RG, 02.02.1884 - I 482/83
1. Auslegung der Befreiungsbestimmung 3 zum Tarif II. Nr. 4 des Gesetzes vom 1. Juli 1881 betreffend die Erhebung von Reichsstempelabgaben.
2. Schließen die Reichsgesetze den Rechtsweg aus in bezug auf Ansprüche wegen ungerechtfertigter Erhebung von Reichsstempelabgaben?
3. Finden die Worte im letzten Absätze des §. 70 G.V.G. "Ansprüche in betreff öffentlicher Abgaben" auch auf Reichsstempelabgaben Anwendung, welche der betreffende Bundesstaat durch seine Landesbeamten zu seiner Kasse von dem Abgabepflichtigen erhoben hat, und findet folgeweise, wenn dieser Bundesstaat für die in dem letzten Absätze des §. 70 G.V.G. erwähnten Ansprüche die Landgerichte ohne Rücksicht auf den Wert des Streitgegenstandes für ausschließlich zuständig erklärt hat, der §. 509 Nr. 2 C.P.O. in Rechtsstreitigkeiten über solche Ansprüche wegen ungerechtfertigter Erhebung von Reichsstempelabgaben gegen jenen Bundesstaat Anwendung?
Tatbestand
Eine Bankgeschäfte betreibende Aktiengesellschaft in Bremen ließ im Jahre 1882, teils durch eine Firma in Berlin, teils durch eine Firma in Hamburg, als ihre Kommissionäre, in elf Fällen Ankäufe und Verkäufe von Börsenpapieren ausführen. Diese Kommissionäre überschickten der Kommittentin nach Ausführung jedes Kommissionsgeschäftes genaue Rechnung über diese Ausführung. In den Begleitbriefen teilten die Kommissionäre unter Bezugnahme auf die einliegende Rechnung mit, daß der Kommittentin die rechnungsmäßige, in dem Briefe ziffermäßig wiedergegebene Schlußsumme debitiert bezw. kreditiert sei. In einigen dieser Briefe ist ersucht "die Aufgabe gleichlautend zu bestätigen" oder "von der Aufgabe bestätigend Vermerk zu nehmen". Die meisten Briefe enthalten auch sonstige geschäftliche Mitteilungen, z. B. über den Stand der Börse etc. Jede der den Briefen eingelegten Rechnungen war mit dem in dem Tarife zu dem Reichsgesetze vom 1. Juli 1881 betreffend die Erhebung von Reichsstempelabgaben unter II. 4 lit. b verordneten Stempel versehen. Zu den Briefen selbst war dieser Stempel nicht verwendet. Der gemäß §. 27 Abs. 2 des vorbezeichneten Gesetzes von der Landesregierung bestellte Beamte, welcher die Schriftstücke der von Aktiengesellschaften betriebenen Bankanstalten bezüglich der Stempelverwendung periodisch zu prüfen hat, bezeichnete jene elf Briefe als nach dem Gesetze v. 1. Juli 1881 Tarif II. 4 lit. b stempelpflichtig, und die Aktiengesellschaft mußte den Betrag des Stempels im ganzen mit 2,20 M zur betreffenden Kasse der freien Hansestadt Bremen zahlen. Die Zahlung wurde unter Protest gegen die anzeiglich widerrechtliche Erhebung geleistet, und darauf im vorliegenden Prozesse auf Rückzahlung des erhobenen Betrages Klage erhoben. Nachdem das Landgericht zu Bremen in erster Instanz nach dem Klagantrage erkannt hatte und die dagegen erhobene Berufung von dem hanseatischen Oberlandesgericht zu Hamburg verworfen war, hat das Generalsteueramt der freien Hansestadt Bremen Revision eingelegt. Die Revision ist zwar für zulässig erachtet, aber als unbegründet zurückgewiesen aus folgenden Gründe:
Gründe
"Daß die eingelegte Revision (deren Zulässigkeit die Revisionsbeklagte gar nicht angezweifelt hat) trotz des nur 2,20 M betragenden Streit- und Beschwerdegegenstandeswertes zulässig sei in Gemäßheit der Bestimmungen des §. 509 Ziff. 2 C.P.O., des §. 70 letzten Absatzes des G.V.G.'s und des §. 77 des Gesetzes der freien Hansestadt Bremen vom 17. Mai 1879 betreffend die Ausführung des G.V.G.'s, wird weiter unten näher begründet werden, nachdem zuvor einige Fragen erörtert sind, welche für die Auslegung jener Stellen von Bedeutung sind.
Die erste dieser Fragen ist die, ob für den im vorliegenden Prozesse verfolgten Anspruch der Rechtsweg zulässig ist?
Diese Frage ist weder von den Parteien überhaupt, noch in den vorigen Instanzen von den erkennenden Gerichtshöfen berücksichtigt worden. Trotzdem ist das Revisionsgericht (in Gemäßheit des Grundprinzipes der Normen der §§. 13. 17 G.V.G. und des §. 247 Abs. 2 C.P.O.) von Amts wegen berechtigt und verpflichtet, diese Frage bei Entscheidung des Rechtsstreites zu lösen. Die Massigkeit des Rechtsweges unterliegt nicht der Parteiverfügung.
Aus folgenden Erwägungen war der Rechtsweg in bezug auf die Klagforderung für zulässig zu erachten. Ehe sich in einzelnen deutschen Staaten die absolute Fürstengewalt scharf entwickelte, bezw. der Einfluß des französischen Staats- und Verwaltungsrechtes geltend machte, wurde von den Gerichtshöfen im Gebiete des Deutschen Reiches vorherrschend der Grundsatz zur Geltung gebracht, daß der Rechtsweg zulässig sei in bezug auf Ansprüche gegen den Staat als Vermögensrechtssubjekt wegen Verletzung des klägerischen Vermögensrechtes durch dem objektiven Rechte zuwider seitens der Staatsbehörden erfolgte Einziehung angeblich als Staatsabgabe seitens des Klägers geschuldeter Beträge.1
In denjenigen deutschen Staaten, welche weder von der Entwicklung der absoluten Monarchie noch von französischen Anschauungen beeinflußt worden sind, ist die Zulässigkeit des Rechtsweges für Ansprüche der gekennzeichneten Art bis in die neueste Zeit Rechtens geblieben. In der freien Hansestadt Bremen werden die Steuern, und namentlich die Stempelabgaben, welche in dem nächstfolgenden Jahre zu erheben sind, durch Steuergesetz (d. h. durch Verordnung des Senates im Einverständnisse mit der Bürgerschaft) festgestellt und in diesen Steuergesetzen jedem wegen einer Abgabe in Anspruch Genommenen freigelassen, nach Entrichtung der erforderten Steuer Klage auf Rückzahlung des anzeiglich ohne gesetzliche Grundlage gezahlten Betrages zu erheben.
In Preußen wurde allerdings zur Zeit der energischen Entwickelung des absolut monarchischen Prinzipes der Rechtsweg in Beziehung auf die Pflicht zur Entrichtung öffentlicher Abgaben enge eingeschränkt. Durch die Bestimmungen des Allgemeinen Landrechtes II. 14. §§. 78. 79 in Verbindung mit den 5§. 35 bis 37 der Verordnung vom 26. Dezember 1808 wegen verbesserter Einrichtung der Provinzialpolizei und Finanzbehörden (in der Auslegung, welche diesen Normen durch die Kabinetsordres vom 18. November 1828 und 4. Dezember 1831 in Verbindung mit dem Berichte des preußischen Staats- Ministers vom 16. November 1831 gegeben wurde) entstand folgender Zustand. Nur die Verwaltungsbehörde hatte zu bestimmen, ob eine Steuer eine allgemeine Anlage im Sinne des Gesetzes sei. Über die Verbindlichkeit zur Entrichtung solcher allgemeinen Anlagen fand der Rechtsweg nur in dem Falle statt, daß der zu denselben Herangezogene von der Abgabe durch Beitrag, Privileg oder ersitzende Verjährung befreit zu sein behauptete. Diese Beschränkung des Rechtsweges mußte nach der Umgestaltung des preußischen Staatsrechtes durch die Verfassungen vom 5. Dezember 1848 und 31. Januar 1850 als eine den Rechtsweg zu sehr einengende empfunden werden. Durch das Gesetz vom 24. Mai 1861 über die Erweiterung des Rechtsweges wurde in bezug auf öffentliche Abgaben überhaupt demjenigen, welcher behauptete, daß die einzelne Abgabenforderung bereits früher getilgt oder verjährt sei, das Recht verliehen, binnen sechs Monaten nach erfolgter Beitreibung oder geleisteter Zahlung Klage auf Erstattung des Gezahlten zu erheben. Dem Herangezogenen stand ferner der Rechtsweg offen, wenn er seine Klage auf die Behauptung gründete, die geforderte Abgabe sei gar keine öffentliche Abgabe, rühre vielmehr her aus einem früheren gutsherrlichen, schutzherrlichen, grundherrlichen oder sonstigen aufgehobenen privatrechtlichen Fundamente. Hinsichtlich der Stempelsteuer wurde bestimmt, daß derjenige, welcher zur Entrichtung eines Wertstempels oder eines nicht nach dem Betrage des Gegenstandes zu bemessenden Vertragsstempels gar nicht oder nicht in dem geforderten Betrage verpflichtet zu sein vermeinte, berechtigt sei, solches binnen sechs Monaten nach der erfolgten Beitreibung oder der mit Vorbehalt geleisteten Zahlung des Stempelbetrages gerichtlich geltend zu machen. In der Einleitung der Motive zu dem Regierungsentwurfe dieses Gesetzes heißt es: Für die Staatslegierung sei der Gesichtspunkt leitend gewesen, daß die Zulässigkeit des Rechtsweges überall da die Regel bilde, wo jemand in seinen Privatrechten, d.h. in seiner individuellen Rechtssphäre dem Gesetze gegenüber, verletzt zu sein behaupte, und daß, wo das bestehende Recht nach dieser Seite hin Beschränkungen statuiert habe, diese zu beseitigen seien, soweit das mit dem öffentlichen Wohle vereinbar erscheine. Die zur Beratung des Gesetzentwurfes bestellte Kommission des Abgeordnetenhauses sagt in ihrem Berichte, "die Erweiterung des Rechtsweges werde von den Beteiligten und der Bevölkerung im ganzen als ein Fortschritt zur Sicherung des gesamten Rechtszustandes betrachtet werden. Auf dem ihnen überwiesenen Gebiete hatten die Gerichte den unbestreitbaren Vorzug der Unbefangenheit, Unparteilichkeit und gewohnten Sicherheit in Prüfung und Entscheidung von Rechtstiteln."
