Shares und 50 Stück van Dyk Prop. Shares für den verstorbenen W. nicht verbindlich gewesen sei; die Firma H. (die jetzige Beklagte) habe trotz Aufforderung entgegen der Bestimmung des § 3 des Depotgesetzes vom 5. Juli 1896 nicht rechtzeitig ein Stückeverzeichnis über die angekauften Shares übersandt, weshalb W. mit Recht das Geschäft als für ihn unverbindlich zurückgewiesen habe. Auf diesen Ausführungen fußt die vorliegende Klage. Sie verlangt, daß aus der Abrechnung der Beklagten alle Posten ausgeschieden würden, die sich auf das bezeichnete Geschäft bezögen; dann ergebe sich zugunsten der klagenden Erben des W. einschließlich Zinsen ein Betrag von 4799,20 M, der klagend gefordert werde. Die Beklagte hat eingewendet, das Stückeverzeichnis sei ordnungsmäßig übersandt, das Klageverlangen sei sittenwidrig.

Beide Vordergerichte gaben der Klage statt. Auf die Revision der Beklagten wurde das Berufungsurteil aufgehoben.

Gründe

"In §§ 3 und 4 DepotG. ist bestimmt, daß der Einkaufskommissionär binnen einer dreitägigen Frist dem Kommittenten ein Stückeverzeichnis der eingekauften Wertpapiere zu übersenden hat. Verstößt der Kommissionär gegen diese Verpflichtung, so kann der Kommittent ihn zur Nachholung auffordern. Die Nachholung hat binnen drei Tagen ("Nachholungsfrist") zu erfolgen. Erfolgt sie nicht frist- und formgerecht, so kann der Kommittent innerhalb weiterer dreier Tage erklären, daß er das Geschäft zurückweise und Schadensersatz fordere. Das Kaufgeschäft über die Goerz-, Johannesburg- und van Dyk Shares war im Februar 1907 abgeschlossen. Der Kaufpreis wurde W. belastet, die Stücke seinem Depot gutgeschrieben. Es ergab sich ein Schuldbetrag von über 20000 M für W. Abrechnungen, die ihm erteilt wurden, hat er einschließlich einer Abrechnung per 30. Juni 1907 stets schriftlich anerkannt. Er hat weiter am 30. März 1907 2000 M, am 4. September 1907 1000 M, am 28. Dezember 1907 500 M auf seine Schuld gezahlt. Von Ende Juni 1907 an wurden keine weiteren Geschäfte abgeschlossen. Weitere Abrechnungen hat W. nicht mehr anerkannt. Mit einem Briefe vom 25. November 1909 forderte er Übersendung eines Stückeverzeichnisses über die genannten Wertpapiere. Diesen Brief hat die Beklagte am 26. November 1909 erhalten. Sie sandte das Stückeverzeichnis am 29. November 1909 zwischen 11 und 12 Uhr mittags eingeschrieben, durch Eilboten zu bestellen, von Würzburg nach München ab. Nachts gegen 11 Uhr desselben Tages versuchte ein Postbote den Brief in der Wohnung des W. in München zu bestellen. Er erhielt jedoch keinen Einlaß. Der Brief wurde am 30. November 1909 morgens 7 Uhr 10 Min. W. zugestellt. Dieser hatte bereits am Abend des 29. November der Beklagten geschrieben, daß er das Geschäft zurückweise und Schadensersatz fordere. Im Februar 1910 hat die Beklagte die Minenanteile gegen W., verkauft.

Das Berufungsgericht hat angenommen, daß das Stückeverzeichnis inhaltlich den gesetzlichen Vorschriften genüge, daß es jedoch nicht rechtzeitig übersandt sei, weshalb W. zur Zurückweisung des Geschäfts berechtigt gewesen sei.

Dem kann nicht zugestimmt werden.

