RG, 02.01.1880 - IVa 158/79

Daten
Fall: 
Ehemännlicher Nießbrauch
Fundstellen: 
RGZ 1, 136
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
02.01.1880
Aktenzeichen: 
IVa 158/79
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • Kreisgericht Zeitz
  • Appellationsgericht Naumburg

1. Ist nach A.L.R. die Ehefrau berechtigt, dem verarmten Ehemanne den Nießbrauch und die Verwaltung der Illaten zu entziehen, so lange der Ehemann ihr aus den Illatenrevenuen standesmäßigen Unterhalt gewährt?
2. Dürfen die Gläubiger des Ehemannes, zum Zwecke ihrer Befriedigung aus dem Reste der Illatenrevenuen, einen Vertrag der Ehefrau anfechten, durch welchen der Mann dem Nießbrauche an den Illaten entsagt hat?

Tatbestand

In einem zwischen den beklagten Eheleuten geschlossenen Vertrage hatte der Ehemann seinem Nießbrauchsrechte an dem eingebrachten Vermögen der Frau entsagt. Von dem Kläger, welchem eine vollstreckbare Forderung gegen den beklagten Ehemann zusteht, wurde diese Entsagungserklärung als freigebige Verfügung auf Grund des Gesetzes vom 9. Mai 1855 angefochten. Die beklagte Ehefrau wendete ein, daß sie befugt gewesen sei, dem Manne den Nießbrauch zu entziehen, weil derselbe nicht mehr vermögend sei, aus eigenen Mitteln ihr den notwendigen Unterhalt zu gewähren. Während der erste Richter die Klage zurückwies, erachtete der Appellationsrichter die Anfechtung für begründet, indem er feststellte, daß die Revenuen des zum Eingebrachten gehörigen Grundstücks nach Bestreitung des Unterhaltes der Beklagten sogar noch einen Reinertrag abwerfen. Auf die Revision der Beklagten bestätigte das R.G. das zweite Erkenntniß aus folgenden Gründen:

Gründe

"Der Appellationsrichter ist bei seiner verurteilenden Entscheidung von der Voraussetzung ausgegangen, daß, um festzustellen, ob der beklagte Ehemann zur Erfüllung der ihm obliegenden Verbindlichkeit, der Ehefrau den erforderlichen Unterhalt zu gewähren, vermögend ist, die Revenuen des eingebrachten Vermögens der Frau mit in Rechnung zu ziehen sind. Dieser Annahme muß beigetreten werden.

