RG, 16.01.1880 - II 180/79

Daten
Fall: 
Verjährung eines Anspruchs auf Schadensersatz
Fundstellen: 
RGZ 1, 40
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
16.01.1880
Aktenzeichen: 
II 180/79
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • Kreis- und Hofgericht Karlsruhe, Civilkammer.
  • Appellationssenat desselben Gerichtshofes

Ist eine in §. 1 des Reichsgesetzes von 7. Juni bezw. Landrechtssatz 1384 begründete Klage verjährt, obgleich der Unfall sich vor Verkündung des Reichsgesetzes zugetragen und der dadurch verursachte Schaden (Krankheit) sich erst nach Verkündung des Reichsgesetzes herausgestellt hat?1

Tatbestand

Im November 1878 erhob Kläger eine Klage auf Schadensersatz mit der Behauptung, daß er mehrere Jahre vor 1871 beim Zusammenstoße zweier Eisenbahnzüge, welcher durch ein Verschulden der Beamten des Beklagten verursacht worden, verletzt worden sei und sich erst im Jahre 1877 infolge dieser Verletzung ein unheilbares Ohrenleiden kund gegeben habe. -- Die Klage ist auf Grund der §§. 8 und 9 des Gesetzes vom 7. Juni 1871 als verjährt abgewiesen worden aus folgenden Gründen:

Gründe

"Der Oberappellant bestreitet den in Wissenschaft und Rechtsprechung anerkannten Grundsatz nicht, daß Gesetze, welche die Verjährung neu regeln, im Zweifel auch auf früher entstandene Ansprüche in Anwendung zu bringen seien, sofern nur im Falle der Abkürzung die kürzeren Fristen erst von dem Zeitpunkte an gerechnet werden, wo das neue Gesetz in Kraft trat, er würde demnach die Anwendung des Reichsgesetzes auf den vorliegenden Fall wohl dann nicht bekämpfen, wenn das Ereignis, durch welches die Verletzung des Klägers herbeigeführt worden ist, vor dessen Inkrafttreten sich zugetragen hätte, und wenn zugleich ebenfalls vor diesem Zeitpunkte die schädlichen Folgen hervorgetreten wären; er bestreitet dagegen die Anwendbarkeit des neuen Gesetzes für den Fall, wenn der Schaden erst unter der Herrschaft des neuen Gesetzes erkennbar geworden ist.

Für diesen letzteren Fall soll also die Lage des Klägers eine günstigere sein, als sie dann sein würde, wenn das beschädigende Ereignis sich unmittelbar nach der Verkündung des neuen Gesetzes zugetragen und dessen Erfolg sich erst nach Ablauf der in diesem Gesetze bestimmten Verjährungszeit gezeigt hätte.

Es unterliegt nämlich keinem Zweifel, daß, wenn der Unfall, durch welchen der Kläger beschädigt worden, infolge des in der Klage dargestellten Verschuldens sich sofort nach dem Inkrafttreten des Reichsgesetzes zugetragen haben würde, die Klage in Gemäßheit des Abs. 1 des §. 9 dieses Gesetzes entweder auf dessen §. 1 oder auf die Landrechtssätze 1383, 1384 gestützt werden konnte, daß aber auch nach Abs. 2 des §. 9, welcher den §. 8 in seinem vollen Umfange für die landrechtliche Klage anwendbar erklärt, dieselbe am 9. November 1878 verjährt gewesen wäre, obgleich die schädlichen Folgen des Unfalles beziehungsweise des Verschuldens erst im Jahre 1877 bemerkbar geworden sind.

Es fehlt aber an einem inneren Grunde, die Verjährung für den Kläger im einen Falle günstiger zu beurteilen als im anderen, beziehungsweise im einen Falle die aus dem neuen Gesetze sich ergebende Konsequenz, daß ein Klagerecht verloren sein kann, obgleich der Schaden nicht bemerkbar gewesen ist, und daher noch nicht auf dessen Ersatz geklagt werden konnte, anzuerkennen, im anderen Falle aber diese Folge des neuen Principes abzulehnen.

Bei diesem neuen Principe tritt der sonst bei der Verjährung maßgebende Gesichtspunkt der Versäumnis hinter der Absicht des Gesetzgebers zurück, für Fälle dieser Art wegen der Schwierigkeit, des Beweises und aus anderen Rücksichten dem Klagerecht ein kurzes Ziel zu setzen.

Damit erledigt sich auch das etwaige Bedenken, daß dem Kläger, so lange er seine Verletzung noch nicht in ihrem vollen Umfange kennt, keine Säumnis in Erhebung der Klage vorgeworfen werden könne, denn, wie gezeigt, ist das Klagerecht auch ohne Säumnis des Verletzten nach Ablauf der kurzen Frist erloschen, wenn sich der Unfall unter der Herrschaft des neuen Gesetzes zugetragen, dessen schädliche Folge aber erst nach längerer Zeit sich gezeigt hat.

Die Anwendung des neuen Gesetzes in seiner vollen Schärfe auf Unfälle, welche sich vor demselben zugetragen haben, rechtfertigt sich auch aus der Bestimmung des Landrechtsatzes 2b, denn so lange die schädliche Folge des Ereignisses nicht eingetreten war, für den Kläger also blos die rechtliche Erwartung bestand, Klage führen zu können, wenn solches eintreten werde, hatte er keinen Anspruch darauf, daß er später nach dem Inkrafttreten eines neuen Gesetzes nicht gerade so behandelt werde, wie wenn auch jenes Ereignis sich erst unter der Herrschaft des neuen Gesetzes zugetragen hätte, wenn nur nicht der Anfang der Verjährung auf einen früheren Zeitpunkt als den des Inkrafttretens des neuen Gesetzes zurückverlegt wird. -- Es wird kein erworbenes Recht des Klägers verletzt, wenn dem einen Fundamente der landrechtlichen Klage (dem zum Verschulden hinzutretenden, durch solches bewirkten Schaden), welches erst unter der Herrschaft des neuen Rechtes entstanden ist, in Bezug auf die Verjährung keine weitere Bedeutung beigelegt wird, als wie eben das neue Recht solche anerkennt." ...

  • 1. Vgl. Entsch, des R.O.H,G,'s Bd. 14 Nr. 105 S. 327.