RG, 07.05.1880 - III 336/79
1. Ist die Ehe eines Mannes von hohem Adel mit einer dem Bürgerstande angehörenden Frau als eine Mißheirat anzusehen?
2. Kann das Verlangen auf Aberkennung des Rechtes zum Gebrauche des Titels und Wappens eines adligen Hauses im Wege der Civilklage geltend gemacht werden, und wer ist zur Anstellung einer solchen Klage legitimiert?
Tatbestand
Der Fürst Ludwig zu Sayn-Wittgenstein-Sayn vermählte sich im Jahre 1867 mit Amalie geb. Lilienthal, Tochter des Bankiers Lilienthal in Berlin. Die Ehe wurde am 6/12 1867 zu Versoix im Kanton Genf durch Civilakt geschlossen und es erfolgte dann in Frankreich die kirchliche Trauung. Nachdem 1869 der Fürst Alexander zu Sayn- Wittgenstein-Hohenstein, als Senior des Gesamthauses Sayn-Wittgenstein und Chef des Hauses Sayn-Wittgenstein-Hohenstein, und Fürst Albrecht zu Sayn-Wittgenstein-Berleburg, als Chef dieser Linie, gegen die Ebenbürtigkeit dieser Ehe und das Recht der jetzigen Beklagten, sich des Fürstentitels und des Wappens der Familie Wittgenstein zu bedienen, protestiert hatten, der Fürst Ludwig diesen Protest jedoch als unberechtigt zurückgewiesen und erklärt hatte, daß seine Gemahlin an seinem Range und Staude teilzunehmen befugt sei, erhob nach dem 1876 erfolgten kinderlosen Ableben des Fürsten Ludwig dessen Bruder, der Fürst Friedrich zu Sayn-Wittgenstein-Sayn, gegen die Witwe seines Bruders bei dem Justizsenate zu Ehrenbreitstein Klage mit dem Antrage: "der Beklagten das Recht abzusprechen, den Titel einer Fürstin zu Sayn-Wittaenstein-Sayn ferner zu führen und sich des fürstlich Wittgensteinschen Geschlechtswappens zu bedienen."
Der Kläger stützte seine Klage im wesentlichen darauf: Sein verstorbener Bruder, wie er selbst gehören dem Gesamthause Sayn-Wittgenstein und zwar der Carlsburg-Ludwigsburger Nebenlinie der seit 1792 in den Fürstenstand erhobenen Linie Sayn-Wittgenstein-Berleburg an, also zum hohen Adel und zu den preußischen Standesherren. Die Beklagte sei dagegen aus dem niederen Bürgerstande. Die Ehe seines verstorbenen Bruders mit ihr sei daher nach den Wittgensteinschen Hausgesetzen, wie nach den Grundsätzen des deutschen Privat- und Privatfürstenrechtes eine Mißheirat. Folgeweise sei die Beklagte in den Rang und Stand ihres Mannes nicht eingetreten und habe nicht das die Zugehörigkeit zur Familie, voraussetzende Recht zum Gebrauche des Titels und Wappens der Familie.
Die Beklagte bestritt, daß der vom Kläger erhobene Anspruch im Wege der Civilklage geltend gemacht werden könne, eventuell, daß Kläger zur Anstellung der Klage legitimiert sei, sowie daß das deutsche Privat- und Privatfürstenrecht für die Beurteilung der aus der Ehe ihres verstorbenen Gemahls mit ihr entspringenden Rechtsverhältnisse maßgebend sei, behauptete vielmehr, daß das Recht des Kantons Genf, in welchem ihr Gemahl mit ihr nach Abschluß der Ehe seinen Wohnsitz genommen habe, Anwendung finde. Sie machte eventuell geltend, daß die Ehe eines zum hohen Adel gehörenden Mannes mit einer Frau aus dem höheren Bürgerstande, dem ihr Vater angehöre, eine Mißheirat nicht sei, und daß, da der Fürstentitel, dessen Ablegung der Kläger verlange, der Familie von Sr. Majestät dem Könige von Preußen verliehen sei, es sich also nicht um einen der Familie als einer früher reichsständischen verliehenen Titel handle, der Anspruch des Klägers unbegründet sei.
Die Beklagte wurde jedoch von dem Gerichte erster Instanz dem Klagantrage gemäß verurteilt und diese Entscheidung von dem Appellationsgerichte zu Arnsberg auf die von der Beklagten erhobene Appellation bestätigt.
