RG, 15.12.1936 - III 88/36
1. Erwirbt der Ersteher das Eigentum an einer versteigerten Pfandsache schon mit dem Zuschlag oder erst mit der Ablieferung der Sache an ihn?
2. Genügt zur Ablieferung der zugeschlagenen Pfandsache an den Ersteher eine Erklärung des Gerichtsvollziehers, er gestatte jenem, die Sache alsbald in Besitz zu nehmen und wegzuschaffen?
3. Begeht der Gerichtsvollzieher eine Amtspflichtverletzung gegenüber dem Ersteher, wenn er den von diesem gezahlten Kaufpreis vor der Ablieferung der zugeschlagenen Sache an den betreibenden Gläubiger abführt?
Sachverhalt
Im Jahre 1932 kam das der Frau A. S. gehörende, im Grundbuch von W. eingetragene Hausgrundstück zur Zwangsversteigerung; es wurde am 6. September 1932 dem Kreiskommunalverband S. zugeschlagen. Zu dem Grundstück gehörte eine Wassermühle, die über das öffentliche Mühlenfließ hinübergebaut war und zum Teil auf fremdem Grund und Boden stand. Am 20. und 22. September 1932 pfändete der Obergerichtsvollzieher B. für verschiedene Gläubiger gegen Frau A. S. das Mühlengebäude und die darin befindlichen, dem Betrieb der Mühle dienenden eingebauten Maschinen. Am 13. Oktober 1932 versteigerte er die gepfändeten Gegenstände. Vor der Abgabe von Geboten wies er darauf hin, daß das Mühlengebäude auf fremdem Grund und Boden, aber im Besitz der Schuldnerin stehe und daß das Eigentum an den zugeschlagenen Maschinen sofort auf die Erwerber übertragen würde; die Maschinen könnten sofort nach der Versteigerung abmontiert werden. Die Klägerin erhielt mehrere Maschinen, darunter einige Elevatoren und eine Transmission, zugeschlagen und zahlte dafür an den Gerichtsvollzieher sogleich 1519,50 RM. Einen Elevator und 14 Transmissionsriemeil nahm sie sofort heraus und verkaufte sie später anderweit. Die übrigen ersteigerten Gegenstände beließ sie einstweilen an Ort und Stelle. Der Kreiskommunalverband S. als Ersteher des genannten Grundstücks nahm die Gegenstände als sein Eigentum in Anspruch und erwirkte am 14. Oktober 1932 eine einstweilige Verfügung, die der Klägerin den Ausbau der Maschinen, Maschinenteile und sonstigen Bestandteile und Zubehörstücke des Mühlengrundstücks untersagte. Der Widerspruch der Klägerin gegen die Verfügung hatte keinen Erfolg; sie hat sich daher jene Gegenstände nicht verschaffen können. Den von ihr gezahlten Preis hat sie von dem Obergerichtsvollzieher nur zum Betrage von 861,80 RM. zurückerhalten. 500 RM. hatte der Gerichtsvollzieher an den Gläubiger Rechtsanwalt M. abgeführt, 157,50 RM. hatte er auf seine Kosten verrechnet. Von M. hat die Klägerin im Wege der Klage 110 RM. zurückgefordert, ist damit aber abgewiesen worden.
Die Klägerin hat in Höhe von 110 RM. nebst Zinsen vom Beklagten, dem sie in jenem Prozesse den Streit verkündet hatte, wegen Amtspflichtverletzung des Obergerichtsvollziehers B. Schadensersatz gefordert. Die Mühle und die Maschinen seien Zubehör des dem Kreiskommunalverband S. zugeschlagenen Grundstücks und daher der Zwangsvollstreckung in das bewegliche Vermögen entzogen gewesen. Dies habe der Gerichtsvollzieher wissen müssen und daher die Pfändungen vom 20. und 22. September und die Versteigerung vom 13. Oktober 1932 nicht vornehmen dürfen. Er habe ihr das Eigentum an den ersteigerten Gegenständen nicht verschafft und nicht verschaffen können. Keinesfalls habe er den Versteigerungserlös an die Gläubiger aushändigen dürfen, bevor die Übertragung des Eigentums an den Gegenständen auf die Klägerin vollzogen gewesen sei.
Der Beklagte ist vom Landgericht unter Ermäßigung der geforderten Zinsen nach dem Klagantrag verurteilt worden. Seine Berufung hatte keinen Erfolg. Auch seine Revision wurde zurückgewiesen.