Zunächst ist die Frage zu erörtern, ob das Verzeichnis binnen der dreitägigen Nachholungsfrist nur abgesandt oder dem Kommittenten auch zugestellt sein muß. Das Berufungsgericht nimmt das letztere an und stützt sich dabei auf die Ausdrucksweise des Gesetzes, das im § 7 den durch die Übersendung des Verzeichnisses erfolgenden Übergang des Eigentums an den Wertpapieren auf den Zeitpunkt der Absendung des Verzeichnisses verlege, im übrigen aber, besonders bei den Fristbestimmungen, stets von Übersendung (nicht von Absendung) spreche. Dieser Wechsel im Ausdrucke sei nicht zufällig noch auf Ungenauigkeit zurückzuführen; er beweise, daß unter Übersendung auch das Zugehen des Verzeichnisses an den Kommittenten verstanden sei, daß also auch die Zustellung innerhalb der dreitägigen Frist erfolgen müsse, was im vorliegenden Falle nicht geschehen sei. Allein diese Auslegung preßt den Wortlaut des Gesetzes zu stark. Im § 7 kam es darauf an, den Zeitpunkt des Eigentumsüberganges genau festzulegen. Deshalb hat das Gesetz in dieser Bestimmung einen objektiv genau feststellbaren Zeitpunkt, nämlich den der Absendung, das ist der Aufgabe an die Post, der Einlegung in den Briefkasten, für maßgebend erklärt. Bei den übrigen Bestimmungen handelte es sich zunächst darum, anzuordnen, welche Verpflichtung dem Kommissionär obliege. Diese Verpflichtung ist nach dem üblichen Sprachgebrauch als Übersendung des Verzeichnisses bezeichnet. Erst nachdem das Gesetz diese Verpflichtung festgestellt hatte, konnte es daran anschließend in logischer Folge anordnen, daß die gebotene Handlung binnen einer dreitägigen Frist zu erfolgen habe. Der Wechsel im Ausdruck erklärt sich also ungezwungen daraus, daß im § 7 nur der maßgebende Zeitpunkt festzulegen war, wogegen im § 3 zunächst die Handlung festzustellen war, zu der der Kommissionär verpflichtet sein sollte.

Materiell fällt weiter erheblich gegen die vom Berufungsgerichte gebilligte Auslegung ins Gewicht, daß es bei einer so kurz bemessenen Frist gesetzgeberisch nicht angezeigt erscheinen konnte, dem Kommissionär die Gefahr einer Verzögerung der Briefbestellung aufzubürden. Es ist außerdem zu berücksichtigen, daß bei weit voneinander entfernten Orten ein sehr großer Teil der Frist durch die Briefbeförderung, beispielsweise in ländlichen Verhältnissen, in Anspruch genommen werden würde. Diese Erwägungen sprechen gegen die Auslegung des Berufungsgerichts. Es ergibt sich auch aus den Vorarbeiten, daß der Gesetzgeber auf einem anderen Standpunkte gestanden hat. Zwar ist nirgends ganz scharf gesagt, daß eine binnen drei Tagen erfolgende Absendung rechtzeitig sei. Aber in der Begründung zum Entwurf vom 3. Dezember 1895, S. 78. heißt es doch zur Rechtfertigung der schon in diesem Entwurf enthaltenen, später Gesetz gewordenen Bestimmung wie folgt: "Die dem Kommissionär gemachte Auflage, dem Kommittenten binnen drei Tagen nach Ausführung der Kommission ein Stückeverzeichnis zu übersenden, stellt sich somit als die Verpflichtung dar, innerhalb dieser Frist das constutum possessorium zu vollziehen und dadurch den Kommittenten zum Eigentümer der bezogenen Wertpapiere zu machen." Gegen diese Ausführung hat sich bei den gesetzgeberischen Verhandlungen nirgends ein Widerspruch erhoben. Der Gesetzgeber konnte nicht, wie angeführt, die Fristen für die Übersendung des Verzeichnisses und für die Eigentumsübertragung gleichstellen, wenn er nicht der Meinung war, daß, wie für die Eigentumsübertragung, so auch für die Übersendung des Verzeichnisses binnen dreier Tage in gleicher Weise die Absendung der entscheidende Zeitpunkt sein sollte. Endlich ist auch darauf hinzuweisen, daß diejenigen Schriftsteller, die sich über den streitigen Punkt ausgesprochen haben, die Absendung innerhalb dreier Tage für rechtzeitig erachten und zwar, soweit ersichtlich, ohne Ausnahme; vgl. Lusensky (dessen Meinung von besonderem Gewicht ist, da er als Regierungskommissar an den gesetzgeberischen Verhandlungen teilgenommen hat) Kommentar, 3. Auflage. S. 66; Breit Kommentar, § 4, I, 3; Düringer-Hachenburg, Bd. 3, Anhang l. S. 701, C 1; Weidmann, Kommissionsgeschäft Bd. 1 S. 154, c; Staub, § 384, Anm. 47, eingangs; Ritter, § 384, S. 614. Danach ist die Übersendung des Stückeverzeichnisses rechtzeitig erfolgt.

