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RG, 24.04.1880 - I 614/79

Daten
Fall: 
Erfordernisse des Selbsthilfeverkaufs
Fundstellen: 
RGZ 1, 269
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
24.04.1880
Aktenzeichen: 
I 614/79
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • Handelsgericht Hamburg
  • Obergericht Hamburg

Erfordernisse des Selbsthilfeverkaufes. Unter welchen Voraussetzungen hat der Richter die Berufung auf eine Lokalusance zu beachten?

Aus den Gründen

"Der von den Klägern auf Grund des Art. 354 H.G.B. für Rechnung des Beklagten bewirkte Verkauf der 702 1/2 Tonnen Heringe, deren Annahme der Beklagte nach rechtskräftigem Erkenntnis grundlos verweigert hatte, ist in öffentlicher Auktion am Bestimmungsort der Ware, Harburg, vorgenommen worden. Die Auktion wurde zwei Tage vorher im "Harburger Anzeiger" und in den "Hamburger Nachrichten" bekannt gemacht. Diese Art der Bekanntmachung ist, wie auch der Erfolg, das Erscheinen der bekannten Hamburger Heringsmakler bei der Auktion, beweist, eine völlig sachgemäße. Die Auktion wurde von einem "Gerichtsvogt und Auktionator" abgehalten, und aus dem, Protokoll desselben ergiebt sich der ordnungsmäßige Verlauf der Auktion und deren Erfolg. Auch die nach Art. 343 H.G.B. erforderlichen Anzeigen an den Beklagten haben stattgefunden. Die vom Handelsgesetzbuch vorgeschriebenen, bez. gemeinrechtlichen Erfordernisse eines ordnungsmäßigen Selbsthilfeverkaufes sind daher vorhanden.

Einschlägige landesgesetzliche Vorschriften über die Abhaltung öffentlicher Verkäufe der fraglichen Art existieren nicht; denn die Bestimmungen der hannoverschen Prozeßordnung beziehen sich nur auf notwendige Versteigerungen. Nach der eigenen Behauptung des Beklagten bestehen keine betreffenden gesetzlichen Ortsvorschriften.

Allein der Beklagte bezieht sich auf Lokalusancen und behauptet, dieselben seien nicht befolgt. Einem solchen Vorbringen kann allerdings an sich Beachtung nicht versagt werden (Entscheid. des R.O.H.G.'s Bd. 16 Nr. 27 S. 93), und unter Umständen kann die Einleitung eines Beweisverfahrens über die behauptete Usance geboten sein. Notwendige Voraussetzung dafür ist aber eine präcise Fassung der betreffenden Behauptung. Inhalt und Umfang der angeblichen Usance muß so genau substanziiert sein, daß der Richter zu erkennen vermag, ob dieselbe auf den betreffenden Fall Anwendung leide. (Entscheid. des R.O.H.G.'s Bd. 12 Nr. 18 S. 61.) Nun finden sich aber lediglich folgende Behauptungen des Beklagten:

"in Harburg hätten sich auch für den freiwilligen öffentlichen Verkauf ganz bestimmte Usancen gebildet. So sei acht bis zehn Tage vorher die Auktion zu inserieren, und zwar 3-4 Mal hintereinander in dem "Harburger Anzeiger", in dem "Courier an der Unterelbe" und in größeren Sachen in den "Hamburger Nachrichten", endlich würde dieselbe auch, dem Charakter des Ortes entsprechend, am letzten Tage ausgerufen."

Dieser Behauptung fehlt es an der nötigen Bestimmtheit insofern, als darüber nichts angegeben ist, ob diese Usancen sich auch auf Verkäufe von Handelswaren beziehen. Will man aber aus der Unbeschränktheit der Fassung schließen, es sei behauptet, bei allen freiwilligen öffentlichen Verkäufen ohne Rücksicht auf die Art der Verkaufsgegenstände hätten sich diese Usancen ausgebildet, so stellt sich eine solche Behauptung von vornherein als unhaltbar dar.

Daß alle Arten von öffentlichen Verkäufen mindestens acht Tage vorher bekannt gemacht werden sollten, ist wirtschaftlich undurchführbar. Bei Waren, welche dem Verderben ausgesetzt sind (und bei solchen kommen derartige Verkäufe gerade häufig vor), z. B. bei havariert oder in sonstiger schlechter Beschaffenheit angekommenen Waren, ist eine Verzögerung des Verkaufes um acht Tage sehr häufig dem Interesse der Beteiligten völlig zuwiderlaufend. Das Gesetz (Art. 343, Abs. 2 H.G.B.) erkennt dies selbst an, indem es, wenn die Ware dem Verderben ausgesetzt ist, sogar von dem Erfordernis der vorgängigen Androhung des Verkaufes an den säumigen Käufer absieht. Die Behauptung, daß sich an einem Handelsplatze auch für solche Fälle eine Usance, wie die behauptete, gebildet habe, ist geradezu undenkbar. Ähnlich verhält es sich mit Waren, welche großen Preisschwankungen ausgesetzt sind, und bei welchen die Hinausschiebung des Verkaufes auf mindestens acht Tage die Interessen, welche durch die gesetzlichen Bestimmungen (Artt. 843. 354 H.G.B.) gewahrt werden sollen, erheblich gefährdet würden. Ist aber einmal die Usance in dem behaupteten unbeschränkten Umfange nicht anzuerkennen, so ist, da es an jeder Behauptung einer Umgrenzung des Gebietes der Usance fehlt, das ganze Vorbringen betreffs der Bekanntmachungsfrist unbeachtlich. Ersichtlich aber beziehen sich die weiter behaupteten Usancen, daß nämlich auch im "Courier an der Unterelbe", einem Blatte von geringer Verbreitung in der Umgegend Harburgs, die Auktionsanzeige zu inserieren, sowie daß dieselbe am letzten Tage auszurufen sei, auf Verkäufe anderer Objekte, als die sind, um welche es sich hier handelt."