Gründe
Nach der einwandfreien Annahme des Berufungsgerichts waren die von der Klägerin am 13. Oktober 1932 angesteigerten Gegenstände Zubehör des am 6. September 1932 dem Kreiskommunalverband S. in der Zwangsversteigerung zugeschlagenen Grundstücks. Sie waren daher, solange sie sich auf dem Grundstück befanden, nicht pfändbar (§ 665 Abs. 2 ZPO.), und die von dem Obergerichtsvollzieher B. gleichwohl am 20. und 22. September 1932 in den: Mühlengebäude vorgenommene Pfändung der Maschinen und Elevatoren und einer Transmission war daher nichtig (vgl. RGZ. Bd. 59 S. 87 f91), Bd. 60 S. 72, Bd. 135 S. 206). Der Obergerichtsvollzieher mußte wissen, daß er Zubehörstücke eines Grundstücks nicht pfänden konnte (§ 69 Abs. 3a der Geschäftsanweisung für die Gerichtsvollzieher vom 24. März 1914, JMBl. S. 343). Das Mühlengebäude, in welchem die Pfändung und Versteigerung der Gegenstände erfolgte, stand aber zum Teil auf fremdem Grund und Boden. Deshalb nimmt der Berufungsrichter cm, es gereiche dem Obergerichtsvollzieher nicht zum Verschulden, daß er die Zubehöreigenschaft der Gegenstände nicht erkannt und auf ausdrückliches Verlangen des Rechtsanwalts M. die Pfändung und Versteigerung vorgenommen habe. Diese Annahme beschwert den Beklagten nicht.
Der Berufungsrichter erblickt jedoch eine schuldhafte Amtspflichtverletzung des Obergerichtsvollziehers darin, daß er die Versteigerung beschleunigt durchgeführt und einen Teil des Versteigerungserlöses an den Pfändungsgläubiger Rechtsanwalt M. abgeführt hat, obwohl er im Auftrag des Kreiskommunalverbandes S. durch den Rechtsanwalt Dr. Sa. auf die Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung hingewiesen worden war. Sa. war bei der Versteigerung erschienen und hatte dargelegt, daß der Kreiskommunalverband das Grundstück im Wege der Zwangsversteigerung und damit auch die Maschinen und die übrigen Gegenstände, die dem Mühlenbetrieb dienten, zu Eigentum erworben habe. Seine Vorstellungen hatten bei dem Obergerichtsvollzieher B. keinen Erfolg; er entfernte sich daher, um durch eine einstweilige Verfügung des Gerichts die weitere Ausführung der Vollstreckung zu verhindern. Der Obergerichtsvollzieher B. rechnete damit, daß eine solche einstweilige Verfügung ergehen werde; um ihren Erfolg zu vereiteln, führte er die Versteigerung rasch zu Ende und leitete den Erlös zum Teil an die betreibenden Gläubiger weiter. Nach der tatsächlichen Feststellung des Berufungsgerichts wußte er aber, daß die von der Klägerin ersteigerten Gegenstände zum Teil nur mit Schwierigkeiten entfernt werden konnten, daß zu ihrer Wegschaffung mindestens umfangreiche Beförderungsmittel nötig, diese aber nicht zur Stelle waren und daher eine Entfernung der abzumontierenden, ersteigerten Maschinen nicht sofort erfolgen konnte. Er mußte mithin, wie der Berufungsrichter weiter feststellt, damit rechnen, daß dem Rechtsanwalt Dr. Sa. die Verhinderung der Entfernung gelingen und dann die Klägerin das Eigentum an den ersteigerten Gegenständen nicht erhalten werde. Deshalb habe er den Erlös keinesfalls an die Pfandgläubiger abführen dürfen, bevor er sich davon überzeugt habe, daß die Klägerin die Gegenstände herausgenommen und weggeschafft habe. Er habe den Erlös, wenn er ihn nicht habe hinterlegen wollen, bis dahin zurückbehalten müssen. Dadurch, daß er dies nicht getan, sondern den von der Klägerin gezahlten Bersteigerungspreis zum Teilbettag von 110 RM. an den Gläubiger Rechtsanwalt M. abgeführt habe, habe er gegenüber der Klägerin seine Amtspflicht verletzt und sie um diesen Bettag geschädigt.
