RG, 07.05.1884 - I 105/84
Erfüllungsort bei dem Verkaufe einer schwimmenden Ladung, insonderheit wenn Käufer Rückzahlung fordert.
Aus den Gründen
... "Wenn eine schwimmende Ladung verkauft wird, so kann als Gegenstand des Kaufvertrages freilich nicht das Papier, der über die Ladung ausgestellte Ladeschein oder das Konnossement, gelten. Aber der Käufer erlangt doch mit der Übergabe des indossierten Ladescheines die Verfügungsgewalt über die Ladung, welche der Schiffer unter sich hat. Der Verkäufer erfüllt, indem er den indossierten Ladeschein übergiebt, wenn nur die verkaufte Ladung in der Hand des Schiffers existiert. Nun läßt sich freilich sagen, daß die Handlung, welche der Verkäufer gewährt, die Übergabe, des Ladescheines, ebenjene Wirkung, daß der Käufer die Verfügung erlangt, mit umfaßt. Zur Erfüllung gehört also die Thatsache mit, daß das übergebene Stück Papier von einem Schiffer ausgestellt ist, welcher die in dem Ladescheine bezeichnete Ware thatsächlich erhalten hat, zur Zeit des Verkaufes des Ladescheines noch fährt, und somit diese Ware nunmehr für den Käufer fährt.
Diese Wirkung vollzieht sich nicht an dem Orte, an welchem der Ladeschein übergeben wird, sondern an dem Orte, an welchem sich die Ladung und der Schiffer befinden, welcher sie innehat. Es gilt rechtlich so, als hätte er dort die Ladung für den Inhaber des Ladescheines und der Inhaber des Ladescheines die Ladung durch den Schiffer an ebenjenem Orte. Indem aber die Verkäuferin den girierten Ladeschein in Stettin übergab, übergiebt sie die Ladung der rechtlichen Wirkung nach an dem Orte, an welchem sie sich befindet.
Nimmt man aber diese Wirkung in den Begriff, der Erfüllungshandlung mit hinein, so ist die Frage zu entscheiden, ob als der für den Gerichtsstand maßgebende Erfüllungsort derjenige anzusehen ist, an welchem die physische Handlung - abgesehen von der sich daranschließenden Wirkung - vollzogen wird, oder der Ort, an welchem die für das Rechtsverhältnis relevierende Wirkung eintritt: eine Frage, welche in ähnlicher Weise bezüglich des für den Gerichtsstand maßgebenden Ortes der begangenen Strafthat für das Gebiet des Strafprozeßrechtes aufgeworfen worden ist.1
Nun eignet sich aber der Ort, an welchem die Übergabe des Ladescheines als Konnossement einer schwimmenden Ladung in Beziehung auf diese in rechtliche Wirksamkeit tritt, in keiner Weise, um diesen Ort als den Erfüllungsort gelten zu lassen.
Denn zu der Zeit des Vertragsschlusses wissen die Kontrahenten in den seltensten Fällen, wo sich derzeit die Ladung befindet, noch viel weniger - wenn Kauf und Erfüllung auseinanderfallen - wo sich die Ladung zu der Zeit befinden wird, zu welcher das Konnossement oder der Ladeschein werden übergeben werden.
Auch würde es ganz unfruchtbar sein, einen Ort auf dem Ozean als Erfüllungsort gelten zu lassen, und ebensowenig hätte es eine rechte Bedeutung, den Ort auf dem Flusse als Erfüllungsort gelten zu lasten, wo sich zufällig derzeit die Ladung befindet oder befinden wird.
Man wird also den Ort, an welchem der Ladeschein ausgehändigt werden soll, als den Erfüllungsort gelten lassen müssen, wenn das Schiff von dem Versendungsorte bereits abgegangen ist; und dasselbe wird man dann auch gelten lassen müssen, wenn die Ware verkauft wird, nachdem sie abgeladen, der Ladeschein ausgestellt, der Schiffer aber noch nicht abgefahren ist.
Hiernach war bezüglich des Gesamtinhaltes der Vertragsverbindlichkeiten der Beklagten Stettin der Erfüllungsort.
Er war es auch bezüglich der hier in Frage stehenden Leistung. Die Beklagte hat von der Klägerin den Kaufpreis abzüglich der dem Schiffer zu zahlenden Fracht erhalten. Da dem Schiffer 500 M Vorschuß gezahlt war, so hat Beklagte diesen Vorschuß der Klägerin in Rechnung gestellt. Es sind von dem Kaufpreise von
16275 M nur
1000 M welche dem Schiffer noch zu zahlen waren, nämlich
1500 M Fracht abzüglich
500 M Vorschuß
abgezogen, sodaß Klägerin
15275 M erhalten hat.
Beklagte hatte "cif Stettin" verkauft, sie hatte also die Kosten einschließlich der Fracht (cost included freight oder cost insurance freight) übernommen. Die volle Fracht betrug aber nicht 1000, sondern 1500 M. Unter Voraussetzung der Richtigkeit der angeführten Thatsache haftete also Verkäuferin der Käuferin dafür, daß der Schiffer die Ladung gegen Auszahlung von nur 1000 M aushändigte, sich also 500 M auf die verdiente Fracht anrechnen ließ. Diese Abrechnung konnte aber nur in Stettin bei Ablieferung der Ware erfolgen. Die Verkäuferin hatte dafür einzustehen, daß sich der Schiffer jene 500 M in Stettin anrechnen ließ, daß die Käuferin die der Verkäuferin in dem Betrage von 15 275 M gezahlte Teilfracht, oder den in jener Summe gezahlten Frachtvorschuß von 500 M, durch deren Anrechnung auf die verdiente Fracht des Schiffers in Stettin zurückerhielt.
Denn der Transport war nach Stettin zu bewirken. Dazu, daß er dorthin bewirkt wurde, war die Beklagte der Klägerin verpflichtet. Die Käuferin trug zwar die Gefahr der Ware, aber nicht die Gefahr des Transportes, dessen Kosten nur zu zahlen waren, wenn der Transport bewirkt war.
Ist aber die Ware an dem Abladungsorte untergegangen, und demgemäß Fracht überhaupt nicht zu zahlen, so ist die Klage auf Rückgewähr des der Beklagten im voraus von der Klägerin restituierten Frachtvorschusses an dem Orte anzustellen, an welchem der Klägerin der Frachtvorschuß bei Ausführung des Transportes zurückzugewähren gewesen sein würde, also in Stettin." ...
- 1. Vgl. Entsch. des R.G.'s in Strass. Bd. 1 Nr. 137.