Die gegen dieses Urteil von der Beklagten eingelegte Revision ist vom Reichsgericht aus folgenden Gründen verworfen:
Gründe
"Der gegen die Zulässigkeit der Revision erhobene Einwand ist nicht begründet ... .
Die Beschwerden sind jedoch nicht gerechtfertigt, es war daher das Urteil des Appellationsgerichtes zu bestätigen.
Beide Vorderrichter haben zunächst die unter den Parteien streitige Frage, ob der von dem Herrn Kläger verfolgte Anspruch überhaupt im Wege der Civilklage geltend gemacht werden könne, ob der Rechtsweg zulässig sei, mit Recht bejaht. Der Klageantrag geht dahin: "der Beklagten das Recht abzusprechen, den Titel einer Fürstin zu Sayn-Wittgenstein-Sayn ferner zu führen und sich des fürstlich Wittgensteinschen Geschlechtswappens zu bedienen." Nach den im Königreich Preußen über die Zulässigkeit des Rechtsweges bestehenden gesetzlichen Vorschriften würde der gegen die Statthaftigkeit der Klage erhobene Einwand begründet sein, wenn, wie die Frau Beklagte geltend macht, das ihr vom Kläger bestrittene Recht keinen privatrechtlichen Charakter hätte, sondern dem öffentlichen Rechte angehörte. Diese Ansicht ist jedoch nicht zutreffend. Die Vorrechte des Adels, als eines besonderen Standes, beruhen zwar der Mehrzahl nach auf dem öffentlichen Rechte, sind aber politischer Natur. Allein das Recht zur Führung des Titels und Wappens eines bestimmten adligen Geschlechtes gehört dem Privatrechte an.
Es ist bedingt durch die Angehörigkeit zu dieser bestimmten adligen Familie, und sein Gebrauch ist ein Kennzeichen dieser Angehörigkeit.
Mit Recht hebt der Appellationsrichter hervor, daß es im vorliegenden Rechtsstreite um die Frage sich handle, ob die Frau Beklagte als ein vollberechtigtes Mitglied der fürstlich Sayn-Wittgenstein-Saynschen Familie anzusehen sei, beziehungsweise ob die Ehe der Frau Beklagten mit dem verstorbenen Fürsten Ludwig zu Sayn-Wittgenstein- Sayn ihr das Recht gebe, den Titel einer Fürstin von Sayn-Wittgenstein-Sayn zu führen und sich des fürstlich Wittgensteinschen Geschlechtswappens zu bedienen, daß diese Frage von der allgemeinen Frage zu unterscheiden sei, ob die Frau Beklagte zum Adelsstande gehöre und berechtigt sei, das mit der Zugehörigkeit zu einer der verschiedenen Klassen dieses Standes verbundene Prädikat zu führen, sowie daß die letztere Frage dem öffentlichen Rechte, die erstere dagegen dem Privatrechte angehöre.
Es muß dem Vorderrichter ferner auch darin beigetreten werden, daß, wenn auch der Klageantrag nicht ausdrücklich darauf gerichtet ist, der Frau Beklagten das Recht der Zugehörigkeit zur fürstlich Sayn- Wittgenstein-Saynschen Familie abzuerkennen, doch der Klageantrag mit Notwendigkeit zu einer Entscheidung der Frage führt, ob die Frau Beklagte ein vollberechtigtes Mitglied der fürstlich Sayn-Wittgenstein- Saynschen Familie durch ihre Vermählung mit dem Fürsten Ludwig geworden sei, weil das Recht zum Gebrauche des Titels und Wappens dieses Geschlechtes nur Ausfluß der Zugehörigkeit zu demselben sein kann.