Die Revision bekämpft die Ansicht des Berufungsgerichts, daß der Obergerichtsvollzieher durch das geschilderte Verhallen gegenüber der Klägerin eine Amtspflicht im Sinne des § 839 BGB. verletzt habe. Sie führt aus, auch wenn die versteigerten Gegenstände bei der Versteigerung in fremdem Eigentum gestanden hätten, seien sie doch durch den Zuschlag kraft der dem Gerichtsvollzieher vom Gesetz gegebenen Macht Eigentum der Klägerin geworden. Sie beruft sich für die Richtigkeit ihrer Ansicht auf die in RGZ. Bd. 60 S. 48 (54) abgedruckte Entscheidung. Diese Entscheidung betrifft jedoch eine Zwangsversteigerung in das unbewegliche Vermögen, bei der nach § 90 ZVG. der Ersteher durch den Zuschlag Eigentümer des Grundstücks wird und mit ihm zugleich die Gegenstände erwirbt, auf die sich die Versteigerung erstreckt hat. Das Reichsgericht hat in der Entscheidung ausgesprochen, daß im Falle der Zwangsversteigerung nach dem Zwangsversteigerungsgefetz für § 156 BGB. kein Raum sei; der Zuschlag entnehme seine Kraft nicht einer Willenseinigung der Beteiligten, vielmehr übertrage durch ihn der Richter kraft der ihm vom Gesetz gegebenen Macht das Eigentum.auf den Ersteher des Grundstücks. Im vorliegenden Fall handelt es sich aber um eine Zwangsvollstreckung in das bewegliche Vermögen zur Befriedigung von Gläubigem wegen Geldsorderungen. Für eine solche gilt nicht § 90 ZVG., sondern § 817 ZPO. Danach aber verschafft nicht schon der Zuschlag dem Meist-bietenden das Eigentum, sondern es bedarf dazu noch der Ablieferung der zugeschlagenen Sache durch den Gerichtsvollzieher, die nur gegen bare Zahlung geschehen darf. Ablieferung bedeutet aber nichts anderes als die unmittelbare Besitzübergabe, die Berschaffung der tatsächlichen Gewalt über die Sache selbst, also nichts anderes, als die Übergabe der Sache an den Erwerber im Sinne des § 929 BGB. Diese Ablieferung eben ist im vorliegenden Falle nicht erfolgt. Es war dazu der Ausbau der hier fraglichen ZubehörsWcke und ihre Besitzübertragung erforderlich. Beides war bei der Ablieferung des Steigpreises an den Obergerichtsvollzieher B. noch nicht geschehen. Dieser hatte vor der Abgabe von Geboten zwar bekannt gegeben, daß die Maschinen nach der Versteigerung sofort abmontiert werden könnten, also, wie der Beklagte es selbst ausdrückt, der Klägerin gestattet, nach der Versteigerung die Maschinen sofort auszubauen und von dem Grundstück zu entfernen. Aber dies war aus den vom Berufungsrichter dargelegten Gründen nicht sofort möglich und wurde durch die von dem Rechtsanwalt Dr. Sa. alsbald erwirkte einstweilige Verfügung verhindert, die im Widerspruchsverfahren rechtskräftig bestätigt worden ist. Zu einer Ablieferung der Sachen im Sinne des § 817 ZPO. ist es mithin nicht gekommen, und danach hat die Klägerin an ihnen keinesfalls Eigentum erworben (RGZ. Bd. 126 S. 24).
Die Revision irrt also, wenn sie glaubt, die Klägerin habe auf Eigentum gestützte Ansprüche erheben können. Die Ansicht des Beklagten, der Gerichtsvollzieher habe mit jener Erklärung genug getan, mehr habe er nicht zu tun brauchen, um das Eigentum an den versteigerten Gegenständen auf die Klägerin zu übertragen, verkennt den Inhalt des § 817 ZPO., insbesondere den Begriff der Ablieferung. Zwar handelt bei der Versteigerung nach § 817 ZPO. der Gerichtsvollzieher, ebenso wie der Versteigerungsrichter im Fall des § 90 ZVG., als Staatsorgan kraft der ihm vom Gesetz gegebenen Macht. Aber erst dadurch, daß er die ersteigerten Gegenstände an den Ersteher abliefert, verschafft er diesem nach dem Gesetz das Eigentum. Daß dazu die von dem Gerichtsvollzieher bei Beginn der Versteigerung abgegebene Erklärung, die Abmontierung und Wegschaffung der erkauften Sachen durch die Ersteher dürfe sofort erfolgen, nicht ausreicht, vielmehr solche Erklärungen eine Übergabe der Gegenstände nicht herbeiführen können, hat das Reichsgericht bereits in RGZ. Bd. 35 S. 270 für einen vor dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs liegenden Rechtsfall dargelegt. Die dortigen Ausführungen gelten aber auch für die Besitzübergabe im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuchs, auf die es nach § 817 Abs. 2 ZPO. ankommt.
