RG, 03.01.1884 - I 490/83
1. Wann ist bei einem nach Grund und Betrag streitigen Klaganspruche über den Grund "vorab" entschieden?1
2. Ist ein Berufungsurteil, durch welches ohne Rechtsverletzung der Anspruch an sich für begründet erklärt, aber unter rechtsirrtümlicher Anwendung des §. 500 Ziff. 3 C.P.O. die Sache zur Entscheidung über den Betrag des Anspruches in die erste Instanz zurückverwiesen ist, ganz oder nur in dem letzteren Punkte vom Revisionsgerichte aufzuheben?
Gründe
1.
... "Der erste Richter hat die Klägerin mit der erhobenen Klage abgewiesen, weil ein Zuwiderhandeln der Beklagten gegen die Vorschrift des §. 120 Gew.O. nicht vorliege der Schadensanspruch der Klägerin daher der rechtlichen Begründung entbehre. Nach dem Thatbestande ist auch über die streitige Höhe des klägerischen Entschädigungsanspruches verhandelt, und davon, daß der erste Richter von der ihm durch §. 276 Abs. 1 C.P.O. erteilten Befugnis, über den Grund des Klaganspruches vorab zu entscheiden, habe Gebrauch machen wollen, findet sich weder in dem ersten Urteile noch in den Verhandlungsprotokollen oder sonstwo irgend eine Spur. Der Berufungsrichter hält aber den Fall des §. 276 a. a. O. und der sich hieran anschließenden Bestimmung des §. 500 Ziff. 3 C.P.O. schon dadurch für gegeben, daß der erste Richter den seinem Grunde und Betrage nach streitigen Anspruch für unbegründet erklärt hat, da stets "vorab" entschieden sei, wenn von zwei zu entscheidenden Fragen die eine für die andere maßgebend sei und zunächst nur die maßgebende Frage entschieden werde. Da dies sich schon aus dem Urteile selbst ergebe, sei der Vorbehalt einer Entscheidung auch der anderen Frage für den Fall der Abänderung des Urteiles in höherer Instanz in den Gründen nicht erforderlich; die Notwendigkeit eines solchen folge aus dem Wortlaute des Gesetzes nicht, und die durch die Abänderung des Urteiles in höherer Instanz nötig werdende nachträgliche Entscheidung sei keine dem ersten Richter ohne den Vorbehalt verloren gehende Befugnis, sondern eine in der Sache liegende Notwendigkeit, welche immer und auch dann eintrete, wenn der erste Richter nicht daran gedacht habe, daß seine Entscheidung in höherer Instanz abgeändert und der Klaganspruch für begründet erachtet werden könne. Eventuell führe bei einer Zweifelhaftigkeit des Wortlautes die der grammatischen vorzuziehende logische Interpretation des Gesetzes zu demselben Resultate, da kein Grund ersichtlich sei, weshalb der Gesetzgeber die Zurückverweisung der Sache in die erste Instanz von einem Vorbehalte des ersten Richters hätte abhängig machen wollen, vielmehr die sachgemäße Erledigung des Rechtsstreites durch die entgegenstehende Auslegung der betreffenden Bestimmungen seitens des Reichsgerichtes in hohem Grade gehindert werde und die Vorschrift des §. 500 Ziff. 3 C.P.O. dem Bedürfnisse der Rechtspflege nur dann entspreche, wenn sie dahin verstanden werde, daß dem Berufungsgerichte die Befugnis, die Sache zur nachträglichen Entscheidung über den streitigen Betrag des Anspruches in die erste Instanz zurückzuweisen, auch dann gegeben ist, wenn der erste Richter sich bei der gänzlichen Abweisung des Klaganspruches nicht vorbehalten hat, für den Fall der Abänderung seiner Entscheidung nachträglich die Höhe der Forderung seinerseits festzustellen.