Wenn die Revidentin die Verwerfung des Einwandes der Unzulässigkeit der Klage auch mit Rücksicht auf die Vorschriften in §. 360 Ziffer 8 des Reichsstrafgesetzes als nicht gerechtfertigt angreift und namentlich rügt, der Appellationsrichter habe diese gesetzliche Bestimmung durch unrichtige, beziehungsweise unterlassene Anwendung verletzt, weil er nur die Verhinderung der Anmaßung eines Adelsprädikats überhaupt als dem öffentlichen Recht ungehörig aus dem §. 360 a. a. O. herleite, während der §. 360 die unbefugte Annahme eines Titels, einer Würde und eines Namens unter Strafe stelle, so ergiebt sich das Unzutreffende dieser letzteren Ausführung aus dem Wortlaute und dem Zusammenhange der Entscheidungsgründe des Urteiles des Appellationsgerichtes. Aus der in Artikel 105 des preußischen und in §. 360 Ziffer 8 des Reichs-Strafgesetzbuches enthaltenen Strafbestimmung kann aber auch gegen die Zulässigkeit einer Civilklage in Fällen der vorliegenden Art nichts gefolgert werden. Wenngleich gegen diese Strafbestimmung dadurch verstoßen wird, daß jemand unbefugt die Adelsprädikate, Titel und Namen eines bestimmten adligen Geschlechtes sich beilegt und führt und die Organe der Strafgewalt hiergegen einzuschreiten befugt sind, so ist doch hiervon wesentlich verschieden die Frage, ob die Mitglieder der Familie, deren Titel und Wappen unbefugt von einem Dritten gebraucht werden, dieses im Wege der Civilklage verhindern können. Diese Frage muß bejaht werden, weil das Recht, um dessen Verletzung es sich handelt, ein dem Privatrecht angehörendes ist.
Die fernere, unter den Parteien streitige Frage, ob der Herr Kläger zur Anstellung der erhobenen Klage legitimiert sei, ist gleichfalls mit Recht bejaht worden. Die von dem Gerichte erster Instanz geltend gemachten Gründe sind zwar, wie bereits vom Appellationsrichter hervorgehoben ist, nicht unbedenklich; die in dem angefochtenen Urteile enthaltenen Gründe sind jedoch im wesentlichen zu billigen. Grund und Zweck der Klage ist, der Frau Beklagten die Zugehörigkeit zur fürstlich Sayn-Wittgenstem-Saynschen Familie zu bestreiten, und weil nach Lage der Sache der Anspruch der Zugehörigkeit zu dieser Familie sich nur in dem Gebrauche des Titels und Wappens der Familie äußern kann, so wendet sich auch der Klageantrag nur gegen diese Handlungen der Beklagten. Da aber eine Klage auf Feststellung der Zugehörigkeit einer Person zu einer bestimmten Familie auch in dem Falle zuzulassen ist, wenn es sich nicht um Verletzung von Vermögensrechten handelt, so muß jedes Mitglied der Familie für legitimiert erachtet werden, diese Klage zu erheben. Denn das Recht eines jeden Familiengliedes, daß kein Unberechtigter den die Zugehörigkeit Zum Geschlechte ausdrückenden Titel und das Geschlechtswappen führe, wird durch einen solchen Gebrauch von seiten eines zur Familie nicht Gehörigen verletzt.
In Übereinstimmung mit dem Richter erster Instanz geht das Appellationsgericht davon aus, daß für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreites nicht, wie die Frau Beklagte behauptet, das Recht der Schweiz, insbesondere das im Kanton Genf geltende Recht, sondern das deutsche Privatfürstenrecht maßgebend sei. Diese Annahme ist zu billigen. Ob die für dieselbe von den Vorderrichtern geltend gemachten Gründe zutreffend seien, kann dahin gestellt bleiben; auch bedarf es einer näheren Prüfung der dagegen von der Revidentin erhobenen Einwendungen nicht, da sich aus der besonderen Natur der hier in Frage kommenden Rechtsnormen deren Anwendbarkeit auf den vorliegenden Fall ergiebt, ohne Rücksicht darauf, welche Ansicht man sonst bei der Entscheidung der Frage über die Kollision der Rechte bei Statusfragen und Familienrechten zu Grunde legt.