Wie in der letztgenannten Entscheidung dargelegt worden ist, darf der Gerichtsvollzieher den Erlös zwangsweise versteigerter Sachen an den Gläubiger nicht abführen, bevor die Übergabe der verkauften Gegenstände stattgefunden hat. Derjenige, der auf die zur Zwangsversteigerung kommenden Gegenstände bietet, will an ihnen im FaN des Zuschlags Eigentum gegen Zahlung des Preises erwerben. In der Erwartung, daß er das Eigentum erwirbt und der Gerichtsvollzieher das seinige dazu tut, zahlt er den Preis für die ihm zugeschlagenen Sachen. Da hier die Besitzübertragung durch den Gerichtsvollzieher, wie dargelegt, noch nicht erfolgt, sondern von ihm noch zu bewirken war, durfte er das Kaufgeld an den Gläubiger M. und andere Gläubiger, welche die Vollstreckung betrieben, einstweilen nicht abführen, mußte es vielmehr, bis die Besitzübertragung durch Fortschaffung der Gegenstände erfolgt war, zurückbehalten und nötigenfalls hinterlegen. Daß etwa die Klägerin es versäumt habe, rechtzeitig den Besitz zu ergreifen, ist nicht behauptet worden und nicht ersichtlich.
Es kann auch nicht zweifelhaft sein, daß der Obergerichtsvollzieher B. durch die Abführung des Kaufgeldes an M. der Klägerin gegenüber seine Amtspflicht schuldhaft verletzt hat. Gewiß hat der Gerichtsvollzieher bei der Zwangsvollstreckung in erster Reihe die Belange des betreibenden Gläubigers und daneben in gewissem Umfange die Belange des Schuldners zu wahren. Aber aus der Stellung und den Aufgaben des Gerichtsvollziehers folgt, daß dort, wo die Ausübung seiner amtlichen Tätigkeit ihn nicht zum Eingriff in die Rechte Dritter nötigt, diese Rechte von ihm geachtet und gewahrt werden müssen. Aus diesem Grunde hat das Reichsgericht in RGZ. Bd. 87 S. 294 bereits ausgesprochen, daß dann, wenn gegenüber dem Pfändungsschuldner vom Vermieter das Vermieterpfandrecht geltend gemacht wird und eine die Einbehaltung des Erlöses anordnende Verfügung des Amtsgerichts zu erwarten ist, der Gerichtsvollzieher keineswegs sofort den Erlös an den Gläubiger abführen darf, sondern mit Rücksicht auf die Mitteilung von dem Bevorstehen einer gerichtlichen Anordnung damit abwarten muß. Der Versteigerungserlös ist zwar nach § 59 Abs. 4 der Geschäftsanweisung für die Gerichtsvollzieher vom 24. März 1914 unverzüglich, d.h. ohne schuldhaftes Zögern (§ 121 BGB.), an den Pfändungsgläubiger abzuführen. Wenn aber die Rechtslage zweifelhaft ist und deshalb gerichtliche Anordnungen alsbald zu erwarten sind, muß der Gerichtsvollzieher dem Rechnung tragen und diese Anordnungen abwarten, bevor er den Erlös abliefert. Tut er das, so handelt er pflichtgemäß; von einer schuldhaften Verzögerung der Ablieferung kann also in solchem Falle keine Rede sein. Das hat der Obergerichtsvollzieher B. im vorliegenden Falle nicht beachtet, sondern in einseitiger Berücksichtigung der Belange seiner Auftraggeber und in Verkennung seiner Amtspflichten die Versteigerung mit besonderer Beschleunigung durchgeführt, um die erwarteten Maßnahmen des Gerichts zu vereiteln. Aus demselben Grunde hat er einen Teil des Versteigerungs-crlöses abgeführt, obwohl er mit der Möglichkeit rechnete, daß der Kreiskommunalverband S. durch das Gericht Maßnahmen treffen lassen würde, welche die Entfernung der Sachen aus dem ihm gehörenden Mühlengebäude verhinderten. Da ihm auch Zweifel darüber gekommen waren, ob überhaupt eine wirksame Pfändung vorlag, mußte er die Maßnahmen des Gerichts, die er erwartete und die auch am folgenden Tage erfolgten, abwarten. Die Pfändungsgläubiger hatten Anspruch auf den Erlös nur, wenn die versteigerten Gegenstände dem Pfandschuldner gehörten; andernfalls mußten sie ihn nach Bereicherungsgrundsätzen zurückgeben. Es lag also bei der Zweifelhaftigkeit der Rechtslage gar kein Grund vor, mit besonderer Beschleunigung den Erlös weiterzugeben, obwohl die Klärung der Rechtslage durch das Gericht oder doch eine einstweilige Anordnung desselben unmittelbar zu erwarten war. Die Annahme einer schuldhaften Amtspflichtverletzung des Gerichtsvollziehers unterliegt also keinem Rechtsbedenken.
Da die Klägerin 110 RM., die sie für die hier fraglichen Sachen gezahlt hat, nach der einwandfreien Annahme des Berufungsgerichts nicht von anderer Seite zurückerlangen kann, muß der Beklagte ihr nach § 839 BGB., Art. 131 WeimVerf. den erlittenen Schaden ersetzen.
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RG, 15.12.1936 - III 8836 - RGZ 153, 257.pdf | 259.21 KB |