Auch die Justizkommission des Herrenhauses betrachtete die Vorlage "als einen glücklichen Fortschritt auf dem Wege der Gesetzgebung". In bezug auf den Rechtsweg in Stempelsteuersachen wird in den Motiven des Regierungsentwurfes und dem Berichte der Kommission des Abgeordnetenhauses hervorgehoben, daß die meisten Zweifel in Stempelsachen auf juristischem Gebiete entstehen würden. Die Kommission bemerkt, eine gewissenhafte Stempelverwaltung werde sich in solchen Fragen nicht anders als nach den Präjudizien und Gutachten der Gerichte richten können. Durch die Verordnung vom 16. September 1867 wurden die Bestimmungen des Gesetzes vom 24. Mai 1861 auf die dem preußischen Staate durch die Gesetze vom 20. September und 24. Dezember 1866 einverleibten Landesteile ausgedehnt. Durch das preußische Gesetz vom 30. Mai 1873 sind die Normen der §§. 11 bis 14 des Gesetzes vom 24. Mai 1861 und des Artikels V der Verordnung vom 16. September 1867 auf die Erbschaftssteuer für anwendbar erklärt, und dabei bestimmt, daß es bei dieser Steuer zur Erhaltung des Klagrechtes eines Vorbehaltes bei der Steuerzahlung nicht bedürfe.
In der Begründung des Entwurfes des deutschen Gerichtsverfassungsgesetzes werfen folgende Stellen Licht auf die Entwickelung de" Bewußtseins in der neueren Zeit gegenüber dem damals bestehenden Zustand.
a) Seite 32. Eine Reihe von bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, deren Verhandlung nach allgemeinen Grundsätzen vor die ordentlichen Gerichte gehören würde, sind denselben entzogen und Verwaltungsbehörden überwiesen.
b) Seite 28. In neuerer Zeit hat sich der Grundsatz allgemeine Anerkennung verschafft, daß das richterliche Amt, welches der Handhabung des Rechtes und der Gerechtigkeit dienen soll und nach seiner Natur keine andere Autorität, als die des Gesetzes über sich haben darf, nicht von Behörden zu verwalten ist, die gleichzeitig eine Gewalt über die Staatsbürger zu üben haben, welche täglich die Rücksichten gouvernementaler Zweckmäßigkeit in Betracht ziehen müssen und deren Trägern die für das Richteramt erwünschte Sicherheit der persönlichen Stellung durch Unentfernbarkeit aus dem Amte nicht in demselben Maße eingeräumt werden kann.
Hiernach ist in Deutschland schon in dem Jahrzehnt vor Gründung des neuen Deutschen Reiches, und zwar (nach einer früheren abweichenden Übergangszeit) auch in Preußen das (inhaltlich mit den von der Judikatur zur Zeit des früheren Reiches deutscher Nation aufrecht erhaltenen und den Forderungen des gegenwärtigen Bewußtseins von dem Wesen des Rechtsstaates entsprechenden Grundsätzen übereinstimmende) Bewußtsein wach geworden, daß im Falle ungerechtfertigter Abgabenerhebung der dadurch in seiner individuellen Rechtssphäre gegenüber dem Gesetze Verletzte grundsätzlich berechtigt erscheine, sein Recht vor Gericht zu suchen, daß der Ausschluß des Rechtsweges in einem solchen Fall anomale positive Satzung sei. Dem Wesen des Rechtsstaates entspricht es, daß die verfassungsmäßig, bei der Gesetzgebung mitwirkenden Faktoren die Zweckmäßigkeitsfrage, d. h. die Frage, welche Abgaben einzuführen seien, erwägen und durch das Abgabengesetz abschließend erledigen. Die Normen der gegebenen Abgabengesetze setzen Recht gegen und für den Abgabepflichtigen. Die Verwaltungsbehörden haben nicht Abgaben zu normieren. Die objektiv der Norm des Abgabengesetzes zuwider erfolgte Erhebung eines Vermögenswertes als Abgabe durch die mit der Abgabenerhebung betraute Verwaltungsbehörde enthält (wenngleich diese Behörde die Überzeugung hegt, gesetzgemäß einzufordern) einen im Namen des Staates durch dessen Organ verwirklichten, objektiv rechtswidrigen Eingriff in die individuelle Vermögensrechtssphäre des Herangezogenen. Dieses Unrecht ist aufzuheben durch Wiedererstattung des zu Unrecht entzogenen Vermögenswertes aus Staatsmitteln. Insofern ist ein Rechtsverhältnis zwischen dem Herangezogenen und dem Staate als Vermögensrechtssubjekten entstanden. Beharrt die Steuererhebungsbehörde bei der Behauptung der Gesetzmäßigkeit, der Herangezogene bei der Behauptung der Ungesetzmäßigkeit der betreffenden Erhebung, so liegt zur Wahrung des Rechtes kein so sicherer Weg vor, als der, daß der Herangezogene, welcher nach dem Gebote der öffentlichen Ordnung der behördlichen Aufforderung zunächst entsprochen hat, als Kläger, den Staat als Vermögensrechtssubjekt vor Gericht in Anspruch nimmt auf Zahlung des entrichteten Betrages. Die ordentlichen Gerichte sind berufen, Vermögensrechtsstreitigkeiten zu entscheiden, auch wenn zur Entscheidung Normen des öffentlichen Rechtes anzuwenden sind. Ihre unabhängige Stellung, Rechtskenntnis und Übung in der praktischen Rechtsanwendung giebt die denkbar größte Garantie Völlig objektiv gehaltener, sachgemäßer Entscheidung in solchen Fällen.
Bei dieser geschichtlichen Voraussetzung und herrschenden allgemeinen Auffassung wäre es nicht gerechtfertigt, aus dem etwaigen Fehlen einer reichsgesetzlichen positiven Bestimmung über die Zulässigkeit des Rechtsweges für Ansprüche auf Zahlung einer dem angeblich zu Unrecht erhobenen Betrage einer Reichsstempelabgabe gleichstehenden Summe seitens des zu Unrecht Herangezogenen gegen den Reichsfiskus im Falle der direkten Erhebung durch eine zuständige Reichsbehörde oder gegen den Fiskus des Einzelstaates, welcher durch seine zuständigen Beamten in seinem Namen, wenn auch für Rechnung des Reiches, die Abgabe zu Unrecht erhoben hatte, zu folgern, daß der Rechtsweg nach den Reichsgesetzen unzulässig sei, daß also die Rechtsordnung im Deutschen Reiche zurückgeschritten sei selbst im Verhältnisse zu den in den deutschen Einzelstaaten bestehenden Zuständen. Es würde einer positiven Satzung der Reichsgesetze bedürfen, um den Rechtsweg in einem solchen Falle reichsgesetzlich zu verschließen. Eine solche Satzung existiert nicht; vielmehr enthalten (was nicht einmal wesentlich wäre, um sich für die Zulässigkeit des Rechtsweges zu entscheiden) die Reichsgesetze Bestimmungen, welche dafür sprechen, daß die Zulässigkeit des Rechtsweges als selbstverständliche Regel vorausgesetzt ist.
