RG, 03.01.1880 - V 59/79
Welche Wirkung hat die Löschung einer Hypothek, erfolgt unter den formalen Voraussetzungen des Gesetzes, aber aus einem falsch beurkundeten Grunde?
Gründe
"Auf dem Grundstücke des Beklagten stand eine Hypothek eingetragen, bei deren Aufgebot den Geschwistern C., darunter dem Kläger, die ihnen zustehenden Rechte vorbehalten wurden. Beklagter überreichte demnächst dem Grundbuchrichter beglaubigte Urkunden, inhalts welcher die bezeichneten Interessenten sämtlich die Löschung der aufgebotenen Post bewilligen, und erwirkte damit die Löschung.
In Wirklichkeit hat der Kläger die von ihm beurkundete Erklärung nicht abgegeben, sondern eine andere unberechtigte Person, welche betrügerischer Weise dem betreffenden Notar als der Kläger vorgestellt und als solcher rekognosciert worden ist.
Der Kläger hat sich als Miterbe der verstorbenen Witwe des eingetragenen Gläubigers legitimiert, die mit diesem in ehelicher Gütergemeinschaft gelebt hatte, und verlangt Wiedereintragung der gelöschten Hypothek.
Der Appellationsrichter hat ihn unter Abänderung der verurteilenden ersten Entscheidung mit diesem Anspruche abgewiesen. Er führt aus, daß durch die in formell gültiger Weise erfolgte Löschung das Hypothekenrecht aufgehoben worden sei. Die dagegen erhobene Revisionsbeschwerde... mußte auch materiell für begründet erachtet werden.
Obwohl der Kläger nur Miterbe ist, so hatte er doch als solcher ein individuelles Recht, der Löschung der Hypothek in ihrem ganzen Umfange zu widersprechen. Dieses Recht ist ihm durch den Verklagten entzogen worden und er hat deshalb nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen (A.L.R. Einleit. §. 93 und I. 15 §. 3) einen diesem Rechte entsprechenden Anspruch gegen den Beklagten auf Wiederherstellung des beseitigten Rechtes, ohne daß es auf ein Verschulden des Beklagten ankommt. Der Appellationsrichter irrt, wenn er der Ansicht ist, es sei ein solcher Anspruch ausgeschlossen durch die von ihm angezogenen, das Hypothekenrecht betreffenden besonderen Gesetzesvorschriften. Bei Auslegung derselben ist nach allgemeiner Interpretationsregel davon auszugehen, es bedürfe zwingender, jede andere Deutung ausschließender Bestimmungen, um daraus eine Ausnahme von dem selbstverständlichen Satze zu entnehmen, daß die an den Willen des Berechtigten geknüpfte Aufgabe eines Rechtes nur durch eine wirkliche Willenserklärung des Berechtigten und nicht durch die eines Unberechtigten erfolgen könne.
Derartige Bestimmungen sind nicht vorhanden. Der Appellationsrichter beruft sich auf §. 57 des Grunderwerbsgesetzes vom 5. Mai 1872, §§. 94, 118 der Grundbuchordnung von demselben Tage, A.L.R. I. 20. §§. 524, 526. Von diesen Gesetzesstellen bestimmt §. 57 a. a. O., daß das Hypotheken- und Grundschuldrecht "nur" durch Löschung aufgehoben werde, ohne über die Bedingungen der Löschung zu disponieren. Der §. 94 a. a. O., welcher sich mit diesen Bedingungen befaßt, regelt dieselben, seiner Stellung in der Grundbuchordnung gemäß, nur in formaler Beziehung als Anweisung für das Verfahren des Grundbuchrichters. Der §. 118 daselbst betrifft den Fall der durch ein Versehen des Grundbuchrichters erfolgten Löschung und bestimmt, daß durch die Wiedereintragung die inzwischen von gutgläubigen Dritten erworbenen Rechte nicht beeinträchtigt werden sollen. Endlich lauten die betreffenden Bestimmungen des A.L.R.'s I. 20:
- §. 524. Durch eine gehörig erfolgte Löschung wird das dingliche Recht des Gläubigers aufgehoben, auch wenn der Anspruch selbst, für welchen es bestellt worden, noch nicht getilgt wäre.
- §. 526. Ist die Löschung einer eingetragenen Post zur Ungebühr erfolgt, so verliert zwar der Gläubiger dadurch noch nicht sein aus der Eintragung erhaltenes dingliches Recht.
Der Appellationsrichter und mit ihm Koch (Kommentar zum A.L.R. I. 20 §. 526, Note 53), Förster (Theorie und Praxis Bd. 3 §. 200) und das preußische Obertribunal (Präjudiz 324, Entscheidung vom 11. August 1837; vgl. Rönne's Ergänzungen zu §. 524 a. a. O.) wollen den in diesen Paragraphen gebrauchten Worten nur eine formale Beziehung geben und verstehen unter einer gehörig erfolgten Löschung eine solche, die auf Grund der beigebrachten Dokumente nach formalem Rechte erfolgen durfte. Der einzige Grund, welcher dafür angeführt wird, ist der gewöhnliche Sprachgebrauch der Worte "gehörig" und "ungebührlich". Für das Allgemeine Landrecht, worauf es hier ankommt, kann ein solcher Sprachgebrauch mit dem Sinne, welchen der Appellationsrichter hineinlegt, nicht anerkannt werden. Es genügt auf die §§. 292 und 393 I. 5, in welchen von einer nicht gehörig geleisteten Vertragserfüllung, und auf §. 150 I. 7 zu verweisen, in welchem von einer Besitzstörung zur Ungebühr die Rede ist, Stellen, welche eine bloß formale Beziehung der betreffenden Worte durchaus ausschließen.
Ein ausreichender Grund für die Ansicht des Appellationsrichters ist aber überhaupt auch nicht zu finden. Er könnte nur gesucht werden in der Rücksicht, welche der Glaube an die Nichtigkeit des Grundbuches erfordert. Dieser Glaube kann in Frage kommen für alle, welche nach der zu Unrecht erfolgten Löschung Rechte erwerben, niemals aber zwischen dem durch die Löschung beeinträchtigten Gläubiger und dem, welcher das verpfändete Grundstück besaß, zur Zeit der Löschung. Diese haben nicht auf den Glauben des Hypothekenbuches, sondern auf den Glauben an die Richtigkeit einer Erklärung gehandelt, welche von einer Privatperson vor einem öffentlichen Urkundsbeamten abgegeben worden ist. Ebensowenig wie der Schuldner, welcher auf eine falsche, wenn auch in öffentlicher Urkunde erklärte Quittung zahlt, von seiner Verbindlichkeit frei wird, kann dies hier bezüglich der hypothekarischen Verpflichtung der Fall sein."