RG, 13.01.1880 - III 125/79

Daten
Fall: 
Dienstbarkeit durch Ersitzung und Benutzung eines Weges
Fundstellen: 
RGZ 1, 101
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
13.01.1880
Aktenzeichen: 
III 125/79
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • KreisG Neuwied
  • Justizsenat Ehrenbreitstein

Ersitzung eines Fahrtrechts. Bedeutung der Rechtsregel: "tautum praescriptum, quantum possessum". Beweislast hinsichtlich etwaiger Besitzesfehler. Wird durch außergerichtlichen Widerspruch des Eigentümers des dienenden Grundstückes gegen die Ausübung der Dienstbarkeit der Verjährungsbesitz unterbrochen?

Gründe

"Nach der tatsächlichen Feststellung des Appellationsrichters hat der Beklagte vollen Beweis dafür erbracht, daß er das in Anspruch genommene Dungfahrtrecht über des Klägers Wiese mindestens von Beginn des Jahres 1867 an bis zum Jahre 1877 ausgeübt habe, andererseits aber auch der Kläger dargethan, daß er im Jahre 1874 den Beklagten bei dem Überfahren über die Wiese betroffen und demselben die fernere Ausübung der Dungfahrten untersagt habe. Der Appellationsrichter findet nun, obwohl der Beklagte dieses Verbot nicht beachtete, vielmehr seinen Weg über des Klägers Wiese fortsetzte, in der Einsprache des Klägers eine zur Unterbrechung der Ersetzung jener Dienstbarkeit geeignete Handlung des Eigentümers des dienenden Grundstückes und erkennt auf den Reinigungseid des Klägers darüber, daß der Verjährungsbesitz des Beklagten nicht schon im Jahre 1864 begonnen habe, weil der letztere für diese von ihm behauptete frühere Ausübung des Dungfahrtrechtes einigen Beweis beigebracht habe, und im Falle der Wahrheit dieses Vorbringens das Verbot des Klägers mit Rücksicht auf die bereits mit Ablauf des Jahres 1873 eingetretene Vollendung der zehnjährigen Verjährungszeit wirkungslos erscheine.

Die von dem Beklagten gegen dieses Erkenntnis verfolgte Nichtigkeitsbeschwerde konnte für begründet nicht erachtet werden.

Mit Unrecht rügt nämlich Beklagter zunächst Verletzung der Grundsätze über die Beweislast.

Bei dem Erwerbe einer Dienstbarkeit durch Ersitzung richtet sich der Umfang des Rechtes nach der tatsächlichen Ausübung innerhalb der Verjährungszeit, und es kann namentlich aus der Benutzung eines Weges für einen bestimmten Zweck und zu einer bestimmten Zeit nicht schlechthin gefolgert werden, daß dessen Gebrauch für andere Zwecke und zu anderen Zeiten, soweit es immer die Kultur und natürliche Beschaffenheit des herrschenden Grundstückes mit sich bringt, gestattet sei. Es muß daher derjenige, welcher eine Wegegerechtigkeit durch Ersitzung in einem weiteren Umfange erworben haben will, als der Eigentümer des dienenden Grundstückes zugesteht, den Nachweis dieses Rechtes wenigstens insoweit zu führen, als nicht dessen Inhalt gesetzlich geregelt ist.

Im vorliegenden Falle ist in dem Rechte, Heu- und Grummetfahrten im Sommer und Herbste zu Gunsten des herrschenden Grundstückes über des Klägers Wiese vorzunehmen, die Befugnis, Düngerfuhren im Winter und Frühjahre über letztere zu führen, umsoweniger enthalten, als Dienstbarkeiten nicht erschwert werden dürfen, 1. 20 §. 5 Dig. de praed. urb. 8, 2, Düngerfahrten aber offensichtlich eine Mehrbelastung des dienenden Grundstückes mit sich bringen.

Dem steht das von dem Imploranten als verletzt bezeichnete I. 9 Dig. de servit. 8, 1 nicht entgegen, da diese Gesetzesstelle nur von dem Falle redet, wenn jemandem die Dienstbarkeit des Fahrweges durch Vertrag oder letztwillige Verfügung "ohne genaue Bestimmung" bestellt worden ist; dann soll das Fahrtrecht ohne Einschränkung, d. h. über jeden Teil des dienenden Grundstückes ausgeübt werden dürfen. Es wird also hier des Erwerbes eines Fahrtrechtes durch Ersitzung so wenig, wie der Ausdehnung desselben auf andere Kulturzwecke gedacht. Allerdings ist, wenn der Beweis des Umfanges des Fahrtrechtes gefordert wird, dies nicht so zu verstehen, daß der Besitzer des herrschenden Grundstückes zum Nachweise des Erwerbes des Rechtes durch Ersitzung für jeden einzelnen Fall, in welchem die Benutzung des Weges nötig wird, besondere Besitzeshandlungen darlegen müßte; es hängt vielmehr der Umfang der Dienstbarkeit jedesmal von der Beschaffenheit dieser Besitzeshandlungen, überhaupt von den Umständen ab. Allein wenn, wie hier, der Appellationsrichter auf Grund der Beweisführung beider Teile sich für den geringeren Umfang des Fahrtrechtes entscheidet, so kann diese Beweiswürdigung nicht mit der Nichtigkeitsbeschwerde angefochten werden.