Der verstorbene Gemahl der Frau Beklagten, der Fürst Ludwig zu Sayn-Wittgenstein-Sayn, gehörte unbestritten zum hohen deutschen Adel und zu den preußischen Standesherren. Für die Beurteilung seiner Rechtsverhältnisse überhaupt, wie namentlich für die Entscheidung der Frage, mit welchen Personen er eine bürgerlich vollwirksame Ehe eingehen konnte, waren daher die besonderen Normen maßgebend, welche in dem für den hohen Adel geltenden Privatfürstenrechte aufgestellt sind, und zwar zunächst die in den Wittgensteinschen Hausgesetzen enthaltenen autonomischen Bestimmungen, eventuell die auf dem gemeinen deutschen Privatfürstenrecht beruhenden. Diese Rechtsnormen sind ihrem Begriff und ihrer geschichtlichen Entwicklung nach nicht territorialer, sondern personaler Natur und für die Beurteilung der Rechtsverhältnisse der Standesherren maßgebend, ohne Rücksicht auf ihren jeweiligen Wohnort, selbst wenn derselbe außerhalb Deutschlands sein sollte. Der preußische Staat erkennt dem Standesherrn, gleichviel wo er seinen Wohnsitz hat, in und mit der Standesherrlichkeit das gemeine deutsche und speciell standesherrliche Privatfürstenrecht als ein personales zu. Denn letzteres ist eine wesentliche Seite der Standesherrlichkeit und weder die deutsche Bundesakte Artikel 14, noch die königlich preußischen Gesetze betreffend die Rechtsverhältnisse der Standesherren machen diese von dem Wohnsitze abhängig. Sollte auch der auswärtige Staat, in welchem ein preußischer Standesherr seinen Wohnsitz genommen hat, das gemeine deutsche oder das specielle Privatfürstenrecht als sein personales Recht nicht anerkennen, so kann doch der preußische Staat diese Anerkennung nicht ablehnen. Für die preußischen Gerichte ist für die Entscheidung der Rechtsverhältnisse der Mitglieder des fürstlichen Hauses Sayn-Wittgenstein-Sayn das für dieses Haus geltende Privatfürstenrecht maßgebend, gleichviel ob das betreffende Mitglied in Deutschland oder im Auslande seinen Wohnsitz gehabt hat. Es erscheint daher für die Beurteilung der Frage, welche Wirkungen die von der Frau Beklagten mit ihrem verstorbenen Gemahl geschlossene Ehe hat, ohne Bedeutung, ob der letztere, welcher zur Zeit seiner Vermählung preußischer Staatsangehöriger war, im Kanton Genf oder in Preußen sein Domicil gehabt hat.
Da feststeht, daß die Frau Beklagte von Geburt dem Bürgerstande angehört, so haben die Vorderrichter mit Recht die Ehe derselben mit dem Fürsten Ludwig, einem Mitgliede des hohen Adels, für eine Mißheirat erklärt. In der Doktrin und in der Praxis der Gerichte herrschen allerdings über die Frage, unter welchen Voraussetzungen die Ehe eines dem hohen Adel angehörenden Mannes als eine Mißheirat zu erachten sei, verschiedene Ansichten. Während von einer Seite
Eichhorn, deutsch. Pr. R. §§. 62. 64. Bluntschli, deutsch. Pr. R. §. 23. Veseler, deutsch. Pr. R. S.716. Entsch. des Ob. Trib. zu Berlin. 46. S.193. Sommer, Archiv für preuß. Recht Bd. 13. S. 619. Seuffert, Archiv. VI. 6. XXIX. 79. Göhrum: Lehre von der Ebenbürtigkeit Bd. 2. G. 205.
behauptet wird, jede Ehe eines Mannes vom hohen Adel mit einer nicht zum hohen Adel gehörenden Frau sei eine Mißheirat, wird anderseits
Moser, Familienstaatsrecht der deutschen Reichsstände. II. S. 130 ff.
vielfach die Ansicht vertreten, daß die Ehen mit Frauen
vom niederen Adel als gleiche Ehen anzusehen seien, sofern nicht die in der einzelnen Familie bestehenden Hausgesetze oder die Hausobservanz entgegenstehen. Welcher dieser Ansichten der Vorzug zu geben sei, kann hier dahin gestellt bleiben, weil jedenfalls die Ehen hochadliger Männer mit Frauen bürgerlichen Standes nach den geltenden allgemeinen Grundsätzen des Staats- und Privatfürstenrechtes unter den Begriff der unstreitig notorischen Mißheiraten fallen.
Es ist zwar auch dieser Satz von einzelnen Schriftstellern bestritten worden; indem entweder zwischen dem höheren und niederen Bürgerstande unterschieden und nur eine Verbindung mit dem letzteren für eine standeswidrige erklärt wird,
Bluntschli, deutsch. Pr. R. §. 195. vgl. Heffter, a. a. O. I. S. 28.]
oder nur Ehen von Herren aus reichsständischen Häusern mit Frauen leibeigener oder knechtischer Herkunft als notorische Mißheiraten anerkannt werden
Zöpfl, über hohen Adel u. Ebenbürtigkeit, S. 137 ff. Mittermaier, deutsch. Pr. R. VII. Aufl. §§. 378. 379.]
Diese Ansicht kann jedoch für zutreffend nicht erachtet werden, selbst wenn man nicht die zuerst erwähnte strengste Meinung, sondern die Annahme billigt, daß Ehen hochadliger Männer mit dem niederen Adel angehörenden Frauen als Mißheiraten nicht zu bezeichnen seien.