Diese Ausführung ist jedoch rechtsirrtümlich und zu der damit bezweckten Widerlegung der diese Frage betreffenden Entscheidungen des Reichsgerichtes nicht geeignet. Denn der §. 276 C.P.O. stellt allerdings (wie bereits in den Entsch. des R.G.'s in Civilsachen Bd. 8 S. 360 flg. ausgeführt ist) keine andere Voraussetzung einer solchen Entscheidung auf, als daß der betreffende Anspruch nach Grund und Betrag streitig ist, und er macht daher die Befugnis des Gerichtes, über den Grund des Anspruches vorab zu entscheiden, nicht von der formellen Voraussetzung einer desfallsigen der Entscheidung vorausgegangenen Beschlußfassung abhängig. Wenn aber - wie, im vorliegenden Falle - das Urteil den Anspruch für unbegründet erklärt und es deshalb unterläßt, über den Betrag desselben zu entscheiden, so läßt sich aus dem Urteile selbst nicht ersehen, daß "vorab", d. h. vorläufig und vorbehaltlich späterer Entscheidung über den Betrag, nur über den Grund des Anspruches entschieden ist, daß also das Gericht von der ihm durch §. 276 C.P.O. nur erteilten Befugnis, statt eines Endurteiles ein Zwischenurteil zu erlassen, hat Gebrauch machen wollen. Äußerlich stellt sich vielmehr die Entscheidung als ein den Anspruch nach allen Seilen erledigendes Endurteil dar, während die Sache sich anders verhalten und die Entscheidung als ein nach §. 276 C.P.O. ergangenes Zwischenurteil nur über den Grund des Anspruches erscheinen würde, wenn zuvor ein Beschluß, daß vorab nur über den Grund des Anspruches entschieden werden solle, verkündet worden wäre; nur dies hat auch in den verschiedenen früheren Entscheidungen des Reichsgerichtes, welche einen entsprechenden vorherigen Beschluß für erforderlich erklären, ausgesprochen werden sollen. Die Ansicht des Berufungsrichters, daß im Sinne der §§. 276. 500 Ziff. 3 C.P.O. stets schon dann anzunehmen sei, es sei "vorab" über eine Frage entschieden, wenn diese für eine andere ebenfalls streitige Frage maßgebend ist, trifft einer Entscheidung gegenüber, welche sich in der Urteilsformel als ein die Hauptsache - den ganzen Rechtsstreit - endgültig erledigendes Endurteil darstellt, nicht zu. Daß, wenn die maßgebende Frage anders zu entscheiden wäre, bezw. noch weitere Fragen zu entscheiden sein würden, wozu jetzt kein Bedürfnis vorhanden ist, erscheint hierbei als unerheblich. Wenn sodann der Berufungsrichter an die Äußerung des Reichsgerichtes, aus einem Urteile, welches den Anspruch für unbegründet erklärt und deshalb über den Betrag desselben nicht entscheidet, lasse sich an sich nicht erkennen, daß "vorab", d. h. vorläufig und vorbehältlich späterer Entscheidung über den Betrag, nur über den Grund des Anspruches entschieden sei, den Einwurf knüpft, daß ein solcher Vorbehalt des ersten Richters nach dem Wortlaute des Gesetzes nicht vorgeschrieben, und daß die durch die Abänderung des Urteiles in höherer Instanz nötig werdende nachträgliche Entscheidung über den Betrag des Anspruches nicht etwa als eine dem ersten Richter durch die Unterlassung des Vorbehaltes verloren gehende Befugnis anzusehen, sondern eine in der Natur der Sache liegende Notwendigkeit sei, welche auch dann eintrete, wenn der erste Richter an den Fall einer Abänderung seines Urteiles nicht gedacht habe, so ist an dieser Argumentation nur richtig, daß das Gesetz dem Gerichte, wenn dieses eine Entscheidung in Gemäßheit des §. 276 C.P.O. treffen will, nicht vorgeschrieben hat, einen solchen Vorbehalt in den Gründen auszusprechen. Dies hat aber das Reichsgericht auch keineswegs angenommen, sondern es verlangt nur die Erkennbarkeit der Absicht, nicht ein Endurteil nach Maßgabe von §. 