Der Mann ist verpflichtet, der Frau standesmäßigen Unterhalt zu gewähren (A.L.R. II. 1. §. 185). Dagegen steht ihm an dem Vermögen der Frau, soweit nicht durch Gesetze oder Verträge Ausnahmen gemacht sind, die Verwaltung und der Nießbrauch zu (§§. 205, 231 das.). Sowohl die Pflicht zur Unterhaltung der Frau, als das Recht auf die Verwaltung und den Nießbrauch des Eingebrachten sind in der Stellung begründet, welche das Gesetz dem Manne, als dem Haupte der ehelichen Gemeinschaft, einräumt. Das Recht korrespondiert aber auch mit der Pflicht insofern, als dem Manne die Verwaltung und der Nießbrauch verliehen sind, weil ihm die Unterhaltungspflicht obliegt und deshalb darf die Frau, so lange der Mann ihr und bez. den mit ihr erzeugten Kindern den nach Verhältnis ihres Standes notwendigen Unterhalt gewährt, ihm die Verwaltung und den Nießbrauch des Eingebrachten nicht entziehen (§. 256 das.). Als Nießbraucher erlangt der Mann das Eigentum an den Nutzungen des Eingebrachten (A.L.R. I. 21, §§. 22 fg.; I. 9, §§. 220, 221). Die letzteren bilden somit einen Teil seines Vermögens. Aus diesen bereiten Mitteln hat der Maun die Kosten des Unterhaltes der Frau und der Kinder zu bestreiten, und so lange dieses Vermögen, einschließlich der Revenuen des Eingebrachten, zur Gewährung des Unterhaltes ausreichend ist, oder der Mann den Unterhalt tatsächlich gewährt, besteht ein Recht der Frau auf Rückforderung des Eingebrachten nicht. Nach dem §. 257 A.L.R. II. 1 sind nun aber die - auch einseitigen - Gläubiger des Mannes befugt, sich an den maritalen Nießbrauch zu halten, und infolge der Ausübung dieser Befugnis kann der Fall eintreten, daß der Mann außer Stand gesetzt wird, seiner Unterhaltungspflicht zu genügen, weil ihm auch die Einkünfte des Eingebrachten verkümmert werden. Für einen solchen Fall räumt der §. 258 das. der Frau das Recht ein, ihr Eingebrachtes zurückzufordern und zu dem Zwecke allenfalls auf Eröffnung des Konkurses über das Vermögen des Mannes anzutragen. Der Zusammenhang, in welchem die §§. 256 - 258 mit einander stehen, und die Worte: "Wenn aber", mit welchen sich der §. 258 an den §. 257 anschließt, lassen eine andere Deutung des §. 258 nicht zu und schließen die Annahme aus, daß das Revokationsrecht der Frau von dem Betrage der Einkünfte des Eingebrachten unabhängig ist. Die letztere Annahme würde auch zu Konsequenzen führen, welche das Gesetz nicht beabsichtigt hat. Denn alsdann müßte die Ehefrau für befugt erachtet werden, von dem - abgesehen von dem Nießbrauche des Eingebrachten - vermögenslosen Ehemanne jederzeit und ohne daß er durch seine Gläubiger gedrängt würde oder überhaupt verschuldet wäre, die Aufgabe des Nießbrauchrechtes zu verlangen. Ferner würde eine soweit gehende Befugnis zu einer nicht gerechtfertigten Beeinträchtigung der Gläubiger des Mannes führen, die diesem vielleicht nur mit Rücksicht auf den ihm zustehenden, die Kosten des Haushaltes übersteigenden Einkünfte aus dem Eingebrachten Kredit bewilligt haben.

Diese Auffassung, welche von dem vormaligen preuß. Obertribunale in dem Erkenntnisse vom 9. März 1860 ( Striethorst's Arch. Bd. 36 S. 304) - im Gegensatze zu dem Präj. Nr. 2089 vom 4. Januar 1849 (Entsch. Bd. 17 S. 293) - geteilt wurde, findet auch in der Entstehungsgeschichte der fraglichen Gesetzesstellen ihre Rechtfertigung. Die in den §§. 255 fg. a. a. O. aufgestellte Unterscheidung zwischen den Fällen, in welchen die Frau von dem Manne Sicherheitsbestellung wegen ihres Eingebrachten oder die Rückgabe des letzteren verlangen kann, je nachdem nur die wahrscheinliche Besorgnis eines bevorstehenden Verlustes der Illaten obwaltet, oder der Mann derartig in Vermögensverfall geraten, daß er seiner Unterhaltungspflicht zu genügen außer Stande ist, war bereits in dem Entwurfe zum A.L.R. enthalten. Der dem §. 255 entsprechende §. 174 lautete:

Wenn der Mann in Vermögensverfall gerät, kann die Frau besondere Sicherstellung des Eingebrachten fordern.

Hiergegen monierte von Grolmann,

daß nach der I. 29 C. de jure dot. 5,12 die Frau in diesem Falle nicht blos das Recht habe, Kaution zu fordern, sondern die ganze dos zurückfordern könne, und daß es sich empfehle, dies beizubehalten.

Suarez bemerkte dazu:

Mehrere Rücksicht verdient der Antrag einiger Monenten, daß nämlich in einem solchen Falle (bei eintretendem Vermögensverfalle des Mannes), wem creditores den usumfructum illatorum in Beschlag nehmen, und also die Frau Gefahr läuft, ihren und ihrer Kinder standesmäßigen Unterhalt zu verlieren, sie berechtigt sei, ihre Illata zurückzufordern, solche selbst zu administrieren und die fructus davon zweckmäßig zu verwenden. Herr von Grolmann erweist solches aus der Theorie des römischen Rechtes, und daß bei entstehendem Konkurse solches bei uns wirklich geschehe, ist bekannt. Nun scheint aber kein hinlänglicher Grund vorhanden zu sein, warum nicht die Frau ein gleiches Recht haben sollte, wenn auch nicht just concursus formalis vorhanden ist, sondern die creditores nur sonst die Revenuen der Illatorum verkümmern, oder wenn der Mann sonst dergestalt ad inopiam vergiert, daß eine wahrscheinliche Besorgnis des Verlustes der Illatorum für die Frau entsteht.