Es kann dahin gestellt bleiben, ob der im älteren deutschen Rechte bestehende Grundsatz, wonach nur eine Ehe eines Freien mit einer Unfreien als eine standesungleiche galt, während bei Ehen unter Freien keine die gleiche Rechtsgenossenschaft der Ehegatten und ihrer Kinder beeinträchtigende Absonderung stattfand, schon im Laufe des 13. Jahrhunderts dahin abgeändert worden, daß das Ebenbürtigkeitsprincip in gleicher Strenge und Wirksamkeit bei Ehen unter verschiedenen Klassen der Freien, namentlich zwischen hohen und niederen Freien zur Geltung gelangt sei. Denn nach dem neueren deutschen Reichsherkommen, wie solches in der Wahlkapitulation Kaiser Karls VII. von 1742 einen reichsgesetzlichen Ausdruck erlangt hat, wurde die Ehe eines reichsständischen Mannes mit einer Frau bürgerlicher Herkunft und zwar ohne Unterscheidung eines höheren und gemeinen Bürgerstandes als "unstreitig notorische Mißheirat" angesehen und ohne Konsens der Agnaten der Wirkungen der Ebenbürtigkeit beraubt. Der Begriff der notorischen Mißheirat ist allerdings weder vor, noch nach der Wahlkapitulation von 1742 gesetzlich festgestellt, indem die einem Reichsschlusse vorbehaltene nähere Bestimmung, "was eigentlich notorische Mißheiraten seien" nicht getroffen, vielmehr nur die Klausel des Artikels 22 §. 4 der Wahlkapitulation von 1742 in die späteren kaiserlichen Wahlkapitulationen wieder aufgenommen ist. Allein die Veranlassung der Aufnahme der in Artikel 22 §. 4 der Wahlkapitulation von 1742 enthaltenen Zusage, die voraufgegangenen Verhandlungen, sowie die Anwendung jener Bestimmung in einer Reihe von Fällen durch den Reichstag und die obersten Reichsbehörden, lassen die von der überwiegenden Mehrzahl der Publizisten vertretene und in der Praxis der deutschen Gerichtshöfe zur Anerkennung gelangte Ansicht als die richtige erscheinen, wonach jedenfalls Ehen dem hohen Adel ungehöriger Männer mit Frauen aus dein Bürgerstande zu den "unstreitig notorischen Mißheiraten" zu rechnen sind. Die nächste Veranlassung zu der Aufnahme der gedachten Bestimmung in die Wahlkapitulation gab bekanntlich die Ehe des Herzogs Anton Ulrich von Sachsen-Meiningen mit einer Tochter eines Hauptmanns Schurmann. Nachdem die Agnaten bei dem Kaiser und dem Reichshofrate darauf angetragen hatten, die der Gemahlin und den Kindern des Herzogs erteilte kaiserliche Standeserhöhung für kraftlos zu erklären, und der Herzog hiergegen protestiert hatte, erging auf ein Gutachten des Reichshofrates ein kaiserliches Dekret vom 25. September 1744, worin ausgesprochen wurde, "daß dieser Fall durch die von dem Kaiser beschworene Wahlkapitulation schon für entschieden anzunehmen." Der Herzog ergriff hiergegen zwar noch den Rekurs an die Reichsversammlung; allein durch einen auf ein Reichsgutachten erfolgten, am 4. September 1747 erlassenen Reichsschluß wurde ausgesprochen, daß der Herzog mit dem Rekurse abzuweisen sei, und den in seiner bekannten Mißheirat erzeugten Kindern das Recht auf die herzoglich sächsische Würde und Successionsfähigkeit abgesprochen. Es wurde also eine Ehe mit einer nicht dem gemeinen Bürgerstande angehörenden Frau als eine "unstreitig notorische Mißheirat" im Sinne der Wahlkapitulation angesehen und behandelt. Dasselbe geschah in einer Reihe anderer Fälle; so wurde namentlich durch Reichshofratserkenntnis von 1748 die 1715 von dem Erbprinzen Karl Friedrich von Anhalt-Vernburg mit Wilhelmine Nüßler, der Tochter eines Kanzleirates, also ebenfalls einer nicht dem niederen Bürgerstande ungehörigen Frau, geschlossene Ehe für eine Mißheirat erklärt (vgl. Heffter, die Sonderrechte der souveränen und der mediatisierten vormals reichsständischen Häuser Deutschlands. S. 115; Kohler, Handbuch des deutschen Privatfürstenrechtes. S. 130).