Nach der Reichsverfassung unterliegen die Zölle und für die Zwecke des Reiches zu verwendenden Steuern der Gesetzgebung des Reiches. Der Bundesrat hat, sofern nicht durch Reichsgesetz etwas Anderes bestimmt ist, zu beschließen über die zur Ausführung der Reichsgesetze erforderlichen allgemeinen Verwaltungsvorschriften und Einrichtungen, sowie über die bei Ausführung der Reichsgesetze oder der vorerwähnten Verwaltungsvorschriften und Einrichtungen sich herausstellenden Mängel. Der Kaiser überwacht die Ausführung der Reichsgesetze. Aus diesen Bestimmungen der Reichsverfassung folgt in keiner Weise eine verfassungsmäßige Befugnis des Bundesrates oder des Kaisers zur authentischen, die Gerichte bindenden Deklaration der Abgabengesetzesnormen, oder der Berechtigung, sei es unmittelbar, sei es durch Verwaltungsbehörden, darüber zu entscheiden, ob das Vermögen eines Abgabepflichtigen durch eine ungerechtfertigte Abgabenerhebung geschädigt sei oder nicht.
In dem §. 12 des Vereinszollgesetzes vom 7. Juli 1869 ist bestimmt:
"Zur richtigen Anwendung des Vereinszolltarifes dient das amtliche Warenverzeichnis, welches die einzelnen Warenartikel nach ihren im Handel und sonst üblichen Benennungen in alphabetischer Ordnung, aufzählt, und die auf jeden derselben anzuwendenden Tarifnummern bezeichnet. Beschwerden über die Anwendung des Tarifes im einzelnen Falle werden im Verwaltungswege entschieden."
In dem Bd. 5 S. 36-33 der Entsch. des R.G.'s in Civils. abgedruckten Teile der Gründe des von dem dritten Civilsenate des R.G.'s in Sachen Hoffmann & Leisewitz wider die Provinzialsteuerdirektion zu Hannover gefällten Urteiles, Rep. III. 438/81, ist klargelegt, daß in dem letzten Satze jener Gesetzesbestimmung keine Grundlage für den Schluß, auf eine reichsgesetzliche generelle Ausschließung des Rechtsweges bei Ansprüchen auf Erstattung zur Ungebühr wider das Gesetz erhobener Zölle liege, daß vielmehr jene Bestimmung eine (in der Auffassung, daß bei der Anwendung des Zolltarifes nur den Zollverwaltungsbehörden Sachkenntnis beizumessen sei, wurzelnde) positive Ausnahme von der Regel feststelle.
Die Gesetze über die Urkundenstempelsteuern des Deutschen Reiches (nämlich das Gesetz des Norddeutschen Bundes vom 10. Juni 1869 über die Wechselstempelsteuer in Verbindung mit dem Reichsgesetze vom 4. Juni 1879, sowie das Reichsgesetz vom 1. Juli 1881 betreffend die Erhebung von Reichsstempelabgaben) enthalten keine dem letzten Satze des §. 12 des Vereinszollgesetzes analoge Bestimmung. Es ist auch die Annahme nicht möglich, daß zum Verständnisse des zu letzterem Reichsgesetze gehörigen Tarifes eine Verwaltungsbehörde die alleinige, oder auch eine der Befähigung der Gerichtshöfe gleiche Sachkunde besitzen könne, da es sich bei diesem Tarife um das juristische Verständnis des Wesens bestimmter Rechtsgeschäfte und der Bedeutung der darauf sich beziehenden Urkunden handelt. Daß bei der Existenz des Schlußsatzes in dem §. 12 des Zollgesetzes vom 7. Juli 1869 ein analoger Satz in dem (ebenfalls mit einem Tarife versehenen) Gesetze vom 1. Juli 1881 nicht gegeben ist, spricht geradezu dafür, daß für Streitigkeiten bei Anwendung letzteren Tarifes der Gesetzgeber sich völlig bewußt gewesen ist, es müsse hier die regelmäßige Zulässigkeit des Rechtsweges Platz greifen.
Der in den Reichsjustizgesetzen (in den §§. 13. 70. 71. 101. 135., 156. 157 G.V.G., in den §§. 3. 8 des dazu erlassenen Einführungsgesetzes, in den §§. 3. 4. 7. 14 C.P.O.) gebrauchte Ausdruck " bürgerliche Rechtsstreitigkeiten" ist nirgendwie dahin auszulegen, daß unter den dadurch bezeichneten Begriff solche Rechtsstreitigkeiten zu subsumieren seien, in welchen der betreffende, auf eine Vermögensverletzung gegründete vermögensrechtliche Anspruch sich auf eine (rechtswidrige, angeblich durch eine Norm des öffentlichen Rechtes gerechtfertigte) Handlung einer Behörde im Namen des Staates gründe. Gegen eine solche Auslegung spricht der Inhalt des §. 70 G.V.G. Der Zusammenhang des zweiten Absatzes dieser Gesetzesstelle mit dem ersten Absatze zeigt, daß das Gesetz Ansprüche der in dem zweiten Absatze gekennzeichneten Art zu den bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten rechnet, für welche die Landgerichte ohne Rücksicht auf den Streitgegenstandeswert zuständig sind. Zu denselben rechnet also das Gesetz Ansprüche gegen den Reichsfiskus auf Grund des Gesetzes vom 31. März 1873 über die Rechtsverhältnisse der Reichsbeamten. Es ergiebt ferner der Zusammenhang aller einzelnen Absätze jener Gesetzesstelle, daß das Gesetz auch die in dem dritten Absätze jener Stelle aufgeführten Rechtsstreitigkeiten als bürgerliche Rechtsstreitigkeiten auffaßt, und zwar als solche bürgerliche Rechtsstreitigkeiten, in bezug auf welche es der Landesgesetzgebung überlassen sei, den Rechtsstreit ohne Rücksicht auf den Wert des Streitgegenstandes den Landgerichten zuzuweisen. Unter den Rechtsstreitigkeiten dieser Art sind aufgeführt diejenigen über Ansprüche der Staatsbeamten gegen den Staat aus ihrem Dienstverhältnisse, über Ansprüche gegen den Staat wegen Verfügungen der Verwaltungsbehörden, wegen Verschulden der Staatsbeamten, wegen Aufhebung von Privilegien, sowie "Ansprüche wegen öffentlicher Abgaben". Höchst charakteristisch ist ferner die Fassung des §. 9 im Gerichtsverfassungsgesetze:
"Wegen vermögensrechtlicher Ansprüche der Richter aus ihrem Dienstverhältnisse insbesondere auf Gehalt, Wartegeld oder Ruhegehalt darf der Rechtsweg nicht ausgeschlossen werden."
Der Rechtsweg, d. h. die Verfolgung vor den für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten regelmäßig zuständigen Gerichten, wird bezüglich der gekennzeichneten, aus einem Verhältnisse des öffentlichen Rechtes hergeleiteten Ansprüche nicht etwa ausnahmsweise gegen die Konsequenz der Natur des Anspruches zugelassen, sondern der seinem Wesen nach (weil er sich auf einen rechtswidrigen Eingriff in die individuelle Rechtssphäre des Klägers seitens der betreffenden Staatsbehörde gründet, welcher das Vermögen des Klägers verletzt) als bürgerlicher Rechtsstreit gemäß der Regel bei solchen Rechtsstreiten vor den ordentlichen Gerichten zu verfolgende Anspruch darf von dieser regelmäßigen Verfolgung nicht ausgeschlossen werden. Diesen §. 9 muß man sich als im Verhältnisse zum §. 13 G.V.G. stehend denken, nach welchem die regelmäßige Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten durch die reichsgesetzlich oder landesgesetzlich positiv begründete Zuständigkeit von Verwaltungsbehörden oder Verwaltungsgerichten, oder durch die reichsgesetzliche Bestellung oder Zulassung besonderer Gerichte ausgeschlossen werden kann. Eine solche Ausschließung soll in den Fällen des §. 9 a. a. O. nicht geschehen dürfen. Diese Auslegung des Gesetzes steht im Einklänge mit der oben mitgeteilten, in der Begründung des Entwurfes zum Gerichtsverfassungsgesetze kundgegebenen Auffassung von der Bedeutung der Gerichte, von dem Zutrauen, welches ihnen zu zollen ist, und von der Positivität der bestehenden exzeptionellen Satzungen, welche gegen allgemeine Grundsätze an sich vor die ordentlichen Gerichte gehörige Streitigkeiten Verwaltungsbehörden zur Entscheidung überweisen.