Suarez wollte also der Frau in allen Fällen, wenn der Mann derart in Vermögensverfall gerät, daß eine wahrscheinliche Besorgnis des Verlustes des Eingebrachten begründet ist, das Recht geben, letzteres zurückzufordern. Die Gesetzeskommission hat jedoch diesen Vorschlag nicht gebilligt, vielmehr beschlossen:

daß die Rückforderung nicht stattfinde, so lange der Mann der Frau den nach ihrem Stande notwendigen Unterhalt gewährt.

(Ges.-Rev. Pens. XV., Motive z. Entw. des Tit. 1 T. II des A.L.R. S. 172 - 175; Bornemann, System., II. Ausg., Bd. 5 S. 96, 97.)

Freilich ist hiernach, worauf auch der Gesetzrevisor hinweist (a. a. O. S. 173), unerörtert geblieben, was geschehen solle, wenn der Mann die Sicherheitsbestellung nicht leisten kann. Allein dieser Umstand erscheint für die in Frage stehende Auslegung des Gesetzes unerheblich. Die vorstehend mitgeteilten Verhandlungen ergeben, daß bei der Redaktion des A.L.R.'s der Fall, daß die Gläubiger des Mannes die Einkünfte des Eingebrachten bereits in Anspruch genommen haben, ausdrücklich im Auge gehalten ist, und wenn dessen ungeachtet festgesetzt worden ist, daß die Frau zur Rückforderung des Eingebrachten nicht befugt sein soll, so lange der Mann ihr und den Kindern den standesmäßigen Unterhalt gewährt, so kann ein Zweifel darüber nicht obwalten, daß die Absicht des Gesetzes dahin geht, daß bei Feststellung der Frage, ob der Mann zur Erfüllung seiner Unterhaltungspflicht vermögend ist, die Revenuen des Eingebrachten mit in Rechnung zu ziehen sind. - Auch die Konk.-O. vom 8. Mai 1855 nimmt dies als bestehenden Rechtszustand an. Denn der §. 93 derselben verordnet:

Das dem Nießbrauche des Gemeinschuldners unterworfene Vermögen seiner Ehefrau wird, so lange das Nießbrauchsrecht des Gemeinschuldners während des Konkurses dauert, für Rechnung der Konkursmasse verwaltet; die Nutzungen fließen zur Konkursmasse, soweit sie nicht zum standesmäßigen Unterhalte der Frau und der Kinder, sowie zur Erziehung der letzteren verwendet werden müssen.

Erst wenn die Frau ihr Eingebrachtes aus dem Konkurse zurückerhält, hört das Nießbrauchsrecht des Mannes auf (A.L.R. II. 1. §. 261). Der Appellationsrichter hat hiernach mit Recht die Frage zur Erörterung gezogen, ob zur Zeit des Abschlusses des angefochtenen Entsagungsvertrages die Revenuen des Grundstückes der beklagten Ehefrau, welche damals von den persönlichen Gläubigern des Ehemannes zum Zwecke ihrer Befriedigung noch nicht in Anspruch genommen waren, zur Bestreitung des Unterhaltes der Frau ausgereicht und sogar einen Überschuß abgeworfen haben. War dies der Fall, und hat die beklagte Ehefrau aus den Einkünften des Grundstückes thatsächlich ihren Unterhalt gewährt erhalten, so war sie nicht berechtigt, ihrem Ehemanne den Nießbrauch des Eingebrachten zu entziehen, und demzufolge stellt sich die Erklärung des Mannes, daß er dem Nießbrauche entsage, als eine freigebige Verfügung dar. (A.L.R. I. 16. §. 393.) Als solche unterliegt dieselbe aber seitens des Klägers als eines Gläubigers des beklagten Ehemannes der Anfechtung auf Grund des §. 5 Nr. 2 und §. 7 Nr. 3 des Ges. vom 9. Mai 1855."