Danach ist nicht zu bezweifeln, daß bis zur Auflösung des deutschen Reiches ein feststehendes Reichsherkommen bestanden hat, wonach die Ehen der Mitglieder des hohen Adels mit Frauen aus dem Bürgerstande als Mißheiraten zu betrachten sind und der Wirkungen der Ebenbürtigkeit entbehren, und daß es nicht gerechtfertigt ist, auch für die neuere Zeit den Begriff der Mißheirat auf Ehen des hohen Adels mit Personen unfreier Geburt zu beschränken. Diese Grundsätze des Reichsrechtes sind auch durch die Auflösung des deutschen Reiches nicht beseitigt, bestehen vielmehr noch jetzt als geltendes Recht für den hohen Adel fort; sie sind durch die deutsche Bundesakte und namentlich auch durch die preußische Gesetzgebung über die Rechtsverhältnisse der Standesherren aufrecht erhalten. (Vgl. Artikel XIV der deutschen Bundesakte vom 8. Juni 1815; Königl. Verordnung vom 21. Juni 1815; Instruktion vom 30. Mai 1820; Gesetz vom 10. Juni 1834; Königl. Verordnung vom 12. November 1855)
Heffter, Sonderrechte u. s. w. §. 64. , Göhrum, a. a. O. II. S. 368 ff.
Wenn die Frau Beklagte dagegen auszuführen sucht, daraus, daß die königlich preußische Verordnung vom 21. Juni 1815 den ehemals reichsständischen Familien das Recht der Ebenbürtigkeit gewährleiste, folge nicht, daß die früher bestandene Beschränkung der Mitglieder des hohen Adels, wonach eine nicht ebenbürtige Ehe der vollen staatsbürgerlichen Wirkungen entbehre, gleichfalls aufrecht erhalten sei, denn die preußische Gesetzgebung habe nur die den reichsunmittelbaren Familien durch das gemeinrechtliche Privatfürstenrecht gewährten Vorrechte aufrecht erhalten wollen, nicht aber die durch dasselbe ihnen auferlegten Beschränkungen, zu denen es zweifellos gehöre, wenn ein Mitglied der Familie nicht in der Lage sei, seiner ihm in rechtmäßiger Ehe zur rechten Hand angetrauten Gemahlin seinen Rang und seine Standesvorrechte zu verschaffen, so ist diese Ansicht nicht zutreffend, vielmehr mit Recht in den Vorinstanzen verworfen worden.
Zunächst ist es irrig, daß die preußische Gesetzgebung lediglich bezweckt habe, die den früher reichsunmittelbaren Familien nach dem bisherigen Rechte zustehenden Vorzüge und Vorrechte in dem Sinne, wie Beklagte annimmt, aufrecht zu erhalten. Es war vielmehr die Absicht, die Rechte und Vorzüge festzusetzen, welche die vormals reichsunmittelbaren deutschen Reichsstände als eine ihrem Stande gemäße Auszeichnung genießen sollen, und den durch die deutsche Bundesakte Artikel XIV und die königliche Verordnung vom 21. Juni 1815 geschaffenen Rechtszustand jener Familien zu regeln. Wenn es aber in Artikel XIV der deutschen Bundesakte und in §. 1 der Königlichen Verordnung vom 21. Juni 1815 heißt: "daß diese fürstlichen und gräflichen Häuser fortan nichtsdestoweniger zum hohen Adel in Deutschland gerechnet werden und ihnen das Recht der Ebenbürtigkeit in dem bisher damit verbundenen Begriffe verbleibt," so wird damit das Ebenbürtigkeitsrecht, wie solches nach der deutschen Reichsverfassung bestanden hatte, aufrecht erhalten, also diejenigen Rechtsnormen, welche bisher mit dem Recht der Ebenbürtigkeit verbunden waren, folglich auch die Grundsätze über die Ehe, wie sie für die Mitglieder jener reichsständischen Familien bis zur Auflösung des deutschen Reichs festgestellt waren.
Heffter, Sonderrechte §. 84 und Beiträge S. 70 ff. 89. Renaud, deutsch. Pr. R. §. 167 Note I. Köhler, a. a. O. §§. 32.38. 41. Beseler, §. 171. Göhrum, a. a. O. II. §§. 106. 112 ff.