Mit dieser Grundauffassung in innigem Zusammenhange stehen die Normen des §. 17 Abs. 1 und Abs. 2 Ziff. 4 G.V.G. und des §. 139 C.P.O. Nebenbei mag darauf hingewiesen werden, daß die Frage, ob Verwaltungsbehörden öffentliche Abgaben den maßgebenden gesetzlichen Bestimmungen zuwider erhoben haben, infolge der §§. 459 flg. St.P.O. bei den ordentlichen Gerichten als Strafgerichten zur Entscheidung gelangen kann, und daß der damit im Zusammenhange stehende letzte Absatz des §. 136 G.V.G. durch einen Beschluß des Bundesrates zu den Beschlüssen der Kommission des Reichstages zur Vorberatung der Entwürfe der Justizgesetze entsprungen ist. Aus allen diesen Gründen rechtfertigt sich der Schluß, daß ein Rechtsstreit zwischen dem Abgabepflichtigen, dessen Vermögen verletzt ist durch ungerechtfertigte Erhebung eines Reichsstempelabgabenbetrages, als Kläger gegen das Deutsche Reich oder den Mitgliedstaat, durch dessen zur Abgabeerhebung zuständige Behörde jener Abgabenbetrag erhoben war, als beklagte Vermögensrechtssubjekte, auf Zahlung der dem zu Unrecht erhobenen Betrage gleichen Summe reichsgesetzlich von der Verfolgung vor den ordentlichen Gerichten nicht ausgeschlossen ist. Einen gleichen Schluß hat der dritte Civilsenat des Reichsgerichtes in dem oben erwähnten Urteile vom 1. Juli 1881 in bezug auf Reichszölle, insoweit nicht die positive Ausnahmebestimmung des letzten Satzes des §. 12 des Vereinszollgesetzes Platz greift, mit Recht gezogen. Im vorliegenden Falle ist die Klage dahin auszulegen, daß der Kläger den Fiskus der freien Hansestadt Bremen verklagt hat; denn das Generalsteueramt zu Bremen ist eine Behörde dieser freien Hansestadt, welche sowohl die Landesstaatssteuern als auch die Reichsstempelabgaben als Landesstaatsbehörde, also im Namen dieses Staates, wenn auch bei den Reichsstempelabgaben, wenigstens zum Teil, für Rechnung des Reiches erhebt und es ist bei den Gerichten der Hansestädte Gebrauch, anstatt des Fiskus die denselben vertretende Behörde als Prozeßpartei zu nennen. Es ist daher zu untersuchen, ob der richtige Beklagte in Anspruch genommen ist, oder ob etwa der Reichsfiskus hätte verklagt werden sollen?
Der Fiskus des Bundesstaates Bremen ist der richtige Beklagte.2
Das folgt aus dem Thatbestande in Verbindung mit folgenden aus der Reichsverfassung mit den sonstigen Reichsfinanzgesetzen, namentlich den Gesetzen über die Zölle und Tabaksteuer (insbesondere dem §. 8 des Reichsgesetzes vom 15. Juli 1879) und den §§. 26-29. 32 des Reichsgesetzes vom 1. Juli 1881 sich ergebenden Normen. Die einzelnen deutschen Bundesstaaten erheben die Reichsstempelabgaben durch ihre Landesbehörden und Beamten, als solche. Der betreffende Bundesstaat wird zunächst Eigentümer der von seinen Organen erhobenen Reichsstempelabgabenbeträge. Im Verhältnisse zu allen Bundesstaaten erhebt er diese Stempelabgabenbeträge für gemeinschaftliche Rechnung. Nach dem jährlichen Betrage der in allen Bundesstaaten (abzüglich der Steuer-Erlasse, Erstattungen, Erhebungs- und Verwaltungskosten) erhobenen Reichsstempelsteuern berechnet das Reichsschatzamt diejenige Summe, welche auf jeden einzelnen Bundesstaat entfällt nach dem Maßstabe der (ohne Rücksicht auf die Staatsangehörigkeit) in dessen Gebiete ortsanwesenden Bevölkerung, mit welcher der betreffende Bundesstaat zu den Matrikularbeiträgen herangezogen wird. Dieser Betrag wird zusammengerechnet mit dem Teile des jährlichen Reinertrages der Reichszölle und der Tabakssteuer (insoweit dieser Reinertrag, als die Summe von einhundertunddreißig Millionen Mark übersteigend überhaupt zur Teilung gelangt), welcher jenem Bundesstaate (ebenfalls nach dem bei der Stempelabgabe angegebenen Maßstabe) zu überweisen ist. Die Differenz dieser Gesamtsumme und des für das betreffende Jahr auf den betreffenden Bundesstaat entfallenden Matrikularbeitrages ist derjenige Betrag, welchen dieser Bundesstaat entweder an die Reichskasse abzuführen oder aus der Reichskasse zu erhalten hat. Der einzelne Bundesstaat, welcher von dem Abgabepflichtigen durch seine Landesbeamten, im Verhältnisse zu dem Abgabepflichtigen also in seinem, des Bundesstaates, Namen (wenn auch im Verhältnisse zu den anderen Bundesstaaten, bezw. dem Reiche, für gemeinschaftliche Rechnung) den Reichsstempelabgabenbetrag zu Unrecht eingezogen hat, ist dem durch diese Erhebung in seinem Vermögen Verletzten zur Zahlung der Geldsumme, welche dem zu Unrecht erhobenen Betrage der Reichsstempelabgabe gleichsteht, als Vermögensrechtssubjekt verpflichtet.
Bezüglich der Reichszölle, insoweit dieselben durch Beamte eines Bundesstaates erhoben seien und die Bestimmung des letzten Satzes im §. 12 V.Z.G. nicht entgegenstehe, ist der dritte Civilsenat des Reichsgerichtes in dem erwähnten Urteile vom 1. Juli 1881 zu demselben Ergebnisse gelangt.
Es ist schon oben klargelegt, daß in dem vorliegend als Vermögensrechtssubjekt passiv legitimierten Bundesstaate der freien Hansestadt Bremen Beschränkungen des Rechtsweges für Ansprüche der Abgabepflichtigen wegen ungerechtfertigter Abgabenerhebung nicht bestehen. Es gelangt daher im vorliegenden Falle die Frage nicht zur Beurteilung, ob, wenn in einem deutschen Bundesstaate Beschränkungen des Rechtsweges in bezug auf Ansprüche wegen ungerechtfertigter Erhebung von Abgaben dieses Staates gesetzlich bestehen, z. B. den Abgabepflichtigen in dieser Beziehung nur der Beschwerdeweg bei den Verwaltungsbehörden oder das Angehen s. g. Verwaltungsgerichte freigelassen ist, diese Beschränkungen des Rechtsweges auch dann durchgreifen, wenn dieser Bundesstaat auf Grund der Normen des Reichsstaatsrechtes in der oben gekennzeichneten Weise Reichsabgaben erhoben hat.3
Nach Sichtung der vorerörterten Fragen ist auf die nähere Begründung der im Eingänge der Entscheidungsgründe angenommenen Zulässigkeit der Revision zurückzugreifen.
Erwägt man (unter Festhaltung der gegebenen Beantwortung der bisher erörterten Fragen), daß die Reichsfinanzgesetze und die Reichsjustizgesetze Momente einer Gesetzgebung sind, so rechtfertigt sich der Schluß, daß der dritte Absatz im §. 70 G.V.G. in Verbindung mit dem §. 509 Ziff. 2 C.P.O. sich in den Worten "Ansprüche in betreff öffentlicher Abgaben" auf diejenigen öffentlichen Abgaben bezieht, welche der betreffende Bundesstaat durch seine Behörden bezw. Beamten als solche in seinem Namen erhebt, mögen nun diese Abgaben durch Landesgesetz eingeführte Abgaben oder solche Reichsabgaben sein, welche auf Grund der Normen des Reichs-, Staats- und Finanzrechtes in der oben gekennzeichneten Weise erhoben werden, und bezüglich deren der nach den maßgebenden Normen vor den "ordentlichen Gerichten verfolgbare Anspruch gegen den Fiskus dieses Bundesstaates zu richten ist. Der betreffende einer solchen Klage ausgesetzte Bundesstaat und mittelbar das Reich haben das wesentlichste Interesse daran, daß wichtige prinzipielle Fragen der Art nicht (infolge des Zufalles der verschiedenen Höhe des in den einzelnen Streitfällen in Betracht kommenden Wertes, welcher für den Gerichtsstand und als Beschwerdegegenstandswert für die Revisibilität in der Regel maßgebend ist) in vielen Fällen bei ihrer Entscheidung der Garantie kollegialer Beratung und Urteilsfällung in erster Instanz, sowie der schließlichen (die Einheitlichkeit der Prinzipien und der Rechtspflege möglichst sichernden) Rechtsprechung des Reichsgerichtes entzogen werden. Daß diese Gesetzesauslegung den Grundgedanken der Reichsgesetzgebung entspricht, dafür bildet der (oben bereits herangezogene) letzte Absatz des §. 136 G.V.G. eine Anzeige, sowie die Erwägungen, welche zur, Annahme des §. 92 Abs. 3 C.P.O. geführt haben.4
Daß das mittelbar mitberührte Interesse des Reiches in seinem Schutze von der Initiative des zunächst unmittelbar interessierten Bundesstaates abhängig gemacht wird, hat nichts Auffallendes bei der charakterisierten eigentümlichen Art der Reichsabgabenerhebung durch die Bundesstaaten. Durch diese Auslegung des §. 70 G.V.G. ist auch die Interpretation des §. 77 des Gesetzes der freien Hansestadt Bremen vom 17. Mai 1879 über die Ausführung des Gerichtsverfassungsgesetzes gegeben, welcher lautet:
"Für die in dem letzten Absatze des §. 70 G.V.G. erwähnten Ansprüche ist das Landgericht ohne Rücksicht auf den Wert des Streitgegenstandes ausschließlich zuständig,"
Es ist anzunehmen, daß durch die Landesgesetzgebung des Bundesstaates Bremen alle Ansprüche, welche gegen den Fiskus dieses Bundesstaates wegen ungerechtfertigter Erhebung von öffentlichen Abgaben durch die Behörden, bezw. Beamten dieses Staates überhaupt erhoben werden, zur ausschließlichen Zuständigkeit des Landgerichtes Bremen ohne Rücksicht auf den Wert des Streitgegenstandes verwiesen sind, daß also nach §. 509 Ziff. 2 C.P.O. in allen solchen Rechtsstreitigkeiten, also auch in dem vorliegenden Rechtsstreite, die Revision ohne Rücksicht auf den Wert des Beschwerdegegenstandes stattfindet.