272 C.P.O. zu erlassen und vielmehr vorab nur über den Grund des Anspruches zu entscheiden, welche Absicht sich z. B. auch aus einer in Gemäßheit des §. 137 C.P.O. verfügten Beschränkung der Verhandlung der Parteien auf den Grund der Klage ergeben würde. Die Erkennbarkeit dieser Absicht ist aber nicht überflüssig, da nach §. 272 C.P.O. das Gericht, welches den Anspruch überhaupt für unbegründet und deshalb den Rechtsstreit, ohne daß es noch eines Eingehens auf den Betrag des Anspruches bedarf, für zur Endentscheidung reif erachtet, an sich eine solche Endentscheidung zu erlassen verpflichtet und daher auch im Zweifel anzunehmen ist, daß dies geschehen sei. Ist aber ein Endurteil erlassen, hat also das Gericht nicht daran gedacht, von der Befugnis des §. 276 C.P.O. Gebrauch machen zu wollen, so ist es nicht eine in der Natur der Sache liegende Notwendigkeit, daß bei einer Änderung des Urteiles in der Berufungsinstanz nunmehr der erste Richter die erforderliche weitere Entscheidung über den Betrag des Anspruches zu treffen hat, sondern es hat umgekehrt nach dem durch §. 499 C.P.O. der Berufung im Prinzipe beigelegten weitgehenden Devolutiveffekte das Berufungsgericht auch über die streitige Höhe des Anspruches zu entscheiden, sobald keiner der Ausnahmefälle des §. 500 C.P.O. vorliegt.
Wenn aber, wie es auch die Auffassung der Motive des Entwurfes2 ist, durch den §. 276 C.P.O. dem Gerichte nur eine Befugnis hat gewährt werden sollen, die Vorfrage, ob der Anspruch begründet ist, durch Vorabentscheidung, d. h. unter vorläufiger "Ausscheidung" des Betrages des Anspruches als Gegenstand des Streites3 zum Gegenstande eines besonderen, einem sofortigen Angriffe unterliegenden Urteiles zu machen, so ist nicht abzusehen, weshalb bei "logischer" Interpretation das Gesetz nicht auch die hiermit in untrennbarem Zusammenhange stehende Frage der Zurückverweisung in die erste Instanz von dem Willen des ersten Richters, vorab über die Vorfrage oder endgültig zu entscheiden, habe anhängig machen sollen. Ob, wie der Berufungsrichter meint, bei dieser Auslegung die "sachgemäße" Erledigung des Rechtsstreites gehindert wird und der §. 500 Ziff. 3 C.P.O. nur dann dem "Bedürfnisse" der Rechtspflege entspricht, wenn das Berufungsgericht befugt ist, die Entscheidung über den Betrag stets in die erste Instanz zurückzuverweisen, sobald der erste Richter den auch dem Betrage nach streitigen Anspruch als unbegründet abgewiesen hat, ohne sich über den Betrag auszusprechen, ist dem klaren Wortlaute und Willen des Gesetzes gegenüber unerheblich. Aus dem Satze in den Motiven zu §. 276 a. a. O.: "Wird der Anspruch für unbegründet erklärt, so ist das Urteil ein wahres Endurteil, anderenfalls hat es die Natur des Zwischenurteiles mit der Besonderheit der sofortigen Anfechtbarkeit durch Rechtsmittel", ließe sich vielmehr umgekehrt eher die Ansicht herleiten, daß in dem hier vorliegenden Falle eine Vorabentscheidung im Sinne des §. 276 a. a. O. überhaupt nicht statthaft sei, das Gericht vielmehr, ungeachtet der Beschränkung der Verhandlung, auf den Grund der Klage ein Endurteil abgeben müsse, und demnach auch der Fall des §. 500 Ziff. 3 C.P.O. nur dann gegeben sei, wenn durch das angefochtene Urteil der Anspruch an sich vom ersten Richter für begründet erklärt, über den Betrag desselben aber noch nicht entschieden ist.4
Die Reichstagskommission scheint freilich, wie die von ihr (vgl. Protokolle S. 97. 98) beschlossene Einschaltung der Worte "wenn der Anspruch für begründet erklärt ist" in dem zweiten Absatze des §. 276 a. a. O. sowie die desfallsige Verhandlung ergiebt, diese Auffassung nicht geteilt zu haben.