Durch die neuere Gesetzgebung, insbesondere im Königreich Preußen durch Artikel 4 der Verfassungsurkunde, sind nun zwar alle Standesvorrechte aufgehoben und damit auch die früher zwischen dem niederen Adel und dem Bürgerstande bestehenden politischen, staatsbürgerlichen Standesunterschiede beseitigt; auch haben im übrigen die Anschauungen über die Stellung des Bürgerstandes und sein Verhältnis zu dem niederen Adel sich wesentlich im Vergleich zu den Anschauungen, welche im 18. Jahrhundert herrschten, geändert. Allein daraus kann nicht, wie die Frau Revidentin vermeint, gefolgert werden, daß, weil eine Ehe eines Herrn ans einem vormals reichsständischen Hause mit einer Frau von niederem Adel eine "Mißheirat" nicht sei, auch eine Ehe mit einer dem Bürgerstande, mindestens mit einer dem höheren Bürgerstande angehörenden Frau jetzt als eine ebenbürtige angesehen werden müsse. Denn trotz der verfassungsmäßigen Aufhebung aller Standesvorrechte dauern Adel und Bürgerstand noch fort, und es handelt sich hier um ein durch die deutsche Bundesakte völkerrechtlich vereinbartes Princip und Singularrecht des hohen Adels. Es kann daher für die Feststellung der Voraussetzungen der Ebenbürtigkeit der Ehen desselben nicht auf die jeweiligen Anschauungen über die sociale Stellung des Adels und Bürgerstandes und die politische Gleichstellung des letzteren mit dem ersteren ankommen, sondern es muß der durch das Reichsherkommen und die Reichsgesetzgebung festgestellte, durch die deutsche Bundesakte und die preußische Gesetzgebung aufrecht erhaltene Begriff der Ebenbürtigkeit als maßgebend erachtet werden.
Da für die Beantwortung der Frage nach den Voraussetzungen einer ebenbürtigen Ehe des ehemals reichsständischen hohen Adels zunächst die Hausgesetze und die ihnen gleichstehende Hausobservanz der einzelnen Familien entscheidend sind, so würden der Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreites die vorerwähnten Normen des deutschen Privat- und Privatfürstenrechtes dann nicht zu Grunde gelegt werden dürfen, wenn nach den Hausgesetzen des fürstlichen Hauses Sayn- Wittgenstein oder nach einer in ihm rechtswirksam bestehenden Observanz auch die Ehen mit bürgerlichen Frauen als standesgemäße und ebenbürtige angesehen würden. Allein, daß dieses nach den Wittgensteinschen Hausgesetzen der Fall sei, ist von der Frau Beklagten nicht behauptet. Sie hat allerdings der Ausführung des Herrn Klägers, daß auch nach den älteren Hausgesetzen, dem Testamente des Grafen Ludwig des Älteren von 1593, der Erbverbrüderung vom 26. November 1607, sowie nach den neueren 1861 und 1862 von dem Vater des Herrn Klägers getroffenen Bestimmungen die Ehe der Frau Beklagten mit dem Fürsten Ludwig als eine Mißheirat anzusehen sei, widersprochen, allein eine Behauptung, daß durch die Hausgesetze den allgemeinen, in Ermangelung entgegenstehender autonomischer Normen, maßgebenden Grundsätzen des Privatfürstenrechtes derogiert, daß danach auch die Ehe eines Mitgliedes der fürstlich Wittgensteinschen Familie mit einer Nichtadligen als eine standesgemäße zugelassen sei, hat sie nicht aufgestellt. Es bedurfte daher weder einer Heranziehung der
bisher nicht vorgelegten älteren Hausgesetze, noch einer Prüfung der Frage, welche Bedeutung den Bestimmungen des Fürsten Ludwig aus den Jahren 1861 und 1862, wonach als ebenbürtig nur solche Ehen angesehen werden sollen, welche mit Mitgliedern hochadliger Familien geschlossen worden, für die Ehe der Frau Beklagten mit ihrem verstorbenen Gemahl beizulegen sei.
Die Bezugnahme der Frau Beklagten auf eine ihr zur Seite stehende Hausobservanz ist nicht zutreffend. Die allgemeine Behauptung, daß in der Wittgensteinschen Familie die angeblich allgemeine Übung des Privatfürstenrechtes hinsichtlich der Ebenbürtigkeit der Ehen keineswegs durchweg beobachtet sei, und die Anführung eines Falles einer Heirat eines Mitgliedes der fürstlichen Familie Sayn-Wittgenstein- Berleburg mit einer Frau bürgerlicher Herkunft, welche als eine ebenbürtige anerkannt sein soll, sind nicht geeignet, eine den allgemeinen Rechtsnormen derogierende Familienobservanz zu begründen.