Die Frage bleibt hier ganz dahingestellt, wie sich die Voraussetzungen der Zulässigkeit der Revision bei allen oder bei einzelnen Reichsabgaben, namentlich auch allen oder einzelnen Reichs stempelabgaben, in anderen Bundesstaaten, z. B. in Preußen, gestalten mögen, in dessen Ausführungsgesetze zum deutschen Gerichtsverfassungsgesetze vom 21. April 1878 der §. 39 bestimmt, "die Landgerichte sind in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten ohne Rücksicht auf den Wert des Streitgegenstandes ausschließlich zuständig.
"4. Für die Ansprüche gegen den Landesfiskus in betreff der Verpflichtung zur Entrichtung einer Erbschaftssteuer, eines Wertstempels oder eines nicht nach dem Betrage des Gegenstandes zu bemessenden Vertragsstempels."
Ebensowenig ist hier die Frage zu entscheiden, wie sich die Vorbedingungen der Zuständigkeit des Gerichtes, der gesetzlichen Vertretung und der Zulässigkeit der Revision in solchen Fällen regeln, in welchen bei einzelnen Reichsabgaben, z. B. Zöllen, die Erhebung der Abgaben durch Reichsbehörden, bezw. Reichsbeamte, erfolgt ist und der Reichsfiskus selbst, als Beklagter, in Anspruch genommen ist.
Es ist schließlich im vorliegenden Streitfalle nicht bloß die Revision und der Rechtsweg zulässig und die Passivlegitimation gegeben, sondern auch die Verurteilung des Beklagten nach dem Klagantrage gerechtfertigt, also die gegen das Berufungsurteil eingelegte, an sich zulässige Revision unbegründet.
Thatsächlich steht fest, daß die Schriftstücke, deren Verstempelung nach dem Tarif II. Nr. 4 lit. b. des Reichsgesetzes, betreffend die Erhebung von Reichsstempelabgaben vom 1. Juli 1881, der Bundesstaat Bremen durch seine Beamten von der Klägerin gefordert und den erforderten Stempelbetrag zu seiner Kasse vereinnahmt hat, Briefe über Geschäfte der in jenem Tarif II. 4 lit. b. bezeichneten Art, sowie daß diese Briefe auf Entfernungen von mindestens 15 Kilometern befördert worden sind. Die Verstempelung dieser elf Briefe ist deswegen gefordert, weil dieselben (deren Anlagen als Rechnungen bezw. Noten der im Tarif II. 4 lit. b. gekennzeichneten Art über Geschäfte, der ebendort unter lit. b. bezeichneten Art verstempelt wären) in ihrem Kontexte Bezugnahme auf jene Anlagen unter ziffermäßiger Angabe der in letzteren berechneten Hauptsummen enthielten, sodaß die Briefe selbst die Essentialien von Rechnungen oder Noten im Sinne des Tarifes II. 4 lit. b. an sich trügen; diese Briefe auch deswegen, weil in ihnen die Debitierung oder Gutschrift jener Hauptsummen mitgeteilt, bezw. in einigen derselben ersucht sei, die Aufgaben gleichlautend zu bestätigen oder von der Aufgabe bestätigend Vermerk zu nehmen, " objektiv geeignet wären, der Klägerin als Beweisurkunden zu dienen, wobei in der mündlichen Verhandlung der Revisionsinstanz auch geltend gemacht ist, daß sie als in dieser Absicht geschrieben anzusehen seien und jedenfalls dieses Moment von dem Berufungsgerichte mit in das Auge zu fassen und aufzuhellen gewesen sei, da dasselbe jedenfalls jenen Briefen die Eigenschaft nehme, zur "eigentlichen oder gewöhnlichen Handelskorrespondenz" zu gehören.
Dafür, daß die in Rede stehenden Briefe unter diesen Voraussetzungen trotz der Bestimmung "Befreiungen" Nr. 3 zu Tarif II. 4 verstempelt werden müßten, hat sich der Beklagte darauf berufen,
- daß der neunte der Beschlüsse des Bundesrates zur Beseitigung von Zweifeln und Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich der Auslegung und Anwendung des Reichsstempelabgabengesetzes vom 1. Juli 1881 laute:
"Auf Briefe, welche eine Rechnung etc der in Tarifnummer 4 b bezeichneten Art enthalten, findet die "Befreiung" Ziff. 3 zu Tarifnummer 4 keine Anwendung;" - daß laut amtlicher, dem Generalsteueramte zu Bremen gewordener Mitteilung der Bundesrat auf Antrag des Steuerausschusses Hinsichtlich der Anwendung des Reichsstempelabgabengesetzes vom 1. Juli 1881 entschieden habe,
"daß Briefe, in welchen der Aussteller bei Einsendung einer Rechnung erkläre, daß der Betrag derselben gutgeschrieben sei, als stempelpflichtig zu behandeln seien;" - auf die im Thatbestande als vorgetragen erwähnte, dem Antrage des Reichskanzlers vom 15. Mai 1882 an den Bundesrat beigefügte Zusammenstellung.
Die Klage leitet die Gesetzwidrigkeit der betreffenden Reichsstempelabgabenerhebung her aus der Bestimmung "Befreiungen Ziff. 3 zur Tarifnummer II. 4 des Reichsgesetzes vom 1. Juli 1881, welche wörtlich lautet (im Anschlüsse an die Eingangsworte der ganzen Befreiungsbestimmung "Die vorbestimmte Abgabe wird nicht erhoben"):
3. "von Telegrammen und Briefen über die unter a bezeichneten Geschäfte, wenn die Briefe auf Entfernungen von mindestens 15 Kilometern befördert werden. Auf die einem solchen Briefe beigelegten oder angehängten Schriften der unter a und b und in der Anmerkung 1 bezeichneten Art erstreckt sich die Befreiung nicht."
Für den Sinn dieser Bestimmung ist höchst erheblich die Eingliederung und Fassung der ganzen Bestimmung "Befreiungen" zum Tarif II. 4. Diese ganze Bestimmung folgt nach der Normierung des Gegenstandes der Besteuerung und, des Steuergesetzes unter Tarif II. Ziff. 4 lit. a. und b, sowie den dazu gehörigen Anmerkungen, von denen die letzte Anmerkung Nr. 3 lautet:
"In betreff der Stempelpflichtigkeit der zu a und b sowie in der Anmerkung 1 bezeichneten Schriftstücke macht es keinen Unterschied, ob dieselben in Briefform oder in irgend einer anderen Form ausgestellt werden und ob das Schriftstück mit Namensunterschrift versehen, oder ohne solche ausgehändigt ist."
Die in dieser dritten Anmerkung herangezogene Anmerkung 1 bestimmt:
"Werden die zu a und b bezeichneten Schriftstücke in mehreren Exemplaren, Abschriften oder Auszügen gleichzeitig oder nacheinander ausgestellt, so unterliegt jedes Stück der vorbezeichneten Abgabe, sobald es aus den Händen des Ausstellers geht."
Die Bestimmung "Befreiungen" zu Tarif II. 4 beginnt mit den Worten: "die vorbestimmte Abgabe wird nicht erhoben", im Anschlusse daran heißt es:
- "von den zu a und b bezeichneten Schriftstücken, sofern der Wert des Gegenstandes des Geschäftes nicht mehr als 300 M, bei Warengeschäften nicht mehr als 1000 M beträgt;"
- "von den zu a bezeichneten Schriftstücken, soweit sie nur s. g. Kontantgeschäfte über Wechsel, gemünztes oder ungemünztes Gold oder Silber zum Gegenstände haben und dieser Inhalt aus den Schriftstücken ersichtlich ist,"
Darauf folgt die oben wörtlich mitgeteilte Stelle:
Hiernach eximiert die Befreiungsbestimmung 1 und 2 von der Verstempelung Schriftstücke, welche nach Anmerkung 3 auch Briefe sein können, mit Rücksicht, sei es auf den Wert des Geschäftsgegenstandes, sei es auf das sonstige Wesen dieses Gegenstandes in Verbindung damit, daß ein Kontantgeschäft über so geartete Gegenstände vorliege. Die Befreiungsbestimmung unter Ziff. 3 dagegen fixiert als Kriterium für die Befreiung die Eigenschaft des in Betracht kommenden Schriftstückes, als Telegramm oder auf Entfernungen von mindestens 15 Kilometern beförderter Brief über die unter Tarif II. 4 lit. a bezeichneten Geschäfte. Das Gesetz sagt durchaus nicht, daß das Telegramm oder der Brief ein Schriftstück der unter a aufgeführten Art sein müsse, wodurch ein Gegensatz gegen die unter b gekennzeichneten Schriftstücke ausgedrückt sein würde. Das Gesetz sagt vielmehr, daß die Befreiung voraussetze "ein Telegramm oder einen auf Entfernungen von mindestens "15 Kilometern beförderten Brief über die unter a bezeichneten Geschäfte", d. h. über Kauf-, Rückkauf, Tausch- oder Lieferungsgeschäfte, welche Wechsel, ausländische Banknoten oder ausländisches Papiergeld, seiner Aktien, Staats- oder andere für den Handelsverkehr bestimmte Wertpapiere oder Mengen von solchen Sachen oder Waren jeder Art, die nach Gewicht, Maß oder Zahl gehandelt zu werden pflegen, zum Gegenstände haben.