Sie ist auch, wie mit dem angefochtenen Urteil entgegen den Ausführungen der Kläger angenommen werden muß, in gehöriger Form erfolgt. Das Berufungsgericht führt auf Grund des Gutachtens der Handelskammer zu Berlin aus, daß die Art der Bezeichnung der Stücke dem Zwecke des Verzeichnisses genügte. W. habe auf Grund seiner langjährigen Geschäftsverbindung die genauere Bezeichnung der Papiere und deren Nennwert kennen müssen und habe sie auch gekannt; er habe also aus dem Verzeichnis sein Recht auf die Stücke ohne Schwierigkeit geltend machen können, wenn er gewollt habe. Diese Ausführungen sind überzeugend; sie erledigen ohne weiteres die Rüge der Kläger, daß es im Verzeichnis an einer Angabe fehle, wie groß der Nennwert der Stücke sei und ob es sich um Namensstücke oder Inhaberstücke handle. Letztere Angabe war zur Identifizierung der Stücke nicht erforderlich, und der Angabe des Nennwerts bedurfte es nicht, da dieser dem W. bekannt war. Ähnlich liegt es mit dem Fehlen der Angabe, welche der drei mit dem Schlagwort Johannisburg bezeichneten Aktiengesellschaften gemeint war. Im Gesetz ist nicht angeordnet, daß das Stückeverzeichnis ungültig und unwirksam ist, wenn es nicht die sämtlichen im Gesetz angegebenen Einzelheiten über die angeschafften Stücke aufführt. Vielmehr ist es zulässig, den Inhalt des Verzeichnisses aus den zwischen den Parteien gepflogenen Verhandlungen zu ergänzen. Das Verzeichnis braucht nicht das zu sagen, was ohnehin zwischen den Parteien selbstverständlich ist. Erforderlich ist nur, daß es seiner doppelten Zweckbestimmung gerecht wird. Diese Zweckbestimmung besteht einmal darin, daß der Kommittent eine klare Mitteilung darüber erhält, welche Stücke für ihn angeschafft worden sind, und zweitens darin, daß die Stücke objektiv so genau identifiziert werden, daß zweifelsfrei festgestellt werden kann, an welchen Stücken durch Übersendung des Verzeichnisses Eigentum übertragen wird. Diesen Erfordernissen entspricht das streitige Verzeichnis. Dem W. brauchte nicht mitgeteilt zu werden, welche der drei Johannisburg-Gesellschaften in Frage stand, denn er hatte in seinem Briefe vom 25. November 1909 selbst schon vorher erklärt, daß es sich um Johannisburg Investment Shares, also nicht Estate Cpy oder Golf Fields Shares, handele. Zur objektiven Identifizierung der Stücke genügte die Angabe ebenfalls, denn für Bankfachleute war nach dem Gutachten ohnehin klar, daß die Investment Cpy gemeint war. Aus diesen Gründen entsprach das übersandte Verzeichnis den gesetzlichen Erfordernissen.

Hinzugefügt soll werden, daß noch von einem anderen Gesichtspunkt aus die Entscheidung des Berufungsgerichts einer näheren Erörterung bedürfen würde. Der Kauf der Minenaktien ist im Februar 1907 erfolgt. Das Stückeverzeichnis ist erst 2 3/4 Jahre später, im November 1909, gefordert. Damals hatte W. bereits die Abrechnung vom 30. Juni 1907 schriftlich anerkannt, auch hatte er auf die aus dem streitigen Geschäfte sich ergebende Schuld drei Abzahlungen zu 2000 M, 1000 M und 500 M geleistet, wie beides vom Berufungsgerichte festgestellt wird. Durch diese mehrfachen Anerkenntnisse hat nun zwar W. auf sein Recht, ein Stückeverzeichnis zu verlangen, nicht verzichtet und nicht verzichten können, denn ein solcher Verzicht kann nach § 3 Abs. 2 des Gesetzes in wirksamer Weise für das einzelne Geschäft nur schriftlich und ausdrücklich erfolgen. Aber es erhebt sich die Frage, ob er das im § 4 zugestandene Recht auf Zurückweisung des Geschäftes nicht durch seine mehrfachen Anerkenntnisse verloren hat. Es könnte scheinen, als ob für die Verneinung der Frage spräche, daß solchenfalls für den Kommissionär ein weniger starker Antrieb für die Erfüllung der Übersendepflicht bestände. Dieser Grund ist jedoch nicht von erheblicher Kraft, da ja der Kommittent auf die Übersendung des Verzeichnisses und damit auf die Möglichkeit der Zurückweisung des Geschäftes gänzlich verzichten kann. Für die Bejahung der Frage würde sprechen, daß es wenig angezeigt erscheint, zuzulassen, daß der Kommittent eventuell nach völliger Erledigung und Abwicklung des Geschäftes alles Geschehene nachträglich rückgängig machen und das anerkannte und ausgeführte Geschäft als für ihn unverbindlich zurückweisen könne, und zwar durch Rechtshandlungen, die er schon vor den Anerkenntnissen hätte vornehmen können. Nur wenn ganz besondere Gründe vorlägen, könnte man annehmen, daß derartiges dem Willen des Gesetzgebers entspreche.

Auf diese Bedenken war hinzuweisen. Einer Entscheidung bedarf die aufgeworfene Frage nicht, da sich schon aus den vorstehenden Erörterungen ergibt, daß der Revision stattzugeben ist." ...