Implorant sucht endlich jene Rüge durch Bezugnahme auf 1. 10 pr. Dig. si servit. vind. 8, 5; 1. 1 Cod. de servit. et aqua 3, 34 zu rechtfertigen. Soweit diese Stellen hierher gehören, schreiben sie vor, daß derjenige, welcher die konfessorische Klage anstelle, darthun müsse, daß er die Verjährungszeit hindurch die Servitut weder gewaltsam, noch heimlich, noch bittweise ausgeübt habe; sie sprechen also ihrem Wortlaute nach gerade gegen den Imploranten. Indessen kann nach allgemeinen Grundsätzen über die Beweislast, mit denen die angeführten Gesetze nach richtiger Auslegung nicht in Widerspruch stehen, nur verlangt werden, daß die vom Ersitzenden im Rechtsstreite nachgewiesenen Besitzeshandlungen nicht als gewaltthätige, heimliche oder bittweise ausgeübte erscheinen, so zwar, daß der Beweis des Vorhandenseins dieser Besitzesfehler vom Gegner im Gegen- oder Einrede-Beweise zu erbringen ist. Damit wären die Entscheidungsgründe des Appellationsrichters insofern nicht in Einklang, als solche aussprechen: "es habe Beklagter zum Beweise der Ersitzung des fraglichen Dungfahrtrechtes nachzuweisen, daß er solches während zehn Jahren vor 1877 weder gewaltsam, noch heimlich, noch bittweise exerciert habe." Hierin ist jedoch ein Verstoß gegen die Regeln über die Beweislast um deswillen nicht zu finden, weil der Appellationsrichter diesen Nachweis an sich für geführt erachtet und nur zur Gegenbeweisführung des Klägers erkennt, daß dieser die Fehlerhaftigkeit des Rechtsbesitzes des Beklagten dargethan habe. In der That geht mithin auch die vorige Instanz davon aus, daß der positive Beweis vorhandener Besitzesmängel dem Gegner desjenigen obliege, welcher sich auf die Ersitzung der Dienstbarkeit berufe.

Materiell greift der Implorant das Appellationsgerichtserkenntnis an, weil dasselbe die l. 1 §. ult. I. 2 et 6 Dig. de itinere actuque priv. 43, 19; 1. 2 Cod. de servit. et aqua 3, 34, sowie den dahin formulierten Rechtssatz verletze:

"daß durch eine unwirksame Untersagung der Ausübung der Servitut weder deren Besitz aufgehoben, noch deren Erwerb durch Verjährung unterbrochen werde."

Nun ist es zwar unter den Rechtslehrern und in der Rechtsprechung der Gerichte bestritten, ob ein bloßer außergerichtlicher Widerspruch gegen die Ausübung einer angesprochenen Dienstbarkeit (eines Fahrtrechtes), sei es überhaupt, sei es insbesondere dann, wenn der Eigentümer des herrschenden Grundstückes sich selber durch Fortsetzung der Besitzeshandlung unter den Augen des Widersprechenden schützt, den Verjährungsbesitz unterbreche. Der bejahenden Ansicht ist jedoch der Vorzug zu geben.

Es liegt kein innerer Grund vor, die Begriffsbestimmungen der Gewalt (vis), wie solche in den Gesetzen, z. B. l. 1 §. 4-9. l. 20 §. 1 Dig. quod vi aut clam 43, 24 bei der auf Wiederherstellung des früheren gewaltsam oder heimlich gestörten Zustandes eines Grundstückes gerichteten Klage (dem interdictum quod vi) gegeben wird, auf dieses Interdikt zu beschränken oder gar anzunehmen, daß die Gewalt (vis) bei der Servitutenersitzung eine andere Bedeutung habe, als bei jenem Interdikte. Auch wird das Untersagen des Gebrauches einer Wasserleitung als zur Unterbrechung der Ersetzung dieser Servitut dienlich gerade in der von dem Imploranten angezogenen l. 2 Cod. 3, 34 aufgeführt. Dazu kommt, daß sich derjenige, welcher des eingelegten Widerspruches ungeachtet die Ausübung der Servitut fortsetzt, zwar in deren Besitz sich schützt, daß aber dieser Besitz immerhin ein fehlerhafter bleibt und deshalb nicht zum Erwerbe der Dienstbarkeit durch Ersitzung führen kann. Es ist daher ganz nach den Grundsätzen des gemeinen (römischen) Rechtes über das zum Schutze im Besitze einer Wegegerechtigkeit eingeführte Rechtsmittel (das interdictum de itinere actque privato), insbesondere nach l. 1 §. 12 l. 2, 6 Dig. 43, 19 zu unterscheiden, ob die Ersitzung der Dienstbarkeit schon vollendet war, als der Einspruch erfolgte, oder ob diese Störung in der Ausübung der Servitut noch in die zehnjährige Ersitzungszeit fällt.

Der Appellationsrichter ist danach bei seiner Entscheidung auch sachlich von richtigen Grundsätzen ausgegangen."