Da die Befreiungsbestimmung Nr. 3 nach den Eingangsworten der ganzen Befreiungsbestimmung eine Befreiung von der vorbestimmten Abgabe, d. h. von der im Tarif II. Nr. 4 bestimmten Abgabe ist, so kann sie sich nur auf Fälle beziehen, in denen das Telegramm oder der auf Entfernungen von mindestens 15 Kilometern beförderte Brief als Schriftstück an sich die Kriterien der zu Tarif II. Nr. 4 lit. a oder lit. b (in Verbindung mit der dazu gehörigen Anmerkung 1) besitzt. Wäre letzteres nicht der Fall, so würde gar nicht eine Befreiung von der betreffenden Stempelabgabenverpflichtung, sondern ein Fehlen der Voraussetzung der Verstempelung gegeben sein. Es lagen dann gar keine Befreiungsbestimmung, sondern überflüssige Worte vor, welche ein Gesetzgeber nicht spricht.
Im Zusammenhange des ersten und zweiten Satzes der Befreiungsbestimmung Ziff. 3 stellt sich nach Gesetzes-Wort und -System der Gesetzessinn dieser Befreiungsbestimmung in bezug auf Briefe dahin fest:
"Ein auf Entfernungen von mindestens 15 Kilometern beförderter Brief ist von der unter Tarif II Ziff. 4 lit. a und lit. b verordneten Verstempelung frei, wenn er ein Brief über die im Tarif II. 4 lit. a. bezeichneten Geschäfte ist, obwohl er an sich seinem brieflichen Inhalte nach zu den im Tarifr. 4 lit. a oder lit. b als regelmäßig stempelpflichtig gekennzeichneten Schriftstücken gehören würde; diese Befreiung erstreckt sich aber nicht auf die Beilagen oder Anhänge eines solchen von der Verstempelung befreiten Briefes; vielmehr sind alle solche Beilagen oder Anhänge, auch wenn sich darunter mehrere gleiche Exemplare, Abschriften oder Auszüge befinden, zu verstempeln, wenn sie die Kriterien der nach Tarif II. 4 lit. a oder b bezeichneten Schriftstücke an sich tragen."
Da die Notwendigkeit dieser Gesetzesauslegung sich aus dem Gesetze selbst klar ergiebt, so würde es durchaus nicht gerechtfertigt fein, diese Auslegung deswegen für unrichtig zu erachten, weil etwa in den Vorstadien bis zum Gegebensein des Gesetzes Faktoren der Gesetzgebung eine entschieden abweichende Auffassung dessen, was als Gesetz gegeben werden solle, kundgegeben hätten. Eine solche entschiedene Kundgebung ist aber auch keineswegs erfindlich. Alles, was die s. g. Gesetzesmaterialien ergeben, ist folgendes.
In der Begründung der Befreiungsbestimmung Nr. 2 des Gesetzentwurfes (welche sich von der Befreiungsbestimmung Nr. 3 des Gesetzes nur dadurch unterscheidet, daß im Entwurfe die für die Befreiung erhebliche Briefbeförderungsentfernung auf mindestens 10 Kilometer, im Gesetze auf mindestens 15 Kilometer bemessen ist) heißt es:
"Die zweite Befreiung beabsichtigt die eigentliche Handelskorrespondenz von der Stempelabgabe auszuschließen. Wollte man auch die durch die Post oder in anderer Weise beförderten Briefe zwischen Personen, welche sich an demselben Platze oder in der nächsten Umgebung desselben befinden, von der Besteuerung ausnehmen, so würde die ganze Maßregel illusorisch werden. Bei Telegrammen, die dem Mißbrauche zur Umgehung der Steuer weniger ausgesetzt sind, bedarf es für jetzt keiner solchen Unterscheidung."
Diese Ausführung hat nur dann einen Sinn, wenn darin Briefe vorausgesetzt werden, die nach ihrem Inhalte an sich stempelpflichtig sind; denn sonst wäre es undenkbar, anzunehmen, daß bei der Ausdehnung der Befreiung auf die Briefe zwischen Personen am Platze oder in geringer Entfernung die ganze Anordnung der Verstempelung illusorisch werden würde. Dadurch, daß Briefe geschrieben werden, die nach ihrem Inhalte nicht stempelpflichtig sind, kann die Verstempelungsnorm nicht illusorisch gemacht werden.
In dem Berichte der 12. Kommission des Reichstages über den Gesetzentwurf ist zu dessen Befreiungsbestimmung 2 nur gesagt:
"Zu der Befreiung sub 2 wurde beschlossen, daß Briefe über die dem Schlußnotenstempel unterliegenden Geschäfte nur dann von der Abgabe befreit sein sollen, wenn sie auf Entfernungen von mindestens 15 Kilometern (anstatt 10 Kilometer in der Regierungsvorlage) befördert werden. Ein Antrag, die in der Regierungsvorlage enthaltene, vollständige Befreiung der Telegramme abzulehnen und dieselben den Briefen gleichzustellen, also nur dann von der Abgabe zu befreien, wenn sie auf Entfernungen von mindestens 15 Kilometern befördert werden, blieb in der Minderheit.
Bei der Beratung im Reichstage ist nur über die Briefbeförderungs-Entfernungsfrage bei dieser Befreiungsbestimmung gesprochen. In der 51. Sitzung vom 28. Mai 1881 schlug der Abgeordnete v. Lerchenfeld vor, anstatt "Briefe, welche auf Entfernungen von mindestens 15 Kilometer befördert werden" zu setzen:
"Briefe, welche über die Grenzen eines Gemeindebezirkes befördert werden."
Zur Begründung dieses Antrages sagte er:
"Es liegt ja in der Absicht des Gesetzes, die gewöhnliche Handelskorrespondenz nicht zu treffen, und es ist doch ganz unzulässig, diese Handelskorrespondenz zwischen nahegelegenen kleinen Städten, die 1 1/2 Meilen ungefähr von einander entfernt sind, zu treffen, während sie die Handelskorrespondenz zwischen zwei entfernten Großstädten nicht treffen."
Dem trat der Kommissarius des Bundesrates entgegen, indem er darauf hinwies, daß große Städte, wie Berlin und Hamburg, mit Vororten zusammengebaut feien, welche selbständige Gemeinden waren, obwohl der Handelsgeschäftsbetrieb sich in diesem ganzen Komplexe von Gemeinden wie in einer Stadt realisiere. Auch der Berichterstatter der Reichstagskommission, Abgeordneter Büsing, erklärte sich gegen den Antrag des Abgeordneten v. Lerchenfeld, weil die Sache dadurch zu kompliziert werde. Darauf ist der Antrag abgelehnt. Etwas weiteres, was sich auf die betreffende Befreiungsbestimmung bezöge, enthalten die Materialien zum Reichsstempelabgabengesetze nicht.
Bemerkt mag werden, daß in der vom Reichskanzler, als Anlage seines Antrages vom 15. Mai 1882 bei dem Bundesrate beigefügten Zusammenstellung derjenigen Beschlüsse, welche von dem Bundesrate zur Beseitigung von Zweifeln und Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich der Auslegung und Anwendung des Reichsstempelabgabengesetzes vom 1. Juli 1881 zu fassen sein möchten, gesagt wird:
"Die Absicht des Gesetzes bei der Befreiungsbestimmung Nr. 3 sei dahin gegangen, dem Handelsstande, namentlich soweit er Warenhandel treibe, die Mühe und Kosten zu ersparen, welche daraus erwachsen würden, wenn jeder Geschäftsbrief auf seine Stempelpflichtigkeit geprüft und zutreffenden Falls versteuert werden müßte. Deshalb sei der eigentlichen Handelskorrespondenz die gewährte Befreiung zugestanden worden."
Auch diese Bemerkung setzt mit Notwendigkeit voraus, daß eine Befreiung von der Stempelpflicht vorliege, d. h. daß es sich um Briefe handle, die, abgesehen von der Befreiung, zu verstempeln wären; denn es läßt sich doch nicht von einem Zugeständnisse zwecks Ersparung von Mühe und Kosten für den Handelsstand bei der Prüfung seiner Korrespondenz reden, wenn es trotz der Beförderung der Briefe auf Entfernungen von mindestens 15 Kilometern dabei verbliebe, daß Briefe, welche schon an sich ihrem Inhalte nach keiner Verstempelung unterliegen, nicht verstempelt, die ihrem Inhalte nach an sich stempelpflichtigen Briefe dagegen verstempelt werden sollten.