Ganz mißverständlich ist es ferner, wenn der Berufungsrichter aus den Motiven zu §. 499 C.P.O. (S. 309) deduzieren will, daß in einem Falle der vorliegenden Art, d. h. wo ohne eine Vorabentscheidung über den Grund der Klage der Anspruch in erster Instanz verworfen war, das Berufungsgericht nicht berechtigt sei, die Höhe der Forderung seinerseits festzustellen, da es sich nicht um die Würdigung einzelner Angriffs- und Verteidigungsmittel, sondern um eine Entscheidung über den Umfang des Anspruches selbst handele. Denn aus den Motiven geht gerade klar hervor, daß ausnahmslos der gesamte Prozeßstoff, soweit in Gemäßheit der Anträge vor dem Berufungsrichter eine Verhandlung erforderlich ist, der Entscheidung des zweiten Richters unterliegt. Die dabei vom Berufungsrichter ausgesprochene Ansicht, daß der zweite Richter über den Betrag des Anspruches nur als solcher, d. h. nur dann, wenn auch eine Entscheidung des ersten Richters darüber vorliege, entscheiden dürfe, ist ebenso rechtsirrtümlich, da nach der Civilprozeßordnung ein Anspruch der Parteien darauf, daß über alle Streitpunkte auch in erster Instanz entschieden werde, keineswegs existiert. Daß die tatsächlichen Feststellungen des zweiten Richters sonst unangreifbar sein würden, kann daher als Gegenargument nicht geltend gemacht werden. Irrtümlich ist es auch, wenn der Berufungsrichter in Anknüpfung an die Bemerkung in Bd. 5 S. 413 der Entsch. des R.G.'s in Civilsachen, daß nach §. 276 vgl. mit §. 485 C.P.O. auch das Berufungsgericht befugt sein würde, zunächst nur über den Grund des Anspruches ein dem Kläger günstiges Urteil zu erlassen, ohne die Sache im übrigen in die erste Instanz zurückzuverweisen, die Ansicht ausspricht, daß damit der Prozeß zu Ende sein und es zur Feststellung des Betrages einer neuen Klage bedürfen würde. Vielmehr erscheint es selbverständlich, daß der eine solche Entscheidung als Zwischenurteil erlassende Berufungsrichter nachträglich, und zwar in demselben Rechtsstreite, auch das Endurteil über den Betrag zu erlassen hat.
2.
Wegen der hiernach mit Recht von der Beklagten gerügten Verletzung der gedachten prozessualen Bestimmungen ist aber das angefochtene Urteil nur insoweit aufzuheben, als es die Sache zur Ermittelung des streitigen Betrages der Klageforderung in die erste Instanz zurückgewiesen hat, und ist deshalb die Sache an das Berufungsgericht auch nur insoweit zurückzuverweisen, als dieses nach anderweiter Verhandlung auch über den Betrag der Klageforderung noch seinerseits zu entscheiden hat.
Die gleichzeitige Entscheidung, daß der Anspruch an sich begründet sei, erscheint als eine ihrem Inhalte nach trennbare, und es ist im vorliegenden Falle die Zurückweisung der Revision in Ansehung dieses Teiles der Entscheidung geboten, mag man denselben als eine Zwischenentscheidung oder als eine Endentscheidung ansehen. Denn im ersteren Falle würde die Revision (da die Voraussetzung einer in Gemäßheit des §. 276 vgl. mit §. 485 C.P.O. getroffenen Entscheidung dem obigen zufolge nicht vorliegt) nach §. 507 vgl. mit §. 510 C.P.O. unstatthaft, im zweiten Falle aber würde sie nach §. 511 C.P.O. unbegründet sein, da (wie im ersten Teile dieser Gründe ausgeführt ist) das angefochtene Urteil insoweit, als es die Entschädigungsforderung der Klägerin an sich für begründet erachtet, nicht auf einer Gesetzesverletzung beruht."