Da auch eine Zustimmung der Agnaten zu der Ehe der Frau Beklagten mit dem Fürsten Ludwig nicht erfolgt ist, so muß dieselbe als eine Mißheirat angesehen werden.
Fragt es sich dann, welche Wirkungen die von einem Mitgliede des hohen Adels mit einer Frau des Bürgerstandes eingegangene Ehe habe, so kann es zwar keinem Zweifel unterliegen, daß eine solche Ehe, sofern die sonstigen gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen, als eine vollkommene, wahre Ehe anzusehen sei. Sie ist aber keine bürgerlich vollwirksame, es tritt insbesondere, worauf es hier nur ankommt, die Frau nicht in den Stand des Mannes ein, behält vielmehr ihren bisherigen Stand bei. Sie nimmt daher nicht teil an den Standesvorrechten des Mannes, ist namentlich nicht berechtigt, den fürstlichen oder gräflichen Titel und das Geschlechtswappen als Zeichen und Ausdruck des Ranges und Standes ihres Mannes und der Zugehörigkeit zu der hochadligen Familie zu führen.
Heffter a. a.O. §. 66, Renaud S. 167. Gerber §. 224. Eichhorn §. 292. Mittermaier §. 379. Göhrum a. a. O. §§. 97. 112.
Die von der Revidentin aufgestellte Ansicht, das Princip der Ebenbürtigkeit sei nur von Bedeutung für die Frage der Succession, die Frau werde auch im Falle einer Mißheirat von dem Stande und Range ihres Mannes nicht ausgeschlossen, ist nicht zu billigen, steht vielmehr in Widerspruch mit der Entwicklung der Grundsätze der Ebenbürtigkeit und der Mißheirat.
Unbegründet ist endlich auch der Einwand, daß, weil der fürstliche Titel, dessen Ablegung von dem Herrn Kläger verlangt werde, nicht auf der Eigenschaft der Familie Sayn-Wittgenstein-Sayn als einer reichsunmittelbaren beruhe, der Titel nicht von Kaiser und Reich, sondern von Sr. Majestät dem Könige von Preußen verliehen sei, die preußischen Gesetze über die Rechtsverhältnisse der Standesherren keine Anwendung finden und daher selbst im Falle der Annahme einer Mißheirat mit den daran geknüpften Folgen das Urteil des Appellationsgerichtes nicht gerechtfertigt sei. Denn wenn auch nach §. 6 der Instruktion vom 30. Mai 1820 den Standesherren und den ebenbürtigen Mitgliedern ihrer Familien nur das Recht beigelegt ist, die vor Auflösung der deutschen Reichsverbindung innegehabten Titel und Wappen zu führen, diese Bestimmung also ans den hier in Frage stehenden Titel nicht direkt Anwendung findet, so folgt doch daraus nicht, daß nicht im übrigen die gesetzlichen Vorschriften über die Rechtsverhältnisse der Mediatisierten in Preußen bei Beurteilung der für die Frau Beklagte aus der Ehe mit dem Fürsten Ludwig zu Sayn-Wittgenstein-Sayn entstandenen Rechte maßgebend seien. In diesen ist aber das Recht der Ebenbürtigkeit mit dem früheren, vor Auflösung des deutschen Reichs damit verbundenen Begriffe aufrecht erhalten, und hieraus folgt, daß die Frau Beklagte in den Rang und Stand ihres Gemahls überhaupt nicht eingetreten ist, die ihm zustehenden Titel und Wappen nicht führen darf. Voraussetzung für das Recht zur Führung des Titels Fürst von Sayn-Wittgenstein-Sayn und des Geschlechtswappens der fürstlichen Familie Sayn - Wittgenstein ist ebenbürtige Zugehörigkeit zu dem ehemals reichsunmittelbaren Hause Sayn-Wittgenstein. Richtig ist zwar, wie die Frau Revidentin geltend macht, daß der Titel "Fürst" und die Zugehörigkeit zum hohen Adel sich nicht decken; allein der Titel, um den es sich hier handelt, ist einer Linie des vormals reichsständischen Hauses Sayn-Wittgenstein verliehen, und wenn die Frau Beklagte in dieses Haus als vollberechtigtes Mitglied durch ihre Vermählung mit dem Fürsten Ludwig nicht eingetreten ist, so darf sie auch den diesem als Besitzer des Fideikommisses Sayn zustehenden Titel Fürst von Sayn- Wittgenstein-Sayn nicht führen." ...