Das Gesetz enthält ebensowenig den an sich vagen Ausdruck " eigentliche Handelskorrespondenz", welcher sich in der mitgeteilten Stelle der Begründung des Gesetzentwurfes und in der letzterwähnten Anlage des Antrages des Reichskanzlers vom 15. Mai 1882 vorkommt, als den in der Rede des Abgeordneten v. Lerchenfeld vorkommenden ebenso vagen Ausdruck " gewöhnliche Handelskorrespondenz". Es ist nicht gerechtfertigt aus diesem (dem Gesetze ganz fremden) Ausdrucke und der Konstruktion einer angeblichen Bedeutung desselben Folgerungen zu ziehen, welche dazu führen sollen, den ganz allgemeinen Gesetzesworten
die Bedeutung zu geben, daß durch diese Worte nur solche Briefe bezeichnet seien, welche gelegentliche Bemerkungen über das betreffende Geschäft enthielten, dagegen nicht solche Briefe über Geschäfte der im Tarif II. lit. a bezeichneten Art, welche sich ihrem Inhalte nach als Schriftstücke der im Tarif II. 4 lit. b gekennzeichneten Art charakterisieren. Der Inhalt des Gesetzes steht einer solchen Auslegung entschieden entgegen. Wie klargelegt ist, spricht das Gesetz bei der Befreiungsbestimmung in Rede gerade nur von Briefen, welche ihrem Inhalte nach an sich als Schriftstücke der im Tarif II. 4 lit. a oder lit. b gekennzeichneten Art über Geschäfte der a. a. O. unter lit. a bezeichneten Art sind. Für die Befreiung dieser Briefe von ihrer sonst gebotenen Verstempelung giebt das Gesetz (wie das bei einem solchen Gesetze geboten ist, welches eine sichere Grundlage für die bei den betreffenden Geschäften beteiligten, die Briefe schreibenden Personen geben soll) ein einfaches, greifbares, objektives Kriterium, "die Beförderung des Briefes über Entfernungen von mindestens 15 Kilometern". Diese klar im Gesetze bestimmte Befreiung darf nicht durch Interpretationen verkümmert werden, welche im Gesetze selbst keine Grundlage haben, sondern dieselbe aus dem (sogar in sich unklaren) Inhalte von dem Gesetze vorausgehenden Äußerungen entnehmen.
Dem neunten Beschlusse des Bundesrates vom 5. Juli 1882 und der daran geknüpften Ausführung des Revisionsklägers, daß die elf in dem Thatbestande erwähnten Briefe schon deswegen stempelpflichtig seien, weil sie durch ziffermäßige Wiedergabe der Hauptsummen der ihnen beigefügten Rechnungen oder Liquidationsnoten selbst als Rechnungen, bezw. Noten im Sinne des Tarifes II. lit. b anzusehen seien, ist hiernach nicht beizupflichten.
Der Revisionskläger hält (für den Fall der Verwerfung des vorerwähnten Gesichtspunktes) die Verstempelung jener Briefe jedenfalls deswegen für geboten, weil in ihnen allen gesagt sei, daß die betreffende Hauptsumme der Revisionsbeklagten kreditiert, bezw. debitiert sei, außerdem auch in den drei im Thatbestande besonders hervorgehobenen Briefen ersucht sei, "die Aufgaben gleichlautend zu bestätigen", bezw. "von der Aufgabe bestätigend Vermerk zu nehmen". Zur Unterstützung seiner Ausführung für die entscheidende Bedeutung dieser Briefstellen hat der Revisionskläger herangezogen:
- den oben mitgeteilten späteren Beschluß des Bundesrates, "daß Briefe, in welchen der Aussteller bei Einsendung einer Rechnung erklärt, daß der Betrag derselben gutgeschrieben worden, als stempelpflichtig zu behandeln seien;
- folgende Ausführung, durch welche der Vorschlag des demnächst am 5. Juli 1882 von dem Bundesrate (nur mit Fortlassung des in dem Vorschlage enthaltenen Wortes " schematisch") gefaßten achten Beschlusses:
"Wird der bereits vorher brieflich oder mündlich durch Herstellung des Konsenses erzielte Abschluß eines der Tarifnummer 4 a angehörigen Geschäftes in gleichlautenden, die Geschäftsbedingungen schematisch zusammenstellenden Briefen bestätigt, so ist die Befreiung Ziff. 3 zur Tarifnummer 4 auf diese Briefe nicht anwendbar,"
in der Anlage des von dem Reichskanzler bei dem Bundesrate gestellten Antrages vom 15. Mai 1882, wie folgt, begründet wird.
"Der Königl. preußische Herr Finanzminister und das Königl. württembergische Staatsministerium der Finanzen haben solche Briefe, deren Inhalt durch das anliegende, der Entscheidung des ersteren zu Grunde liegende Muster erläutert wird, für stempelpflichtig und die Befreiung Nr. 3 zur Tarifnummer 4 für nicht anwendbar erklärt, weil sie nicht zu den Briefen über das Geschäft im Sinne jener Befreiung, bezw. nicht zur eigentlichen Handelskorrespondenz im Sinne der Motive, gehören: Sie entspringen offenbar der Absicht der Kontrahenten, zu Beweiszwecken ein besonderes, formuliertes Vertragsinstrument herzustellen. Ein solches ist aber nach allgemeinem Sprachgebrauche nicht zur eigentlichen Handelskorrespondenz zu rechnen; es würde auch über die Absicht des Gesetzes hinausgehen, wollte man auf die in Rede stehenden Briefe die Befreiung 3 anwenden. Jene Absicht geht dahin, dem Handelsstande, namentlich soweit er Warenhandel treibt, die Mühe und Kosten zu ersparen, welche erwachsen würden, wenn jeder Geschäftsbrief auf seine Stempelpflichtigkeit geprüft und zutreffenden Falles versteuert werden müßte. Deshalb ist der eigentlichen Handelskorrespondenz die ihr in den meisten namentlich auch in dem preußischen Stempelgesetze gewährte Befreiung zugestanden worden. Die Gründe treffen nicht mehr zu bei Briefen, welche formulierte Vertragsinstrumente enthalten und nach Abschluß des Geschäftes nur zu dem Zwecke ausgestellt werden, die mit dem Besitze eines solchen verbundenen Vorteile zu sichern. Die Besteuerung dieser Briefe entspricht auch der Praxis bei der Anwendung anderer, z. B. des preußischen Stempelgesetzes. Demgegenüber hat die Deputation für indirekte Steuern zu Hamburg die briefliche Bestätigung des Abschlusses einest nach brieflicher Behandlung mit einem auswärtigen Käufer vereinbarten Geschäftes allgemein für stempelfrei erklärt."
Zu bemerken ist, daß das dieser Ausführung beigefügte Muster zwei Schriftstücke wiedergiebt, von denen jedes in schematischer Form nichts enthält, als ein schematisch formuliertes Vertragsinstrument, in welchem absatzweise 1. der Kaufgegenstand (welcher in Kohlen bestand) nach Warenbeschaffenheit und Gewicht, 2. der Preis, 3. die Lieferzeit 4. endlich eine Stimulation über die Wirkung gewisser Störungen im Gruben- und Bahnbetriebe stipuliert sind. In dem einen Schriftstücke stipuliert der Verkäufer, in dem anderen der Käufer. Ersteres ist an den Käufer adressiert und von dem Verkäufer unterschrieben, letzteres ist an den Verkäufer adressiert und von dem Käufer unterschrieben. Vor diese Unterschriften ist das Wörtchen "Hochachtungsvoll" eingeschoben. Die Annahme der Stempelabgabeverpflichtung nach Tarif II. 4 lit. a ist bezüglich dieser Schriftstücke, trotz ihrer Beförderung auf eine Entfernung von mindestens 15 Kilometern, an sich gerechtfertigt, und zwar aus dem (dem Gesetze entsprechenden) Grunde, daß dieselben gar keine Briefe sind. Ein schematisch formuliertes Vertragsinstrument wird dadurch kein Brief, daß man vor die Vertragsunterschrift "Hochachtungsvoll" schreibt und das Vertragsinstrument unter der Adresse des Gegenkontrahenten mit der Post verschickt. Das scheint auch der Schwerpunkt des von dem Reichskanzler gemachten Vorschlages zu sein. Dafür spricht der im Vorschlage gebrauchte Ausdruck "die Geschäftsbedingungen schematisch zusammenstellende" und die prägnante Hervorhebung " des besonderen formulierten Vertragsinstrumentes" in der Begründung des Vorschlages. Insoweit die Begründung andere Momente enthält, aus welchen der Revisionskläger Konsequenzen für den vorliegenden Fall zieht, erscheint dieselbe nicht stichhaltig. In bezug auf die Art der Verwertung der Stelle der Begründung des Gesetzentwurfes, in welcher der Ausdruck " eigentliche Handelskorrespondenz" vorkommt und die angebliche Bedeutung dieses dem Gesetze fremden Ausdruckes zur Grundlage der Ausführung gemacht wird, ist bereits früher das Erforderliche gesagt. Der Hinweis auf die Praxis zum preußischen Stempelgesetze läßt sich für die Auslegung des Reichsstempelabgabengesetzes nicht verwerten, weil die gesetzliche Grundlage, auf welcher sich jene Praxis gestaltet hat, einen ganz von demjenigen des Reichsgesetzes verschiedenen Inhalt besitzt, namentlich eine gesetzliche Befreiungsbestimmung, wie diejenige des Reichsgesetzes, nicht enthält.
Daß ein Brief zu Beweiszwecken geeignet sei, widerspricht durchaus nicht dem Wesen eines Briefes, weder sprachgebräuchlich noch nach irgend einer Andeutung des Reichsstempelabgabengesetzes. Ebensowenig enthält das Gesetz irgend eine Grundlage dafür, daß das Bewußtsein oder auch die Absicht des Briefschreibers, dem Adressaten durch einen (sonst unter die Befreiungsbestimmung Nr. 3 zum Tarif II. 4 fallenden) Brief in bezug auf das betreffende Geschäft ein geeigneten Falls zum Beweise diensames Schriftstück zukommen zu lassen, diesen Brief so eigenschafte, daß auf ihn die Befreiungsbestimmung Nr. 3 nicht anwendbar sei. Das Entscheidende für die Urkundenstempelabgabepflicht und Befreiung ist die objektive in dem urkundlichen Ausdrucke ausgeprägte Eigenart des Schriftstückes im Verhältnisse zu den im Gesetze für seine Verstempelung und Befreiung gegebenen Kriterien. Das oben erwähnte Musterschriftstück war zu verstempeln, weil es die Kriterien eines Schriftstückes der im Tarif II. 4 lit. a gekennzeichneten Art urkundlich in sich trug und urkundlich kein Brief war, keineswegs aber deswegen, weil es urkundlich ein Brief, aber in der Absicht geschaffen war, als Beweisurkunde zu dienen. Nur könnte es sich fügen, daß, wenn der Briefsteller den Behelf aufstellte, "ich habe doch "Hochachtungsvoll" vor meine Unterschrift gesetzt und habe dadurch aus dem formulierten Vertragsinstrumente einen Brief gemacht," ihm (eigentlich nicht juristisch, aber ad hominem) entgegnet werden würde, "daß du die Absicht gehabt hast, auf diese Weise das Gesetz zu umgehen, ist möglich, aber das hilft dir nichts, weil eben ein Brief nicht hergestellt ist."
In bezug auf die im vorliegenden Falle erhebliche Verstempelung nach Tarif II. lit. b kann der von dem Reichskanzler vorgeschlagene Beschluß Nr. 8 und dessen Begründung unmittelbar gar nicht bezogen werden, da dieselben Fälle der Verstempelung nach Tarif II. 4 lit. a betreffen; mittelbar kann für den vorliegenden Fall nur eine Verallgemeinerung des nicht stichhaltigen Teiles der Begründung zu verwerten versucht werden. Der von dem Revisionskläger herangezogene, mit dein Antrage des Reichskanzlers nicht unmittelbar konnexe Beschluß des Bundesrates, "daß Briefe, in welchen der Aussteller bei Einsendung einer Rechnung erklärt, daß der Betrag derselben gutgeschrieben sei, als stempelpflichtig zu behandeln seien," beruht ersichtlich auf der Annahme, daß die bloße Eigenschaft der Beweiserheblichkeit, des Geeignetseins eines Briefes zum Beweise von Rechten oder Rechtsverhältnissen, auch wenn diese Rechte und Rechtsverhältnisse ein Geschäft der im Tarif II. 4 lit. a gekennzeichneten Art betrafen, nicht durch die Befreiungsbestimmung Nr. 3 vor der Stempelabgabepflicht geschützt seien. Daß solches unrichtig ist, geht aus den entwickelten Gründen hervor.
Auch der III. Strafsenat, des Reichsgerichtes hat in zwei Urteilen (von denen das erste vom 2. Mai 1883 Rep. 734/83 unter Nr. 94 des Bd. 8 der Entsch. des R.G.'s in Strafs. abgedruckt ist, das zweite vom 17. Dezember 1883 Rep. 2577/83 noch nicht abgedruckt ist) sich dahin entschieden, daß das Geeignetsein desjenigen Briefes, dessen Verstempelung in Frage stehe, zum Beweise von Rechten und Rechtsverhältnissen in bezug auf Geschäfte der im Tarif II. 4 lit. a gekennzeichneten Art zu dienen, die Anwendbarkeit der Befreiungsbestimmung Nr. 3 nicht ausschließe. In denselben Urteilen hat sich der damals erkennende Gerichtshof indessen der Ansicht zugeneigt, daß die Bestimmung des Briefes, eine Beweisurkunde zu schaffen, durch welche dem anderen Teile ein Beweismittel über Abschluß und Bedingungen des Geschäftes gewährt werden solle, die Anwendung der Befreiungsbestimmung Nr. 3 ausschließe. Namentlich ist in, dem zweiten Urteile ausgeführt, in den Fällen der Verstempelung nach Tarif II. 4a. schließe die Bestimmung des Schriftstückes, den Konsens über den Vertragsschluß zum Ausdrucke zu bringen, die Absicht nicht aus, mit demselben zugleich ein urkundliches Beweismittel über Abschluß und Vertragsbedingungen und damit die Vorteile einer beweiskräftigen Vertragsurkunde zu gewähren. Seien aber in einem Briefe beide Zwecke verfolgt, so verlasse derselbe das Gebiet derjenigen brieflichen Mitteilungen, welche das Gesetz, als zur eigentlichen Handelskorrespondenz gehörig, von der Abgabepflicht habe ausnehmen wollen. Der Brief werde dadurch sachlich zur Schlußnote, welche nach Anmerkung 3 zum Tarif II. 4 lit. a trotz der Briefform zu verstempeln sei. In beiden vorerwähnten Urteilen sind von diesen Gesichtspunkten aus die angegriffenen Urteile aufgehoben und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung unter Aufklärung aller für die bei der Abfassung der fraglichen Briefe vorgelegenen Absicht erheblichen Momente zurückverwiesen.
Wäre diesen Ausführungen beizupflichten, so könnte allerdings die Frage entstehen, ob nicht auch im vorliegenden Falle (obwohl es sich hier um die Anwendung der Verstempelung nach Tarif II. 4 lit. b in bezug auf einen Brief über eines der unter Tarif 4 lit. a gekennzeichneten Geschäfte handelt) das Berufungsurteil aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen sei, um (nötigen Falls unter Thätigung des Fragrechtes nach §. 130 C.P.O.) festzustellen, ob bei allen oder einzelnen der im Thatbestande erwähnten Briefe die Absicht der Absender obgewaltet habe, der Revisionsbeklagten eine Beweisurkunde über die Abwickelung der in Rede stehenden Geschäfte zu verschaffen. Es ist aber eine notwendige Konsequenz der oben eingehend entwickelten Auslegung der betreffenden Stellen des Reichsstempelabgabengesetzes, daß den betreffenden Ausführungen (deren Schwerpunkt in dem vorausgesetzten Begriffe " der eigentlichen Handelskorrespondenz" beruht, also auf einem nicht dem Gesetze, sondern den Gesetzes materialien entnommenen Momente, während die Bedeutung des Gesetzeswortes " Befreiungen" in dem oben erörterten Sinne nicht in dieser Weise in das Auge gefaßt ist, auch in der Praxis ein für die Beteiligten und die Stempelverwaltung in gleichem Maße zu steten Zweifeln Veranlagung gebender Zustand erzeugt werden würde) nicht beigepflichtet werden kann."
- 1. Vgl. die Gründe folgender Erkenntnisse:
a) des Oberappellationsgerichtes Lübeck nach Aktenversendung an die Juristenfakultät zu Jena vom 16. Oktober 1837 in Bruhn's Entscheidungen in Lübecker Rechtssachen Bd. 2 S. 238 flg., vom 6. April in Stadtländer und Lahusen, Sammlung der Entscheidungen in Bremischen Civilrechtssachen S. 252 flg,;
b) des Oberappellationsgerichtes Wolfenbüttel vom 4. April 1845 in Seuffert's Archiv Bd. 24 Nr. 38, vom 27. April 1875 ebendort Bd. 21 Nr. 179; c) des Oberappellationsgerichtes Oldenburg vom 29. Juni 1872 ebendort Bd. 27 Nr. 174; sowie Zachariä, Deutsches Staats- und Bundesrecht 3. Aufl. Teil 2 §§. 147-149 und die darin gegebenen Nachweise. - 2. S. u. Nr. 18 S. 93.
- 3. S. u. die Urteile des IV. und des III. Civilsenates unter Nr. 19 S. 83 und Nr. 20 S. 96.
- 4. Vgl. die Kommissionsprotokolle zum Gerichtsverfassungsgesetze S. 618 und zur Civilprozeßordnung S. 660.